Montag, 30. November 2020

Mein RRG-Frust

Martin Schulz würde es nicht hinbekommen; das war mir schon früh im Jahr 2017 klar.

Er hatte nicht das intellektuelle Rüstzeug, den Willen und die Durchsetzungsfähigkeit um das von Gabriel und Nahles vollkommen zu Grunde gerichtete Willy-Brandt-Haus auf Vordermann zu bringen.

Zu allem Übel legte er auch noch eine kontinuierliche Jammerigkeit an den Tag. Fühlte sich von der Presse schlecht behandelt und beklagte sich über Talkshow-Moderatoren. Im Kanzlerduell mit Merkel sei er gar nicht richtig zu Wort gekommen.

Auch wenn er Recht hatte; natürlich wurde Merkel deutlich mehr von Verlagen und TV-Redaktionen hofiert; aber einer, der ein 82-Millionen-Volk anführen will muss man eben Wege finde mit vermeidlichen Benachteiligungen umzugehen. Schwäche und Weinerlichkeit mögen privat sympathisch sein, sind aber in dem Job als Kanzler großer Mist.

Es kam wie es kommen musste, mit Andrea Nahles wurde es erwartungsgemäß noch schlimmer; das historische 20,5%-Tief vom 24. September 2017 galt als niedrigstes mögliches Ergebnis überhaupt und wurde durch Nahles‘ Tölpeleien mühelos im folgenden Jahr noch unterschritten.

Die SPD blieb sich auch nach dem Nahles-Rückzug treu und fand durch den strategischen Amok-Kurs des Juso-Führers Kühnert das einzig mögliche Führungspaar, das sogar noch schlimmer als Nahles ist: Esken und Walter-Borjans setzten den Kurs in den Keller weiter fort.

Die einzige Überraschung, die Saskia Esken gelang ist, daß sie als größte Groko-Hasserin und Verkünderin des Ausstiegs der SPD aus der Merkel-Regierung heute das eifrigste Merkel-Fan-Girl ist. Merkel und Esken sind ein Herz und eine Seele; nie verlöre Esken ein schlechtes Wort über die Kanzlerin und die Groko liebt sie jetzt.

Nowabo war mir von beiden der deutlich klügere und sympathischere Kandidat. Aber offensichtlich hat er sich irgendwann zurückgezogen. Oder hat ihn irgendjemand im letzten halben Jahr gesehen?
Der Parteichef einer Regierungspartei in der größten ökonomischen und gesundheitlichen Krise der BRD ist vom Erdboden verschluckt.

Aber immerhin, in dieser trostlosesten Lage kürte man mit Olaf Scholz den einzig möglichen SPD-Kanzlerkandidaten. Scholz ist sicher kein Jammerlappen, zweifellos kompetent, in den Medien präsent und seine persönlichen demoskopischen Werte sind exzellent.

Dadurch sinkt die SPD wenigstens nicht noch weiter in den Umfragen ab. Zu verdanken ist das indirekt auch den beiden Bundesparteivorsitzenden, die öffentlich kaum sichtbar sind: Er ist völlig verschwunden und sie wird alle paar Wochen mal in Hintergrundberichten erwähnt.

Die versprochene Arbeit für den Parteiapparat und die Programmatik findet nicht statt, politische wahrnehmbare Initiativen sind ebenfalls völlige Fehlanzeige.

Den beiden fällt einfach nichts ein und genau das habe ich schon vor ihrer Wahl von ihnen erwartet.

Die Linken leisteten sich noch einige Jahre eine AfD-freundliche braun-populistische Fraktionsvorsitzende, die mit ihrem zündelnden deutschnationalen Mann Oskar beständig völkisch-widerliche Thesen verbreitete. Keine Überraschung, daß Wagenknecht auch Donald Trump lobt.

Seiher herrscht Vakuum bei den Linken.

Inmitten der größten ökonomischen und sozialen Krise fällt der linken Partei nichts mehr ein. Weiß irgendjemand wer da aktuell Parteichefin ist oder es irgendwann werden wird?
Sie ergibt sich willig dem Regierungshandeln und vollbringt damit das Kunststück trotz bei den SPD-Mitgliedern derartig unbeliebter Groko und des weiteren demoskopischen Sozia-Aderlasses selbst noch unter das miserable 2017ner Bundestagswahlergebnis von 9,2% zu rutschen. Mehr als 7% dürften gegenwärtig für die Linke nicht drin sein.

