Sonntag, 5. Mai 2013

Spaßpartei 2.0



Nachdem Angela Merkel die FDP nach der 2010 krachenden NRW-Landtagswahlniederlage von der Einthemenpartei zur Nullthemenpartei degradiert hatte, stellten die einstigen Liberalen die politische Arbeit ein.
Statt Steuersenkungensteuersenkungensteuersenkungen und dem immer wieder gebetsmühlenhaft vorgetragenen „ich werde keinem Koalitionsvertrag zustimmen, der nicht ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem vorsieht“, herrschte nun das große Schweigen im Walde.
Selbst begeisterte FDP-Freunde wie der manisch-liberale Ulf Porschardt von der WELT-Gruppe sahen sich außerstande noch irgendwelche positiven Bemerkungen über das hepatitisgelbe Loser-Quintett der Bundesminister zu erfinden.
Die Partei war und ist durch.
In Erwartung der baldigen Lyse hieß es nun mauscheln und raffen so viel es geht.
Philipp Rösler besetzte eifrig Posten im Gesundheits- und Wirtschaftsministerium mit Lobbyisten, Leutheusser-Schnarrenberger und Bahr verfielen in Kataplexie, Guido Westerwelle vollendete seine Metamorphose zur reinen Comedy-Gestalt und Dirk Niebel funktionierte das Ministerium, das er immer abschaffen wollte zur Versorgungsanstalt von in der freien Wirtschaft nutzlosen FDP-Altkadern um.
40 FDP-Parteimitglieder schanzte er gut bezahlte Pöstchen im Entwicklungshilfeministerium zu, statt auf Fachleute zu setzen.

Georg Restle: „Dass so mancher Minister seine Parteifreunde gerne mit Ämtern und Posten versorgt, ist nicht ganz neu. Dass es kurz vor Wahlen hin und wieder sogar zu einem regelrechten Versorgungsfieber kommt, auch darüber haben wir schon berichtet. Der Fall, den wir Ihnen jetzt zeigen, sprengt dann aber doch alles, was wir bisher zu wissen glaubten. Und er betrifft ausgerechnet das Entwicklungshilfe-Ministerium. Schon letztes Jahr wurde bekannt, dass FDP-Mitglieder es offenbar besonders leicht haben, bei ihrem Parteifreund Dirk Niebel Karriere zu machen. Jetzt haben Achim Pollmeier und Matthew D. Rose noch mal recherchiert - und sind auf ein wahrhaftiges Versorgungsparadies gestoßen.“ […]
Wir wollen wissen, wie viele FDP-Leute wirklich im Ministerium gelandet sind. Wir gleichen die Namen aller Neueinstellungen ab - ganz einfach im Internet. Dass Pressesprecher des Ministeriums von der FDP stammen, ist noch keine Überraschung. Doch wir finden mehr, viel mehr. Ortsverbandsvorsitzende, ehemalige Abgeordneten-Mitarbeiter, frühere Wahlkampfmanager und so weiter. Insgesamt finden wir über 40 FDP-nahe Mitarbeiter, die unter Niebel eingestellt wurden. Mit Entwicklungspolitik hatten viele zuvor offenbar wenig am Hut. Jetzt besetzen sie gut dotierte Stellen überall im Ministerium, besonders viele als Referenten, weit unterhalb von Spitzenpositionen.


Der fanatische Linkenhasser Poschardt, der sich angeblich das FDP-Parteilogo auf die rechte Pobacke tätowieren lassen hat, versucht es immerhin doch noch einmal der Rösler-Gang einen Sinn zuzuschreiben.
 Wenn schon nicht durch eigenständige Politik und Konzeptionen, dann wenigstens als letzten Verteidigungsring vor dem linken Durchmarsch.
Poschardt sieht nämlich die Linken unmittelbar vor dem Gewinn der absoluten Mehrheit und nässt sich mehrfach am Tag ein bei der Vorstellung Sahra Wagenknecht werde bald Bundeskanzlerin und nähme ihm all sein schönes Geld weg.

