Die regulär anstehende Bürgerschaftswahl in Hamburg steht
selbstverständlich im Schatten der eine Woche zuvor stattfindenden vorzeitigen
Bundestagswahl.
Die Aufmerksamkeit für die Wahlen in einer Stadt hält sich überregional in Grenzen,
aber es ist immerhin eine Landtagswahl, die schon über den Bundesrat
bundespolitische Bedeutung hat. Zudem ist Hamburg in mehrfacher Hinsicht ein
Sonderfall. Es ist die
Scholz-Stadt, es ist das einzige Bundesland, in dem es deutliche rotgrüne
Mehrheiten gibt und es ist das ökonomisch erfolgreichste Bundesland.
Man nenne mich Lokalpatriot, aber es bauchpinselt mich schon, wenn im Zusammenhang mit der überregionalen Empörung über den katastrophalen Berliner CDU-Kultursenator Joe Chialo, seine Kürzungsorgien und seine erbärmliche Unkenntnis der Kulturszene, der Hamburger SPD-Kultursenator Carsten Brosda als leuchtendes Gegenbeispiel genannt wird. Nach der ikonisch verehrten Prof. Barbara Kisseler, die Olaf Scholz 2011 als Kultursenatorin in seine Regierung holte, profiliert sich Brosda schon als zweiter absoluter Glückfall mit bundesweiter Ausstrahlung.
Kissler war zum Entsetzen der gesamten Hamburger Kulturwelt am 7. Oktober 2016 im Amt verstorben und galt als unersetzlich. Ihr Staatsrat Brosda musste übernehmen. Der damals 42-Jährige promovierte Kulturwissenschaftler war ein Nobody, gilt heute aber bundesweit als der beste Kulturpolitiker des Landes, wird in Hamburg genauso geliebt, wie seine Vorgängerin. Der Buchautor und Kolumnist wird gelegentlich als „schlauster Politiker Deutschlands“ bezeichnet.
In meiner Stadt wird das durchaus mit Sorge gesehen, weil damit die Gefahr des Abwerbens gegeben ist. Er könnte Staatsminister im Bund werden.
[….] Wenn es nach der Hamburger Kulturszene geht, darf in der Hansestadt auch nach der Wahl gern das meiste so bleiben, wie es ist. Vor allem an der Spitze der Kulturbehörde: Thalia-Intendant Joachim Lux; der sein Theater zwar im Sommer abgibt, aber als Chef des Harbour Front Literaturfestivals nur kurz darauf wieder zum Akteur des lokalen Kulturlebens wird, hofft für 2025 „vor allem, dass es gelingt, Kultursenator Brosda gegen mögliche Verführungen von anderswo in Hamburg zu halten“.
Das Lob seiner Kollegin Amelie Deuflhard (Kampnagel) beschreibt genauer, warum auch andere Interesse an Brosda haben: „Hamburg hat in Sachen Kulturpolitik aktuell deutschlandweit Vorbildfunktion. Wir haben es mit einer Kulturpolitik zu tun, die die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Kultur erkennt, gerade in einer Gesellschaft, die politisch auseinanderdriftet.“ Nicht überall sei es so, dass die Politik Kunstschaffende und deren Arbeit für unentbehrlich hält „und auch ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass künstlerische Arbeit auch entlohnt werden muss“. Im Hinblick auf eine nicht nur von zahlreichen Betroffenen (und übrigens auch von Carsten Brosda) als desaströs wahrgenommene Berliner Sparpolitik betont Deuflhard auf dem Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts im Hotel Vier Jahreszeiten: „In Hamburg gibt es keine Kürzungen in Sachen Kulturförderung, eigentlich ist das selbstverständlich, aber in diesen Zeiten geradezu erstaunlich. Ich gehe davon aus, dass diese hoch erfolgreiche Kulturpolitik auch nach der Wahl fortgesetzt werden wird.“ An der Kunst zu sparen lohne einfach nicht. „Der Verlust würde viel größer sein als der Gewinn.“ […..]
Vorteil Berlin: Sie brauchen sich keinerlei Sorge machen, irgendjemand könnte ihren Chialo abwerben.
Hamburg ist aber auch Opfer seines ökonomischen und kulturellen Erfolges.
