Freitag, 21. Januar 2022

Ampel-Zufriedenheit

Nachdem die Ampel-Regierung unter Olaf Scholz sechs Wochen im Amt ist, bröckeln die Zustimmungswerte der Regierungsparteien schon wieder.

Das war zu erwarten, denn gerade die SPD-Wähler zeichnen sich durch eine gewisse Realitätsblindheit aus. Sie denken, Olaf Scholz regiere mit absoluter Mehrheit, statt mit 25%.

Außerdem glauben sie, der Kanzler könne sich wie Putin oder Xi diktatorisch durchzusetzen, während wir in Wahrheit in einer Demokratie leben, welche die Exekutivbefugnisse des Regierungschefs massiv einschränkt.

Es scheint unerträglich quälend langsam zu gehen, bis in Deutschland wichtige Dinge geregelt werden, aber die Alternative einer Diktatur mit rechtlosen Bürgern ist noch schlechter.

Sofern man die CDU/CSU-Fraktion als eine Partei betrachtet, handelt es sich bei der Ampel um die erste echte Drei-Parteienkoalition seit über 70 Jahren. Noch nie war die Kanzlerpartei zahlenmäßig so klein. Zudem sitzen mit Grünen und Gelben zwei Parteien am Kabinettstisch, die sich spinnefeind sind.

Es ist schlau von Olaf Scholz, nicht wie frühere neue Kanzler, die mit einer 40+Prozentpartei im Rücken und einem winzigen Mehrheitsbeschaffer in der Koalition, einfach loszumarschieren. Er achtet penibel darauf, nicht nur seine eigene Partei glücklich zu machen, sondern auch den andersfarbigen Ministern Erfolge zu gönnen. Wenn eine Partei Gefahr liefe, das Gefühl zu etablieren, immer ausmanövriert zu werden, könnte es bei der nächsten Krise ganz schnell zu Ende sein mit der Regierung.

Wenn also die FDP irgendeinen Mist durchsetzt, den ich als Sozialdemokrat vollkommen falsch finde (Impfpflicht-Blockade, Privatkrankenkassen, keine Vermögenssteuer), ist das schlecht für die Koalition, weil sie ein Stückchen in die falsche Richtung geht. Aber es ist auch gleichzeitig auch gut für die Koalition, weil die Erfolge der anderen das Gesamtprojekt stabilisieren. Wenn es drauf ankommt, könnten die FDP oder die Grünen leichter eine gigantische sozi-rote Kröte schlucken, wenn sie zuvor auch schon die SPD gelbe und grüne Kröten schlucken sahen. Es erfordert sehr viel kanzlerisches Fingerspitzengefühl, dieses Gleichgewicht auszutarieren.

In den erste Wochen wirkte die Ampel sehr Gelb-lastig; die Grünen mussten sich viel Wut von der eigenen Basis anhören, weil sie aus deren Sicht zu leicht eingeknickt waren. Umso wichtiger, daß sich in den letzten Tagen sowohl die grüne Außenministerin, als auch der grüne Superwirtschaftsminister etwas mehr in Szene setzen konnten.

Die SPD steht durch die Kanzlerschaft, die geplante einmütige Wiederwahl des SPD-Bundespräsidenten und den allgegenwärtigen SPD-Pandemie-Minister ohnehin immer im Rampenlicht. Sechs Wochen sind viel zu wenig Zeit, um seriös Urteile über die neue Regierung zu fällen.

Ich bin immer noch in dem Stadium, mich zu wundern, wenn ich Olaf Scholz im TV sehe und darunter „Bundeskanzler“ eingeblendet wird.

Natürlich bin ich kein Freund der FDP, aber immerhin sind wir auf einem qualitativ ganz neuen Niveau, wenn nun ein gelber Buschmann endlich diese albernen alten Zöpfe §219A, Cannabis-Kriminalisierung oder Schlechterstellung von Trans-Menschen, endgültig abschneidet.

Das sind nur ein paar der vielen Dinge, die mit den konservativen alten CDU/CSU-Säcken nicht möglich waren.

Mit großer Genugtuung und viel Wohlwollen blicke ich auch auf Innenministerin Nancy Faeser, die sich einem der, meiner Ansicht nach, größten Probleme überhaupt annimmt: Die rechtsradikale und verschwörungstheoretische Hetze, die aus dem Internet in die Realwelt schwappende Nemesis unserer Gesellschaft.  Lange Jahre war es mit den ultrakonservativen Unions-Innenministern, die solche Typen wie HG Maaßen als Verfassungsschützer einsetzten, schlicht und ergreifend gar nicht möglich, weil nicht gewollt, etwas gegen rechtsradikalen Terrorismus zu unternehmen. Faeser hingegen sprach das a priori offen an und orakelt davon als ultima ratio auch Telegram einfach abzuschalten.

Das wird politisch und technisch extrem schwer oder gar nicht möglich sein, wie wir schon anhand der Porno-Diskussion sahen, aber immerhin sieht Faeser das Problem und erkennt dringendsten Handlungsbedarf.

