Montag, 5. August 2013

Deutsche Gewohnheiten - Teil III



Nun habe ich zwei Tage nacheinander mit all meiner verbalen Feuerkraft gegen Merkel polemisiert und dachte ich könne sie nun wirklich nicht noch mehr verachten und werde prompt eines Besseren belehrt.
Wer bisher dachte, die Bundeskanzlerin beschäftige sich immerhin ab und zu mal für Minuten mit Politik, wird einsehen müssen, daß die CDU-Vorsitzende ihre Wähler offenbar
für komplett verblödet hält.
Das schlimme ist: Merkel hat Recht! Plattere Slogans waren nie. Die Kanzlerin setzt auf reine Vakuum-Inhalte.
Herr Sauer möchte mehr Streusel

Achtung, Phrasenalarm! Mit inhaltsleeren Slogans wie "Starke Wirtschaft", "Sichere Arbeit" oder "Mehr für Familien" läutet die CDU ihre Plakatkampagne zur Bundestagswahl ein. In einem Werbeheftchen gibt sich Angela Merkel ganz persönlich und verrät Vorlieben ihres Gatten Joachim Sauer.

[…] Mit fast 9000 großformatigen Plakaten für Werbeflächen und rund 300.000 kleineren Postern für die Laternenmasten wollen die Christdemokraten von nun an bis zum Wahltermin am 22. September die Republik überschwemmen.

[…]  Ein junges Paar mit Motorradhelm freut sich darüber, dass die CDU sich um Wachstum und einen stabilen Euro kümmert. Eine klassische Mutter-Vater-Kind-Familie lässt in der Küche ein Omelett fliegen - offenbar aus Begeisterung, weil den Christdemokraten jede Familie "besonders wichtig" ist. Alle Darsteller sehen irre glücklich aus.

[..] Ungewöhnlich persönlich zeigt sich die "Kanzlerin für Deutschland" […] wahlweise in einer Broschüre oder im Mini-Faltblatt für die Hosentasche gibt es zahlreiche Fotos aus dem Leben und der Karriere einer meist freundlich lächelnden CDU-Chefin zu sehen, dazu kleine biografische und politische Texte, in denen es von Sätzen wimmelt wie: "Kinder sind die Zukunft unseres Landes." Oder auch: "Ich mag meine Arbeit."

Aber Merkel gewährt auch Einblicke in ihr Privatleben. Unter dem Schlagwort "Natur" sitzt die Kanzlerin am Seeufer an einem Baum und verrät: "Ich bin eine leidenschaftliche Gärtnerin und ziehe mein eigenes Gemüse." Am liebsten koche sie Rouladen und Kartoffelsuppe. Ihr Mann Joachim Sauer beschwere sich selten über das Essen. "Nur auf dem Kuchen sind ihm immer zu wenig Streusel. Er ist halt Konditorensohn."

Kann man seine Verachtung für das Volk, welches man regiert besser Ausdruck verleihen, als mit dieser Politik-Simulation, die in Wahrheit die größte Wählerverarschung in der Geschichte der Bundesrepublik ist?

Allein schon diese Frage. "Welches dieser Plakate könnte die SPD nicht kleben?", will ein Journalist wissen. Die Antwort sollte eigentlich ein Kinderspiel sein für Hermann Gröhe, den Generalsekretär der CDU. Es ist Wahlkampf, Zeit für Zuspitzung, für Wettbewerb. Die SPD ist Gröhes Konkurrent, sein Gegner. Da wird er doch wohl den Unterschied wissen?

Gröhe dreht sich um, bevor er antwortet.