An Hohn und Spott sind Liberale gewöhnt. In den vergangenen vier Jahren hat die Regierungspartei FDP förmlich dazu aufgefordert, antiliberale Ressentiments und gallige Vorurteile zu pflegen. Das Schlimmste scheint vorüber, die obsessive Selbstbeschäftigung gilt als beendet.   […] Der Sturz ins Bodenlose scheint vertagt, mehr aber auch nicht. Angesichts der schweinsteigerartigen Steilvorlagen der Opposition in den Strafraum wirkt die Chancenverwertung der FDP katastrophal.
[…] Die Renaturierung von SPD und Grünen zu Parteien der klassischen Linken und die damit einhergehende autoritäre Entwertung von individueller Freiheit und erarbeitetem Vermögen wird von der koalitionsfreudigen Union kühl registriert und von der FDP erwartbar beklagt.
[….] Sprache und Metaphern der Liberalen wirken verbraucht und ranzig. [….]  Anders als den ins ordnungspolitische Absurdistan übergesiedelten Grünen gelingt es den Liberalen kaum, den Zeitgeist zu verstehen, um ihn zu prägen. [….] Glaubt man dem Deutschlandtrend, wollen fast drei Viertel der Deutschen höhere Steuern, die anderen 25 Prozent müssten eigentlich FDP wählen. Ohne es zu wollen, könnte gerade jene von ihren Steuersenkungsmärchen gezeichnete FDP dazu verdammt werden, wieder einen Steuerwahlkampf zu führen.[….] Gelingt die geistige, ästhetische Neuerfindung mit einem alten Thema, könnte nicht nur die trudelnde Konjunktur in Deutschland profitieren, sondern auch das rezessionsgehemmte Europa. Deutschland steht vor einer Schicksalswahl, und die liberale Stimme krächzt noch, fatal.
(Ulf Poschardt, WELT, 04.05.13)

Es gibt also noch Menschen, die stramm neoliberal denken. 
Sie glauben, daß nur eine totale Entfesselung der Märkte, Steuersenkungen und eine Schrumpfung des Staates die raffgierigen Sozialschmarotzer davon abhalten könnten die Weltwirtschaft abzuwürgen, indem sie die Reichen ausbeuteten.
Klar, mit der Realität hat so eine Weltsicht nichts zu tun, aber tatsächlich sucht die FDP nun offenbar ihr Heil im Phantastischen.
Wie zu Möllemanns Zeiten, als Gaga-Guido im quietschegelben Spaßmobil durch das Land fuhr, im BigBrother-Container bei den gänzlich Unterbelichteten einkehrte und sich mit einer „18“ unter den Schuhsohlen in Talkshows saß, fungieren nun Brüderle und Rösler als Parteicomedians. Mangels eigener Konzepte imitieren sie Mario Barth und plappern so bizarre Sprüche, daß man gar nicht inhaltlich reagieren kann, sondern sich instinktiv an den Kopf fasst, um festzustellen, ob man träumt.

