Dienstag, 5. September 2017

Das wird nichts mehr –Teil II



Letzte Auffahrt Adlershof.
Wahlkampf. Für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist das TV-Duell die wohl letzte Chance auf eine Wende. Also bereitet er sich akribisch vor. [….]
Schulz treibt die Begegnung schon seit Wochen um. Der Kandidat hatte sein Tea, bereits früh angewiesen, den Showdown in Adlershof penibel vorzubereiten. Er will Merkel persönlich stellen.. Anders als sonst werde sie dort schwer ausweichen können, hofft man in seinem Umfeld. […]
(DER SPIEGEL No 35, 26.08.2017, s.23)

03.09.2017
Oldschool bin ich sowieso, aber nachdem mein Lieblings-Anbieter O2 wieder einmal seit inzwischen nun 48 Stunden alle meine Telefone und das Internet abgestellt hat und ich über mein Notfall-Karten-Handy immerhin in der Störungshotline erfuhr, daß ich außerhalb der Geschäftszeiten anriefe und doch lieber mal unter www.
o2... nachgucken solle, sah ich mir Merkel und Schulz herkömmlich über Free-TV (ARD) beim Bügeln an. Unbeeinflusst von irgendwelchen Spin-Doktoren, Hintergrund-Informationen und parteilichen Tweets und Facebook-Einträgen.

Die Ausgangslage war klar: Frau Merkel wird gemütlich im Schlafwagen und ohne irgendwelche inhaltliche Festlegungen in ihre vierte Amtszeit fahren, weil sie Amts-, Vertrauens- und Sympathieboni besitzt und Herr Schulz nicht recht erklären kann, wieso man lieber ihn wählen solle.

Das Format mit den immer gleichen Moderatoren war so dröge und starr, daß auch hier keinerlei Hilfe für Schulz zu erwarten war.
Wenn er eine Chance haben wollte, mußte er Knalleffekte bringen, die Zuschauer positiv überraschen und die Kanzlerin in die Bredouille bringen.

Da seit Monaten alle SPD-Hoffnungen auf genau diesem einen Spitzenduell lagen, nahm ich sicher an, im Willy Brandt-Haus werde man sich akribisch vorbereiten und genau das planen.
Ich war fast sicher, daß Schulz uns überraschen würde. Dutzende von PR-Experten, Werbeprofis und Parteistrategen würden sich ja wohl irgendetwas einfallen lassen, das Merkel echt in Schwierigkeiten brächte.

Und dann ging es los; die vier Moderatoren natürlich der erwartete Totalausfall. Mit allen ist Merkel seit Jahrzehnten bekannt; keiner hat sie jemals überrascht.
Sie stellten genau die Fragen, die René Pfister und Klaus Brinkbäumer vor zwei Tagen für ihr großes Merkel-Interview im aktuellen SPIEGEL (Nr36, 02.09.2017, s. 18ff.) ebenfalls verwendeten, so daß Merkel auch genau die Antworten geben konnte, die ich wörtlich tags zuvor im SPIEGEL gelesen hatte.

Der einzige Unterschied war, daß im SPIEGEL-Gespräch durchaus mal nachgefragt wurde und Merkel (erfolglos) ein bißchen pressiert wurde, während Illner, Maischberger, Klöppel und Strunz nie nachhakten.
Für mich persönlich war es immerhin noch eine kleine Überraschung zu sehen wie wenig der rechte Ex-SPRINGER „Journalist“ Strunz in der Lage ist seine AfD-freundlichen Ansichten zu verbergen; daß er gar nicht erst so tut, als ob er neutral wäre.

In jeder Hinsicht also weiterhin Idealbedingungen für Merkel, die Wolkige.
Einzig und allein Schulz hätte den Trott durchbrechen können, dem Duell seinen Stempel aufdrücken sollen.

Für mich völlig unverständlich war er aber fahrig und schwach. Rang nach (den einstudierten) Worten und wenn sie ihm nach einigem Stocken und Zaudern einfielen, verpuffte die Wirkung völlig, weil sie zu schwach waren. So kreißte er nach großen Windungen ein Zitat eine schiitischen Philosophen hervor, um die absolut zu erwartenden Frage nach der Rolle des Islams in Deutschland zu kontern.

Nachtrag 05.09.17:
"Jenseits von richtig oder falsch gibt es einen Ort. Dort treffen wir uns."
(Dschalal ad-Din al-Rumi; persischer Mystiker im 13. Jahrhundert)

Da ich während ich dies schreibe immer noch offline bin, kann ich es nicht zitieren; aber es war so banal, daß alle peinlich pikiert in die Runde starrten und der arme Schulz statt mit einem Zitat zu punkten, doppelte Abzüge bekam, weil er nachschieben mußte wie toll und bedeutend er diesen Spruch fand.
Wenn man eine Pointe setzt und sie anschließend erklären muß, war das eine miese Pointe.

