Freitag, 9. Juli 2021

Negativ-Orden

So wie ich Nationalismus und Patriotismus rundherum ablehne, mokiere ich mich auch über Uniformen und halte das sichtbare Tragen von Orden oder Auszeichnungen für anachronistisch bis lächerlich.

[…..] Our little army boy

[…..] Mourning in the aerodrome

The weather warmer, he is colder

Four men in uniform

To carry home my little soldier[…..]

Give the kid the pick of pips

And give him all your stripes and ribbons

Now he's sittin' in his hole

He might as well have buttons and bows […..]

(Kate Bush 1980)

In Deutschland existiert eine unübersehbare Flut kommunaler, Landes- und Bundes-Auszeichnungen, die sich die Ausgezeichneten insbesondere gern gegenseitig verleihen.

Man lese dazu nur den Wikipedia-Eintrag eines beliebigen Ministers, Bischofs oder Ministerpräsidenten und wird unter dem Punkt „Ehrungen“ eine ganze Liste verschiedenster Preise, Medaillen, Auszeichnungen und Orden finden.

Ich halte mich hingegen an das Hamburgische Motto, das unser großer Bürgermeister Henning Voscherau stets verkündete: „Ein Hanseat nimmt keine Orden an!“

Wir sind das diametrale Gegenteil Wiens, sprechen keine akademischen Titel mit und nehmen Orden erst gar nicht an.

 So inkonsequent, wie ich im Gegensatz zu nationalem Patriotismus augenzwinkernd durchaus Lokalpatriotismus akzeptiere, verstehe ich auch, daß die Stadtväter in Ausnahmefällen alle paar Jahre mal einer außergewöhnlich verdienstvollen Tochter der Stadt, einem Sohn der Stadt ihre Dankbarkeit ausdrücken wollen.   Dafür verfügt auch Hamburg über verschiedene Instrumente; die allerhöchste und bekannteste Auszeichnung ist natürlich die Ehrenbürgerschaft.

[…..] Die Verleihung des Ehrenbürgerrechts, das kein besonderes Recht, sondern eine Auszeichnung darstellt, steht dem Senat zu und wurde ursprünglich allein von ihm ausgeübt […..] Allerdings hatte der Senat bereits bei der Verleihung 1813 die Erbgesessene Bürgerschaft um Zustimmung gebeten, vor allem aber deshalb, um die Genehmigung für das mit der Verleihung des Bürgerrechts verbundene Geldgeschenk einzuholen. […..] Um dieser seltenen Ehrung eine noch größere Bedeutung zu geben, wurde dann im Jahre 1834 die Mitgenehmigung der Bürgerschaft herbeigeführt, ohne jedoch eine Verpflichtung hierzu anzuerkennen. Erst 1890 beschloss der Senat, die Bürgerschaft stets mit einzubeziehen und vorher vertraulich den Vorstand der Bürgerschaft zu informieren, um unliebsame Meinungsverschiedenheiten zu vermeiden. […..] Bei der Ehrenbürgerschaft handelt es sich heute um die höchste Ehrenbezeugung, die die Freie und Hansestadt Hamburg zu vergeben hat; Rechte und Pflichten entstehen hierdurch nicht. [….]

(Hamburg.de)

Als Fußballphobiker verstehe ich zwar nicht wieso „Uns Uwe“ Seeler Hamburger Ehrenbürger wurde, aber von den 36 Persönlichkeiten, die seit 1813 Ehrenbürger wurden, heiße ich die Nachkriegsentscheidungen alle gut.

1983 Helmut Schmidt

1985 Ida Ehre

1986 Gerd Bucerius

1986 Herbert Wehner

1991 Kurt A. Körber

1991 Alfred Toepfer

1993 Rudolf Augstein

1999 Marion Gräfin Dönhoff

2001 Siegfried Lenz

2003 Uwe Seeler

2005 Helmut Greve

2005 Hannelore Greve

2007 Prof. John Neumeier

2009 Loki Schmidt

2013 Michael Otto

 In grauer Vorzeit gab es einige fragwürdige Würden an Top-Militärs und Hochadelige.  (1816 Generalfeldmarshall Fürst Gebhard Leberecht von Blücher, 1871 Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck, 1917 Reichspräsident Paul von Hindenburg). Aber mit den ausgezeichneten Johannes Brahms (1889) oder Johann Smidt (1843) kann man auch heute noch sehr gut leben.  Seit 1978 wurde die Ehrenbürgerwürde in über 40 Jahren nur 15 mal verliehen; das ist sparsam genug.

