Dienstag, 14. Mai 2013

Loving Christians Teil II



1987 war ich mal ein paar Tage in Beograd, fuhr durch das noch nicht zerbombte Serbien.
Das war richtig nett. Im Gegensatz zu den Nachbarländern, war nach meinem Eindruck die Stimmung einfach prächtig.
Die Leute hatten gute Laune. Sogar die Fahrten in den Trabbi-Taxis machten Spaß, weil die Fahrer immer vor Geschichten sprudelten.
Abends feierte man und ließ es sich in der wunderschönen Altstadt gut gehen.
Nun ja, offenbar habe ich mich ein wenig blenden lassen. Die folgenden Jahre verliefen bekanntlich ein wenig suboptimal in der Gegend.
Aber es ist eigenartig, wie ein paar persönliche Eindrücke als nachhaltige Vorurteile hängen bleiben.
Ich bin immer noch von einer Grundsympathie gegenüber Serben durchdrungen und registriere vermutlich Meldungen, die in mein Vorurteil passen, stärker als andere.
Kürzlich blieb ich in der Süddeutschen Zeitung kurz im Sportteil hängen (ich schäme mich auch) und las einen Artikel über den serbischen Top-Ten-Spieler Janko Tipsarevic. Er sei „Feingeist der Tennisszene“!

Er selbst hat ein Faible für anspruchsvolle Literatur, trägt Tätowierungen mit Sprüchen von Schopenhauer und Dostojewski, seine gespiegelte Brille ist sein anderes Markenzeichen. Ein serbisches Männerheft kürte ihn jüngst zum "Man of the Year".

[…]  Tipsarevic ist Malocher und Feingeist. Patriot und Weltbürger. Verschlossen und offen. Er liest Bücher über Psychologie. Und den Herrn der Ringe. Er spielt mit der Presse. Und verdammt sie. Er hängt mit Star-DJs wie Steve Angello ab. Und setzt sich für krebskranke Kinder ein. "Das Leben ist nicht schwarz oder weiß", sagt er, "es ist grau." […]  Tipsarevic kann herrlich selbstkritisch sein. Auf seiner Homepage hat er mal eine Art Brief verfasst, der an den jungen Tipsarevic gerichtet war. Er liest ihm regelrecht die Leviten.  Ein andermal hat er eingeräumt, er müsse mit der schweren Literaturkost kürzer treten. Die schweren Gedanken würden nur Zweifel fördern, und das kann man sich bei ihm tatsächlich gut vorstellen: Wie es in ihm brütet. Wenn er redet, redet er wohlbedacht, formuliert auch in Englisch anspruchsvolle Sätze, die selten stereotyp wirken. Was aber nicht bedeutet, dass er schlanke Gedanken nicht auch draufhätte. Als er in München gefragt wird, wie es zu seiner Tätowierung des Dostojewski-Spruchs "Schönheit wird die Welt retten" kam, der in japanischer Schrift den Unterarm ziert, sagt er verschmitzt: "Ich habe damit begonnen und konnte ja schlecht mittendrin aufhören." Humor hat dieser formidable Typ auch.

In der Tennis-Top-Ten gibt es einen zweiten, noch sehr viel bekannteren Serben, nämlich die Nummer 1, Novak Đoković. 
Nein für Tennis, interessiere ich mich wirklich nicht, aber selbst ich habe mitbekommen, daß Đoković nicht mit den herkömmlich tumben deutschen Sportlern zu vergleichen ist. 
Er spricht sechs Sprachen (sic!) fließend, kennt sich mit Kunst und Mode aus, tritt als UNICEF-Botschafter auf, brilliert als Sänger, führt eine Restaurantkette, unterhält die Weltpresse mit genialen Statements und ist nebenher auch noch der mit Abstand komischste Tennisspieler, der mit seinen Parodien und Schauspieleinlagen die Menschen rund um den Globus in Verzückung geraten läßt.