Hinter ihm stehen die Großplakate, mit denen seine Partei den Straßenwahlkampf einläutet. Gröhe stellt sie im Konrad-Adenauer-Haus vor. Vier große Motive mit Menschen und Slogans. Eine Oma mit ihrer Enkelin, darüber steht: "Solide Finanzen sind wichtig. Weil wir an morgen denken." Ein Paar auf einem Motorroller: "Wachstum braucht Weitblick. Und einen stabilen Euro." Ein Vater, der mit seiner Tochter Pfannkuchen bäckt: "Jede Familie ist anders. Und uns besonders wichtig." Mann und Frau, beide im Overall, in einer Autowerkstatt: "Gute Arbeit und neue Ideen. So bleibt Deutschland stark." […] Gröhe fährt also die Motive mit den Augen ab. Solide Finanzen, Wachstum, jede Familie anders - da würden die Sozis sicher sofort zustimmen. Er sagt schließlich: "Ihnen wird auffallen, dass Sie auf SPD-Plakaten keine freundlichen Menschen finden." Ungläubiges Staunen. Ernsthaft, das ist der Unterschied? Gröhe fasst nochmal nach: "Früher hätte ich gesagt, das Plakat mit Angela Merkel, aber nicht mal da ist auf die SPD Verlass."
Wer die Umfragewerte ernst nimmt, und das muß man leider, kann nicht umhin kommen festzustellen, daß der Urnenpöbel offenbar schwer masochistisch veranlagt ist und verarscht werden WILL.
Gegen so eine Volksmasse kann man nicht ankolumnieren. 
Ich empfehle jedem denken Menschen eine Hirn-Ektomie. Anders ist das nicht mehr auszuhalten.
Deutschland vor der Wahl ist das Land der Gelähmten. Die Kanzlerin ist träge, ihr Volk furchtsam. Merkel und die Deutschen bilden ein Bündnis der Angst. Einziges Ziel: die Flucht vor der Verantwortung.

[…]   Im Jahr acht der Regierung Merkel ist Deutschland ein träges Land der Selbsttäuschung. Wir wissen, dass Politik auf den kurzfristigen Erfolg zielt. Politik redet von Verantwortung, will sie aber zumeist nicht tragen. Aber eine Politikerin, die Verantwortung derart auf die leichte Schulter nimmt wie Angela Merkel, ist selten. […]

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas führt im neuen SPIEGEL bittere Klage. Habermas beschwert sich über die Bequemlichkeit der Deutschen. In der Euro-Krise sehen sie dabei zu, wie die Kanzlerin den Südländern ihre Krisenagenda aufzwingt und sich gleichzeitig aus der gesamteuropäischen Verantwortung Deutschlands stiehlt: "Deutschland döst auf dem Vulkan", schreibt Habermas. Er redet von einem "historischen Versagen der politischen Eliten".

[…]   Eine Lähmung liegt über dem Land, und die heißt Merkel. Jeder Bürger weiß, wo es im Argen liegt - Steuersystem, Bildungschancen, Lohngerechtigkeit -, aber die Leute nehmen das Versagen der Regierung achselzuckend hin. "Die von FDP und Union im Koalitionsvertrag vereinbarte Arbeitsgruppe zur Reform des Mehrwertsteuersatzes schaffte es in vier Jahren nicht, auch nur ein einziges Mal zu tagen", schreibt der SPIEGEL und zitiert einen anderen Philosophen, Peter Sloterdijk, der sagt, in Deutschland herrsche eine "chronische Duldungsstimmung".

Die Verwunderung der Philosophen Habermas und Sloterdijk. Oder die Wut des Soziologen Harald Welzer, der angekündigt hat, der Wahl fernbleiben zu wollen. Oder der Ekel, den der Publizist Sascha Lobo bei Merkels Gleichgültigkeit im NSA-Skandal empfindet. Das sind Empfindungen einer intellektuellen Elite, die vom Volk nicht geteilt werden. Die Leute haben mit ihrer Kanzlerin eine Koalition der Unvernünftigen geschlossen: Kopf einziehen, Augen schließen und hoffen, dass alles irgendwie vorübergehen wird.
Augstein macht einen kapitalen Fehler, wenn er ausgerechnet führende Intellektuelle zu Rate zieht. 
Darüber wird die anti-geistige Merkel nur lachen. Sie hat die Denkfaulheit ihres Volkes erkannt und nach Kräften unterstützt. 
Ganz im Sinne ihres Ziehvaters Helmut Kohl modelliert sie Deutschland aus bräsigen, satten Geisteszwergen, die längst zu schwach geworden sind, um die volkszersetzenden Vorgänge, die Schwarzgelb ihnen einbrockt überhaupt zu bemerken – geschweige denn etwas dagegen zu unternehmen.
Tatsächlich passt die maue Vorstellung der Parteien zum dürftigen Interesse der Gesellschaft. Denn es ist ja nicht so, dass die Bundesbürger nach politischer Debatte und komplexen Problemlösungen gierten, dass sie sich von den Parteien unterfordert fühlten und deshalb an der etablierten Politik vorbei sprühende Kontroversen anzettelten. Um allein den Parteien den tristen Wahlkampf anzulasten, müsste sich die Öffentlichkeit selbst wacher und interessierter zeigen. Doch für einen spannenden Wahlkampf fehlen nicht nur die politischen Akteure, sondern es fehlt auch der gesellschaftliche Adressat. Die Republik wirkt satt und sorglos. Zu satt für die leidenschaftliche politische Auseinandersetzung.
Man kann das deutsche Phlegma politisch und soziologisch nicht mehr erklären.
  Hier sind Psychologen gefragt.
Es spricht viel dafür, dass [Merkel] Kanzlerin bleiben wird. Warum?

