Freitag, 12. Januar 2024

CDU im Visier

Nein, die vorgestern bekannt gewordenen Nazi-Pläne der deutschen Rechten, die über 12 Millionen Menschen auf die ein oder andere Weise loswerden wollen, kamen nicht überraschend.

Wer wie Aiwanger, BILD, Reichelt, Poschardt, Merz, Söder, Spahn, Petschner-Multari, Scheuer, Dobrindt, Tichy, Blome, Steingart, Fleischhauer mitgehetzt hatte und seit Jahren daran arbeitete, Menschenhass und die AfD groß zu machen, wiegelt heute ab. Das bißchen Wannseekonferenz macht doch nichts.

[….] Die #Remigration-Story ist inhaltlich sehr dünn und mit Blick auf die journalistische Herangehensweise mehr als fragwürdig. Zudem sehe ich die politische Relevanz des Vorgangs nur bedingt - kein bekannter Politiker nahm an dem Treffen teil. Die gesellschaftliche Wirkmacht der Akteure ist begrenzt. Ich habe eher den Eindruck, Teile der Berliner Blase hyperventilieren seit einiger Zeit. Da wird aus ein paar durchgeknallten Rentnern um Prinz Reuß schnell ein vereitelter Staatsstreich, aus protestierenden Bauern ein staatsfeindlicher Mistgabel-Mob und aus einem fragwürdigen AfD-Kaffeekränzchen eine Wannseekonferenz 2.0. Am Ende leidet nur die Glaubwürdigkeit von Medien und Meinungsmachern.  […..]

(Armin Petschner-Multari, CSU, Eigentümer von The Republic, Ex-»Communications Advisor« der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Macher des Youtube-Kanal der CSU,  11.01.2024)

Waren doch alles nur ein paar irrelevante Spinner von der AfD, die noch nicht mal im Parteiauftrag, sondern rein privat die Deportation von 12 Millionen Bürgern planten.

[….] Ulrich Siegmund, Fraktionschef seiner in Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei. Er sei als »Privatperson« dort gewesen, sagte er den »Correctiv«-Journalisten, seine von dort überlieferten Wortbeiträge sollen allerdings reichlich politisch gewesen sein: Er soll demnach gesagt haben, man müsse in seinem Bundesland dafür sorgen, dass es »für dieses Klientel möglichst unattraktiv zu leben« werde – und soll Menschen mit Migrationshintergrund gemeint haben, die eigentlich nicht abgeschoben werden könnten. [….]

(Peter Maxwill, SPON, 12.01.2024)

Ach so, er wandelte also nur als Privatmann auf den Spuren Adolf Eichmanns und Ernst Kaltenbrunners. Dann macht es ja nichts.

Schon das ist ungeheuerlicher Euphemismus.

Wesentlich schlimmer ist aber die Tatsache der Vernetzung von Neonazis, Identitären, AfDler, Wertenunionisten und CDU-Politikern.

Ja, richtig gehört, bei dem Vernichtungstreffen waren auch CDU-Mitglieder zugegen.

Wenig verwunderlich, daß sich Linnemann und Merz um eine Verurteilung der Nazis in ihren Reihen drücken.

Aber was für ein Versagen von 98% der Journalisten, welche in ihren Berichten die CDU-Beteiligung unter den Tisch fallen lassen.

Jurist und Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES)-Mann Ulrich Vosgerau (* 1974), der an der Wannseekonferenz 2.0 teilnahm, ist Mitglied der CDU und gilt als Einflüsterer Horst Seehofers.

Der rechtsradikale Eigentümer der Villa Adlon, Wilhelm Wilderink, (*1970), der zur „Konferenz“ eingeladen hatte, ist CDU-Mitglied.

Die stellvertretende Bundesvorsitzende und NRW-Landeschefin der Werteunion, Simone Baum, die zu den Teilnehmern des Potsdamer Treffens gehörte, ist CDU-Mitglied.