Was aber eindeutig fehlt ist ein Äquivalent zur „Goldenen Himbeere“, den RAZZIES, die vor der Oscar-Verleihung die schlechtesten Leistungen in Film und Fernsehen benennen.

Wieso haben wir keine Hamburger Versager-Trophäe, die denjenigen überreicht wird, die der Stadt den allergrößten Schaden zugefügt haben?

Drei Preisträger wären sicher.

Ganz weit vorn liegt der jetzt schon legendär katastrophale Di.Mi.Do-Bürgermeister Ole von Beust (2001-2010), der den Senat fast ausschließlich mit Halbkriminellen besetzte, den Herpes-Faschisten Schill zum Bürgermeister machte, den sozialen Wohnungsbau vollständig einstellte, Straßen, Brücken und Siele verkommen ließ, der Stadt 30 Milliarden Schulden allein mit seinem HSH-Nordbank-Desaster aufgehalste, alle im Hamburger Besitz befindlichen Versorgungsunternehmen und Krankenhäuser an CDU-Spezis vertickte, Milliardendesaster Elbphilharmonie, Exodus des Medienstandorts Hamburg, weil die Verlage keinen Ansprechpartner mehr im Senat hatten, Verkauf der städtischen Immobilien und Filet-Grundstücke. Zu allem Überfluss auch noch ein Abrisswahn. Allein für die grauenvoll scheußliche „Europapassage“ gegenüber des Rathauses, ließ von Beust 11 wunderschöne historische Kontorhäuser sprengen. Drei Milliarden Euro wurden auf von Beusts Betreiben mit dem aberwitzigen Kohlekraftwerk Moorburg buchstäblich in die Luft geblasen.

Wir haben es nur unserem Hamburger Ehrenbürger Helmut Schmidt zu verdanken, der sich 2006 energisch Ole von Beust in den Weg warf, daß der CDU-Bürgermeister nicht auch westlich des Rathauses seine grausige Glas-Kubus-Architektur auf dem Domplatz errichtete.

Einen Negativ-Orden hat sich jetzt schon, gerade mal im 13. Amtsmonat der Hamburger Verkehrssenator Anjes Tjarks verdient, der geradezu wahnhaft den Verkehr zu einem immerwährenden Alptraum macht; jeden, der nicht jung und gesund ist, aus der Innenstadt vertreiben will, einen einzigen immerwährenden Stau fabriziert und dazu auch noch manisch Straßengrün abholzt. Der Tort, den Tjarks der schönen Elbmetropole antut, mag noch nicht so brutal wie der Beustsche sein, aber der Grüne ist erst ein Jahr im Amt und bloß Senator. Nach neun Jahren als Regierungschef könnte er Hamburg durchaus zum Totalsanierungsfall runterwirtschaften.

Negativ-Orden Nummer Drei geht an Hadi Teherani. Der Glaskubus-Architekt hat sich Schimpf und Schande für die Verschandelung der Stadt reichlich verdient.

Ich möchte keine nicht verifizierbaren Gerüchte darüber weiterverbreiten, wie Teherani immer wieder von Beust dazu brachte, ihm Großaufträge zuzuschanzen, aber seine Bauten prägen tatsächlich inzwischen das Stadtbild.  Ich erkenne die Teherani-Handschrift von weitem, weil keine anderen Hamburger Häuser derart abgrundtief häßlich sind.  Das Dockland, die tanzenden Türme auf der Reeperbahn, den Berliner Bogen, das Deichtor Center, die Europapassage sind allesamt abscheulich.

„Abscheulich“ ist natürlich meine subjektive Bewertung; ich gebe gerne zu, daß anderen Menschen die Teherani-Architektur womöglich gut gefällt, auch wenn ich noch nie so einen Menschen getroffen habe und weiß, daß Hobby-Architekt Helmut Schmidt jedenfalls nicht dazu zählt.

Design und Kunst sind Geschmackssache.   Unumstritten ist aber, daß die Teherani-Gebäude immer Glasfassaden haben und dadurch erheblich eingeschränkt zu verwenden sind, weil die Wärmeverteilung in den Häusern nie funktioniert.   Sie sind im Winter eiskalt und heizen sich im Sommer derartig auf, daß man in den Bürokomplexen de facto nicht arbeiten kann.