Mit Grausen denkt man da an die Doofbratze Boris Becker, dessen Twittermitteilungsdrang in diametralen Gegensatz zu seiner Bildung steht, so daß er sich immer wieder als Depp der Sportlerwelt enttarnt.

Also, Beweisführung abgeschlossen: Serbien ist toll!

Allerdings. (Es gibt ja immer ein „aber“)
Allerdings gibt es da einen kleinen Wermutstropfen. 
Die Serben sind natürlich auch religiös. Zu den gut sieben Millionen Serben gehört auch die Serbisch-Orthodoxe Kirche (serbisch Српска Православна Црква/Srpska Pravoslavna Crkva, abgekürzt СПЦ/SPC) und die Leute haben schwer einen an der Waffel.

Das Patriarchat in Belgrad sieht sich immer noch als eine Art Nationalkirche Großserbiens, bzw Großjugoslawiens und läßt keine Gelegenheit unversucht Streit anzufangen.
Gegen Homosexuelle zu hetzen, ist da nur eine Fassette des Hasses, den serbisch-orthodoxe Popen und Bischöfe zu bieten haben.
Aber von vorn.
Als Kirche des Königreichs Jugoslawien hatte die SPC im zweiten Weltkrieg unter der extremen Brutalität der katholischen Ustascha-Faschisten in Kroatien zu leiden.
Die extra aus dem Vatikan angereisten Folterspezialisten der Kroaten gingen so unfassbar gewalttätig gegen die orthodoxen Serbenchristen vor, daß vereinzelt die deutsche SS eingriff, um das Morden zu stoppen. 
Was die Katholiken anrichteten, war selbst den Nazis unter dem Totenkopfsymbol zu grausam.
Hunderte Priester wurden von Katholiken zu Tode gefoltert.
Diese Opfer führten aber zu einem für den kommunistischen Teil der Welt extrem freundlichen Umgang der Tito-Sozialisten mit der SPC. 
Man hatte auf derselben Seite gegen die katholischen Faschisten gekämpft. 
Die SPC wurde im Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre zu einem extrem nationalistischen Spieler.
Patriarch Pavle der serbisch-orthodoxen Kirche reichte den Hauptkriegsverbrechern Radovan Karadžić und Ratko Mladić nur wenige Tage nach dem Massaker von Srebrenica geweihtes Brot. 
Wie so oft in der Geschichte der Menschheit, stehen christliche Kirchen eher an der Seite von Unterdrückern und Diktatoren und agitieren gegen deren Opfer und Freiheitsbewegungen.
 Wir kennen das aus Südamerika und auch die Syrischen Christen unterstützen das Assad-Regime.

Inzwischen hat Serbien eine demokratisch gewählte Regierung und die mögen einige Bischöfe gar nicht. 
Sie stehen an der Seite der extremen Nationalisten.
 Elf Millionen Serben weltweit bekennen sich zu dieser SPC.
Zwei Bischöfe haben in Serbien einen handfesten Skandal ausgelöst: Die Geistlichen drohten der Regierung in Belgrad und dem Parlament mit dem Tod, unter anderem mit einer symbolischen Totenmesse. […] Es muss ein gespenstischer Auftritt gewesen sein: Die serbischen Bischöfe Amfilohije und Atanasije lasen am Freitag bei einer Demonstration von Nationalisten in Belgrad eine Totenmesse für die Regierung und das gesamte Parlament.

