Der
aktuelle SPIEGEL mit seiner Titelgeschichte „Die
richtige Flüchtlingspolitik – ein Plädoyer“ ist ziemlich
enttäuschend.
Aufgelistet
werden zehn Punkte, die alle lange im Gespräch sind und von den meisten
Parteien unterschrieben werden könnten.
Ja,
natürlich sollten wir nicht Millionen afrikanische Bauern mit der
hochsubventionierten EU-Agrar-Politik kaputt machen. Das schreibe ich seit
Jahren gefühlt einmal die Woche. Seit Jahrzehnten wird das von Experten und
Kommissionen gefordert.
Aber man
sieht doch wie bereitwillig Julia Klöckner sofort das Scheckbuch zückt, wenn die Bauern
einmal jammern – obwohl Subventionen ohnehin schon die
Hälfte ihrer Einkünfte ausmachen.
Selbst
wenn alle Farmer Afrikas ruiniert sind und in der EU auf der Matte stehen, wage
ich zu bezweifeln, daß Brüssel die Kraft aufbringt umzusteuern – schon gar
nicht mit solchen Lobby-hörigen Regierungen wie der Deutschen.
Es gibt
in der SPIEGEL-Ausgabe noch eine ganz gute Geschichte von Christoph Scheuermann über
Robert Muellers Fortschritte bei dem Versuch die Verbindungen Trumps zu Moskau
nachzuweisen. Für die Leser, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt haben,
ist das eine gute Grundlage.
Wer wie
ich täglich amerikanische Medien konsumiert, wird darin allerdings nichts Neues
entdecken.
Eine
lange Geschichte von Philipp Oehmke beschäftigt sich mit den ersten umgekehrten #MeToo-Fällen. Hat
die damals 37-Jährige Hollywood-Schauspielerin Asia Argento den damals
17-Jährigen Jimmy Bennett sexuell verführt, woraufhin dieser wegen eines
erlittenen Traumas 3,5 Millionen Dollar „Schadensersatz“ verlangte und
schließlich 380.000 Dollar von ihr bekam?
Ich kann
mich zu dem Fall nicht äußern, ohne ganz fürchterlich politisch unkorrekt zu
werden.
Man kann
sich jetzt also als Hormongesteuerter Teenager-Junge von heißen Hollywood-Stars
….. …. lassen und bekommt anschließend Millionen dafür?
Sorry
#MeToo, sorry Oehmke, aber ich stehe zu meiner Ignoranz und will das gar nicht
genauer wissen, ersparte mir also den Artikel zu lesen.
Interessant
sind aber die drei parteipolitischen Artikel.
Seite 24
f.: Scholz und Nahles rücken die SPD mit ihrer neuen Rentenpolitik deutlich nach links.
Seite
32: Die FDP gibt endgültig ihr Erbe als Bürgerrechtspartei auf.
Seite 42
f.: Die Grünen im demoskopischen Hoch.
Die
journalistische Perspektive ist seltsam verrückt.
Im Falle
der SPD wird ihre bisherige demoskopische Blamage in der Merkel-Groko III mit
den falsch besetzten Themen erklärt. Das hätten auch Finanzminister und
Parteichefin eingesehen und rissen daher nun das Steuer in der Rentenpolitik
herum, um die bisher von der CDU blockierte Rentengarantie von 48% bis 2040
festzuschreiben, ohne die Lebensarbeitszeit zu verlängern.
Ökonomen
tobten, aber auch die SPD-Minister handelten gegen ihre Überzeugungen.
So werde
der Rentenbeitrag höher (OH SCHRECK – Verteuerung der Lohnnebenkosten) oder
aber der staatliche Rentenzuschuss anwachsen (OH SCHRECK – Steuererhöhungen).
Ich
fühlte mich wieder wie 1998, als Neoliberalismus und nichts anderes angesagt war.
