Freitag, 20. Februar 2015

Grüne Quo Vadis?


Wenn Wahlforscher aus Umfragen und Nachwahlbefragungen die Zusammensetzung der Wählerschaft analysieren, gibt es doch signifikante Unterschiede.
CDU-Wähler haben den niedrigsten Bildungsstand, Linken-Wähler haben das niedrigste Einkommen, FDP-Wähler sind tatsächlich hauptsächlich Kleinselbstständige wie Apotheker und Makler. Das höchste Einkommen haben inzwischen die Grünenwähler.
Sie sind deutlich wohlhabender als die Anhänger der „großen“ Parteien.
Logisch. Sie wurden vor 30 Jahren als Studenten für die Grünen sozialisiert und leben heute weitgehend als promovierte Doppelverdiener in den Vorstädten.
Da lebt man in einem schönen Haus, mehreren Autos – darunter natürlich eins mit Hybridantrieb, kauft beim teureren Bioschlachter – auf Fleisch verzichten will man doch nicht, isoliert seine Bude, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren –verzichtet allerdings nicht auf die mindestens drei Flug-Urlaubsreisen pro Jahr, bei denen man auf einen Schlag 100 mal so viel CO2 durch verbranntes Kerosin in die Atmosphäre einbringt, wie der Hybridwagen in zehn Jahren spart, man fühlt leidenschaftlich mit den armen Bürgerkriegsflüchtlingen mit – will die aber im Zweifelsfall nicht unbedingt genau neben sich wohnen haben (wegen der Grundstückspreise und so), man lehnt immer noch das Spießertum ab, traut sich im Jack Wolfskin-Outfit zur Arbeit, aber als Ü40er klopft man wieder bei der Kirche an, die doch auch so viel Gutes tut und außerdem irgendwo vor vier Jahren schon ein lesbisches Paar gesegnet hat; leidenschaftlich frönt man den medizinischen Ratschlägen von Heilpraktikern, Homöopathen, Akupunkteuren und Kinesiologen – legt aber Wert auf seine private Krankenversicherung, weil man nicht unbedingt mit dem Plebs zusammen in einem Zimmer hocken möchte, wenn man wegen des eingewachsenen Zehennagels mit dem Chefarzt spricht; man bejaht Inklusion und frühkindliche Bildung, fürchtet aber immer stärker, die Abkehr vom Frontalunterricht, Sitzenbleiben und Noten bei 6-Jährigen könnte der eigenen Brut irgendwie schaden.

Es passt eigentlich, daß sich Grüne im Saarland, in Hamburg und in Hessen lieber an die CDU pressten, statt irgendwas Linkeres in die Regierung zu bringen.
Bei Schwarzgrün kann man das ökologische Fähnchen hochhalten, ohne daß die gesettleten Grünenwähler sich ernsthafte Sorgen machen müssen ihrem Lebensstil werde etwas zugemutet.
Da werden grüne Kerninhalte nicht nur bis zur Unkenntlichkeit verbogen, sondern in ihr diametrales Gegenteil verkehrt.
Schwarzgrün ist für die grünen Großväter mit Doktor-Titel und mit fünfstelligen Monatsgehalt sehr viel angenehmer, als die Thüringer Variante mit den quirligen Linken, bei denen sich noch echte Fundamentalpazifisten tummeln, die gar keine Waffenexporte, gar keine Kriegseinsätze akzeptieren und ernsthafte Umverteilung anpeilen.

