Jarosław Kaczyński, seit 21 Jahren Parteichef der ultranationalkatholischen PiS, mutierte zum Polen-Trump.
[…..] Ginge es nach Jarosław Kaczyński, dann müssten die Menschen in Polen sich in diesen Wochen verzweifelt die Haare raufen. Was bloß in diesem Land los ist, würden sie fragen und sie würden das Versagen der neuen Regierung beklagen. Doch die Realität zeigt sich anders, als der Chef der nationalkonservativen PiS-Partei sie sich vorstellt. Die Mehrheit der Polen fragt sich eher: Was ist bloß los mit diesem alten Mann? Denn seit Kaczyńskis PiS Ende 2023 abdanken musste, verhält der 74-Jährige sich auffällig unsouverän.
Es begann am 11. Dezember, als der Sejm, das Warschauer Parlament, Donald Tusk zum neuen Premierminister wählte. Die Abgeordneten hatten gerade gemeinsam die Nationalhymne gesungen, als Kaczyński ans Rednerpult trat und Tusk als »deutschen Agenten« beschimpfte. Im Januar behauptete Kaczyński dann, der Sejm »existiert nicht«. Kurz darauf verglich er Tusk mit Adolf Hitler. Parallel erklärte Kaczyński, Tusks Regierung verstoße gegen demokratische Prinzipien.
Ausgerechnet Kaczyński, der während der achtjährigen Regierungszeit der PiS daran arbeitete, das Justizsystem politisch zu kontrollieren, und der dafür einen schweren Konflikt mit der EU-Kommission in Kauf nahm, warnt nun als Oppositionspolitiker regelmäßig davor, dass der Rechtsstaat in Gefahr sei. Unter anderem weil die amtierende Regierung zwei wegen Amtsmissbrauchs verurteilte PiS-Politiker, den früheren Innenminister Mariusz Kamiński und dessen Staatssekretär Maciej Wąsik, festnehmen ließ. Kaczyński verbreitet nun, die beiden Inhaftierten seien auf Tusks Befehl hin »gefoltert« worden, weshalb Kaczyński plane, an europäische Institutionen zu appellieren. Die »Folter« habe zwar keine äußerlich sichtbaren Spuren hinterlassen, sagte Kaczyński, doch er fühle sich an das Vorgehen der deutschen Gestapo erinnert.
Die zuständige Ärztekammer, die über das körperliche Wohl der Gefängnisinsassen wacht, zeigte sich nach den Vorwürfen Kaczyńskis schockiert und sprach von nicht haltbaren Beleidigungen. Tusk kommentierte, Kaczyński entferne sich »immer mehr von der Realität«.[…..] […..] Erste Beobachter sprechen von einer stärkeren Orientierung innerhalb der PiS am Vorbild Donald Trumps – also noch schrillere Töne als bisher. […..]
Zu Kaczyńskis großem Missvergnügen, bekommt seine Nachfolge-Regierung nun einen riesigen Geldberg aus Brüssel zugeschoben, der mit Sicherheit Tusks Handlungsspielraum deutlich vergrößert.
[…..] Der Politikwechsel, den der neue Ministerpräsident Donald Tusk seit seinem Amtsantritt im Dezember in Polen eingeleitet hat, wird schon jetzt mit gewaltigen Fördergeldern aus Brüssel honoriert. Die EU-Kommission machte am Donnerstag den Weg für rund 137 Milliarden Euro frei, die bis 2027 nach Warschau überwiesen werden können. Sie waren bislang gesperrt, weil die vorherige rechtspopulistische PiS-Regierung nach Meinung der Kommission gegen rechtsstaatliche Prinzipien der EU verstoßen hatte. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte die Entscheidung vergangene Woche bei einem Besuch in Polen bereits angedeutet, Donald Tusk sagte dazu: "Wir werden das Geld gut verwenden." […..]
Kaczyńskis wichtigste Stützen – ultrarechte Justiz, Presse und Kirche – schwächeln ebenfalls und lassen von ihrer faschistoiden Schlagseite ab.
[….] Unter der PiS-Regierung war TVP eine reine Propagandamaschine. Wer anders dachte, wurde beleidigt und abgestempelt. Jetzt sollen sich die Zuschauer wieder ihre Meinung bilden – statt sie eingetrichtert zu bekommen. […..] In Polen lässt sich seit Wochen die Rückabwicklung eines in Teilen autoritären Regimes beobachten. Die Rückkehr eines Landes zu rechtsstaatlichen Prinzipien. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das besonders deutlich zu sehen. Es ist ja kein Geheimnis, dass eine freie Presse zu den ersten Dingen gehört, die Diktatoren und Autokraten zu zerschlagen versuchen. Schließlich gehört unabhängiger Journalismus zu den Säulen jeder Demokratie. […..]
Auf die Kirche kann Tusk kaum Einfluss nehmen. Sie steht ganz freiwillig an der Seite der schwulenhassenden, antisemitischen, xenophoben, antidemokratischen PiS. Aber die zu Karol Wojtyłas Zeiten geradezu übermächtige polnische RKK fällt über ihre eigenen Beine, weil ihre Kleriker nach wie vor intensiv damit beschäftigt sind Gaysex-Orgien zu feiern oder kleine Jungs zu vergewaltigen.
(…..) Der Katholizismus war dort immer stark, aber als 1978 sensationell nach einem halben Jahrtausend der erste nicht-italienische und nach 2.000 Jahren Christentum der erste Pole Papst wurde, waren alle Polen als Katholiken hinter Karol Józef Wojtyła vereint. Als JP-II stand er nicht nur für Tradition und tiefe Mariengläubigkeit, sondern auch als Antipode zum kommunistischen Regime.
