Als Jorge Bergoglio am 13.03.13 aus dem Konklave kam, hatte er eben noch Aufsätze von Walter Kardinal Kaspar gelesen. Sollte es ein Signal sein, sich während der Papst-Wahl demonstrativ mit den Thesen des liberalen Ratzinger-Gegenspielers zu beschäftigen?
Seine ersten Worte als Papst waren völlig unprätentiös "Buona Sera", er trug weiterhin seine gemütlichen schwarzen Treter, statt edler Purpur-roter Prada-Slipper, verzichtete auch den Einzug in die päpstliche Palastwohnung und mischte sich gern unter das Volk. Schlagartig war Schluss mit Ratzis Prunksucht, mit Hermelin, güldenen Kleidern und edelsteinbestickten Pracht-Mozetten.
Als Atheist war ich natürlich besorgt. Ratzinger war ein wertvoller Agent der Konfessionsfreien im Herzen der Katholischen Kirche. Er war nicht nur persönlich abstoßend und unfreundlich, sondern holte Holocaustleugner in den Schoß der Kirche zurück, brach den ökumenischen Prozess zu den Protestanten ab, wetterte gegen Kondomgebrauch in der HIV-Krise, versorgte seine Spezis mit Posten, ließ wieder die mittelalterliche tridentinische Messe lesen und schob die Schuld an den Myriaden kinderfi**enden Priestern den liberalen Medien und den 68ern in die Schuhe.
Einfach großartig. So trieb er Millionen gläubige, zahlende Katholiken der westlichen Hemisphäre aus der RKK. Wie sollte da der Neue mithalten?
Aber in Franz steckt viel mehr Potential, als ich vor acht Jahren dachte. Es stellt sich sogar a posteriori als geschickter Schachzug für die atheistische Sache heraus, sich zunächst bescheiden und vermeidlich liberal zu geben. Denn so setzten die engagierten europäischen reformorientierten Katholiken all ihre Hoffnungen auf ihn. Die Jubelkatholiken in den Zeitungsredaktionen wurden priapistisch vor Glück. Schavan und Nahles ovulierten voller Entzücken über den bescheidenen Argentinier. Andreas Englisch, oberster Papst-Fan der konservativen Presse ließ keine Talkshow aus, in der er orgiastisch mit über 100 Dezibel seinen Bergoglio abfeierte.
Nur wer begeistert ist, kann hinterher richtig enttäuscht sein. So baute der Pontifex Maximus eine gewaltige Fallhöhe auf. Nur denen, die echte Hoffnung haben, kann man sie wieder nehmen.
Bergoglios Personalentscheidungen zeigten schnell, daß er konservative Hardliner, die sich für pädosexuelle Gewalttäter eingesetzt hatten (Müller) oder auch selbst Kinder missbrauchten (Pell) beförderte.
Den üblichen Reformanliegen der Basis – Ende des Pflichtzölibats, Frauenpriestertum, Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, Mitsprache katholischer Laien in den Diözesen – erteilte Franz längst kategorische Ansagen.
Zu seinem eigentlichen Signatur-Move entwickelte sich aber das Thema, mit dem sein Vorgänger schon als Panzerkardinal im Schatten Woytilas berühmt wurde:
Der unbedingte Wille, den weltweiten sexuellen Kindesmissbrauch weiterhin möglich zu machen. Die Strukturen, die Pädosexuelle in die Priesterseminare locken, zu erhalten; unter allen Umständen die Täter zu schützen, um damit die Opfer doppelt und dreifach zu demoralisieren.
Jeder, der daran interessiert ist, die Kirchenaustrittszahlen zu erhöhen, muss dem Vatikan zutiefst dankbar sein. Denn besser als mit dieser fortgesetzten demonstrativ Täter-freundlichen Haltung zur Kindervergewaltigung, kann man keine Abstoßungseffekte erzielen. Indem er das Rücktrittsangebot des Kardinals von München und Freising, Reinhard Marx, abschmetterte, zeigte der Papst schon deutlich, daß er keine Verantwortungsübernahme für Kindersex durch die Ortsbischöfe wünscht.
Der September 2021 stellt sich für die deutschen Atheisten als großes Glück heraus.
Am 15.09.2021 setzte Bergoglio Erzbischof Heße, die persona non grata Hamburgs, der geradezu im Alleingang seine Erzdiözese schrumpft, wieder in sein Amt ein. Damit hält der Stellvertreter Gottes den Opfern des sexuellen Missbrauchs lachend seine ausgestreckten Mittelfinger in das Gesicht.
