Freitag, 30. Mai 2025

Volksrepräsentanten

Der Deutsche Bundestag ist natürlich viel zu groß. Wir liegen an 19. Stelle der Bevölkerungsgröße; weit hinter Äthiopien, Mexiko oder Ägypten. Da brauchen wir sicher nicht das zweitgrößte, bzw neuerdings das drittgrößte Parlament der Welt.

Rechnerisch kommt ein Abgeordneter des US-„House“ auf 800.000 Bürger. In Deutschland haben beträgt das Verhältnis 1:135.000. Da wäre also durchaus Luft, die Anzahl der deutschen Abgeordneten deutlich zu schrumpfen.

Mit der letzten Wahlrechtsreform, die uns von 736 auf 630 Mandatsträger eindampfte, waren alle unzufrieden.  Der weltweite Durchschnitt der Parlamentarier pro Land liegt bei 245; auf 400 könnten wir also locker runtergehen. Dann müsste man nicht so viele AfDler durchfüttern. Die Diäten sind zwar nicht exorbitant, aber die Pensionsansprüche schon. Da ließe sich zukünftig einiges einsparen.

Passieren wird das natürlich nie, weil jede Verkleinerung zu verwaisten Wahlkreisen führt. Die Betroffenen werden laut aufheulen und in unserem föderalen System gibt es keine Einigung per order di mufti. Die einzig sinnvolle Methode wäre der vollständige neue Zuschnitt der Wahlkreise; aber dazu wird niemand die Kraft finden. Und so werden weiterhin jede Menge sinnlose Hinterbänkler im Bundestag hocken.

Wenn wir aber den Blick auf die Regierungsebene werfen, sieht es schon ganz anders aus. Mit 18 Ministern ist das Merz-Kabinett nicht besonders groß, wenn man es in Relation zu den 84 Millionen Bürgern stellt. Das kleine Israel hat bei einer Bevölkerungszahl von 9,8 Millionen gleich 31 Minister.

Die 18 Merz-Minister stoßen beim Pack schon sauer auf, weil Schröder mit 14 Ministern auskam, Merkel bei 16 und Scholz bei 17 lag.

Das sind Zahlen, die der deutsche Michel sich vorstellen kann. Mehr Minister - Digitales und Staatsmodernisierung unter Karsten Wildberger wurde neu geschaffen – bedeuten mehr Ausgaben für Gehälter und Limousinen und die Flugbereitschaft.

Aber das ist Augenwischerei. Ein Ministergehalt („in Höhe von Eineindrittel des Grundgehalts der Besoldungsgruppe B 11, einschließlich zum Grundgehalt allgemein gewährter Zulagen“, also gut 20.000 Euro brutto) fällt angesichts der 200 Milliarden Euro, die durch Steuerbetrug verloren gehen, der 80 Milliarden, die wir jährlich sinnlos für Gas und Öl rausprassen, des Bundeshaushaltes von 489 Milliarden Euro, der Milliarden Euro, die allein Jens Spahn bei Maskendeals verdaddelte oder den 243 Millionen Euro, die Scheuers geplatzte Pkw-Maut den Bund kostete, wirklich nicht ins Gewicht.

Minister verdienen auch im Vergleich zu kommunalen Leitungsposten – etwa als Chef einer Uniklinik, oder eines Direktors einer Landesbank  - sehr wenig. Mal ganz abgesehen von den Vergleichen zu den zweistelligen Millionensummen, die DAX-Vorstände einstreichen. Die würden für 20.000 Euro gar nicht erst aufstehen.

Wir können natürlich keine Deppenminister wie Katharina Reiche oder Alex Dobrindt gebrauchen. Aber das Gehalt ist wirklich nicht das Problem.

Für gute Arbeit würde ich jederzeit befürworten, 10 oder 20 Minister mehr einzustellen.

Völlig lächerlich ist daher auch die Merzschen Anbiederung an den Urnenpöbel, bei der Abschaffung der „Regierungsbeauftragten“, die er in bester rechtspopulistischer Manier, stets als Auswuchs linksgrüner Selbstbedienungsmentalität gescholten hatte. Da johlte jedes Mal der braune Nius/BILD-Boulevard und viele Bremsspuren in den AfD-Unterhosen wurden ganz feucht vor Glück. Reine Symbolpolitik ohne praktischen Nutzen.

