Mittwoch, 27. August 2014

Zahlenverhältnisse



Mit der amerikanischen Presse ist das so eine Sache.

Bei der „foreign policy“ darf man nur wenig bis gar keine Kenntnis der Leser/Zuschauer/Hörer voraussetzen.
Daher berichtet es sich immer gut und ausführlich über Naturkatastrophen und Verbrechen. Die erfordern nicht allzu viel Hintergrundwissen.
Das außenpolitische Desinteresse der Amerikaner steht in einem sonderbar umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrer Macht in der Welt.

Wenn US-Politiker ihr Volk für eine Intervention einstimmen wollen, betonen sie immer die direkte Gefährdung von Amerikanern.
Daß Obama Kalifatstruppen vor Erbil bombardieren lässt, hat offiziell weniger damit zu tun, daß dort Myriaden Jesiden abgeschlachtet werden, sondern wird mit der Anwesenheit amerikanischer Diplomaten in der Stadt gerechtfertigt.

Die Tatsache ignorierend, daß ein paar Tausend Kilometer Ozean zwischen dem Irak und der USA liegen, versucht Hagel seinem Volk ein neues Feindbild zu lehren.

Die Angst vor der islamistischen Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) wächst: US-Verteidigungsminister Chuck Hagel hat die Organisation als große Bedrohung für die Vereinigten Staaten bezeichnet. "Es ist weit mehr als eine Terrorgruppe", sagte Hagel. Sie sei "so hoch entwickelt und gut finanziert wie keine andere".
"Sie sind eine große Bedrohung für alle unsere Interessen, sei es im Irak oder irgendwo anders", sagte Hagel. Sie verfügten über ein hohes Maß an militärischem Können und seien daher besonders gefährlich. "Das ist jenseits von allem, was wir kennen", so Hagel weiter.

Die Amis sollen lernen, daß IS böse ist. So wie Saddam, Osama oder Putin.
Amerikanische Ansichten verändern sich aber nur träge.
Dazu muß man nur ein paar Minuten amerikanische News-Channel einschalten.
Obwohl sich die ISIS schon im Juni in „IS“ umbenannte und nun ein Kalifat mit Abu Bakr al-Baghdadi an der Spitze ausgerufen hat, bleiben CNN und Co immer noch hartnäckig bei der Bezeichnung „isis“.
Obwohl Wladimir Putin schon seit 14 Jahren ununterbrochen an der Spitze Russlands steht, können Amis noch nicht einmal diesen einfachen Namen aussprechen.

Bei diesen internationalen Verwicklungen ist es immer sinnvoll sich andere Perspektiven anzueignen und so konnte ich es mir nicht verkneifen mir letzte Nacht eine Stunde CNN zum Thema Krim anzusehen.
Das Verständnis für die Situation war recht gut damit charakterisiert, daß nicht ein einziger der US-„Experten“ den Namen Putin richtig ausspricht. Im Russischen wird die zweite Silbe betont. Der Mann heißt Vladimir Putin. Durch die Bank weg sind aber die Amerikaner so ignorant, daß sie die zweite Silbe regelrecht verschlucken und immer von Putn sprechen.
Die schlauen GOPer haben glücklicherweise erkannt, wer die eigentliche Ursache der Krimkrise ist: Obama!


Klar, säße der schwule atheistische Moslem aus Kenia nicht als Präsident im Weißen Haus, würde Putin nicht solche Aktionen wagen, weil er genügend Angst vor einem strammen republikanischen Durchgreifen hätte.
Genau.

Während Amerika also außerordentlich phlegmatisch auf Krisen in der Welt regiert und sich kaum daran stört, wenn durch seine Politik hier und da ein paar Hunderttausend Menschen gekillt werden, wird es umso hysterischer wenn es mal einen Amerikaner erwischt.

Da ist es schon angebracht, wenn man durch plakative Comics versucht die Verhältnisse gerade zu rücken.


Wenn man aber solche Bilder postet, werden natürlich die Zahlen hinterfragt.
Ich bin fast der Ansicht, daß es auf die genaue Zahl der Todesopfer im Irak nicht ankommt, wenn man das krasse Missverhältnis zu den amerikanischen Opfern aufzeigen will.

Dennoch will ich an dieser Stelle die „1,5 Millionen Toten“, die durch die von Angela Merkel so begeistert unterstützte GWB-Intervention 2003 verursacht wurden, versuchen zu erläutern.

