Mittwoch, 15. Mai 2013

Kriegsnotwendigkeiten



Meine deutsche Oma war eine sehr elegante Frau; eine Dame, nach der man sich umsah.
 In den 1930er Jahren fuhr sie ein Cabrio und zwar richtig flott. Hinten ließ sich eine kleine Notsitzbank ausklappen, auf der meine Tante und mein Onkel Platz nahmen.
Als Adolf Hitler ihr das Auto als „kriegsnotwendig“ konfiszierte, hieß es Bahn fahren, bzw zu Fuß gehen. 
Wieder.
Schon im ersten Weltkrieg, als meine Oma wirklich eine der ganz wenigen autofahrenden Frauen war, hatte man ihr das Auto weggenommen.
Meine Oma war eine jener Frauen, die bis ins hohe Alter Auto fuhren. Noch im 19. Jahrhundert geboren, hatte sie nie die Notwendigkeit erkannt das Autofahren aufzugeben. 
Als Kind liebte ich es mit ihr umher zu fahren. Sie besaß bis in die 1980er Jahre einen olivgrünen VW-Käfer, den ich äußert schick fand. 
Wie so viele Frauen ihrer Generation war meine Oma sehr sparsam; wenn ich mit ihr einkaufen fuhr kaufte sie immer nur kleinste Mengen. Aber ihr eigenes Auto wollte sie unbedingt behalten.
Allerdings bedauerte ich  ein wenig, daß der Käfer kein Cabrio war. Ich wäre auch gerne offen gefahren. 
Sie hatte mir oft erzählt, daß sie früher ein Cabrio gefahren war, das dann aber „im Krieg“ verloren ging.
Als Kind bekam ich den Ersten und Zweiten Weltkrieg durcheinander. Was wann stattfand, konnte ich nicht genau auseinander halten.
 Wir waren aber eine der Familien, in der über die Vergangenheit gesprochen wurde.
Vielleicht wurde das dadurch erleichtert, daß der deutsche Teil meiner Familie zufällig nicht zu denen gehörte, die Schuld auf sich geladen hatten. 
Heldenhafte Widerstandskämpfer waren sie nicht, aber mein Opa wurde denunziert, weil er sich mehrfach für das Wohl russischer Kriegsgefangenen eingesetzt hatte, sie mit besonderer Achtung behandelte und dafür sorgte, daß sie genug zu essen hatten. Meine Oma wurde zur Gestapo geladen, weil sie demonstrativ weiter in jüdischen Geschäften einkaufte, als das längst geächtet war.
Der amerikanische Teil meiner Familie stand logischerweise ohnehin auf der Seite der Hitlergegner.
Es war also leichter für meine Großeltern über „den Krieg“ zu sprechen.
Ich wunderte mich nur, daß meine Oma so gelassen ob ihrer konfiszierten Autos blieb. 
Als Kind fand ich das nämlich ungerecht und war der Meinung sie sollte das Cabrio wiederbekommen, so daß wir damit zusammen fahren könnten.
Erwachsene sind schon eigenartig, dachte ich.
Wieso stört es sie denn gar nicht, daß der schöne Wagen weg war?
Als Kind versteht man natürlich zeitliche Abstände nicht.
 Im  Garten meiner Oma gab es einen unterirdischen Bunker. Ziemlich verfallen und muffig. Er sah aus wie eine Erdhöhle, die Tür bestand aus verwitterten, morschem Holz und war verschlossen. Leider, denn so etwas entwickelt natürlich magische Anziehungskraft auf kleine Kinder. Innen gab es eigentlich nichts zu sehen, aber er hatte gemauerte Wände, bot also durchaus Stabilität. Mehr als der Keller im Haus.
Ich wußte aus Erzählungen welche Teile des Hauses durch Splitterbomben zerstört worden waren, daß meine Tante gelegentlich bei Fliegeralarmen zu faul war hinunter in den Bunker zu gehen und einfach in ihrem Bett liegen blieb. 
Auch das verstand ich nicht. Der Bunker war doch super – ich wäre dort gerne reingegangen.
Wie es sich auf die Psyche auswirkt, wenn man über Jahre andauernd in den Bunker rasen mußte, bedachte ich natürlich noch nicht. Auf mich wirkte das alles eher wie ein Abenteuer.
Früher war was los in dem Garten.
Richtig doof am Krieg war nur, daß das schöne Cabrio meiner Oma, ihr ganzer Stolz, weggenommen wurde.
Erst nach dem Tod meiner Oma ging mir so richtig auf, daß ihr das Auto relativ unwichtig war – verglichen mit dem Umstand, daß sie ihren ersten Sohn als Säugling im ersten Weltkrieg verloren hatte, weil sie keine Medikamente für ihn bekommen konnte und daß auch ihr zweiter Sohn 1944 im zweiten Weltkrieg blieb.
Aber meine beiden Onkel kannte ich natürlich nicht und konnte mir nicht so recht vorstellen, was das für Leute waren. 
Ein Cabrio war da viel konkreter.
 Und da meine Oma mich liebte, verschonte sie ihren kleinen Enkel eben doch mit ihrem Kummer über ihre verstorbenen Söhne.