Die Dritten im Bunde sind die Grünen, die es als einzige aus dem RRG-Lager vermochten deutlich über das demütigenden 2017ner Bundestagsergebnis von nur 8,9% zu wachsen.

Sie haben sich verdoppelt und so würde es wohl eher ein GRR statt RRG, wenn es so ein Dreiparteienbündnis im Reichstag geben sollte.

Nun ja, Bundeskanzler Habeck.

Vor 2017 war ich ein großer Fand des Kieler Ministers und habe immer wieder die Grünen hart für ihre anderslautenden Personalentscheidungen kritisiert.

(…..) Die einzig sichere Information aus der grünen Parteiführung ist die menschliche Zerrüttung der Führungskasper.

Peter, Özdemir, Hofreiter und Göring-Eckardt hassen sich alle gegenseitig.

 Es gibt nur die eine Gemeinsamkeit; nämlich den Wunsch, den einzig guten Spitzenkandidaten, Minister Habeck zu verhindern.  Das gelang bei der Urwahl – wenn auch denkbar knapp.

[……] Parteichef Cem Özdemir schnitt bei den Männern mit 35,96 Prozent extrem knapp am besten ab. Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Holstein, holte nur 75 Stimmen weniger und kam auf 35,74 Prozent. Fraktionschef Anton Hofreiter vom linken Flügel der Partei bekam 26,19 Prozent. [….]

(dpa, 18.01.2017)

Urwahl ohne zweiten Durchgang. Das erinnert natürlich an die fatale Scharping-Urwahl von 1993, die direkt in die Opposition führte. (…..)
(Jeder kommt mal dran, 19.01.2017)

Was hätte ein Fraktionschef Joschka Fischeraus der Oppositionsrolle gemacht! Zumal die FDP in der APO hockt und die Bundestagsfraktion der Grünen die Aufmerksamkeit nur noch mit den Linken teilen mußte.

Die Sache dann so zu versauen, daß man nach vier Jahren noch mal deutlich Stimmen verliert und in Umfragen hinter AfD, FDP und Linken zurückliegt, obwohl die ersten beiden gar nicht im Bundestag sind, zeigt schon ein außergewöhnliches Maß des Politversagens. (….)

(Als RG2-Fan hat man es schwer, 18.06.2017)

Ich bin Kassandra. Wie weise ich war; denn genauso kam es am 24.09.2017: Mit der unerträglich frömmelnden Kathrin Göring-Kirchentag wurden die Grünen schwächer als AfD, FDP und Linke; sind deutlich kleinste Oppositionspartei.

Sie mussten erst mehrfache Keulenschläge auf den Kopf bekommen, um auf mich zu hören.

Mit dem TV-Kompatiblen Führungsduo Baerbock-Habeck ging es in Umfragen steil hinauf.

Unglücklicherweise verliebte sich Robert Habeck als Mediendarling immer mehr in sich selbst, gab sämtliches ökologisches und soziales Profil auf.

Beide Grünen-Chefs haben kein Interesse an RGG, sondern wollen unbedingt als Industrielobby-freundlicher Mehrheitsbeschaffer an der Seite eines CDU/CSU-Kanzlers regieren. Mit Söder oder Merz fühlen sie sich wohl, weil die Grünen-Wähler inzwischen die reichsten Parteianhänger sind und entsprechend stark um ihre Privilegien und ihr Vermögen besorgt sind.

Da sind sie bei einem endlos schwurbelnden Habeck, der sich selbst gerne reden hört und dabei STRIKT vermeidet politisch konkret zu werden genau richtig.

Es gibt nun also ein Parteiprogramm, das aber so vage und schwafelig daher kommt, daß Habeck wie bei den Jamaika-Verhandlungen problemlos als Morgengabe an die CDU den Klimaschutz aufgibt.

Ökologie, Klima, Tierrechte, Waldschutz – all das ist nun Verhandlungsmasse.

Die Grünen lassen nun als Minister der Landesregierungen höchst selbst die Wälder abholzen, für deren Erhalt sie vor 40 Jahren in die Schlacht zogen.