Meine Verwandten in der fernen USA, die Polen 100 Jahre zuvor verlassen hatten, platzten vor Stolz. Einer von ihnen war Papst.
Während seines Pontifikats gingen über die Hälfte aller Polen jeden Sonntag in den Gottesdienst. Seine Heimat galt das Land mit dem höchsten gesellschaftlichem Religiositätsniveau Europas.
Viele Jahre nach seinem Tod, ist die katholische Kirche immer noch die wichtigste und mächtigste Stütze von Jarosław Kaczyńskis rechtspopulistischer Prawo i Sprawiedliwość (PiS). Der PiS, die dieses Jahr abgewählt wurde.
Wie konnte das passieren? Nun, da es in Polen besonders viele Pfarreien und besonders viele Geistliche gibt, sind auch die pädosexuellen Übergriffe auf Messdiener und schwulen Sexpartys unter Priestern sehr häufig Thema in den Medien.
[….] Für die katholische Kirche ist die Angelegenheit maximal peinlich. Eigentlich sollen ihre Priester enthaltsam leben und sich ganz auf Gott konzentrieren, deshalb verbietet das sogenannte Zölibat katholischen Geistlichen die Ehe. Nicht weniger rigoros verhält sich der Vatikan zur gleichgeschlechtlichen Liebe: Homosexualität widerspreche dem Willen Gottes, so die Linie Roms, auch wenn es ein offenes Geheimnis ist, dass auch Männer der Kirche Sex miteinander haben. Doch in Polen wird ein Fall jetzt zum Aufreger – und das nur wenige Wochen vor der Parlamentswahl.
Anlass für die öffentliche Debatte ist eine Sexparty unter katholischen Priestern, die mit einem medizinischen Notfall endete. Das berichtet die Zeitung "Gazeta Wyborcza" unter Berufung auf einen der Partygäste. Demnach feierten die Geistlichen ihre Orgie in Dąbrowa Górnicza im Süden des Landes in einer kirchlichen Dienstwohnung. Auch ein Sexarbeiter sei angeheuert worden. "Die ganze Veranstaltung war rein sexueller Natur, die Teilnehmer nahmen alle Potenzmittel", zitiert die Zeitung ihre anonyme Quelle. "Dann geriet alles außer Kontrolle und der Sexarbeiter verlor das Bewusstsein." [….]. Fest steht nur, dass ein herbeigerufenes Rettungsteam zunächst nicht zu ihm durchkam: Wohl aus Furcht vor dem Skandal ließen die Priester die Sanitäter nicht ins Gebäude. Diese mussten erst die Polizei rufen, die den Helfern den Weg frei machte zu dem ohnmächtigen Sexarbeiter. [….]Er bete dafür, dass Pfarrer Tomasz Z. von seiner sexuellen Orientierung geheilt werde, schreibt Bischof Kaszak weiter. Allein dieser Satz zeigt das extrem konservative Weltbild der katholischen Kirche in Polen. In Deutschland sind sogenannte Konversionstherapien zur "Behandlung" von Homosexualität seit 2020 verboten. Heikel ist die außer Kontrolle geratene Priesterorgie aber nicht nur für die polnische Kirche, die sich nach außen gerne als Hüterin einer strengen Sexualmoral darstellt. [….]
Auch im konservativen Polen lassen sich diese Skandale im Social Media-Zeitalter weniger gut unter den Tisch kehren. Im Vergleich zur Volkszählung von 2011, sank die Zahl der polnischen Katholiken bis 2021 um 15 Prozentpunkte, um rund sechs Millionen Menschen, auf rund 71% ab. (….)
(Polnische Erosion, 16.11.2023)
Weniger Katholiken bedeuten auch weniger Gottesdienstbesucher und weniger Einfluss der PiSser auf das Wahlverhalten des Volkes.
[….] Während 1990 noch 50,3 Prozent der Katholiken an der Sonntagsmesse teilnahmen, waren es 2019 nur noch 36,9 Prozent.
Verantwortlich für die fortschreitendende Säkularisierung ist vor allem der Umgang der Kirche mit Missbrauchsfällen. Diese wurden über Jahrzehnte nicht nur vertuscht und verschwiegen. Einige Bischöfe stellten die Vorwürfe sogar als "Angriffe auf die Kirche" dar und betrieben eine Täter-Opfer-Umkehr. [….]
Aussicht auf Besserung besteht beim polnischen RKK-Personal nicht.
[…..] Nach viel Kritik rund um einen Missbrauchsfall in seinem Erzbistum ist Andrzej Dziega als Erzbischof von Stettin-Cammin vor Erreichen der üblichen Altersgrenze zurückgetreten. Papst Franziskus nahm seinen Amtsverzicht an. […..] Ab Ende 2020 machten Vertuschungsvorwürfe gegen Bischöfe in Polen Schlagzeilen. Die Kirchenmänner sollen sexuellen Kindesmissbrauch durch Geistliche unter der Decke gehalten haben. Vor allem der Fall eines Priesters aus dem westpolnischen Erzbistum Stettin-Cammin sorgte für Empörung.
Dieser soll Anfang der 1990er Jahre vier Jungen eines Erziehungsheims missbraucht haben. Seit 1995 habe die Kirche davon gewusst, aber nichts gegen ihn unternommen, so der Vorwurf. Der Beschuldigte starb Anfang 2021 nach einer Krebserkrankung im Alter von 58 Jahren. [….]
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