Sonntag, 5. Februar 2017

Gabriel glücklich



Der Bundesaußenminister und Stellvertreter der Bundeskanzlerin verzichtete vor zwei Wochen auf zwei wesentliche Macht-Instrumente. Das schönste Amt der Welt außer Papst (Müntefering), den Parteivorsitz reichte er genau wie die Position des Kanzlerkandidaten an Martin Schulz weiter.
Damit ist es für ihn endgültig ausgeschlossen selbst einmal Regierungschef zu werden.

Dieses machtpolitische Downsizing scheint aber ähnlich wie seine Magenband-OP vor einem guten Monat durchaus erfolgreich zu sein.
Gabriel wirkt schlanker und fitter, stürzt sich mit Verve ins Außenamt, stößt Diskussionen an.


So negativ Gabriels Umtriebigkeit und die abrupten Meinungswechsel für sein Ansehen als Parteichef waren, so positiv und aufrüttelnd kann diese gedankliche Flexibilität bei den festgefahrenen internationalen Beziehungen und der ultraträgen EU-Außenpolitik sein.

Womöglich werden Politikstudenten in 1000 Jahren lernen, daß Anfang des 21. Jahrhunderts die kurze Übergangsphase, als sich eine Minderheit der Nationalstaaten als Demokratien organisierten, zu Ende ging.
Demokratische Regierungsformen werden einem dann als lächerlich ineffektiv und zum Scheitern verurteilt erscheinen.
 Nur zu verständlich, daß nach der Türkei und Russland, nach Ungarn und Polen, auch die stärkste Demokratie USA ihre Transformation zur Autokratie begann.

Umso wichtiger, wenn mit dem deutschen Außenminister wenigstens einer die trägen Restdemokraten etwas aufmischt.
England hält bedauerlicherweise bereits direkten Kurs auf Präsident Bannons Mastdarm.

Die neue personelle Umtriebigkeit der SPD hat mal wieder eins bestätigt:
Zu behaupten es käme nur auf Inhalte an – über Personalfragen spreche man ganz am Ende – ist reiner Unfug.
Der Urnenpöbel liest keine Parteiprogramme und analysiert keine Koalitionstaktiken.
Der Urnenpöbel ist voreingenommen und entscheidet aus dem Bauch.
Der aufgeklärte, informierte und rational entscheidende Wähler ist bloß ein Mythos.
Die SPD sieht seit vielen Jahren in Umfragen so schlecht aus, weil Gabriel unter Generalverschiss (Kubicki) stand. Ob gerechtfertigt oder nicht. Er konnte machen was er wollte, die Wähler mochten ihn nicht.
Mit seinem Kandidatenrücktritt gibt es nicht einen Millimeter neue Inhalte bei der SPD, aber es zeigt sich eine demoskopische Volatilität, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
In der Kanzlerfrage, der Disziplin, in der Merkel seit zehn Jahren nach Belieben jeden dominiert, liegt sie plötzlich hinten.
Auch die Werte für die Partei SPD, die man gen „Projekt 18“ schwinden sah, schießen hoch.
Als im Juni 2016 der SPD-Vize Olaf Scholz verkündete „SPD kann 30 Prozent plus x schaffen“ wurde er noch allgemein ausgelacht. Was für ein Unsinn. Daran glaubte niemand.
Vier Jahre lang stand die CDU stabil fast doppelt so stark wie die SPD da; auf einmal nähern sie sich an und Merkel wirkt sehr, sehr nackt

[…..] Gabriel nämlich hat die Figur aus dem Spiel genommen, die Merkel unbesiegbar scheinen ließ: sich selbst. Indem er die Bahn für Schulz frei machte, hat er einen anderen Blick auf Merkel freigegeben: auf eine Kanzlerin, der von ihrer eigenen Partei und aus ihrem eigenen politischen Lager über anderthalb Jahre straflos härtester Widerstand entgegengesetzt wurde. Früher galt sie mal als gefährlich. Angeblich pflasterten die Leichen ihrer Gegner ihren politischen Weg. Horst Seehofer hat diesen Ruf zerstört. Keine noch so große Demonstration von Einigkeit der Schwesterparteien im Wahljahr kann das ungeschehen machen. So wenig wie Merkel ungeschehen machen kann, dass sie seinerzeit Horst Seehofer nicht in ihre Entscheidung eingebunden hat, die Flüchtlinge ins Land zu lassen – und der damit auch seine Loyalität entfesselte. Schiffbruch mit Tiger. [….]

Schön für Sigmar Gabriel, der als SPD-Chef und Kanzlerkandidat im Herbst 2017 vermutlich aufgrund eines katastrophalen Ergebnisses der Politik den Rücken gekehrt haben würde.
Nun sieht es eher so aus, als ob er entweder in einer GroKo oder unter einem Kanzler Schulz ab 2018 mindestens das mächtige Außenministerium behalten wird.

Die neuen SPD-Freunde; es gibt Tausende Parteieintritte; stammen hauptsächlich aus dem Fleische Linker und Grüner.
Aber es ist auch möglich, daß einige verblödete AfD-Fans zu Schulz überlaufen, wenn sie denken damit Frau Merkel noch heftiger eins auswischen zu können.

Die fromm-konservative Liane Bednarz gruselt sich schon.

[….] Rein parteipolitisch betrachtet ist das aus liberal-konservativer Sicht kein Grund zur Freude, denn ein Selbstläufer ist die Wiederwahl der CDU-Parteivorsitzenden damit nicht (mehr). Zwei andere Aspekte, die sich aus der hohen Zustimmung für Schulz ergeben, sind jedoch sehr wohl zu begrüßen. Der erste ist demokratietheoretischer Natur. Nichts verspricht den weiteren Aufstieg der AfD, die ihre Gegner auf antipluralistische Weise verächtlich macht, mehr zu stoppen, als die Aussicht auf einen spannenden Wahlkampf mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen. Auch wenn es zwischen Martin Schulz und Angela Merkel gewiss eine größere programmatische Nähe als zwischen, sagen wir Manuela Schwesig und Jens Spahn gibt, sind die Unterschiede gleichwohl beträchtlich, namentlich im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das verspricht Kontroversen. Der anstehende Wahlkampf wird die Unterschiede zwischen CDU und SPD wieder deutlicher zu Tage bringen, als dies bei einem aus Sicht der SPD von vornherein recht aussichtslosen und somit zu wenig Motivation führenden Wahlkampf mit Sigmar Gabriel an der Spitze der Fall gewesen wäre.   Ein lebhafter Wahlkampf wird es der AfD schwerer machen, ihr Lieblingsfeindbild der „Altparteien“, „Konsens“- bzw. „Kartellparteien“ vor sich herzutragen. [….]