Sonntag, 19. Juli 2020

Deplatforming

Derzeit durchlebe ich die zehnte oder elfte 30-täge Sperre meines Facebook-Accounts.
Wie bisher jedes Mal handelt es sich um eine geradezu groteske Fehlentscheidung der Zuckerberg-Jungs, die sarkastische Kritik am Rassismus des US-Präsidenten nicht erkannten, sondern selbst als rassistisch werteten.
Zuvor war auch schon eine Nahaufnahme von Trumps Hals, der eigenartige vertikale Falten aufweist von einem Algorithmus als schwerer Verstoß gegen das Pornographie-Verbot mit 30 Tagen Facebook-Knast bestraft worden.
Das nervt mich selbstverständlich, weil ich mich ungerecht behandelt fühle – zumal Mark Zuckerberg dafür bekannt ist Trump selbst mit Samthandschuhen anzufassen und wirklichen rechtsradikalen Hass ungehindert weltweit gedeihen lässt, so lange er daran weitere Milliarden scheffelt.
Noch ärgerlicher ist, daß ich nach den 30 Tagen reuig erneut ein datenliefernder Spielball des Ultramilliardärs mit der fragwürdigen Moral werden werde, da Facebook in vielen Aspekten ein Monopolist ist.
Ich bin davon in besonderer Weise betroffen, weil fast meine gesamte Verwandtschaft in den USA lebt und insbesondere die ältere Generation nur über Facebook kommuniziert.
Datenschutz ist ihnen ein völliges Fremdwort. Alle treten dort mit Klarnamen auf, posten pausenlos private Fotos und geben der weißblauen Datenkrake willig und uneingeschränkt ihre Geburtstage, Hochzeitstage, Telefonnummern und Adressen preis.
Ich finde das verstörend und unverständlich; merke daran aber meine europäische Prägung und bin andererseits so inkonsequent das auszunutzen. Wer will schon regelmäßig mit sämtlichen Cousins zweiten Grades und entfernten Tanten telefonieren, wenn ein Großteil davon mäßig interessant ist?
Aber es ist Verwandtschaft und mangels Derselben auf meinem Kontinent möchte ich doch grob informiert werden, ob es ihnen gut geht, welche Beerdigungen stattfanden und wer welche neuen Jobs antritt oder von einem Hurrikan überrollt wurde.

Es ist müßig sich über Facebook zu beschweren; jeder weiß doch wie der Laden läuft. Niemand ist gezwungen dort einen Account zu erstellen. Wenn ich mich nach all den schlechten Erfahrungen erneut Zuckerbergs Regeln unterwerfe, brauche ich nicht rumjammern, wenn sie mir nicht passen.
Facebook ist seine private Firma, also unterwirft man sich seinen Geschäftspraktiken und Moralvorstellungen, wenn man eine Geschäftsbeziehung mit FB eingeht. Wem es nicht passt, der kann es sein lassen.
Wenn ich ein Ticket für ein Helene Fischer-Konzert kaufe, kann ich mich auch nicht über die meiner Ansicht nach miese Musik beschweren und verlangen, es solle lieber Rimsky-Korsakoff gespielt werden.

Das ist die Freiheit des Marktes.
Ein Firmen-Chef kann denken und sagen was er will.
Und Kunden können denken und sagen was sie wollen.


Die faschistoiden Spinner wie Attila Hildmann, Eva Herman oder David Berger, die sich tagtäglich mit maximaler Heuchelei über die angebliche Zensur ihrer Hassreden in den sozialen Medien beklagen, begreifen es nicht, oder stellen es bewußt falsch dar:

Natürlich können sie denken, sagen und schreiben was sie wollen (es sei denn es ist volksverhetzend), aber eine private Firma wie das Reformhaus kann nicht gezwungen werden Hildmanns Soßen zu verkaufen, eine private Zeitung kann nicht verpflichtet werden Hermans Ufologen-Theorien zu verbreiten und eine private social-media-Plattform kann nicht gezwungen werden Bergers Lügen zu vervielfältigen.

(…..) Die reaktionäre Fundi-Christin Eva Herman ist so ein unangenehmes Beispiel.
Ganz im Gegensatz zu den immer wieder von rechtsradikalen Quellen (Kreuznet und Co) auftauchenden Vorwürfen das politisch korrekte Deutschland habe ihr „Berufsverbot“ erteilt, ist die blonde Braune unglücklicherweise beruflich extrem aktiv.

Wir sind eben eine freie Gesellschaft und daher darf auch ein dunkeldeutsch frömmelndes Kreuznet-Liebchen tun was es will.
Sie publiziert, verkauft fast ein Dutzend Bücher unter ihrem Namen, spricht auf dubiosen Parteineugründungen, wird bei ultrakatholischen Kongressen als Rednerin engagiert und ist nicht zuletzt das mediale Gesicht des Kopp-Verlages.