Räuber Hotzenplotz, Graf Dracula, Nessi - die FDP setzt auf ihrem Parteitag bei der Kritik ihrer Gegner auf Bildgewalt. Sie prasst geradezu mit Methaphern und Symbolen.
Grünen-Chef Jürgen Trittin nennt [Brüderle] den "Graf Dracula" der deutschen Politik, welcher der "Mittelschicht an die Gurgel will." Brüderle: "Weg mit der Geisterstunde. Auf in den Kampf." Für Peer Steinbrück bemüht er Goethe, erklärt den Kanzlerkandidaten der SPD zum "sozialistischen Zauberlehrling" – "Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los." Wenn Brüderle von Geistern spricht, meint er natürlich die roten Genossen mit ihren "Steuererhöhungsorgien" und ihrer "Schuldenmacherei".
Seine Metaphern toppt ein wahrhaftiges Bild: Auf einem rund zehn Quadratmeter großen Plakat am Eingang der Nürnberger Messe prangt Brüderle mit einem verschmitzen Grinsen – und reckt ausgerechnet seinen hochgestreckten Daumen Richtung Kamera. Eine Geste, die derart aus der Zeit gefallen ist, dass sie selbst beim 67-Jahre alten, leibgewordenem "Herrenwitz" unpassend wirkt.
[…] Patrick Dörings Visualisierungen gehören wie die des Spitzenkandidaten noch zu den konsistenteren. Das Feindbild zeichnet er klar: Es sind die Grünen, die auf ihrem Parteitag vor einer Woche eine gehörige Umverteilung verordnet haben – höherer Spitzensteuersatz, Vermögensabgabe, schrittweise Abschaffung des Ehegattensplittings. Diese Grünen also lässt Döring während einer seiner Reden auf einer Leinwand aufblitzen. Montiert natürlich. Zu sehen ist ein Plakat für ein Theaterstück. Auf dem Programm steht – ziemlich frei nach Schiller – "Die Räuber". In den Hauptrollen: Claudia "Beitragsbemessungsgrenze rauf" Roth, Katrin "Altersvorsorge besteuern" Göring-Eckardt und Jürgen "Gib mir die Hälfte" Trittin. […] Noch verstörender als ein schräges Bild, sind nur zwei schräge Bilder: Jürgen Trittin nennt Rösler kurz nach der Nessi-Metapher "den bösen Räuber Hotzenplotz für alle in Deutschland" – obwohl der ja eigentlich schon Graf Dracula ist.

Während der NTV-Kommentator sich noch freundlicherweise darauf beschränkt das FDP-Dadaismus-Happening rein linguistisch zu analysieren, fragen sich andere Journalisten nach dem SINN dieser ehemaligen Partei.
Poschardts WELT-Kollege Jungholt bemängelt das Fehlen von echten Themen. Daß die beiden FDP-Spitzen so schlechte Redner wären, stelle ich als Vorteil heraus – um die Einfallslosigkeit zu kaschieren.

Auch Randthemen wurden thematisiert.  "Die Grünen sind ja auch gegen Trinken auf öffentlichen Plätzen", erklärte Brüderle. "Also ich sitze da jetzt weniger als in früheren Jahren", aber dennoch sei es für ihn "Ausdruck eines liberalen Lebensgefühls, dass man da was trinken kann". Damit war auch das geklärt. Was fehlte, war ein wirklich zündendes Wahlkampfthema. Das lieferte ausgerechnet die politische Konkurrenz. Wie ein Geschenkpaket mit rot-grüner Schleife empfand mancher Liberale die gerade auf den Parteitagen von SPD und Grünen beschlossenen Steuererhöhungspläne. Die Abgrenzung gegen die "Abkassierer, Fortschrittsgegner, Tugendwächter und Freiheitsfeinde" geriet zum Schwerpunkt der Reden des Vorsitzenden Rösler und des Spitzenkandidaten Brüderle. Rösler hatte dabei den Vorteil, dass er seine Angewohnheit, ganze Silben zu verschlucken, abgelegt hat und deshalb gut zu verstehen war.
Brüderle dagegen, von Tagungspräsidentin Gisela Piltz mit den Worten "Rainer, rock die Hütte" auf die Bühne gerufen, lieferte eine sehr spezielle Kunstform der Parteitagsrede: den Nuschelrock. Insbesondere in den brüllend vorgetragenen Passagen seiner Darbietung war meist nur zu erahnen, was er da gerade zu artikulieren versucht hatte.
(Thorsten Jungholt, WELT, 05.05.13)

Ernst nehmen kann man so eine realitätsentrückte Lobbyistengruppe wie die FDP natürlich nicht. 
Hätten die deutschen Wähler auch nur rudimentären Sachverstand, flögen Röslers Rabulisten hochkant aus dem Bundestag. Allein, mir fehlt der Glaube. Es wird genug Linkenhasser geben, die Schwarzgelb weiter stützen werden.

