Daher schrillten in den gegenwärtigen Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung bei vielen Grünen sofort die Alarmglocken, als offensichtlich wurde, daß ihre Führung maximal intransparent in den gefürchteten Hinterzimmer-Deals die Vizekanzlerschaft für Robert Habeck ausgekungelt hatte. Der Grünen-Chef musste viel Zeit für die Schadensbegrenzung aufwenden.
Daher betonen nahezu alle Politiker, die in Interviews nach möglichen Besetzungen der Kabinettsposten gefragt werden, unisono, es ginge nun aber wirklich nicht um Personalien, sondern um Inhalte.
„Wir wurden gewählt, um unsere Inhalte durchzusetzen. In den Koalitionsgesprächen loten wir aus, in welcher Konstellation wir die meisten von unseren Wählern gewünschten Inhalte durchsetzen können.“
So ähnlich klingen Vertreter aller theoretisch möglichen Regierungsparteien.
Wähler mögen es, wenn ihnen die zukünftigen Minister vorgaukeln, gänzlich altruistisch zu handeln, ihre eigene Karriere nur sehr nachgeordnet zu berücksichtigen.
Alle bis hierher genannten Annahmen sind allerdings meistens unrichtig.
1. Politiker ab Staatssekretärsebene aufwärts können leicht außerhalb der Politik als Berater oder Lobbyist mit viel weniger Aufwand viel mehr Geld verdienen. Geldgier treibt sie also nicht ins Kabinett.
2. Die Mehrheit der Abgeordneten findet keine Zeit für eine
Anhäufung von Nebenjobs wie Lindner oder Merz. Sie konzentrieren sich auf ihren
Job als Volksvertreter.
3. Die korrupten Politiker, die zum Beispiel bei Maskendeals Millionen auf ihre eigenen Konten lenkten, sind fast ausschließlich bei CDU und CSU. Sozis, Grüne und Linke tun das nicht.
4. Nahezu ausschließlich Politiker des rechteren Spektrums – FDP, CDU, CSU, AfD – sind für Bestechungen empfänglich.
5. Die ganz großen Spenden in siebenstelliger Höhe flossen nur an CDU, CSU, FDP und GRÜNE. Linke und SPD bekamen keine derartigen Großspenden.
Die Menschen, die üblicherweise als sympathisch gelten – zurückhaltend, sensibel, uneitel, bescheiden – sind als erfolgreiche Politiker leider ungeeignet.
Ein erfolgreicher Volksvertreter soll die Interessen seiner Wähler effektiv durchsetzen. Dafür braucht es Selbstbewußtsein, Ellbogeneinsatz, den Willen sich in den Mittelpunkt zu stellen, Karrierestreben, ein dickes Fell, Rücksichtslosigkeit und eben auch Eitelkeit.
Vielleicht möchte ich mit so einem nicht unbedingt verheiratet sein, aber als mein Interessenvertreter in Berlin wäre er gut.
Ich begrüße es, wenn Toppolitiker empathisch genug sind, um Nöte der Menschen zu verstehen, mitzufühlen, ergriffen zu sein können, auch mal eine Träne zu vergießen. Sie dürfen aber nicht so sensibel sein, daß sie sich emotional aus der Bahn werfen lassen. Sie müssen viele negative Emotionen und Bosheit aushalten, ohne sich bei ihren Reaktionen von Gefühlswallungen treiben zu lassen. Sie müssen auch unter schwersten Druck, Müdigkeit und persönlichen Angriffen rational verhalten, wie eine Maschine funktionieren.
Einen Menschen mit ausgeprägten Machtstreben, wünscht man sich nicht als Mitbewohner, aber als Politiker ist das ein Plus. Um seine politischen Anliegen – beispielsweise Mindestlohn, Ehe für Alle oder Rüstungsexportstopp – durchzusetzen, muss er nach Macht, Positionen und Posten streben. Außerdem muss ein guter deutscher Politiker so gut wie immer, in der verpönten Gremienarbeit einer Partei zu Hause sein, sich Freundschaften und Gefallen, Unterstützer und Förderer erarbeiten. Er muss zu einem gewissen Grad klüngeln, Strippen ziehen, „Freundschaftspflege“ betreiben. Auch das ist nicht ausgesprochen sympathisch, aber notwendig, um überhaupt in Parlament zu kommen und auf mächtige Posten gehoben zu werden. Nur so kann man Gutes bewirken.
Journalisten versuchen gern in Politiker-Interviews mit platten Gotcha-Fragen, Minister als abgehoben vorzuführen. Wissen sie überhaupt was ein Pfund Butter oder ein Liter Benzin kostet? Das ist albern, denn andererseits erwarten wir von einem Spitzenpolitiker nahezu 24/7 zu arbeiten und nicht seine Zeit mit Einkaufsbummeln zu verdaddeln.
In einer der Spitzenrunden kurz vor der Wahl wurden alle Reihum nach ihren persönlichen Beiträgen zum Klimaschutz befragt. Porschefahrer Linder kauft angeblich so viele Zertifikate, daß er privat ganz klimaneutral ist. Laschet schwärmte von seinem wunderbaren Elektroauto, Baerbock fährt Fahrrad. Da sind die Wähler entzückt. So vorbildlich und wenig abgehoben verhalten sich die Toppolitiker. Wähler denken, es wäre ein Gütezeichen, so wie sie selbst zu sein.
Was für ein Unsinn.
