Ja, man weiß natürlich,
daß Umfragen keine Wahlergebnisse sind, aber trotzdem benutzt jeder sie als Argumentationsgrundlage.
Natürlich betont man immer, es handele sich ja „bloß um Umfragen“ und jeder
Politiker, dessen Partei in Umfragen schlecht dasteht, betont, man werde nicht
die Umfragen, sondern die Wahlen gewinnen.
Durch die Flut von
Umfragen begibt man sich allerdings unweigerlich in eine virtuelle
Demoskopenwelt und verwischt die Grenzen.
Den Schuh muß ich mir auch
anziehen, weil ich beispielsweise stets vor Wahlkreuzen bei den Piraten gewarnt
hatte. Die Argumentation ging so:
Die chaotische
Mitgliederbefragungspartei würde ohnehin an der 5%-Hürde scheitern, somit habe
man am Ende erstens gar keinen Volksvertreter im Parlament und nutze zweitens
auch noch der Bundeskanzlerin, die es bei weniger Oppositionsstimmen umso
leichter hätte die Kanzlermehrheit zu erringen.
Genau genommen konnte ich
das aber vorm 22.09.13 gar nicht wissen. Die Piraten hätten ja doch noch 5,0
Prozent bekommen können und somit Merkel im Parlament das Leben schwer machen
können.
Nun zeigt das Wahlergebnis
allerdings, daß meine Interpretation der Umfragen genau richtig war, also die
Umfragewerte der Piraten offensichtlich sehr treffend ermittelt worden waren.
Glück gehabt.
Umfragedaten richtig zu
interpretieren ist allerdings nicht so leicht, wie es sich einige Journalisten
gemacht haben.
Beim Abschätzen der Stärke
des rotgrünen und des schwarzgelben Blocks, wurden beispielsweise immer die
FDP-Prozente mitgezählt, auch wenn sie unter 5% lagen. Dabei sind in unserem
Wahlrecht 4% = 0%. Die simpelste Wahl-Mathematik wurde ignoriert und somit der Leser für dumm
verkauft.
Es ist eine Sache, daß die große Mehrheit der Journalisten überfreundlich auf die Kanzlerin blickten
und von einem perversen Herdentrieb heimgesucht Steinbrück
grundsätzlich negativ darstellten.
Medienpolitik wird aber
außer im NDR-Magazin „ZAPP“ so gut wie nie
thematisiert in den Medien.
Eine Krähe hackt der
anderen kein Auge aus.
Erstaunlich ist aber, daß
bei Großirrtümern der Journaille keinerlei Bereitschaft zum „Mea
Culpa“ zu erkennen ist.
Auch nach offensichtlichen
Desastern wie den Abstrus-Prognosen, die Hans-Ulrich Jörges permanent anstellt
(er schwor Stein und Bein, der Bundeskanzler werde ab Herbst 2002 Edmund
Stoiber heißen), oder die von der neoliberalen Jubelpresse transportiert wurden
(Schwarzgelb wäre eine Reformkoalition, die das Steuerrecht grundlegend
modernisieren werde) folgt keinerlei Entschuldigung für die grundfalschen Prognosen.
Ich staune über mein
Erstaunen vom Wahlabend zwischen 19.00 und 20.00 Uhr, als ARD und ZDF plötzlich
eine absolute Mehrheit für die CDU/CSU-Fraktion prognostizierten.
Merkel braucht gar keinen
Koalitionspartner?
Dabei war dieser
Wahlausgang gar nicht so abwegig. Wenn gute zehn Prozent der Stimmen an der
5%-Hürde hängenbleiben – und das war bei den Wackelparteien AfD, Piraten und
FDP durchaus absehbar – würden 42% für eine absolute Mehrheit der Sitze
reichen. 42% hatte die CDU aber in den Umfragen der letzten Wochen schon oft
übersprungen.
Trotz der ausführlichen
Durchdeklination jedes Wahlscenarios, war aber niemand auf die Idee gekommen.
Presseversagen absolut.
Nur im taz-Blog finde ich
einen entsprechenden Artikel von Sebastian Heiser. Alle anderen Medien
schweigen.
Wir beleuchteten sogar die Option einer
Minderheitenregierung, die sich auf keine feste parlamentarische Mehrheit
stützen kann (FAZ vom 7. März 2013, Seite 8, nicht online). Eine absolute
Mehrheit hatte niemand auf dem Schirm. Viele von uns haben sie sogar
ausdrücklich ausgeschlossen. Das
klang dann so: “Wunder wie eine absolute Mehrheit von CDU/CSU oder SPD wird
es nicht geben.” Oder
so: “Denn keine Partei wird die absolute Mehrheit erringen.” Wir
Journalisten waren uns wirklich ganz
sicher: “Die Frage ist eigentlich nur noch, ob Kanzlerin Angela Merkel mit
der FDP weiterregieren kann – oder die SPD in eine große Koalition einsteigen
muss.” Sogar noch in der Woche vor der Wahl schrieben
wir, die SPD müsse “nicht fürchten, dass die [schwarz-gelbe] Koalition
wegen einer absoluten Mehrheit der Union ein Ende findet”. Noch ein
Beispiel gefällig? “Zwar steht eine absolute Mehrheit der Union nicht ins
Haus.”
Es ist gar nicht wichtig, welcher
Kollege das jeweils in welchem Medium geschrieben hat. Wir alle haben es
gleichermaßen vergeigt, übrigens in der taz kein bisschen weniger als überall
sonst. Wir hauptberufliche Politikbeobachter und -erklärer haben unserem
Publikum vorgemacht, dass wir etwas davon verstehen würden. Und jetzt stehen
wir da, und jeder kann es sehen: Der Kaiser ist nackt!
Deshalb sollten wir alle
zurücktreten. Und wenn schon nicht von unserem Job, dann zumindest von unserem
Anspruch, die Wahrheit zu kennen. [….]
Ich bin davon überzeugt: Wir würden die
Wahlberichterstattung auch mit Inhalten vollbekommen können. Und damit würden
wir auf jeden Fall mehr über die reale Realität berichten als mit diesem
Prognosenhokuspokus.
DANKE taz.