Michaela Schneider, stellvertretende Vorsitzende der Werteunion NRW, ist ebenfalls CDU-Mitglied und war ebenfalls eine der Anwesenden beim Nazi-Treffen vom Lehnitzsee.

Mitverschwörerin Silke Schröder gehört zum Vorstand des CDU-assoziierten Vereins für die deutsche Sprache.

Alexander von Bismarck ist ebenfalls CDU-Kommunalpolitiker.

Nicht alle Teilnehmer der NS-Nachfolgekonferenz sind namentlich bekannt, aber da man mit wenig Mühe bereits sechs CDU-Mitgliedschaften ermitteln kann, sollte man weniger von einem „obskuren AfD-Treffen“, als von einem verfassungsfeindlichen CDU-Treffen zur Zerstörung Deutschlands sprechen.

Ein weiterer Organisator der ganz rechten Umtriebe ist ein prominenter CDU-Mann: Der ehemalige Berliner Finanzsenator und Kölner CDU-Bürgermeisterkandidat Kurth.

[….]  Nach Berichten über ein konspiratives Treffen rechtsextremer Netzwerker in einer Potsdamer Villa, das jüngst vom Recherchezentrum Correctiv publik gemacht wurde, wird eine weitere Zusammenkunft prominenter Vertreter der AfD und der radikalen Rechten bekannt. Nach SPIEGEL-Informationen fand es im Juli in Berlin-Mitte statt – in der Privatwohnung des früheren Berliner CDU-Finanzsenators Peter Kurth. Nach Angaben von Teilnehmern wohnten der Veranstaltung unter anderem der AfD-Politiker Maximilian Krah, inzwischen Spitzenkandidat der Partei für die Europawahl, und der Verleger Götz Kubitschek bei – sowie der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner aus Österreich.   […..] Kurth räumte ein, »mit mehreren Mitgliedern der AfD persönlich befreundet« zu sein. Laut einer Spendenquittung über 450 Euro, die dem SPIEGEL vorliegt, unterstützte der Christdemokrat die AfD zumindest 2016 auch mit Geld. Eine Parteispende an die AfD »schließe ich nicht aus«, erklärte Kurth dazu. [….]

(SPON, 12.01.2024)

Iris Mayer, die großartige Ostdeutschland-Korrespondentin der SZ, mahnt an, die bisherige, antiquierte Äquidistanz der CDU zu Linken und AfD aufgeben zu müssen. Der Ost-CDU obliege es bei den diesjährigen Landtagswahlen das Abgleiten in den Rechtstotalirismus zu verhindern.

[…..] Die AfD steht davor, bei den Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen eine Stärke zu erreichen, die ernsthafte Fragen nach dem Fortbestand der Demokratie aufwerfen könnte. Die SPD wird - wie die Grünen - in Thüringen und Sachsen froh sein müssen, wenn sie überhaupt im Landtag bleibt. Und die Linkspartei hat ihren Wählerstatus als Kümmerer und Protestventil längst verloren. Deswegen wird es dieses Mal vor allem auf die CDU ankommen. Sie dürfte in Sachsen und Thüringen darüber entscheiden, ob der AfD der Sprung an die Macht gelingt. Eine Koalition mit der AfD oder eine Tolerierung lehnt die Mehrheit der CDU in beiden Ländern noch glaubhaft ab. Doch es könnten sich andere Fragen stellen, sollte die in beiden Bundesländern rechtsextremistische AfD auch nur annähernd so stark werden, wie es Umfragen nahelegen. Dann nämlich, wenn es nur noch für eine Regierung mithilfe der Linken reicht - oder dem Bündnis von Sahra Wagenknecht, sollte dies im September antreten. […..] Dafür müssten die Christdemokraten von ihrem Parteitagsbeschluss aus 2018 abweichen, in dem es heißt: "Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab."

