Montag, 17. Juni 2013

Die „erst recht-oder-gar-nicht“-Regel

Eine meiner Verwandten aus dem deutschen Zweig war 12 Jahre alt, als Hitler Reichskanzler wurde.
Jung und naiv begeisterte sie sich für den BdM und hatte großen Spaß an all den Pfadfinder-artigen Abenteuern.
Als ein ehemaliger Mitschüler sie später auf Fronturlaub besuchte und davon erzählte, daß man den Krieg verlieren werde, war meine Verwandte total geschockt.
Inzwischen 19 oder 20 Jahre alt, war sie immer noch völlig naiv und glaubte ganz selbst verständlich der Propaganda. 
Daß jemand das alles in Frage stellte, war für sie der Anlass zum großen Nachdenken.
Volle 70 Jahre lang tat sie das. A posteriori konnte sie nie verstehen selbst einmal so gutgläubig und naiv gewesen zu sein.
Das sollte ihr jedenfalls eine Lehre gewesen sein; nie wieder würde sie Kriegstreibern auf den Leim gehen, nie wieder würde sie sich selbst vorwerfen müssen nichts unternommen zu haben.

In den 1950er Jahren stand sie an vorderster Front bei den Demonstrationen gegen die Wiederbewaffnung, engagierte sich intensiv für die Trennung von Kirche und Staat, kämpfte für die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren und Widerständlern, arbeitete zusammen mit Gerhard Szczesny in der HU, engagierte sich mit Jean Améry gegen Antisemitismus und für bürgerliche Freiheiten.

Ich halte diese extreme Reaktion für typisch. 
Wenn man mit einem Extrem aufgewachsen ist, wird man entweder im gleichen Sinne indoktriniert, oder aber es kippt ins diametrale Gegenteil.

Ich meine beobachtet zu haben, daß Kinder von Alkoholikern entweder auch zum Suff neigen, oder aber kategorische Abstinenzler werden.

Entweder die Kinder qualmen genauso viel wie ihre Eltern, oder sie finden Zigaretten so ekelhaft, daß sie überzeugte Nichtraucher werden.

Auch umgekehrt wird ein Schuh draus: 
Verdammen die Eltern Zigaretten oder Sex, werden diese Dinge umso interessanter, oder aber die Kinder sind total auf Linie. 
Aber ein gesundes Mittelmaß stellt sich schwer ein.

Mir scheint diese „erst recht-oder-gar-nicht“-Regel insbesondere für streng religiöse Erziehung zu gelten.
Ultra-orthodoxe Juden haben entweder Kinder, die genauso ultra-orthodox sind, oder aber sie steigen völlig aus und werden säkular.

Ähnliches kennt man von Amish oder streng evangelikalen Christen.
Die Kinder steigen ganz aus oder werden genauso fundamental wie ihre Eltern.

Möglicherweise gilt die „erst recht-oder-gar-nicht“-Regel auch bei Bürgerrechten.
Wer einmal unter der massiven Einschränkung von Bürgerrechten gelitten hat, ist entweder abgestumpft und setzt sich später womöglich selbst für Unterdrückung ein.
 Oder er opponiert, begehrt auf und wird zum Bürgerrechtsaktivisten.

Angela Merkel ist eine Frau, die sich mit dem DDR-System offenbar gut arrangiert hat. 
Als Pfarrerstochter durfte sie studieren, wurde FDJ-Sekretärin und rutschte nach der „Wende“ übergangslos in das nächste Parteiensystem, welches individuelle Bürgerrechte immer beschneiden wollte: Die Kohl-CDU.

Heute ist Angela Merkel die CDU. Der Kanzlerinnenwahlverein hat seine Seele verkauft und folgt der Matriarchin in jede Bürgerrechtsschweinerei:
 Lauschangriff, Bundestrojaner, Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung, Genitalverstümmelung gegen das Kindeswohl, Verweigerung voller Gleichstellung Homosexueller, Handel mit Meldedaten, etc.

Merkel ist in der DDR bürgerrechtlich desensibilisiert worden.
Folgerichtig findet die im Stasi-System Aufgewachsene auch nichts dabei, wenn die USA die gesamte weltweite Kommunikation abhören.
Merkel verteidigt Überwachungspläne.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Online-Überwachung aus Sicherheitsgründen verteidigt. Auch Deutschland müsse sich im Internet gegen mögliche Angriffe von Terroristen schützen. "Wir sind darauf angewiesen, dass wir selber aktionsfähig werden und nicht bedingungslos Terroristen ausgeliefert sind. […] Sie verteidigte die Verwendung der von den US-Diensten gewonnenen Informationen, auf die auch Deutschland angewiesen sei. Man wolle den Datenaustausch mit den USA. "Das ist aber davon zu unterscheiden, dass wir Transparenz brauchen", was mit den Daten der Bürgerinnen und Bürger geschehe, betonte sie.
Veröffentlichungen über ein weltweites Programm zum Ausspähen von Internetdaten (Prism) durch den US-Geheimdienst NSA haben eine heftige Debatte ausgelöst. Merkel will das Thema beim bevorstehenden Besuch des US-Präsidenten Barack Obama ansprechen. Der SPIEGEL hatte berichtet, dass auch der Bundesnachrichtendienst (BND) die Überwachung des Internets massiv ausweiten wolle.