Mit dieser
(aus Arbeitgebersicht) falschen Weichenstellung verlöre die SPD auch noch die
Gutverdienenden, während die ganz Armen, denen 48% Rentenniveau immer noch zu
niedrig wären zur LINKEn überliefen.
Passend
zur neoliberalen Perspektive von vor 20 Jahren wird der Artikel mit „Operation
Retro“ überschrieben.
Ganz schlimm
auch die FDP, die ob des unmöglichen Verhaltens des NRW-Ministers Stamp (Fall
Sami A.) und Lindners Ranrobben an Dobrindt den Respekt vor der Justiz aufgebe
und sich Populisten andiene. FDP goes Orban und Trump. Das könne nicht lange
gut gehen. Auch hier gibt es eine knackige Überschrift „Recht statt rechts“ –
dafür stünden nur noch die ganz wenigen uralten Altliberalen
Leutheusser-Schnarrenberger, Hirsch und Baum.
Schließlich
die Grünen. Bei der Bundestagswahl am 24.09.2017 dramatisch abgestraft auf 8,9%
- also trotz des riesigen Frustes über die alte Groko nur der letzte Platz im
Reichstag hinter Linken, FDP, AfD, SPD und CDUCSU.
Und nun
quasi aus heiterem Himmel, unter Aufgabe aller urgrünen Prinzipien ein demoskopischer
Höhenflug auf 15% bundesweit. Man sei kurz davor die SPD zu überholen. Aber
vorsichtig. Es fehle ein grünes Projekt. Umfragen kippten auch wieder, das
könne also nicht ewig gutgehen.
Wieso
kommen die SPIEGEL-Leute angesichts ihrer eigenen Beobachtungen nicht auf die
naheliegende Erklärung?
Die
immer und immer wieder geforderte programmatische Erneuerung, die Inhalte und
Parteiprogramme sind weit weniger relevant für Wahlentscheidungen als
propagiert.
Das
hätte ich auch gern, es stimmt aber nicht.
99% der
Wähler lesen keine Wahlprogramme.
Die AfD
erlebt ihren Superhöhenflug, während Parteichef Gauland freimütig beweist, daß
seine Partei nicht die geringste Programmatik hat und überhaupt keine Antworten
auf die drängenden Probleme geben kann.
[….]
Nach allen landläufigen Erfahrungen von
Politik und Medien hat sich der Mann sagenhaft blamiert. Nach
Lösungsvorschlägen zum Klimawandel gefragt, sagte er: "Wir glauben nicht,
dass das sehr viel mit menschlichem Tun zu tun hat." Zur Digitalstrategie,
die ein AfD-Abgeordneter neulich im Bundestag anmahnte, sagte er, davon könne
"im Moment keine Rede sein, und ich wüsste auch keine". Als der
Interviewer konkret nachhakte, wie er die kleinen Leute davor schützen wolle,
dass eine Firma wie Airbnb die Mieten in den Städten treibt, sagte er: "Da
kann ich Ihnen im Moment keine Antwort drauf geben."
Nur mal angenommen,
Andrea Nahles oder Horst Seehofer würden so antworten: Sie würden sich zum
Gespött machen. Und sie würden ihren Parteien womöglich den Rest geben. Das
eine ist doch, wenn man als Politiker keine Antworten auf Fragen hat, die die
Leute umtreiben. Das andere ist, wenn man dies auf eine Art kundtut wie
Gauland. Er vermittelte den Eindruck, zu all diesen Themen aus exakt einem
Grund nichts sagen zu können: weil er sich nie damit beschäftigt hat.
Eigentlich ist dies
unfassbare Arroganz.
[….]
Das Gros
der Wähler ist zu doof und ungebildet rationale Wahlentscheidungen zu treffen.