Als die Büros im „Berliner Bogen“ so glutheiß wurden, daß die Angestellten reihenweise kollabierten, erwiderte Teherani schnippisch, es sei eben spießig auch im Sommer tagsüber zu arbeiten. Wenn es so warm werde, sollten die Angestellten doch nachts kommen.

In der fünfstöckigen Europapassage sind die Baumängel so erheblich, daß noch nach Jahren die Läden im obersten Stockwerk Eisbeutel bereithalten müssen, weil sich dort die Hitze staut, während im Untergeschoss so ein eiskalter Zug herrscht, daß die Kunden sich nicht dahin trauen. Die Mängelliste 2007 war so endlos, daß Teherani seinen Mitarbeitern einen Maulkorb verpassen musste.

Außer den praktischen Erwägungen und nicht funktionierenden Temperaturmanagement der immer gleichen eckigen Glasbauten, stellt sich auch die Frage, ob man eigentlich diese totale Transparenz will?
Wieso soll es eigentlich erstrebenswert sein, daß jeder Passant von außen die dort arbeitenden Menschen durch die Glasfassade genau mustern kann?
Ich möchte nicht immer von allen gesehen werden.

Hinzu kommt der allgemein bekannte Klimawandel, der die Sommer immer heißer machen wird. Ist es klug dann immer mehr Gebäude zu bauen, die durch ihre Glasfassaden generell gar keinen Schatten spenden können?

 […..] Wer sich die Poetologie der Maklerbranche ins Gedächtnis ruft, der weiß, dass diese Branche ohne das Wort "lichtdurchflutet" nicht lebensfähig ist.   Auch sie wird in Klimawandelzeiten marketingmäßig umdenken müssen. Vielleicht, es sind gerade die Tage der längsten Sonneneinstrahlung in Deutschland und das Land beginnt wieder mal zu riechen wie früher der von Kaugummiresten und Sonnenmilchtropfen so herrlich verklebte Fußweg zum Dreimeterbrett im Freibad, wird man eines Tages Anzeigen lesen, in denen kellerhaft feuchte und dunkel verschattete Wohnungen, in die sich garantiert niemals ein Lichtstrahl verirrt, angepriesen werden. Diese werden Höchstpreise erzielen, die man sich nur als Vlad der Pfähler (vulgo: der lichtsensible Graf Dracula) leisten kann.   Mit ihm teilt der Autor eine seltsame, womöglich ja krankhafte Neigung: Es ist die Angst vor brütender Hitze, Schattenlosigkeit und die Sehnsucht nach Novemberniesel in hoffentlich bald wieder dunkler werdenden Tagen. Übrigens, stimmt, man sieht ja auch aus wie Knäckebrot und stammt definitiv nicht aus der Karibik. Man ist nun mal kein Freund der Sonne. Weiß aber, dass sie seit Menschengedenken angebetet wird und zum Hotspot der allgemeinen Sehnsucht wurde. "Denn die einen", sagt Brecht, "sind im Dunkeln / Und die anderen sind im Licht." Wer will schon zu den einen gehören? […..] Später schreibt Edith Farnsworth, die erst von Mies begeisterte, dann entgeisterte Bauherrin, grimmig: "Das Haus ist durchsichtig wie ein Röntgenbild ... die Glas-Stahl-Konstruktion ist unbewohnbar." Man sieht sich vor Gericht. Genau dort also, wo seit einigen Jahren auch die Glasarchitekturen New Yorks verhandelt werden - als seien sie die inkriminierten Subjekte in Paul Austers New-York-Trilogie "City of Glass". Auf der Anklagebank: Glas als Baustoff. Bill de Blasio initiiert als Bürgermeister von New York ein Nachdenken darüber, gläserne Hochhausbauten aufgrund ihrer vermeintlichen Energie-Ineffizienz zu verbieten. "Monumente", sagt er, "die unserer Erde schaden - das wird in New York City nicht länger erlaubt sein." […..]   Glas wird zum Dieselskandal der Architektur. […..] so rächt es sich nun, dass Häuser und Städte seit vielen Jahrzehnten die einfache Kunst des Schattenspendens eingebüßt haben: auskragende Dächer, engstehende, einander verschattende Stadthäuser, dicke, daher speichertaugliche Mauern, schattenspendende Begrünung, Wasser, Läden zum Schließen der Fassade, der Wind, der zur Kühlung eingefangen und gelenkt wird: Nichts davon ist neu zu erfinden. Der Süden ist schon lange findig im Umgang mit dem sengenden Glutmonster dort oben. […..]

(Gerhard Matzig, 28.06.2021)