[….] Es ist einer der ersten Beschlüsse der neuen Regierung. 25 Posten von Bundesbeauftragten, Bevollmächtigten und Koordinatoren sollen künftig entfallen. Die Regierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) will ein Zeichen setzen: Wir meinen es ernst mit dem Bürokratieabbau.

Die Streichung vieler Posten hatten Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart, es war vor allem ein Anliegen der CDU. Friedrich Merz sprach schon im Wahlkampf vom "aufgeblähten Wasserkopf in den Berliner Amtsstuben" und sah die Beauftragten "mehr Probleme schaffen, als sie jemals in der Lage sind zu lösen".

Den einzigen Beauftragten, den man wirklich brauche, so Merz damals, sei der Wehrbeauftragte. Alle anderen Aufgaben könnten in Ministerien gelöst werden.  […] Allerdings sind nur ein Teil der jetzt gestrichenen Posten Ämter, die von früheren Regierungen zusätzlich geschaffen und mit Personal ausgestattet worden sind. Andere wurden hingegen von Beamtinnen und Beamten ausgeübt, die ohnehin für das jeweilige Ministerium tätig waren.

Daher dürfte die Streichung kaum Kostenersparnis bedeuten, sondern ist eher ein Signal für eine anderen politischen Kurs. Denn es bleiben auch nicht nur der Wehrbeauftragte, sondern 17 weitere Posten. Darunter der Beauftragte für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus, der Opferbeauftragte oder der Bundesdatenschutzbeauftragte.  [….]

(ZDF, 07.05.2025)

Das Streichen von „Beauftragten-Posten“ nützt also finanziell (fast) nichts, kann aber dafür politisch und ggf moralisch, erheblichen Schaden anrichten. Aber das übersieht Merz selbstverständlich, weil er dazu als Politiker generell zu unfähig ist und nicht weiter als bis zu seiner Nasenspitze denkt.

[….] Die neue Bundesregierung weigert sich, die Stelle des Antiziganismus-Beauftragten neu zu besetzen. [….] Keinen Monat ist es her, dass der neue Bundesinnenminister Alexander ­Dobrindt (CSU) die Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität vorstellte. Während zu Recht viel Aufmerksamkeit bekam, dass die Fälle rechtsextremer Gewalt in letzter Zeit massiv zugenommen haben, genauso wie die Zahl antisemitischer Taten gestiegen ist, blieb weitgehend unbeachtet, dass auch bei antiziganistischer Gewalt ein Höchststand verzeichnet wurde.

Das ist bezeichnend für ein gesellschaftliches Problem, das ständig ignoriert wird. Doch statt dagegen anzugehen, schafft die schwarz-rote Bundesregierung nun de facto das Amt des Antiziganismus-Beauftragten ab. Zwar spricht das beim zuständigen Familienministerium niemand so klar aus, stattdessen heißt es nur, die derzeit vakante Stelle werde nicht nachbesetzt.

Antiziganismus zieht sich durch die Gesellschaft. Er findet sich auch in Milieus, in denen andere Formen des Rassismus oder Antisemitismus weitgehend tabuisiert sind. Formen nimmt er an in offener Gewalt, in struktureller Benachteiligung, in herabwürdigenden Medienbeiträgen, verächtlichen Sprüchen oder diskriminierenden Polizeipraktiken. Und er hat eine lange, tragische Tradition. Nazideutschland und seine Helfer ermordeten während des Zweiten Weltkriegs rund 500.000 Sinti*zze und Rom*nja in Europa.

Dieser Genozid ist bis heute nicht gut erforscht und ist vielen Menschen noch nicht einmal bekannt. Wie wichtig die deutsche Gesellschaft die Erinnerung daran nimmt, erkennt man am Umgang mit dem Mahnmal für diese Verbrechen in Berlin. Für den Ausbau einer S-Bahn-Strecke sollte der erst vor wenigen Jahren eröffnete Erinnerungsort in Berlin weichen. [….] So wird klar, wohin es beim Minderheitenschutz gehen dürfte: in die falsche Richtung.  [….]

(Frederik Eikmanns, 30.05.2025)