Nur eine gute Woche später folgt nun der nächste päpstliche Messerstich in die Rücken der gequälten und gefolterten Kinder. Kardinal Woelki, dessen Abstoßungskraft auf Kirchenmitglieder nur noch mit TVE und Ratzinger zu vergleichen ist, der Myriaden Gläubige eigenhändig aus der zweitreichsten Kirchenprovinz der Welt jagt, soll Kölner Metropolit bleiben!
Woelki, mein größter deutscher Held unter den Vorkämpfern des Atheismus. Ich bin begeistert!
(….) Oh Sanctae Romanae Ecclesiae, Eure Eminenz Rainer Maria Kardinal Woelki, Kardinalpriester von San Giovanni Maria Vianney, Metropolit der Kirchenprovinz Köln, Erzbischof von Köln, Mitglied des „Ständigen Rats“ der Deutschen Bischofskonferenz, Vorsitzender der Kommission für Wissenschaft und Kultur, stellvertretender Vorsitzender der Kommission IV „Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste“, Mitglied der Gemeinsamen Konferenz der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, römisches Kurien-Mitglied des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, der Kongregation für den Klerus, der Güterverwaltung des Apostolischen Stuhls, der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, Träger der Ehrendoktorwürde der Sophia-Universität in Tokio! Heute sende ich Ihnen die aufrichtigsten Grüße, Glückwünsche und Gratulationen aus der katholischen Diaspora des ärmlichen Erzbistums Hamburg. (….)
(Offener Brief an meinen Helden, 04.02.2021)
Damit bleiben 1,92 fleischgewordene Meter Säkularisierungsbeschleuniger weiterhin scharf gestellt. Die Ortsämter werden weiterhin Überstunden schieben müssen, um die vielen Kirchenaustrittsgesuche zu bewältigen. Danke Bergoglio!
[….] Am Ende bleibt die Frage: Wo steht dieser Papst? Auf der Seite der Kinder, Jugendlichen und Eltern, die der Kirche vertraut haben? Oder aber: auf der Seite der Priester, die anderen Gewalt angetan haben? Auf der Seite der Bischöfe und Klerikalbürokraten, die Taten vertuschten? Auf der Seite eines Kardinals, der in der Missbrauchsaufarbeitung zusätzliches Vertrauen verspielt hat? Franziskus lässt den Kardinal im Amt. [….] Außerhalb der vatikanischen Welt wirkt das bizarr, für die Betroffenen muss es schockierend sein. Wie zynisch muss es für sie klingen, dass der Papst Woelki jetzt "seine Sorge um die Einheit der Kirche" zugutehält. Dabei hat der seine Diözese doch gespalten. [….] Priester lehnten sich gegen ihn auf, Gläubige buhten ihn aus. [….] Marx bleibt, Heße bleibt, Woelki bleibt. Wo bleibt das Vertrauen in die katholische Kirche? Franziskus wirkt wie einer, der am Herd vor einem Topf steht. Es brodelt, dampft und zischt. Der Mann am Herd legt einen Stahldeckel darauf, er schraubt ihn fest. [….]
(Georg Löwisch, ZEIT, 24.09.2021)
Wie wunderbar, der Stellvertreter Gottes auf Erden, streckt von seinen Priestern vergewaltigten Kindern die Zunge raus und erklärt der Welt, fest an der Seite der Täter zu stehen.
Aber nicht nur das: Wenn in der reichsten Erzdiözese Deutschlands das Vertrauen zum Kardinal so zerstört wurde, daß sich Laien und teilweise auch Priester weigern mit ihm zusammen zu arbeiten, entscheidet sich ausgerechnet der „größte Brückenbauer“ (Pontifex maximus) in Rom dafür, alle Brücken zu den Gläubigen einzureißen.
[….] Eine Institution des Glaubens, der keiner mehr glaubt. An den Entscheidungen zu Woelki und Heße lassen sich die päpstlichen Prioritäten gut ablesen: Dass Woelki sein Bischofsamt nicht mehr ausüben kann, wiegt schwerer als Vertuschungsvorwürfe in Missbrauchsfällen. Dies ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der Opfer sexualisierter Gewalt. Was ihnen angetan wurde, zählt offenbar nicht so viel. Die Apostolischen Visitatoren schickte Franziskus auch erst, nachdem sich der leitende Klerus des Erzbistums gegen Woelki gestellt hatte. Dass die Laien seit Monaten über eine Vertrauenskrise klagten, war nicht wichtig. Auch die Weihbischöfe Dominikus Schwaderlapp und Ansgar Puff bleiben. [….]
(Annette Zoch, SZ, 24.09.2021)
Danke, danke, danke, Jorge!!