Donnerstag, 20. Juli 2017

Sterben – Teil II



Jedes Jahr sterben in Deutschland zwischen 850.000 und 950.000 Menschen.


Sterben ist die natürlichste Sache der Welt.

Das Leben ist eine durch Geschlechtsverkehr übertragene Krankheit, die zu 100% tödlich endet.
Oder wie der Amerikaner sagt:

    „Life sucks – and then you die“

Wir sterben also alle und zwar auf jeden Fall.
Seltsamerweise bildet sich der kleine Homo Sapiens ein durch intensives Ignorieren und Verdrängen die absolute Sinnlosigkeit des eigenen Seins ausblenden zu können.

Niemand will an sein eigenes Ende denken.
Daß man endet ist klar, aber WIE man endet, ist außerordentlich vielfältig. So unterschiedlich, daß man dabei glatt vergessen könnte, daß man ja doch stirbt und demnach alles egal ist was man tut.

    Ich möchte im Schlaf sterben wie mein Großvater, nicht schreiend und heulend wie seine Beifahrer im Wagen.
    (Will Shriner)

Zig Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr und in der Geschichte des Homo Sapiens starben bisher etwa 110 Milliarden Individuen.
Allein heute sind bis 23.00 Uhr etwa 152.000 Menschen gestorben.

Dank der wunderschönen Website WORLDOMETERS erfährt man das menschliche Sterben in Echtzeit.

Wie viele Menschen sind auf der Welt heute gestorben?
Wie viele sind es in diesem Jahr bisher?
Woran sind dieses Jahr die Menschen gestorben?


Angesichts der gewaltigen Fallzahlen und der über 590.000 Suizide, die es dieses Jahr bereits gab, ist es reichlich bizarr den Selbstmord einer bekannten Persönlichkeit als großes Tabu zu betrachten.

Vor einigen Stunden erhängte sich Chester Bennington, der 41-Jähriger Sänger der „Nu Metal“-Band Linkin Park.

Das ist natürlich sehr bedauerlich für seine vielen Fans überall auf der Welt. Seine sechs Kinder und die weiteren Angehörigen. Auch seine Bandkollegen sind heute frustriert; erst recht das Management, welches sich um das in finanzieller Hinsicht zugkräftigste Mitglied grämt.

Für eine Person ist dieser Suizid aber gut und das ist Chester Bennington selbst.
Man muß kein Fan seiner Musik sein, um zu wissen, daß der Mann mit schweren Depressionen und diversen Suchterkrankungen litt.
Er hat es jetzt hinter sich.
Er hat das hinter sich, was wir alle, ausnahmslos alle noch vor uns haben.

Es gibt unterschiedliche Angaben über die Mortalität von Depressionen. 15% der an schweren Depressionen Erkrankten sterben. Das Leiden ist also gravierender als so mache Krebsart. Psychisch so zu leiden, daß man sich deswegen umbringt, ist also offensichtlich sehr grausam. Das an die Adresse all derjenigen, die depressive Erkrankungen nicht ernst nehmen und glauben, man müsse sich nur zusammenreißen.

Ich staune über die Verdruxtheit mit der wieder einmal alle Medien das Thema behandeln.
Völlig verklemmt wird von „Hinweisen auf Suizid“ orakelt.
Viele Websites lassen diesen Aspekt ganz weg und diejenigen, die es erwähnen, lassen pawlowsch sofort anschließend die Hinweise auf die Suizidprävention aus der Feder.

Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Hier finden Sie - auch anonyme - Hilfsangebote in vermeintlich ausweglosen Lebenslagen. Per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch.

Suizide bekannter Personen dürfen nicht öffentlich erwähnt werden, weil alle den Nachahmungs-Effekt fürchten, der beispielsweise nach dem Selbstmord des Ballspielers Robert Enke 2009 zu registrieren war.

Der damalige CDU-Ministerpräsident Christian Wulff hatte zu einer geigantischen Trauerfeier in einem Fußballstadion geladen und inszenierte sich vor 35.000 anwesenden Fans.