In den 1980er Jahren, als ich zur Schule ging, lebten nur 1,55 Millionen Menschen in Hamburg. 40 Jahre später sind wir kurz davor die Zwei-Millionenmarke zu knacken.
[….] Dem Nachkriegsboom folgte ab 1965 eine Phase der Schrumpfung, die insbesondere durch die Abwanderung von Familien ins Hamburger Umland geprägt war. Seit 1987 wächst die Stadt wieder, sieht man von der Korrektur im Rahmen des Zensus 2011 ab. Ende 2022 hat die Einwohnerzahl einen neuen Höchstwert erreicht. Zum Wachstum der letzten Jahre hat vor allem die starke Zuwanderung aus dem Ausland beigetragen. 38 Prozent der Einwohner haben heute einen Migrationshintergrund. Wie die demografische Entwicklung zukünftig aussehen könnte, hat das Statistische Bundesamt in der 15. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung ermittelt. Sofern sich Geburtenrate, Lebenserwartung und Wanderungssaldo moderat entwickeln (Variante 2), würde die Bevölkerungszahl im Jahr 2048 erstmals zwei Millionen überschreiten und anschließend weitestgehend stagnieren. Im Szenario einer relativ alten Bevölkerung (Variante 4) wird hingegen eine niedrige Geburtenrate, eine hohe Lebenserwartung und ein niedriger Wanderungssaldo angenommen. Im Ergebnis würde die Bevölkerungszahl bis 2050 bei 1,9 Millionen stagnieren und anschließend zurückgehen. Bei einer hohen Geburtenrate, einer niedrigen Lebenserwartung und einem hohen Wanderungssaldo (Variante 5, relativ junge Bevölkerung) würden im Jahr 2070 etwa 2,2 Millionen Menschen in Hamburg leben. [….]
Es wohnen also nicht nur gut 400.000 Menschen mehr auf derselben Fläche; nein, sie sind auch noch reicher, beanspruchen mehr Platz pro Person und haben durchschnittlich mehr Autos und Fahrräder als zu meiner Kindheit.
Da muss verdammt viel gebaut und koordiniert werden. Der Rotgrüne Senat tut das; lässt mehr Wohnung als anderswo bauen; setzt auf ultramoderne neue U-Bahnstrecken. Aber wo so viele Baustellen sind, gibt es Stau und Ärger. Zumal unglücklicherweise ausgerechnet der Grüne Verkehrssenator Tjarks eine der ganz großen Schwachstellen des Senats ist.
Natürlich versucht die CDU, die bei der letzten Bürgerschaftswahl unter ihrem knallhart rechtsextremen Chef Christoph Ploß stolze 11% einfuhr, aus dem Baustellen-Ärger und der Parkplatznot ihren Honig zu saugen. Die Wut der Wähler anzufachen, ist das einzige, das ihr bleibt, weil sie keine eigenen Ideen hat und in der Dekade der CDU/Schill-Regierung (2001-2011) so viel katastrophal falsch gemacht wurde (Verkauf der Netze, der Krankenhäuser, der städtischen Immobilien, Landesbank-Desaster, Einstellung des Wohnungsbaus und der Straßensanierung), daß wir heute noch unter den Folgen leiden.
Klar, Verkehr ist ein Ärgernis, aber niemand glaubt ernsthaft, die einseitig auf Verbrenner-Individualverkehr setzende CDU, könnte das Problem lösen.
Der zweite Angriffspunkt ist, wenig überraschend bei den Parteiführern Merz und Linnemann, die Hetze gegen Migranten.
Aber auch das funktioniert nur so mittel in einer so multikulturellen Stadt, die ihren Reichtum den Migranten zu verdanken hat. Zumal neben der Schulpolitik, auch die Hamburger Flüchtlingspolitik als vorbildlich gilt und die Zahlen deutlich zurückgehen.
[….] Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in Deutschland ist deutlich zurückgegangen. Das ist auch in Hamburg spürbar. Rund 16.200 Geflüchtete kamen 2024 in Hamburg an, 2023 waren es noch etwa 23.000.