So wurde
Baron von und zu Guttenberg mit 90% Zustimmungswerten schon fast per
Akklamation zum nächsten Bundeskanzler ausgerufen – ganz ohne irgendwelche
konkreten politischen Taten. Reine Show. Null Programmatik, pures Blendwerk,
das auch diejenigen begeisterte, die sich heute empört von den Altparteien
abwenden oder für Piraten schwärmten.
Die
US-Demokraten und die SPD hatten hingegen ausgefeilte gute Programme, die
durchgerechnete und praktikable Lösungen für soziale Probleme bieten.
Das
nützte allerdings gar nichts, wenn die Kandidaten Clinton und Schulz nicht
sympathisch genug wirken.
Der
umgekehrte Effekt bei Gerd Schröder 1998. Er wirkte dynamisch und
sympathisch, so viel jünger und moderner als der ewige Kohl. Damit holte er
heute nahezu undenkbare Rekordwahlergebnisse für die SPD – mit einer
Programmatik, die heute als das pure Böse gilt.
Auch die
FDP erkannte, daß sie mit der völligen Abkehr von konkreter Politik stärker denn
je wurde.
Westerwelle
holte mit großer Klappe und inhaltlicher Leere 2009 das Rekordergebnis von fast
15% bei der Bundestagswahl – obwohl da die Weltfinanzkrise schon längst
durchgeschlagen war und jeder wissen konnte, wohin sein ewiges „Steuersenkungen
Steuersenkungen Steuersenkungen“ führt.
Christian
Lindner führte dieses Erfolgsrezept noch radikaler aus, indem er sich selbst
als sexy Posterboy im Unterhemd posierend zum einzigen Thema machte. Das führte
aus dem außerparlamentarischen Nichts kommend zu fast 11% am 24.09.17 – weit mehr
als Linke oder Grüne, die sich mit Programmen abgemüht hatten.
Der
Grüne Höhenflug passt ebenfalls ins Bild. Sie haben gerade sehr populäre
Spitzenpolitiker, die es tunlichst unterlassen unbequeme Wahrheiten auszusprechen.
[…..]
An populären Köpfen mangelt es nicht.
Al-Wazir, Minister für Wirtschaft und Verkehr in der schwarz-grünen Koalition,
ist Hessens beliebtester Politiker, in Schleswig-Holstein ist es sein
Parteifreund Habeck, bis Ende des Monats dort Umweltminister. Der einzige
Ministerpräsident der Grünen, Winfried Kretschmann in Stuttgart, ist populärer
als alle seine Amtskollegen. Der abgewählte Grünenchef Cem Özdemir gehört sogar
zu den beliebtesten deutschen Politikern.
Die Attraktivität
ihrer Kandidaten trägt zu den guten Umfragewerten bei. Der Parteienforscher
Elmar Wiesendahl sieht darin jedoch auch eine Gefahr für die Umwelt- und
Friedensbewegten, die sich einst zu einer Programmpartei zusammenschlossen, um
die Welt zu retten. "Die Grünen sind auf dem besten Wege, zu einer
machtbewussten Berufspolitikerpartei zu werden", sagt er, "einer
Partei der Köpfe." Er warnt vor einem Prozess der Entpolitisierung:
"Die Grünen haben ihren Biss verloren, sie verlangen den Leuten nichts
mehr ab." Kurzfristig sichere ihnen das Erfolg, langfristig verlören sie
so ihr Profil. [….]
(DER
SPIEGEL, Nr. 35, 25.08.2018, s.42)
So wird
das was in der Politik.
Personal
statt Programm.
Die
Meisterin ist natürlich Angela Merkel. Selbst als Kanzlerin weigert sie sich
schon seit 13 Jahren politische Ziele zu definieren und Richtungen vorzugeben.
Sie
macht einfach gar nichts. Zur Belohnung gab es vier Mal nacheinander den
Wählerauftrag Regierungschefin zu werden.
Die
SPD wird nichts wegen Typen wie Schäfer-Gümbel, Nahles, Müller oder Schulz
– das sind dröge Langweiler.