Von Windenergie wollen sie in der hessischen Regierung nichts mehr wissen, die Parteichefin tritt als Festrednerin der CDU auf und der Grüne Ministerpräsident  in Stuttgart ist oberster Autolobbyist, verkündet ex cathedra: „Der Ministerpräsident von Baden Württemberg fährt Daimler; BASTA“!

Da wundert es wenig, daß die ehemals so friedensbewegten Grünen heute die Aufrüstung der Bundeswehr fordern.

[……] Mit Blick auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition in Berlin plädiert die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock für die Fortsetzung der Aufrüstung und zieht Kriege ohne UN-Mandat in Betracht. Sollte der UN-Sicherheitsrat "blockiert" sein, müsse man gegebenenfalls einer "internationalen Schutzverantwortung" entsprechen, legt Baerbock nahe; mit dem Begriff wurden in der Vergangenheit Kriege ohne oder unter Bruch eines UN-Mandats legitimiert - etwa der Krieg in Libyen. Während die Grünen-Vorsitzende fordert, man müsse "mehr investieren, damit Gewehre schießen", stockt der Bundestag den deutschen Militärhaushalt weiter auf - auch mit Mitteln aus dem Corona-Konjunkturpaket, aus dem Berlin 3,2 Milliarden Euro für die Aufrüstung abzweigt. Zu den 46,9 Milliarden Euro, die 2021 offiziell für die Bundeswehr vorgesehen sind, kommen inoffiziell mehrere Milliarden Euro hinzu, die in andere Budgetposten verschoben, aber intern gegenüber der NATO als Wehrausgaben klassifiziert werden. Lediglich auf EU-Ebene schreitet die Aufrüstung weniger rasch als von Berlin gewünscht voran. […..]

(GFP, 01.12.2020)

Herzlichen Glückwunsch an die Grünen für ihren sensationellen demoskopischen Aufstieg. Als Sozialdemokrat bin ich ernsthaft neidisch auf die Medienpräsenz des Führungsduos.

Ihr liegt stabil vor der SPD; wer hätte das vor 30, vor 20 oder vor zehn Jahren gedacht?

Aber damals hätte auch niemand erwartet, daß die Grünen eine Metamorphose zu einer CDU-light hinter sich bringen und sich nichts sehnlicher wünschen als die xenophobe CDU ins Kanzleramt zu bringen, die Bundeswehr aufzurüsten und Bäume abzuholzen.

Immerhin sorgt das für belebenden Streit innerhalb des GRR-Lagers.

[….]  „Das Werben der Grünen-Vorsitzenden für mehr Militäreinsätze und noch mehr Milliarden für die Aufrüstung gerade auch angesichts Corona-Pandemie und Klima-Krise ist regierungsversessen und verantwortungslos. Klimaschutz bedeutet Abrüstung, nicht Aufrüstung“, erklärt Sevim Dagdelen, abrüstungspolitische Sprecherin und Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Auswärtigen Ausschuss. Dagdelen weiter:

„Für Schwarz-Grün ist Baerbock offenbar auch zur Aufrüstung der Bundeswehr bereit. DIE LINKE lehnt die geplante Erhöhung des Wehretats der Bundeswehr um 1,16 auf dann 46,81 Milliarden Euro ab. Eine deutliche Absenkung der Militärausgaben und die Stärkung des Völkerrechts muss das sicherheitspolitische Gebot der Stunde sein, nicht das Verpulvern weiterer Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr und das Eintreten für Kriegseinsätze auch ohne UN-Mandat. Notwendig ist gerade auch mit Blick auf die globalen Kosten der Corona-Pandemie eine klare Absage an die weitere Aufrüstung der NATO-Staaten, die zusammen schon heute über 830 Milliarden Euro pro Jahr für Rüstung und Militär ausgeben.    Statt emsig nach neuen Aufgabenfeldern für die NATO zu suchen, um die Aufrüstung wie gehabt vorantreiben zu können, fordert DIE LINKE die Auflösung des überlebten Militärpakts und den sofortigen Austritt aus den militärischen Strukturen. Der Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland darf nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben werden.   Es ist beschämend wie ernüchternd, wie sich die Grünen wegducken vor einer verantwortlichen Außen- und Sicherheitspolitik, die auf Kooperation setzt statt auf militärische Daueraufrüstung. Das Festhalten an der Konfrontation gegen Russland und China ist brandgefährlich, auch unter dem Deckmantel der EU.“ […..]

(PM, die Linke, 30.11.20)