Freitag, 4. August 2023

Regierende Faschisten und ihre Probleme


Unglaublich, daß Brian Molko schon 50 Jahre alt ist, daß es „Placebo“ schon 29 Jahre gibt.

Klar, nicht jeder mag dieses Grunge-Punk-Alternative-Genre. Ich höre das üblicherweise auch nicht, aber Placebo ist eine Ausnahme, weil mir die drei Schützlinge von David Bowie von Anfang an sympathisch waren: Der schwule schwedische Gitarrist/Bassist Stefan Olsdal (*1974), der bisexuelle androgyne belgisch-amerikanisch-schottisch-französische-italienische Sänger/Gitarrist Brian Molko (*1972) und der coole straighte US-Schlagzeuger Steve Forrest, geb 1985. (Steve Hewitt 1996-2007).

Dies ist nicht die Stelle, um 29 Jahre Musik zu erläutern. Aber es sei auf Molkos Familie verwiesen. Der Vater ist ein reicher internationaler US-Banker, der unbedingt wollte, daß der kleine Brian auch ein konservativer Anzugträger wird, der in der Finanzwelt Karriere macht. 2013 singt Molko „Rob the Bank/Of England and America/Rob the Bank/Of the entire euro zone“ seinem Erzeuger entgegen.

Die Mutter ist ultrareligiöse fundamentalistische schottische Christin, die den kleinen Brian nach der Bibel erzieht und möchte, daß er Pfarrer wird.

Druck erzeugt Gegendruck. Brian hasst beide Pläne, lackiert sich die Fingernägel, schminkt sich, kultiviert seine weibliche Seite, schmeißt die Schule und will Rockstar werden – und zwar in einer bis dahin homophoben Musikrichtung.

Das klappt nicht nur, sondern klappt erstaunlicherweise gleich auf Anhieb. Schon das erste Album, „Placebo“ von 1996 ist ein Erfolg. Die Tourneen sind ausverkauft, es entstanden bisher insgesamt acht kommerziell erfolgreiche Alben, obwohl die Band sich allen gängigen Erfolgsmechanismen widersetzt.

Die sehr früh, in Opposition zu seinem christlich-konservative-kapitalistischen Elternhaus ausgebildete, politische Sensibilisierung für die Ausgegrenzten, behält Molko bei.

1999 nimmt er „black Market Music“ auf uns fordert in seiner ganzen jugendlichen Schönheit im Eingangssong „Taste in Men“ den Männergeschmack ändern.

Change your taste in men
It's been this way since Christmas Day
Dazzled, doused in gin
Change your taste in men

In dem melancholischen Song „Follow the cops” (Meds/2006) solidarisiert er sich mit den Ausgestoßenen und Verfolgten, indem er ihnen vorschlägt, den Polizisten nach Hause zu folgen und mal ihre Häuser auszurauben.

Let's follow the cops back home And rob their houses

Im düsteren “Exit Wounds” (Loud Like Love/2013) leidet Molko so bitteren Liebeskummer, daß er zu Drogen und Selbstmord rät.

Want you so bad I can taste it

But you're nowhere to be found

Now I'll take a drug to replace it

Or put me in the ground

Put me in the ground

Der polyglotte und polylinguale Molko macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und sagt klar was er von der fünf Jahre jüngeren Faschistin Meloni hält, die gerade Italien aufmischt: Nämlich nichts!

Am 11. Juli 2023 spielte Placebo auf einem Festival in Turin und erklärte dem johlenden Publikum in geschliffenen Italienisch, die Regierungschefin sei ein „rassistisches, faschistisches Stück Scheiße.“

Sicherlich nicht die feine englische Art, aber die adäquate Antwort eines queeren Rockstars auf eine Regentin, die drastische homophobe Attacken von sich gibt.

Meloni ist aber nicht bloß eine xenophobe und homophobe Faschistin, sondern auch noch sehr dumm.

So dumm, daß sie den Streisand-Effekt nicht kennt und nun europaweit kostenlose Werbung für Placebo macht, indem sie den italienischen Regierungsapparat nutzt, um den Sänger Molko zu verklagen.

[….] Ob Politprofi Meloni darüber persönlich wirklich empört war, weiß man nicht. Aber sie hat jedenfalls reagiert und Molko jetzt laut Medienberichten wegen Beleidigung verklagt. Ohnehin ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft, denn wer die "Republik öffentlich beleidigt", macht sich nach italienischem Recht strafbar. Unter den Begriff Republik fällt neben den Gerichten, der Armee und dem Parlament eben auch die Regierung des Landes und damit auch die Ministerpräsidentin. Was man sagen kann, ist, dass Meloni unter ihrem Image als ultrarechte Politikerin leidet.  [….]

(Marc Beise, 04.08.2023)

Sehr schön, Meloni. Das bietet Gelegenheit noch mal dran zu erinnern, was die Italienische Ministerpräsidentin über bisexuelle Männer wie Molko zu sagen hatte.

„Ja zur natürlichen Familie! Nein zur LGBT-Lobby!“

Das muss ja super laufen in Rom, wenn die Regierungschefin Zeit hat, sich mit belgischen Sängern zu streiten.