[….] Nach der Andacht von Pfarrer Heinrich Plochg wurde der Sarg Enkes zum Song "The Rose" von Bette Midler und dem Fußball-Kultlied "You'll never walk alone" von Vereinskollegen des Torwarts aus dem Stadion getragen. Tränenreich nahmen die trauernden Zuschauer endgültig Abschied von ihrem Idol. [….]

Die seinerzeitige Ratsvorsitzende der EKD, Bischöfin Margot Käßmann, hielt den Trauergottesdienst in Hannover.

[….] Doch Robert Enke ist seinen Weg alleine zu Ende gegangen. Ganz alleine in der Dunkelheit, die ihn umgab und die in ihm gewesen sein muss. Alle dachten, er ist wieder da, kehrt zurück zu seinem geliebten Sport, geht seinen Weg weiter gemeinsam mit der Mannschaft und den Fans von Hannover 96, weiter auch mit der Nationalmannschaft. Und dann kam gestern Abend die unfassbare Nachricht, dass er in diesem Leben nicht mehr weitergehen wollte. […..]

Ein voller Erfolg für den frommen Wulff und die Bischöfin.
Das inspiriere einige Nachahmer. Nun sprangen drei Mal so viele Menschen vor Züge wie zuvor.

[…..] Geht es nach den Psychotherapeuten, sind Depression und Suizid für Journalisten heikle Themen. Da ist zum Beispiel der Fall Robert Enke. Als sich der Bundesliga-Torwart im November 2009 an einem Bahnübergang das Leben nahm, schnellte die Zahl der Nachahmer in die Höhe, immer mehr Menschen sprangen vor Züge.
Kam es in den Jahren zuvor zu durchschnittlich 2,3 „eisenbahnsuizidialen Handlungen“ pro Tag, stieg die Zahl am Todestag Enkes zunächst auf drei an und kletterte dann auf einen Höchststand von neun Vorfällen täglich. Nach eineinhalb Wochen sank die Zahl wieder, der Durchschnittswert vor 2009 wurde aber nicht mehr erreicht.
Verantwortlich dafür soll unter anderem die Berichterstattung sein. [….]

Was lernen wir daraus?
So eine gewaltige massenwahn-artige Suizidaltrauer wie im Stadion von Hannover ist keine brillante Idee.

Es ist aber auch absurd um eine Todesursache ein so lautes Schweigen anzufangen, daß man inzwischen schon sicher gehen kann, daß es sich um einen Suizid handelt, wenn nicht ausdrücklich eine andere Todesart genannt wird.

Die Chester Bennington-Nachricht erreichte mich vorhin zufällig über Facebook und da wir im Zeitalter des Internets leben, war die soziale Plattform in Windeseile mit Berichten über die genaue Methode geflutet.

(Ehrlich gesagt wundere ich mich, daß jemand, der offensichtlich so einen problemlosen Zugang zu harten Drogen hat und dazu auch noch sehr reich ist, eine so mechanische Methode wie Erhängen wählt. Wäre eine Überdosis nicht naheliegender und weniger quälend?)

Aus lauter Panik vor Nachahmern drücken sich die herkömmlichen Presseorgane um Details, während überall sonst schon jeder weiß, daß sich der Mann erhängte.

Man sollte lieber offen darüber reden, kein Tabu inszenieren und den Tod verdammt noch mal endlich als das behandeln was er ist: Ganz normal und natürlich.

Wer über sein Lebensende selbst bestimmen will, soll das gefälligst tun dürfen, ohne daß moralische Zeigefinger erhoben werden.

Vermutlich konnte der Fall Enke nur deswegen so viele Menschen dazu inspirieren sich ebenfalls vor einen Zug zu werfen, weil immer so ein Bohei um den Tod gemacht wurde und diese Menschen nicht in der Lage waren ohne Hysterie darüber nachzudenken.