Es wäre absurd, die Linkspartei in dieselbe Schublade zu stecken wie die AfD - eine Partei, die heute viel aggressiver ist als noch 2018. Der offiziell aufgelöste Flügel, damals nur eine radikale Strömung, dominiert längst die Gesamtpartei. Drei Landesverbände stuft der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch ein. In Thüringen vertritt die AfD Positionen, die sich in "ziel- und zweckgerichteter Weise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten", in Sachsen sieht der Verfassungsschutz eine fortdauernde Agitation gegen die politische Grundordnung belegt, immer mit dem Ziel, die Demokratie als Ganzes herabzuwürdigen. Nichts auch nur Annäherndes lässt sich über die Linkspartei des Jahres 2024 sagen […..] Es geht darum, die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Vor einer AfD, die öffentlich vom Systemumbau träumt und Pläne zur millionenfachen Vertreibung von allen Menschen schmiedet, die ihr nicht ins völkische Schema passen. Nie war das Motto "Erst das Land, dann die Partei" wichtiger. Wenn der Demokratie nicht anders zu helfen ist, sollte die CDU dies gemeinsam mit der Linken tun.  [……]

(Iris Mayer, 11.01.2024)

Wenn Mayer da mal nicht viel zu optimistisch ist!

Heute behauptet Merz zwar mal wieder, nicht mit der AfD koalieren zu wollen, aber wie wir wissen, verkündete er auch schon das Gegenteil und robbt verbal immer mehr von den demokratischen Grünen und Linken ab - und zu den Antidemokraten der AfD hin. Merz beweist seit zwei Jahren jeden Tag, daß er keineswegs nach dem Motto "Erst das Land, dann die Partei" zu handeln gedenkt, sondern ungeniert und mutwillig Deutschland schadet, wenn er sich davon einen parteipolitischen Vorteil verspricht. Der völkisch tönenden Blackrock-Millionär, der nur Verachtung für „sozial Schwache“ empfindet, soll mit den Linken koalieren, obwohl er selbst für eine immer größere Schnittmenge mit der AfD sorgt?

Wenn ausgerechnet Fritze Merz der letzte Damm vor der AfD sein soll, sehe ich schwarz. Und zwar Braunschwarz.

[…..]  Die Beschädigung von demokratischer Zivilität speist sich nicht nur aus der politischen Peripherie, sondern aus jenen Teilen der bürgerlichen Mitte, die alles, was republikanische Bürgerlichkeit im besten Sinne bedeuten könnte, verleugnen. Das zerstörerische Werk der demokratischen Missachtung erledigen mittlerweile alle in Parteien und Redaktionen, die sich einen eigenen Nutzen davon versprechen, populistische Rhetorik und Ressentiments zu kopieren.

Wer sich permanent fragt, ob die eigenen Worte oder Positionen auch ausreichend das AfD-Klientel „abholen“ oder besänftigen, hat den eigenen demokratischen Kompass schon verloren. Wer sich permanent fragt, ob die eigenen Aussagen oder Programme auch ausreichend die Anhänger von Verschwörungserzählungen „abholen“ oder besänftigen, hat die Wirklichkeit als Maßstab schon verloren. Wer sich nicht traut, Stimmungen und Affekten zu widersprechen, nur weil sie laut sind, verwechselt Volumen und Wahrheit. Wer glaubt, die Prinzipien des Grundgesetzes seien „normalen Leuten“ nicht zumutbar, ist nicht „nah an den Sorgen der Menschen“, sondern zelebriert lediglich die zynische Gleichgültigkeit einer bürgerlichen Mitte, die nur noch nicht begriffen hat, dass das Grundgesetz das Fundament dieser Republik ist. Es ist Zeit, dass wir uns als Gesellschaft an die politischen, sozialen, ökologischen Krisen machen, die uns tatsächlich bedrohen. Das ist vielleicht das Schlimmste: dass das Spektakel aus Desinformation und Ressentiment lediglich ablenkt von den gewaltigen Aufgaben, die es zu lösen gilt.  [….]

(Carolin Emcke, 13.01.2024)