Nur noch Steuererhöhungsverhinderungspartei: Der FDP fehlt eine gute Begründung, warum sie eigentlich noch einmal in die Regierung gewählt werden soll. Keines ihrer Kernversprechen von 2009 hat sie halten können. Jetzt begnügt sich ihr Spitzenmann Brüderle mit Angriffen auf die Opposition auf Fips-Asmussen-Niveau.
Manchmal scheint es Brüderle selbst völlig wurscht zu sein, was er den Delegierten vor sich da entgegenbrüllt. Die applaudieren, johlen. Er brüllt einfach irgendwas weiter. Hauptsache laut. Verstehen kann das keiner mehr. Nicht weil der Beifall so kräftig wäre. Brüderle gibt sich dann einfach gar keine Mühe mehr, auch nur ein Wort noch halbwegs ordentlich zu artikulieren.[…] Es wäre vielleicht ganz gut, wenn die FDP den Wählern etwas anzubieten hätte, etwas Eigenes. Rösler und Brüderle aber setzen darauf, sich als Steuererhöhungsverhinderungspartei zu profilieren. […] Hier mal eine kleine Kostprobe, wie er gedenkt, die Wähler zu überzeugen: Er spricht vom rot-grünen "Schuldensozialismus", vom "Zinssozialismus" in Europa, vom  "Staatssozialismus" in Frankreich. Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, sei ein "sozialistischer Zauberlehrling". Weil die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer sich auch einen Spitzensteuersatz von 53 Prozent vorstellen kann, regiere in dem kleinen Bundesland ein "schwarz lackierter Sozialismus". Die Grünen sind natürlich dem "Ökosozialismus" verfallen.
Es ist die Rhetorik eines kalten Kriegers, der, völlig aus der Zeit gefallen, plötzlich auf einer Parteitagsbühne im Jahr 2013 steht.
Was Brüderle den Delegierten anbietet sind Kalauer auf Fips-Asmussen-Niveau. CDU-Arbeitsministerin Ursula von der Leyen? "Das Röschen hat viele Dornen und tanzt der der Union auf der Nas' herum." Die Union? Die mache die FDP "immer besser. Wir sind das Upgrade der Unionsparteien!" Und nochmal zu Steinbrück: "Kanzlerkandidat der Schmerzen." Oder auch gerne "Der Peer tut weh." Was wohl ein Reim sein soll.
Ein "Meer von Fettnäpfchen" stünde zwischen Steinbrück und Altkanzler Helmut Schmidt. "Pleiten, Peer und Pannen" sei in Berlin eine stehende Redewendung. Kein Bild scheint schwach genug, als dass es Brüderle nicht in seine Rede einbauen könnte.
Das Verrückte ist: Die Delegierten schunkeln bierselig mit, völlig trunken vom klebrig-süßen Wein der Hoffnung, den Brüderle ihnen versucht einzuträufeln. Da kann das, was er da oben macht, noch so absurd erscheinen.
[…] Brüderles Botschaft ist dennoch: Weiter so. Und nicht vom Kurs abweichen. Ohne erkennbar eigenes Angebot bleibt der FDP nur, auf den politischen Gegner einzuprügeln. Damit beschäftigt sich Brüderle in seiner Rede fast zwei Drittel der Zeit.
Die Grünen etwa lieferten mit ihrem Programm eine "Anleitung zum Unglücklichsein". Deren Spitzenkandidat Jürgen Trittin wolle der Mitte "die Gurgel aussaugen". Trittin sei der "Graf Dracula für die deutsche Mitte". Und das sei natürlich, wie gesagt, "ökosozialistische Spinnerei". Das Altherren-Niveau erreicht er spätestens mit diesen Sätzen: Was die Grünen wollten, dass "riecht nach Mittelalter! Ohne Wasserspülung!" Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen.
 (Thorsten Denkler, SZ, 05.05.13)

Aber wie ich diese Republik kenne, werden sich am 22.09.2013 wieder ein paar Millionen Enthirnte finden, die ihr Kreuz bei der FDP machen.