Natürlich gibt es keine seriöse Organisation auf diesem Planeten, die im Nahen Osten jede einzelne Leiche gezählt und die jeweilige Todesursache genau ermittelt hat.
Es gibt aber recht präzise Schätzungen.

Die Zahl der Kriegstoten ist bis heute umstritten. Eine Studie der renommierten medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" bezifferte sie bereits im Jahr 2006 auf 655.000; kritische Beobachter gehen davon aus, dass sie mittlerweile auf bis zu eine Million Menschen angewachsen ist.

Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete IPPNW ("International Physicians for the Prevention of Nuclear War".  In Deutschland: "IPPNW - Deutsche Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.") versucht sich ebenfalls an einem „Body-count“.

Der "Krieg gegen den Terror" hat allein im Irak, Afghanistan und Pakistan zu 1,7 Millionen Todes-Opfern geführt. Das ist das Ergebnis des IPPNW-Reports "Body Count - Opferzahlen nach zehn Jahren Krieg gegen den Terror". "Präzisionswaffen ändern nichts am hohen Prozentsatz getöteter Zivilisten in asymmetrischen Kriegen", erklärt IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Jens Wagner. Der Einsatz von Phosphorbomben, Streumunition, DIME- und Uranmunition sowie das brutale Vorgehen der Besatzungstruppen zum Beispiel in Fallujah und Basrah zeigten das unmenschliche Gesicht des Krieges.
Die Autoren Joachim Guilliard, Lühr Henken und Knut Mellenthin haben für den Report systematisch wissenschaftliche Studien über die Toten auf beiden Seiten der Kriege im Irak, Afghanistan und Pakistan zusammengestellt und aktualisiert. Für diese Länder ziehen sie eine Bilanz über den humanitären Preis des Krieges.
So hat der Irak von der Invasion im Jahr 2003 bis heute 1,5 Millionen Todesopfer durch direkte Gewalteinwirkung zu verzeichnen. Spätestens seit der medizinisch-epidemiologischen Studie in der Zeitschrift Lancet über die Mortalität im Irak von 2006, dürfte das wahre Ausmaß der Zerstörung durch das überlegene US-Waffenarsenal und das entstandene Chaos durch die Besatzungstruppen deutlich geworden sein. Trotzdem beziehen sich fast alle Medien bezüglich der Opferzahlen im Irak bis heute auf den Irak Body Count, ein Projekt, das weniger als 10% der Kriegsopfer registriert.
Was die Opferzahlen in Afghanistan betrifft, ist die Datenlage schlechter als im Irak. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zahl der Kriegsopfer inklusive Mitarbeitern von Nicht-Regierungsorganisationen, afghanischen Sicherheitskräften, ISAF und OEF Soldaten keinesfalls unter 70.604 liegt. Wahrscheinlich ist die Anzahl getöteter Zivilisten höher als 43.000. Die Anzahl der durch den Krieg indirekt, also durch Flucht, Hunger und medizinische Mangelversorgung zu Tode gekommenen Afghanen wird nach den Bombenangriffen 2001 bis zum Mai 2002 auf 20.000-49.600 geschätzt.
In Pakistan fielen bisher 2.300 bis 3.000 Menschen US-Drohnenangriffen zum Opfer, davon ca. 80% Zivilisten. Die weitaus größte Anzahl von Kriegsopfern (40.000-60.000) entsteht allerdings durch Kämpfe der von der US-Regierung unterstützten pakistanischen Armee mit unterschiedlichen Widerstandsgruppen.
(IPPNW-Pressemitteilung vom 18.5.2012)                                 

Der Autor Joachim Guilliard aktualisierte seine Erkenntnisse zuletzt in einem lesenswerten und ausführlichen Beitrag für die „Junge Welt“, der die Befürwortung von militärischer Außenpolitik durch von der Leyen, Gauck und Steinmeier als Perversion entlarvt.