[….]   Was kann die Tiefenpsychologie zur Analyse des Phänomens beitragen? Was bindet ein halbes Volk so dauerhaft an eine Gestalt und belohnt sie durch derart gute Umfragewerte? Die Journalisten mögen an ihr herumnörgeln, die Volksmeinung bleibt annähernd konstant. [….] Sie verteilt gerne Küsschen, und wenn sie welche empfängt, tritt ein unnachahmliches Lächeln in ihr Gesicht. Sie erscheint nicht rachsüchtig und wenig nachtragend sowie unerschütterlich guter Stimmung. Sie ist, wie gute Mütter, ausgleichend, beruhigend, gar mit beruhigender Härte begabt. [….] Das alles bedingt eine ungewöhnlich große Loyalität der Bürger mit der Kanzlerin. Wählt man Mütter ab, die so viel Ruhe und Zuversicht ausstrahlen? Verstößt man sie, wo sie doch die Familie zusammenhält, kratzt man an ihrem Lack, wo sie doch mit der Kritik der Rivalen so umgeht, als handle es sich um voraussehbares, aber ungefährliches Kläffen?

Die Psychoanalyse arbeitet mit dem Begriff der Übertragung. Frühe Konflikte, Sorgen und vor allem der Wunsch von Kindern nach Geborgenheit heften sich auf eine Figur, von der man Beständigkeit, Überblick, Kraft, Ausdauer erhofft. Sie, die Wissende, soll in Zeiten der Unsicherheit leiten, wo die eigene Orientierungsfähigkeit nicht mehr ausreicht und keine Ideologie oder Religion mehr eindeutige Antworten verspricht. Diese Übertragung, diese Delegation der Verantwortung, gilt Angela Merkel. Sie wird es schon richten, glauben ihre Anhänger mit fast kindlicher Hingabe. In einem solchen 'regressiv' eingerasteten Vertrauen zur Mutter will man keine Veränderung, blendet eigene Zweifel aus, erhebt Vertrauen und Zuneigung zu einer weit über die Tagespolitik hinausreichenden Kategorie. Kinder verteidigen ihre Eltern, idealisieren sie, solange sie keine allzu offensichtlichen Schwächen zeigen oder gar Verbrechen begehen - selbst dies bedeutet noch lange keine Abkehr.

[….] Nimmt man das Modell der politischen Regression ernst, dann spielen tiefere Mechanismen der Bindung, der Loyalität und der Sehnsucht nach Ruhe eine wichtigere Rolle als die Inhalte der Politik. Man lässt nichts mehr auf die Zentralfigur kommen, spaltet innere Zweifel ab, fühlt sich getragen von einer unerklärlichen Zuversicht in ihre Kraft und ihre Weisheit. Ganz Fromme fühlen sich sogar geborgen unter dem Schutzmantel einer fast madonnenhaften Figur. [….] Die Psychoanalyse kümmert sich seit einiger Zeit vermehrt um die sogenannte Bindungsforschung. Sie untersucht, wie dauerhafte oder wacklige, gehorsame, liebende, verehrende oder destruktive Bindungen entstehen und warum sie oft ein Leben lang halten. [….] Es geht um das Spenden von Zuversicht und um ein tieferes Wissen um die Richtung für Menschen, die noch immer dem tröstlichen Choralvers anhängen: 'Weiß ich den Weg auch nicht, Du weißt ihn wohl, das macht die Seele still und friedevoll.'

Dass ein anderer Kanzlerkandidat vielleicht klüger ist, mehr informierte Worte pro Zeiteinheit hervorbringen kann und auf ironische Weise böse ist, festigt umso mehr die Anhänglichkeit an die unaufgeregt erscheinende Dame, die so viel Erfahrung und internationales Ansehen angehäuft hat und dem kindlichen Stolz das Bild der 'mächtigsten Frau der Welt' bietet. [….]
(Tilman Moser, SZ vom 05.08.2013)