30 Prozent weniger Geflüchtete, die in Hamburg ankommen - das sorgt für eine leichte Entspannung auch in den Unterkünften. Dort leben inzwischen 1.000 Menschen weniger als 2023, doch noch immer sind 47.000 Flüchtlinge untergebracht. […..]
Der CDU-Spitzenkandidat Thering greift also zum letzten Strohhalm, versucht mit der Angst vor Kriminalität eine Wiederholung des Jahres 2001 zu erreichen, als mit einem künstlich generierten Angstgefühl, der CDU-Bürgermeistermacher Schill in die Bürgerschaft gespült wurde.
Die Zahlen geben es nicht her; die Kriminalität sinkt und ist auf den niedrigsten Stand seit 1990 gefallen. Aber die nicht Hunde und Katzen essenden Migranten in Springfield, Ohio, zeigten es den rechten Parteien: Fakten sind irrelevant, wenn man den Wählern xenophobe Ängste einjagt. Sie fühlen dann nichtexistente Bedrohungen. Also holt nun die CDU den Uralt-Klopfer von den Rotgrünen Laschheit gegenüber Kriminellen hervor.
Zu blöd für die Schwarzbraunen, daß die Kriminalitätsstatistik 2024 insbesondere einen deutlichen Rückgang bei Mord, Totschlag und Einbrüchen ausweist.
[….] In vielen Bereichen ging die Zahl der Straftaten nach Angaben der Polizei zurück, bei Diebstahl oder Wohnungseinbruch jeweils um sechs bis sieben Prozent. Im Bereich Autodiebstahl oder -aufbruch sank sie sogar um 25 Prozent. […..]
Schon im Halbjahr zuvor zeigte die SPD-Politik klare Erfolge mit dem Rückgang der Kriminalität um 5%. Das passt natürlich nicht ins Wahlkampf-Konzept der CDU. Aber da sie auf Ploß-Spahn-Merz-Trump-Pfaden wandelt, greift sie zu einem bewährten Mittel. Sie lügt und wirft denjenigen, die Fakten dagegen stellen, vor zu lügen. Trumpismus pur.
[….] Kriminalität in Hamburg sinkt, bei einigen Delikten ganz besonders. Tschentscher greift Christdemokraten an – und die schlagen hart zurück.
Kriminalität ging 2024 in Hamburg zurück, ganz besonders die Zahl der sogenannten Straftaten gegen das Leben.
Bürgermeister Peter Tschentscher wirft CDU vor, gegen Messerverbot am Hauptbahnhof und im ÖPNV zu sein.
Christdemokraten schlagen zurück und werfen dem Bürgermeister vor, die Unwahrheit zu sagen.
Bürgermeister Peter Tschentscher und sein Innensenator Andy Grote (beide SPD) haben es schon auf dem Neujahrsempfang des Abendblatts angedeutet: Die Kriminalität in Hamburg ist 2024 gesunken. Insgesamt fiel die Zahl der erfassten Straftaten im vergangenen Jahr um rund vier Prozent.
„Die Kriminalitätszahlen sind deutlich zurückgegangen“, sagte Tschentscher im Gespräch mit dem Abendblatt. Das sind zwischen 9000 und 10.000 Straftaten weniger als im Vorjahr. „Natürlich ist jede Straftat eine Tat zu viel“, schickte Tschentscher hinterher, „deswegen gehen wir auch so konsequent dagegen vor.“ [….] Die Kriminalität sei denn auch deutlich niedriger, als sie noch zu CDU-Zeiten gewesen sei, betonte Tschentscher. „Ich wundere mich, wie diejenigen, die diese Entwicklung beklagen, plötzlich das Messerverbot am Hauptbahnhof und im öffentlichen Nahverkehr ablehnen. Da muss ich der CDU wirklich den Vorwurf machen: Man kann nicht einerseits diese Themen immer wieder zu einem Punkt auf der Tagesordnung machen und dann an den richtigen Stellen nicht mitziehen.“ Tschentscher bezog sich damit am Rande des Neujahrsempfangs auf das Messerverbot und das Alkoholverbot, die die Union verhindern wollte.
Das bringt die CDU Hamburg in Rage: Mit diesen Aussagen spreche der Bürgermeister bewusst die Unwahrheit, empörte sie sich postwenden. [….]
(Abendblatt, 13.01.2025)