[…] Die hessische Koalition mit der CDU ist für die Grünen ein Modell für die Bundestagswahl 2017 - Pannen und Fehler schweigen sie deshalb tot. […] Die Grünen? Das ist der Atomausstieg. Über Jahrzehnte hat die Partei dafür gekämpft, die deutschen Kernkraftwerke abzuschalten. […] Diese Glaubwürdigkeit setzen sie nun aufs Spiel.
In Hessen beweisen die Grünen seit einem Jahr, dass Schwarz-Grün funktionieren kann. So wollen sie sich eine Chance eröffnen, 2017 auch im Bund mit der Union regieren zu können. Doch bevor es mit Angela Merkel in Berlin etwas werden kann, muss es mit Volker Bouffier in Wiesbaden klappen. Die hessischen Grünen mit ihrem Vize-Ministerpräsidenten Tarek Al-Wazir an der Spitze haben dafür ein Rezept: Was stört, wird ignoriert.
Ministerpräsident Volker Bouffier hatte in der vergangenen Woche vor CDU-Kommunalpolitikern grundsätzliche Bedenken gegen den Verlauf der geplanten Stromtrasse "SuedLink" geäußert. Prompt kassierte er von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im SPIEGEL einen Rüffel, weil die Trasse zentraler Bestandteil der Energiewende ist. Und was machen die hessischen Grünen? Sie schweigen.
Auch die Bundes-Grünen sind nicht mutiger: Wer auf das Problem mit Bouffier und der Trasse angesprochen wird, gibt sich ahnungslos, verweist auf windelweich relativierende Sätze des hessischen Regierungssprechers oder darauf, dass sich doch auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer seit geraumer Zeit gegen den Leitungsausbau stelle. […] Noch im Landtagswahlkampf waren die Grünen hier vehement gegen ein drittes Terminal für den Frankfurter Flughafen eingetreten. Jetzt sitzen sie in der Regierung - dass das neue Terminal kommt, scheint inzwischen klar.
Mittlerweile wirkt die Politik grüner Minister in Hessen so wie die der Konkurrenz: Wie der SPIEGEL berichtet, hat Umweltministerin Priska Hinz Behörden-Warnungen vertuscht, wonach die Salzabwässer des Konzerns K+S eine größere Gefahr fürs Grundwasser bedeuten, als bisher bekannt. Wirtschaft vor Öko. […]

Grüne Parteitage, die im Chaos unterzugehen drohten, weil sich Fundis und Realos leidenschaftliche Debatten lieferten und nebenher noch die Weltrevolution planten sind lange vorbei. 

Obschon sie fünf Jahre lang Bundesvorstandssprecherin war, trat Jutta Dittfurth bereits vor 24 Jahren (sic!) bei den Grünen aus. Mit Angelika Beer kehrte eine weitere Grünen-Chefin der Partei den Rücken und sitzt heute für die Piraten im Kieler Landtag. Der ehemalige Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion Thomas Ebermann verließ die Partei 1990. Harald Wolf, prominentes Grünen-Mitglied der Berliner AL, sagte ebenfalls 1990 „Tschüß“ und war später, von 2002 bis 2011 Berliner Wirtschaftssenator und Bürgermeister für die LINKE.
Im Mai 1999 traten die fünf Bürgerschaftsabgeordneten Susanne Uhl, Heike Sudmann, Norbert Hackbusch, Lutz Jobs und Julia Koppke geschlossen aus Protest gegen den Kosovokrieg aus der Hamburger GAL-Fraktion aus.
Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof und prominente Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković trat 2005 bei den Grünen aus und wechselte zu den Linken.

Ein Dilemma, denn mit jedem Austritt haben es die neokonservativen Grünen-Führer Özdemir, Peters, Hajduk, Al-Wazir, Kerstan, Fegebank, Göring-Kirchentag, die russophoben Bellizistinnen Marie-Louise Beck und Rebecca Harms, sowie Hofreiter leichter sich an die CDU ranzurobben.

Generell muß man aber zugestehen, daß die Grünen bemerkenswert ruhig die Metamorphose ihrer Partei hinnehmen.
Die SPD mußte in der Zeit das Aufkommen der WASG aus ihrem Fleische ertragen und wird heute noch täglich für Hartz IV gescholten, während niemand den Grünen die Arbeitsmarktreformen verübelt – obwohl Rezzo Schlauch, Joschka Fischer, Corinna Scheel, Margaretha Wolf, Fritz Kuhn und Oswald Metzger sogar noch vehementer für die Arbeitsmarktreformen eingetreten waren, als SPD-Politiker.

Offensichtlich passte der Wandel und zunehmende Wohlstand der Grünen-Basis besser zur Veränderung ihrer Politik als das bei der SPD der Fall war.
Die Sozis leiden unter einer generellen Auflösung ihrer klassischen Milieus.
Die SPD-Wählerschaft ist heute womöglich die Heterogenste aller Parteien, so daß sie auch immer wieder den stärksten Widerstand aus ihren eigenen Reihen aushalten muß.

In der vierten Dekade ihres Bestehens geht es den Grünen demoskopisch besser denn je. Sie haben kaum jemals Probleme in einen Landtag einzuziehen, sind im Bund stabil zweistellig und stellen inzwischen sogar Großstadtbürgermeister und Ministerpräsidenten.

Erstaunlich, daß es doch noch so etwas wie ein kleines gallisches Dorf in der Grünen-Basis gibt.
Der vielgescholtene Trittin, den ich für einen der meistunterschätztesten Politiker Deutschlands und den besten Umweltminister in der Geschichte der Bundesrepublik halte, soll nun wieder aus dem Abklingbecken geholt werden.
Hört, hört!