Wenn Bundespräsident Joachim Gauck, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wehrministerin Ursula von der Leyen die angebliche bisherige »deutsche Zurückhaltung« bei westlichen Interventionen beklagen, so können sie damit nur das Nein zum Libyen-Krieg meinen, dessen Beginn sich im März zum dritten Mal jährte. Die angreifenden NATO-Mächte hatten damals monatelang Angriff für Angriff stets aufs neue behauptet, ihre Bombenkampagne gegen das ölreiche Land diene allein dem »Schutze der Zivilbevölkerung«. Wenn das stimmen soll, dann wäre die Bilanz vernichtend, denn Tausende Libyer und Libyerinnen haben diesen »Schutz« nicht überlebt. Fundierte Zahlen gibt es jedoch bis heute nicht. Die Schätzungen schwanken von 10000 bis 50000 Kriegstoten. Angesichts von 9700 Angriffsflügen, rund 30000 abgeworfenen Bomben und einem halben Jahr heftiger Bodenkämpfe dürfte die tatsächliche Zahl der Opfer aber wesentlich höher sein. [….]
Die meist von den Medien angegebenen Zahlen basieren auf der Arbeit des britischen »Iraq Body Count« (IBC). Dieses Projekt versucht, die zivilen Opfer im Irak zu erfassen, indem es alle Fälle, die in renommierten englischsprachigen Medien gemeldet oder in Kranken- und Leichenhäusern registriert wurden, in einer Datenbank sammelt. Bis 2013 wurden so rund 110000 zivile Opfer ermittelt.
Die in sich stimmigen Ergebnisse der statischen Erhebungen der Johns Hopkins University in Baltimore, die 2004 und 2006 in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurden, sowie die des britischen Meinungsforschungsinstituts »Opinion Research Business« (ORB) von 2007 legen hingegen nahe, daß über eine Million Iraker dem Krieg, der Besatzung und dem dadurch entfesselten Wüten von Milizen zum Opfer gefallen waren – die meisten von ihnen ab Mitte 2005, Tendenz von 2003 bis 2007 stark steigend.
[….] Recht gut dokumentiert ist z.B. das Schicksal irakischer Ärzte. Von 34000 registrierten Ärzten wurden nach Angaben der unabhängigen Iraq Medical Association fast 2000 getötet, 20000 hatten das Land 2006 bereits verlassen. Der Iraq Body Count führt in seiner Datenbank jedoch nur 70 getötete Ärzte auf. Auch wenn dies teilweise an fehlenden Berufsangaben liegen kann, deutet dies bereits auf sehr großen Lücken hin.
[….] Insgesamt wird die Zahl der Opfer in den Erhebungen eher unter- als überschätzt. Das liegt auch daran, daß die hohe Zahl von Verschleppten und Verschwundenen nicht berücksichtigt werden kann. Gemäß der Internationalen Kommission für vermißte Personen (ICMP) gelten im Irak zwischen 250000 und einer Million Menschen als Folge von über 30 Jahren Kriege und Konflikte als vermißt, die meisten von ihnen seit 2003. [….] Man kann selbstverständlich die Erkenntnisse aus dem Irak nicht eins zu eins auf den Krieg in Afghanistan übertragen. Sie legen jedoch nahe, daß auch hier die Gesamtzahl der Opfer ein Vielfaches über der Zahl der gemeldeten liegt und 200000 übersteigen könnte – eine vernichtende Bilanz für eine NATO-Operation, deren Einsatzkräfte als »Internationale Sicherheits- und Unterstützungstruppe« firmieren. [….]

Syrien ist in dieser Betrachtung noch gar nicht eingerechnet.

Im syrischen Bürgerkrieg sind in den vergangenen drei Jahren nach UN-Angaben fast 200.000 Menschen getötet worden.
Bis Ende April seien mindestens 191.369 Tote registriert worden, sagte die UN-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay am Freitag in Genf. Damit habe sich die Zahl der Todesopfer binnen Jahresfrist verdoppelt. Vermutlich liege sie aber noch viel höher, da viele Opfer überhaupt nicht gemeldet würden, sagte Pillay.

Man kann also mit Fug und Recht behaupten, daß die Nahost-Politik des Westens auf ganzer Linie gescheitert ist.

GFP leitet sogar eine direkte Verantwortung Deutschlands und der USA für die Millionen Toten ab, weil deutsche Geheimdiensterkenntnisse und deutsche Luftwaffenbasen bei diesem Massenmord eine Rolle spielten. Natürlich auch, weil es Deutschland war, das wesentlich dazu beitrug die IS-Truppen massiv aufzurüsten, indem beispielsweise Merkel und Westerwelle persönlich in totalitären Staaten wie Saudi Arabien Waffengeschäfte einfädelten.

Zur aktuellen Situation fällt der deutschen Regierung ein, das künftige Kurdistan noch weiter aufzurüsten.

Was für eine Perversion.

Leider weiß ich auch keine Alternative.

Ach, warte, doch, es gibt eine Möglichkeit dort Frieden zu stiften.
Schickt Margot Käßmann nach Falludscha und lasst sie gemeinsam mit Abu Bakr al-Baghdadi beten. Dann wird alles gut.