Sie beließen es nicht bei dem symbolischen Akt, sondern drohten Regierungschef Ivica Dacic direkt mit einem ähnlichen Schicksal wie dem vor zehn Jahren ermordeten ersten demokratischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic. Am Samstag legte Amfilohije nach: "In der Regierung soll alles das absterben, was krank ist", sagte er der Zeitung "Politika".
Ganz reizend. Aber wenig überraschend, denn schon immer waren hohe Kleriker Meister im Verdrehen von historischen Fakten, Erschaffen von Mythen und logen sich die Welt so zu Recht, wie man am besten Hass und Zerstörung verursachen kann. 
Versöhnung mit ehemaligen Kriegsgegnern bekämpfen die Antagonisten der Nächstenliebe mit allen Mitteln.
Serbische Nationalisten und die serbisch-orthodoxe Kirche hatten auf den Belgrader Platz der Republik gerufen. Unter der Losung 'Wir bleiben in Serbien!' protestierten am vergangenen Freitag rund 3500Menschen friedlich gegen ein Abkommen Serbiens mit Kosovo. Doch dann traten zwei Bischöfe auf - und lösten einen politischen Feuersturm aus. Bischof Amfilohije schimpfte über das Abkommen zwischen Serbien und Kosovo, das auf Druck der EU zustande gekommen war. […] Doch sein Bischofskollege Atanasije setzte noch eins drauf.  […] Der streitbare Bischof [zog] eine Parallele zwischen Regierungschef Dacic und dessen 2003 wegen entschlossener Reformen ermordeten Amtsvorgänger Zoran Djindjic. 'Dacic interessiert das himmlische Reich nicht. So hat auch Djindjic gesprochen, und wie er geendet ist, möge Gott richten.'  […] Der Einfluss [der SPC] auf viele der gut sieben Millionen Einwohner des EU-Beitrittskandidaten Serbien ist kaum zu überschätzen: Einer Politika-Umfrage zufolge genießt die Kirche das höchste Ansehen aller gesellschaftlichen Institutionen - weit vor Regierung, Justiz oder Armee. […] Niemand hat über Jahrhunderte den Opfermythos eines allzeit bedrohten Serbien so gepflegt und trat dabei oft gleichzeitig für serbische Vormacht und Expansion ein wie die orthodoxe Kirche. Sie steht in byzantinischer Tradition und sieht sich ausdrücklich als Staatskirche. […] Schon 1982 trommelten führende Kirchenvertreter - darunter der heutige Patriarch Irinej Bulovic - zum Widerstand gegen einen angeblichen 'langsamen, gut geplanten Genozid' am 'serbischen Volk in Kosovo'. […] Mit einer Hetzserie bereitete der Mönchstheologe Atanasije Jevtic - der heute so radikale Bischof - im Kirchenorgan Pravoslavije 1983/84 mit erfundenen Vergewaltigungen serbischer Frauen durch Kosovo-Albaner und anderen Genozid-Schauermärchen den geistigen Boden für den späteren Krieg in Kosovo mit vor. […] Auch den Krieg in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina bereitete die Kirche mit vor und unterstützte ihn. Die Bischöfe sahen im Autokraten Slobodan Milosevic 'das Versprechen ihrer Fantasien über einen Großserbischen (und Orthodoxen) Staat', stellte die Serbienforscherin Sabrina Ramet in einer Studie über die 'Politik der Serbisch-Orthodoxen Kirche' fest. […] Als im Bosnienkrieg Srebrenica 1995 in die Hände serbischer Einheiten fiel und Kommandeure ankündigten, Moscheen zu zerstören, feierte der orthodoxe Bischof Vasilije-Kacavenda das 'Wunder und die Gnade Gottes, dass die tapferen Kämpfer in drei Tagen die serbische Erde befreit haben, die von Türken besetzt war'. Die Kirche trat auch gegen das Abkommen von Dayton auf, das den Krieg in Bosnien beendete, weil damit das Projekt Großserbien erst einmal gestoppt war.

Bis heute verbreitet die serbisch-orthodoxe Kirche ihre Mythen und Verfälschungen im Religionsunterricht, auch staatliche Fernsehsender und viele Zeitungen multiplizieren sie unreflektiert. […] Nicht nur radikale Bischöfe wie Amfilohije und Atanasije greifen gern in die Politik ein. Ihr Oberhaupt, der Patriarch selbst, steht kaum zurück, wenn es um homophobe Parolen geht oder darum, die EU zu geißeln, wenn sie von Serbien Verhandlungen über eine Normalisierung der Beziehungen mit Kosovo fordert. Anfang April zog Patriarch Irinej gegen eine Einigung mit Kosovo zu Felde. […]
 (Florian Hassel, SZ vom 14.05.2013)