Eine andere offensichtlich vorher zurechtgezimmerte Schulz-Replik war der Verweis auf Merkels „mit mir wird es keine Maut geben“ von 2013. Schulz wartete händeringend darauf, daß Merkel irgendetwas ausschließen würde und als das bezüglich der Rente mit 70 endlich kam, warf er aber nicht scheinbar spontan „so wie sie auch die Maut ausgeschlossen haben“ ein, sondern kreißte wieder erst umständlich, indem er mehrfach betonte wie Merkel sich festgelegt habe, daß er das in diesem Fall begrüße. Und so ruinierte er wieder seine Pointe, als er viel zu spät das „wie bei der Maut?“ auf seine Satzgebäude setzte.

Die Kanzlerin war auf diesen Spruch selbstverständlich vorbereitet, wand sich mit dem Argument heraus, deutsche Autofahrer würden aber nicht mehrbelastet.  Wenn Deutsche im Ausland Maut zahlten, wäre es nur gerecht, wenn Ausländer in Deutschland Maut zahlten.
Frech nahm sich das populistisch-nationalistische CSU-Argument auf und schob den Schwarzen Peter zurück zu Schulz, der als Bundeskanzler die eben beschlossene Maut sofort wieder abschaffen wolle.

Typischer Merkellismus. A posteriori übernimmt sie einfach ein Pro-Maut-Argument als ihres, welches für sie vorher als Argument gegen die Anti-Ausländer-Maut diente.

Schulz, jetzt total im Maut-Modus, verzettelte sich daraufhin beim angeblich unmoralischen Zustandekommen des Maut-Gesetzes.
Nur die Stimme Thüringens – mit dem bösen, bösen LINKEN MP – hätte im Bundesrat die Antiausländermaut ermöglicht, während das Saarland  - mit „Merkels CDU-MP“ – dagegen gestimmt hätte.
Völlig absurd. Denn erstens regiert in beiden Ländern die SPD mit und zweitens spricht es doch eher für Kramp-Karrenbauer, wenn sie gegen ein Gesetz stimmt, welches Schulz so schlecht findet, das er es als Bundeskanzler sofort stoppen will.
Tatsächlich hätte Schulz an diesem Punkt die Kanzlerin sehr in die Enge treiben können. Dazu verwies er aber nur müde auf den CDU-Finanzminister Schäuble, der sich sorge, ob sich der Aufwand für die Maut lohne.
Als guter Wahlkämpfer hätte er aber Kampfvokabeln wie „Bürokratiemonster“ auspacken müssen und den TV-Zuschauer mit konkreten Zahlen schocken müssen, wie aufwändig und teuer das Eintreiben der Maut ist.
Das rechtliche Kernargument, mit dem der CSU-Nationalismus enttarnt wird, nämlich, daß in anderen Europäischen Ländern, die Maut erheben ALLE Maut bezahlen und nicht etwa die eigenen Bürger ausgenommen werden, vergaß Schulz völlig; ebenso wie den europäischen Gedanken, der ihm doch angeblich so wichtig ist. Daher hatte ja auch das Saarland gegen die Antiausländermaut gestimmt, weil die grenznahen Bundesländer extrem vom „kleinen Grenzverkehr“ profitieren.

So war es bei allen Themenkomplexen; die starken sachlichen Argumente gegen die Merkel-Linie fielen Schulz partout nicht ein.
So ging er ihr bei der Schonung der Auto-Konzerne voll auf den Leim, indem er ihr eifrig zustimmte es ginge um die 800.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie.

Mit keinem Wort erwähnte er, daß es im Bereich der erneuerbaren Energien inzwischen mehr Arbeitsplätze gibt, als bei VW, BMW und Co.
Mit keinem Wort erwähnte er, daß man mit dem Bau von emissionsarmen, wenig Benzin verbrauchenden und legal deklarierten Autos mindestens genauso  viele Arbeitsplätze benötigt.
Mit keinem Wort erwähnt er die Kehrseite des Dieselskandals, nämlich die Hunderttausenden Kinder und Erwachsenen, die durch die enormen städtischen Stockoxidbelastungen an Asthma, Neurodermitis und anderen Krankheiten leiden. Die Gesundheit der Kinder war ihm kein Wort wert; es ging nur um den Wiederverkaufswert der Dieselautos.
Mit keinem Wort erwähnte er wie gewaltig Deutschland inzwischen durch Merkels-Auto-Pampern technologisch hinter Japan, Frankreich, Italien und den USA zurückhängt.
Mit keinem Wort erwähnte er, daß mit Groß Britannien sogar das Mutterland des Kapitalismus einen Ausstiegstermin aus dem Verbrennungsmotor genannt hat.
Und die unglaubliche Steilvorlage, endlich auch den größten politischen Versager seit Jahrzehnten, nämlich Alexander Dobrindt einzugehen, erkannte Schulz erst recht nicht.
(Haha Breibandausbau, flächendeckendes schnelles Internet mit Internetminister Dobrindt. Ich sitze hier mal wieder seit Tagen offline rum und kann niemand erreichen, der sich darum kümmern würde.)
Der SPD-Mann hängte sich einfach an die Merkel-Argumentation, stimmte ihr zu und unterschied sich nur um Nuancen.