Vor ein paar Wochen war noch Horst Seehofer an ihrer Stelle, der zum Glück meistens ohnehin schwänzte; sein Amt vakant ließ, während er zu Hause in Ingolstadt mit seiner Eisenbahn spielte.  Wenn es um Themen wie AfD, Maaßen oder Rechtsradikalismus ging, kam er bedauerlicherweise doch gelegentlich nach Berlin. Und zwar, um zu Gunsten der Rechtsradikalen einzugreifen. So hatte der neue Verfassungsschutzpräsident am 19.01.2021 ein 800 Seiten starkes Papier vorgelegt, mit dem empfohlen werden sollte, die AfD als rechtsradikalen „Verdachtsfall“ einzustufen. Islamkritische und xenophobe Aussagen von AfD-Größen waren so vielfach dokumentiert, daß die Einstufung nur Formsache zu sein schien.

Aber dann bekam Seehofer Kenntnis von dem Vorgang und ihm fiel sofort auf ‚Herrgottsakra, dös is rechtsradikal? So rede ich doch auch immer!‘ und so ließ er die AfD-kritische Einschätzung deutlich zu Gunsten der Rechtsradikalen abschwächen.

  […] Seehofer ließ Verfassungsschutzkritik an AfD abschwächen  […] Der Verfassungsschutz versus die AfD: Horst Seehofer hatte stets betont, er, der Politiker, wolle die Hände davon lassen und diese Entscheidung allein seinen Fachleuten anvertrauen. Unabhängig sollten sie entscheiden, ohne jeden Druck. Wenn der Verfassungsschutz "zu dem Ergebnis kommt, dass die AfD die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet, dann wird sie beobachtet", hatte er etwa der Welt am Sonntag gesagt. Das sei "keine politische Entscheidung, sondern eine der Sicherheitsbehörden".  Interne Dokumente, die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte, zeigen indessen, dass Seehofer sich spätestens an diesem Tag ganz persönlich einbrachte. Der Politiker, der bis 2019 Parteichef der CSU gewesen war und seinerseits manchmal harsche Töne gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin Angela Merkel angeschlagen hatte, nutzte das vertrauliche Treffen mit seinem Geheimdienstchef offenbar, um noch im letzten Moment auf dessen AfD-Bewertung einzuwirken.  Aus Sicht der Verfassungsschutz-Fachleute war eigentlich bereits alles klar, an diesem 19. Januar. Sie hatten gerade ein mehr als 800 Seiten starkes, vertrauliches Gutachten über den Radikalismus der AfD fertiggestellt, nach monatelanger Arbeit. Dieses Gutachten, mit dem sie sich für eine Beobachtung der Partei entschieden, und das die Unterschrift von Verfassungsschutzchef Haldenwang trug, war tags zuvor auch schon dem Ministerium zugegangen. Per Bote, im versiegelten Umschlag an den zuständigen Referatsleiter, mit der Bitte um Freigabe. Die Erwartung war, dass das nur eine Formalie sein würde.

Aber Seehofer, so zeigen interne Unterlagen, äußerte dann persönlich Zweifel. Mehr als einen Monat lang, bis zum 22. Februar, ließ er das AfD-Gutachten noch einmal überarbeiten. Erst jetzt wird klar, wieso. Die SZ konnte beide Versionen des AfD-Gutachtens des Verfassungsschutzes vergleichen: vor und nach Seehofers Intervention. Dabei sind auffällige Änderungen zutage getreten. Es geht um Slogans wie "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" - Sätze aus dem Repertoire der AfD, die aber auch Seehofer und seiner CSU nicht fremd waren. Das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte etwa die Thüringer AfD, die von dem Parteirechten Björn Höcke angeführt wird, dafür kritisieren, dass sie den Islam pauschal verteufele. […] Doch die Passage wurde nach dem Treffen mit Seehofer gestrichen. […] "Nein. Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Diesen Satz hatte Horst Seehofer selbst am 16. März 2018 in der Bild-Zeitung gesagt und damit eine breite Diskussion befeuert. Ähnlich hatten sich damals auch andere CSU-Spitzenpolitiker geäußert, etwa Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef im Bundestag.


Auch beim Thema Migration schwächte der Inlandsgeheimdienst sein Gutachten nach dem geheimen Treffen mit dem CSU-Minister ab. Ursprünglich wollte der Verfassungsschutz die ablehnende Haltung der AfD gegenüber Zuwanderern als "Belege" für Verfassungsfeindlichkeit anführen. Nach dem Termin mit Seehofer wurde diese Kritik etwas eingeschränkt. […] Als CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident hatte Seehofer 2015 und in den Jahren danach starke Kritik an der Zuwanderungspolitik der Bundesregierung geübt. Mit dem Satz, die Migration sei die "Mutter aller Probleme", geäußert auf einer Klausurtagung der CSU 2018, hatte Seehofer vor Parteikollegen auch das Erstarken der AfD als Konkurrenz zur Union erklärt. Andere CSU-Spitzenleute provozierten ebenfalls mit migrationskritischen Aussagen. "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist", sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer 2016. "Weil den wirst du nie wieder abschieben." […]  

(SZ, 21.01.2022)

Diese Episode ist nur eins der viele Mosaiksteinchen, die uns zeigen, wie überfällig es war, die CDU/CSU-Minister aus der Bundesregierung zu schmeißen.

Schlechter kann die Ampel gar nicht sein und dazu muss ich noch nicht mal extra auf Spahn und Scheuer verweisen.