[…] Bei den Grünen rumort es: In einem Brandbrief an die Partei- und Fraktionsführung mahnen Basisvertreter einen linkeren Kurs an. Sie verlangen mehr sozialpolitische Akzente, eine Absage an Ukraine-Waffenlieferungen - und ätzen gegen Schwarz-Grün.
[…] Das Schreiben von linken Basis-Grünen, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, und den Adressaten am Sonntagabend zugehen soll, mahnt die Partei- und Fraktionsführung zu einer deutlichen Kurskorrektur.
Inzwischen unterzeichneten das als "Offener Brief" deklarierte Papier mehr als 200 Mitglieder, darunter auch Mandatsträger wie Silke Gajek, Schweriner Landtagsabgeordnete und ehemalige Spitzenkandidatin in Mecklenburg-Vorpommern. […] Die Verfasser eint die Sorge, dass sich die Partei zu weit in die politische Mitte bewegt und sich damit von grünen Positionen verabschiedet. "Wir wenden uns an Euch, da wir mit sehr großer Sorge die Entwicklung unserer Partei betrachten und meinen, dass es dringend geboten ist, wieder mehr Visionen zu entwickeln", heißt es zu Beginn des Briefs. "Das Profil unserer Partei wird von einigen immer konservativer definiert und bewegt sich in der öffentlichen Wahrnehmung daher im Parteienspektrum immer weiter nach rechts."
[…] Fest gemacht wird die Befürchtung eines Rechtsrucks vor allem daran, dass die Grünen aus Sicht der Verfasser die Sozialpolitik vernachlässigten. Man werde inzwischen "nicht als soziale Partei wahrgenommen, und das ist ein sehr großes Problem", heißt es. "Es ist sehr wichtig, über Tierschutz oder gutes Essen zu sprechen, nur, arme Menschen haben ganz andere Probleme, auch diese müssen wir aufgreifen." Zuletzt hatte die Grünen-Führung einen großen Schwerpunkt auf das Thema "Gute Ernährung" gelegt.
Auch in der Friedenspolitik sehen die Verfasser Korrekturbedarf, was sie am Beispiel des Ukraine-Konflikts erläutern. Auf dem Bundesparteitag vergangenen November habe man "klar beschlossen, dass es eine Lösung ohne Waffen geben muss, und wir fragen uns, wozu sind Beschlüsse gut, wenn sie scheinbar niemanden interessieren." In der Ukraine-Debatte haben in den vergangenen Wochen auch Grünen-Politiker Sympathien für Waffenlieferungen erkennen lassen.[…]

Eine Spaltung der Grünen!
Das wäre doch mal was.
Kommt es womöglich zu einer Wiederbelebung des alten Dittfurth-Plans einer „ökosozialistischen Linken“, die bisher nie über den Status einer Splitterpartei hinauskam?
Für Frau Merkel wäre das wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag:
Eine weitere Zersplitterung im linken Parteienspektrum würde der SPD das Regieren noch einmal erheblich schwerer machen und sie hätte in den rundgelutschten christlichen konservativ tickenden Rudimentgrünen einen perfekten weiteren Mehrheitsbeschaffer.

Basis-Grüne warnen vor Rechtskurs
In einem offenen Brief sprechen sich Parteimitglieder gegen eine Koalition mit der Union aus
[…] »Wir werden spätestens in 15 bis 20 Jahren eine Welle von Rentnerinnen und Rentnern bekommen, die auf Grundsicherung angewiesen sein werden«, heißt es in dem Schreiben. Um dies zu verhindern, sollen die Grünen aus Sicht der Unterzeichner die soziale Frage wieder stärker in den Fokus ihrer Politik stellen. Doch der geforderte Kurswechsel ist derzeit nicht in Sicht. »Die Sozialpolitik wurde bei uns – zumindest in den öffentlichen Kampagnen, aber auch auf der letzten BDK – weitgehend ignoriert«, kritisieren die Basis-Grünen.
[…]  Eine Koalition mit der Union, wie sie derzeit in Hessen regiert, würde im Bund zum Untergang der Grünen führen. Das »überlebt diese Partei nicht«, heißt es in dem Brief.
Auch mit der Außenpolitik gibt es eine große Unzufriedenheit. Das beziehen die Basis-Grünen vor allem auf den Konflikt in der Ukraine. Nationalistische und rechte Kräfte seien dort indirekt von den Grünen unterstützt worden, indem ihre Rolle nicht ausreichend kritisiert und ihre Existenz zum Teil sogar als »russische Propaganda« abgetan worden sei. […]