Dort versammelt sich das Who-Is-Who der rechtsnationalen Verschwörungstheoretiker, Ufologen (z.B. Erich von Däniken), Islamhasser wie Udo Ulfkotte und Esoterik-Freaks.

„Der Verlag bezeichnet sich selbst als Verlag und Fachbuchversand für Enthüllungsliteratur, Verschwörungen und Geheimgesellschaften. Verlegt werden unter anderem Bücher zu Themen der Prä-Astronautik, der Ufologie, des Erfundenen Mittelalters, des Kreationismus, der Astrologie, der Geomantie sowie der Germanischen Mythologie, des Islamismus, der Freiwirtschaftslehre und „Enthüllungen“ wie zu sogenannten „linken Lebenslügen.“
(Wiki)

Wie schön wäre es, wenn Herman tatsächlich mit Berufsverbot belegt wäre.
Aber mit Kopp bildet sie eine perfekte Symbiose.
Der finanzstarke Verlag füttert sie und dafür liefert die angebräunte TV-Frau regelmäßig mit ultrabizarren Ansichten (Loveparade-Katastrophe war Strafe Gottes, etc) die PR für den vorher eher im Schatten vor sich hin modernden rechten Verlag.

Anfang Dezember meldete sie sich in der Causa Ken Jebsen zu Wort. (…..)

Die Sache ist so einfach. Meinungsanbieter Hildmann ist frei und Konsument Tammox ist auch frei.

(…..) Sie verwechseln aber immer wieder Meinungsfreiheit mit Weltherrschaft.
Sie äußern nicht nur ihre Meinungen, sondern verlangen auch noch wie Weltherrscher adaptiert zu werden. Jeder soll sich nur noch nach ihnen richten, sie lobpreisen und bewundern.

Dabei befinden sie sich auf dem Holzweg.
Ja, Attila Hildmann darf denken und sagen was er will über Corona, aber ich bin weder verpflichtet ihm zuzuhören, noch kann er mir vorschreiben seine Produkte zu kaufen.

Es gehört auch zur Freiheit, daß eine Reformhauskette Hildmann-Produkte aus den Regalen nimmt.
Sagen und meinen darf der irre Attila dennoch was er will.
Aber seine veganen Soßen kaufe ich deswegen nicht und er wird weder mich, noch private Handelsunternehmen dazu zwingen können ihn auch noch zu bezahlen.

[…..] Auf seinen Profilen in den sozialen Netzwerken geht Vegan-Koch Attila Hildmann wahlweise auf Politiker, Virologen oder Bill Gates los. „Alle Akteure bei Corona haben euch angelogen, Statistiken gefälscht und ALLES DETAILGETREU LANGE GEPLANT!“, schreibt der Vegan-Koch beispielsweise. Und wer seinen kruden Thesen widerspricht, ist ein „Meinungsfaschist“. Am Wochenende demonstrierte Hildmann unter anderem mit Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, wurde dabei von Polizisten abgeführt.
[…..] Zwischen seinen kruden Postings macht er Werbung für seine veganen Produkte: Hildmann betreibt mehrere vegane Restaurants und verkauft bundesweit in Supermarkt- und Bioketten vegane Produkte, beispielsweise Nudelsoßen in Gläsern. […..] Das Reformhaus Engelhardt, das in Hamburg sowie in Schleswig-Holstein und Niedersachsen insgesamt 34 Filialen betreibt, nimmt Hildmanns Produkte aus dem Regal. Das erklärte Geschäftsführerin Cathrin Engelhardt auf Anfrage der MOPO. „Wir listen die Produkte aus. Wir klären, ob wir die Restbestände zurückschicken können.“ Am Freitag habe man alle Filialen über diesen Schritt informiert.
 „Wir distanzieren uns mit Entschiedenheit von Attila Hildmanns Verhalten und seiner Meinungsäußerung“, sagt Engelhardt. Zwar sei man ihm dankbar für sein Engagement für die vegane Ernährung, aber „wir glauben nicht, dass sein Verhalten mit seiner veganen Ernährung zu tun hat und halten es eher für ein psychologisches Problem.“ […..]

Zu meiner Freiheit gehört es in Zukunft lieber meine Belugalinsen und das Vanille-Pulver bei Engelhardt zu kaufen und nicht mehr bei der Biokette Denn's, die weiterhin Hildmann vertreibt. (…..)

Derzeit beginnen die großen Plattformen Reddit, Facebook, Youtube und Twitter offensichtlich damit ihre eigenen Regeln strenger auszulegen.