Ganz ähnlich verlief es beim Hauptthema Flüchtlinge.
Auch hier vertrat Schulz die reine Merkel-Linie, wollte sie aber in Details übertreffen.  Mehrfach gab er sich als harter Hund, wenn es darum ging „Gefährder“ abzuschieben.

Merkel konnte sich da als die abwägende Analytikerin geben, die schon weiter denkt; nicht nur Grenzen sichern will, sondern auch strategisch genial damit begonnen habe die Fluchtursachen zu bekämpfen. Schließlich verließe keiner gern sein Heimatland und wolle vermutlich auch zurückkehren, sobald es da sicher wäre.

Schulz versprach ein modernes Einwanderungsrecht wie in den USA, Kanada oder Australien.
Dann könnten migrationswillige Menschen schon in ihren Heimatländern Anträge stellen und müßten nicht über Jahre tatenlos in Deutschlands Notunterkünften auf BAMF-Entscheidungen warten.
Entscheidungen, die dank Merkels CDU-Innenministers viel zu lange brauchen.
Natürlich ließ er sich die Gelegenheit entgehen bei der Erwähnung de Maizières dessen indiskutable xenophobe Politik und seine ständigen Lügen zu thematisieren.
Merkels dreiste Behauptung sie arbeite an der Beseitigung der Fluchtursachen, nahm Schulz nur zustimmend hin.
Was für eine verpasste Gelegenheit. Auch hier hätte er sie knallhart stellen müssen und eine Liste runterrattern können, inwiefern Merkel sogar stetig dafür sorgt die Fluchtursachen zu verstärken: Deutsche Waffenexportrekorde, europäisches Leerfischen der afrikanischen Küstengewässer, Entziehen der Existenzgrundlage von Millionen afrikanischen Landwirten durch Überschwemmung von hochsubventionierten EU-Agrarprodukten (Stichwort „Hühnerklein“), Spekulation mit Lebensmittelpreisen, Nichteinhalten der deutschen Entwicklungshilfezusagen, Stärkung von afrikanischen Terrorregimen.

Es hätte so viele Argumente gegen Merkel gegeben, so viele Möglichkeiten sie ins Schwitzen zu bringen.
Leider fiel Schulz nichts davon ein.
Es fiel ihm auch nicht ein, wieso er eigentlich Kanzler werden will und mit welchen Parteien er sich dazu wählen lassen will.

Ich bin Sozialdemokrat. Für mich ist ein sogenanntes Spitzenduell nicht ausschlaggebend.
Hätte ich das deutsche Wahlrecht, würde ich niemals für die CDU stimmen, niemals für Merkel. Meine Stimme hätte Schulz, weil er allemal das kleinere Übel ist, weil die CSU aus der Regierung fliegen muß, weil ich von der Leyen, Schäuble und de Maizière nicht mehr sehen will, weil ich wirklich glaube, daß eine andere Bundesregierung vieles besser machen könnte.
Schulz ist auch nicht allein die SPD.

Aber um die 40% der deutschen Wähler sind angeblich noch unschlüssig was sie überhaupt wollen und wie sie Merkel finden. (Es ist mir ein Rätsel.)
Solche Leute muss man bei dem großen TV-Duell argumentativ packen, wenn man schon ähnlich Charisma-befreit ist, wie die Amtsinhaberin.
Meiner Ansicht nach hat Martin Schulz dabei heute völlig versagt.
Sicher könnte er womöglich dennoch ein guter Kanzler sein. Aber um überhaupt Kanzler zu werden, muß man auch entertainen können. Daran fehlt es.


Nachtrag:
Hatte ich schon gesagt wie sehr ich O2 verachte?
Am Freitag, innerhalb eines Zehnstunden-Zeitfensters, acht Tage nachdem ich einen kompletten Systemausfall erlitt, soll ein Techniker zu mir kommen.
Dafür wurde ich gezwungen einen weiteren O2-Vertrag abzuschließen, um wenigstens einen Internetstick zu bekommen, der nun, nach fünf Tagen offline, funktioniert.
Videogucken, Bilder einfügen, Downloads – all das wird erst mal schwierig. Aber ich kann, so Darwin will, ein bißchen Text in den Blog eingeben…
Alles Offline-Tammox, basierend auf Print-Zeitungs-Infos und TV.