Ich glaube, ich mußte erst erwachsen werden, um mir zu vergegenwärtigen wie beschissen es für die Generation meiner Oma gewesen sein muß Kinder zu verlieren.
Ein Schicksal, das perverserweise vollkommen üblich war. 
17-18 Millionen Menschen wurden im ersten Weltkrieg gekillt, gute 60 Millionen Tote produzierte der zweite Weltkrieg. Wer wie meine Großeltern Ende des 19. Jahrhunderts geboren worden ist, hatte eine richtig üble Zeit vor sich.
Lange Zeit habe ich gedacht, so ein sinnloses gegenseitiges Abschlachten wäre zumindest in der EU nicht mehr möglich. 
Würden nicht französische und deutsche Soldaten massenhaft desertieren, wenn Angie und Hollande sich gegenseitig den Krieg erklärten?
Das würde doch heutzutage keine Armee mehr mitmachen.
Ganz so sicher bin ich mir inzwischen allerdings nicht mehr, wenn ich betrachte wie sehr eine finanzielle Krise überall in der EU europafeindliche Stimmungen produziert, wie ein ganzen Land, nämlich Ungarn der rechtsextremen Politik anheimfällt, wie bereitwillig die Wähler überall tumb agitierenden Xenophoben ihre Stimmen geben, wie schnell Merkel zur meistgehassten Frau Europas avancieren konnte und wie wenig die Deutschen die Stimmungen in Südeuropa zur Kenntnis nehmen.
Und wie locker immer wieder zu Kriegseinsätzen gedrängt wird. 
 Mali, Libyen, bald Syrien und übermorgen der Iran?
Was ist mit dem Sudan?
Die vielen Waffen, die in immer größerer Zahl produzier und exportiert werden. 
Die angebliche Notwendigkeit für die Bundeswehr sich Kampfdrohnen zu verschaffen.
Wenn Deutschland in den nächsten Jahren in eine massive Rezession schlittern sollte, was angesichts der völligen Untätigkeit der Bundesregierung durchaus möglich ist, möchte ich nicht wissen wie radikalisiert hier die Stimmung werden könnte.
Was wäre hier los, wenn 50% oder 60% der jungen Leute ohne Job auf der Straße ständen und dann irgendwelche rechten Schreihälse gegen die anderen EU-Länder Stimmung machten?
Was dann wohl wieder alles als „kriegsnotwendig“ erachtet wird?

Auch 70 Jahren nach dem Ende des WK-II herrscht noch sehr bizarres Gedankengut in einigen Politköppen.
Osakas Bürgermeister Toru Hashimoto steckt noch mitten in der Gedankenwelt aus „Kriegsnotwendigkeiten.“
Ähnlich wie die angebliche so ehrenhafte deutsche Wehrmacht, hatte die kaiserlich-japanische Armee überall Bordelle eingerichtet, in denen die Frauen der überfallenen Länder zwangsprostituiert wurden. 
Rund 200.000 Frauen hauptsächlich aus China und Korea wurden als Sexsklavinnen der Japaner gehalten und wurden jahrelang von japanischen Soldaten vergewaltigt.
 Nicht unbedingt ein Ausweis kultureller Überlegenheit und menschlichen Anstandes, aber „notwendig“ – soweit Toru Hashimoto.

China zeigte sich darüber schockiert. Die in Japan euphemistisch "Trostfrauen" genannten Zwangsprostituierten aus Korea, China und anderen Ländern hätten der Wahrung der Disziplin im Militär gedient, sagte der nationalistische Bürgermeister der Millionenstadt Osaka, Toru Hashimoto, laut Medienberichten. "Wenn man Soldaten, die unter Bedingungen, bei denen Kugeln herumfliegen wie Regen und Wind, ihr Leben riskierten, ausruhen lassen will, war ein System der Trostfrauen notwendig. Das ist jedem klar", sagte der im Volk beliebte Hashimoto demzufolge am Vortag zu Reportern in Osaka.[…] China übte scharfe Kritik an den Äußerungen Hashimotos, der zusammen mit dem nationalistischen Ex-Gouverneur von Tokio, Shintaro Ishihara, eine konservative Partei anführt. Die Zwangsprostitution sei ein schweres Verbrechen gewesen, erklärte das Außenministerium in Peking und mahnte, Japans Zukunft hänge vom Umgang mit seiner Vergangenheit ab.

[…]  Sex zum Abbau von Stress für Soldaten hält der Bürgermeister von Osaka für notwendig. Kürzlich schlug er laut Medien sogar einem US-Kommandeur im südjapanischen Okinawa, wo es wiederholt zu Vergewaltigungen durch US-Soldaten gekommen war, vor, die US-Soldaten sollten von Japans legaler Sex-Industrie reichlich Gebrauch machen.

Wat mut, dat mut.