Nicht unbedingt, weil sie über Nacht moralischer geworden sind und ihre finanziellen Interessen vernachlässigen, sondern ganz im Gegenteil: Das politische Klima hat sich die durch Black-Lives-Matter-Bewegung und die offensichtlich massentödliche Multiplizierung der grotesken Anti-Maskers und Covidioten so gewandelt, daß viele große Firmen keine Werbung mehr bei Facebook schalten. Mitte Juli 2020 sind es schon über 1000 Firmen weltweit, die derzeit keine Anzeigen mehr bei Marc Zuckerberg aufgeben.
Dadurch können die Gewinne geschmälert werden; auch wenn diese gegenwärtig noch explodieren. Aber das könnte sich ändern und außerdem wenden sich womöglich auch zunehmend User von den Plattformen ab, die als zu Trump- und Verschwörungsfreundlich gelten.
Nicht aus Einsicht, sondern aus pekuniären Erwägungen beginnen nun auch europäische Hetzer wie der von David Berger gefeierte österreichische rechtsextreme Identitären-Chef Martin Sellner ihre privaten Verbreitungskanäle zu verlieren.

[…..] Der US-Kurznachrichtendienst Twitter hat Konten der rechtsextremen Identitären Bewegung gesperrt, weil darauf gegen die Regeln zu Terrorismus oder gewalttätigem Extremismus verstoßen worden sein soll.
Seit Freitag sind unter anderem die Profile des deutschen Ablegers der Identitären Bewegung (IB) und der Account des prominenten österreichischen Aktivisten Martin Sellner nicht mehr zugänglich. Betroffen waren nach Angaben der Gruppe auch Twitter-Konten in Frankreich, Italien, Dänemark und Großbritannien. [….]

Es blieb nicht bei Twitter. Die anderen Tech-Giganten legen nach und so kommt es zu einem regelrechten „DEPLATFORMING“, die nun nicht mehr bequem einfach nur auf Enter drücken müssen, um ihren Hass millionenfach zu verbreiten, sondern sich erheblich mehr Umstand machen müssen, um so viele Menschen zu erreichen.
Und die Getroffenen jaulen laut auf.

[…..] In den vergangenen Wochen rumpelte es im Silicon Valley - so laut, dass das Echo auch in Deutschland zu hören war. Die mächtigsten Kommunikationsplattformen verbannten massenhaft rassistische und rechtsradikale Konten und Kanäle. Wer jede Entscheidung einzeln betrachtet, wird darin wenig Weltbewegendes sehen. Hier ein paar Nazis weniger, dort ein paar Antisemiten, die ihr Gift woanders verbreiten müssen. Doch in der Summe könnte es ein revolutionäres Rumpeln gewesen sein. Im Sommer 2020 könnte die Zähmung des "Wild Wild Web" begonnen haben, wie es der Journalist Kevin Roose in der New York Times nannte.
Die Tragweite der Ereignisse versteht man am besten, wenn man erst heranzoomt, um dann das große Ganze in den Blick zu nehmen. Der Fokus liegt also auf Martin Sellner und Steve Huffman, einem rechtsextremen Provokateur und dem Chef der Plattform Reddit. Der eine hat Zehntausende Follower, der andere Hunderte Millionen Nutzer. Sellner missbraucht soziale Medien, um Hass zu schüren. Huffman versucht zu verhindern, dass sich Menschenfeinde auf Reddit vernetzen.
In kurzer Folge entzogen etliche Unternehmen Sellner das Mikrofon. Erst sperrte Twitter sein Konto, kurz darauf machte Youtube seinen Kanal dicht, schließlich warf ihn Tiktok raus. Auch für seine eigene Webseite muss sich der Rechtsradikale eine neue Heimat suchen. Sein Webhoster kündigte ihm den Vertrag. "Der digitale Vernichtungsfeldzug der Eliten geht weiter", beklagt der Österreicher auf seinem Telegram-Kanal, schwadroniert von Totalitarismus und modernen stalinistischen Säuberungen. Sellner erlebt, wie sich das sogenannte Deplatforming anfühlt. Nachdem er sich jahrelang austoben durfte, nehmen ihm die Konzerne seine wichtigsten Waffen weg: die Bühne, die Reichweite, das Publikum. […..]

Sellner, Hildmann und Berger sind nun keineswegs mundtot; im Gegenteil; sie schreien immer lauter, werden immer schriller und extremer.
Aber es wenigstens nicht mehr ganz so leicht für sie millionenfach Gehör zu finden. Und das ist auch gut so. Viel mehr Menschen sollten nicht millionenfach Gehör finden.
Möge auch Trump bald seinen Twitter-Account verlieren.
Die Hetzer, Spinner, Faschisten, Verschwörungstheoretiker, Anti-Maskers, Impfgegner und Chemtrailer, Geozentristen, Flacherdler und Reptiloiden-Gläubigen können weiterhin meinen und denken was sie wollen. Aber sie müssen sich mehr anstrengen, ihre Webanbieter wechseln, Blogs neu aufbauen, mit ihren Accounts umziehen.