Nur Scholz war so ehrlich, zu sagen, daß Spitzenpolitiker natürlich eine Klimapest sind. Selbst wenn sie mal kameratauglich mit dem Rad ins Ministerium fahren, sind schwer gepanzerte Fahrzeuge und Sicherheitsbeamte dabei. Ob Scholz will oder nicht – Vizekanzler, Finanzminister, Innenminister, Außenminister, Bundespräsident und Kanzlerin gehören zur maximalen Gefährdungsstufe und dürfen gar keine klimaschonenden Kleinwagen mit wenig CO2-Ausstoß fahren.
Man findet es sympathisch, daß Olaf Scholz seine bescheidende Wohnung in Hamburg-Altona behält, daß Angela Merkel privat mit ihrem Mann immer noch in einer Mietwohnung in Berlin-Mitte (Am Kupfergraben 6) wohnt.
Eine wie Du und ich. So normal geblieben. Wie nett.
Ganz so bescheiden ist es aber nicht mehr, wenn man weiß, daß die anderen Wohnungen in dem Haus inzwischen aus Sicherheitsgründen alle geräumt wurden und nun mit Personenschützern und Polizisten belegt sind. Das werfe ich ausdrücklich NICHT Angela Merkel vor. Das ist eine Notwendigkeit. Aber es zeigt, wie absurd es ist, Toppolitikern ein „normales Leben“ anzudichten, anzunehmen, sie lebten bescheiden, wie alle anderen.
Ich war vor ca 20 Jahren in einem klassischen Konzert in der Hamburger Laeiszhalle, als zufällig auch Loki und Helmut Schmidt unter den Zuhörern waren. Hamburger sind bekanntlich zurückhaltend und so wurden die Schmidts in der Pause nicht belagert oder um Autogramme gebeten. Er ging selbst die Treppen zur Lounge hoch, um nur zwei, drei Meter hinter mir für ein Getränk anzustehen. Aber sie waren natürlich nicht allein. Sechs kräftige Frack-tragende Männer mit Knopf im Ohr bildeten so dezent wie es eben geht, wenn man total indezent ist, einen Kreis um ihn. Sein Leben lang gefährdet zu sein, ist ein weiter Grund, weswegen man es sich nicht wünscht ein mächtiger Politiker zu werden. 2010 gelang es einer irren Münchnerin an den Wachen des kleinen Schmidt-Hauses vorbei zu kommen, die damals 88-Jährige Loki Schmidt anzugreifen und zu Boden zu werfen. Da war ihr Mann schon fast 30 Jahre nicht mehr Kanzler. Die Bedrohung ist also sehr real. Nicht nur RAF-Terroristen und NSU-Nazis töten Politiker, auch haufenweise Geistesgestörte sind zu befürchten. Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble haben solche Angriffe nur knapp überlebt.
Es gehört also eine wirkliche physische und psychische Robustheit zum Politikerdasein.
Die Wähler sollten sich also endlich von der infantilen Vorstellung verabschieden, Politiker wären bescheidene Normalos und es ginge bei Koalitionsverhandlungen nur um Inhalte.
Nein, natürlich geht es um Posten, Vertrauensverhältnisse und Machtgefüge. Ich behaupte, die meisten Ministerien könnten relativ ideologiefrei von Politikern der meisten Parteien geführt werden, sogar von einem C-Minister. Wenn aber ein Innen/Bau/Verfassungs/Integrationsminister habituell ein destruktiver Faulpelz wie Horst Seehofer ist, spielt seine Parteizughörigkeit keine Rolle. Er ist kein katastrophaler Minister, weil er in der CSU ist, sondern weil er meistens schwänzt, in Ingolstadt rumlungert und sich um nichts kümmert.
Die Verkehrs/Infrastruktur/Digitalisierungs-Politik der Bundesregierung ist nicht katastrophal, weil dort CSU-Politik betrieben wird, sondern weil Scheuer und Bär zufällig absolut inkompetente, unseriöse Deppen sind.
Auch mit dem alten Koalitionsvertrag von 2018 hätte eine gute Bildungs- oder Infrastruktur betrieben werden können, wenn Merkel dafür sehr kompetente Leute gefunden hätte, statt die Leerköpfe Scheuer und Karliczek auf die Posten zu setzen. Das Pendel schlägt im Moment nicht gen Ampel statt Jamaika aus, weil sich FDP und Grüne über so viele „Inhalte“ einigen, sondern weil die CDU von unseriösen Chaoten geführt wird.
[…..] Der Mittwoch [hat] endgültig offenbart, dass die Union gerade so führungs- und kurslos wie selten in ihrer Geschichte ist. Armin Laschet ist zwar gewählter CDU-Chef, hat aber jede Autorität verloren. Und es gibt weder einen Nachfolger, der sich automatisch aufdrängt. Noch einen Partei-Granden, der den Übergang steuern könnte. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble verliert durch den Wahlausgang nicht nur sein Amt. Weil er es war, der - zusammen mit Volker Bouffier - Armin Laschet als Kanzlerkandidaten letztlich durchgedrückt hat, hat Schäuble große Mitverantwortung für das Fiasko der Union. Das gilt auch für Bouffier, den CDU-Vize und dienstältesten unter den Ministerpräsidenten. […..]
Die CDU verfügt über keinerlei seriöses Personal mehr. Dahinter treten Inhalte zurück und lassen Lindner abrücken.
[….] Bisher ist es vor allem Grünen und Liberalen nicht nur erstaunlich gut gelungen dichtzuhalten, sondern auch ein Wir-Gefühl zwischen einander bis dato nicht eben herzlich zugetanen Parteien keimen zu lassen. Die Indiskretionen aus dem Gespräch von Union und FDP stehen für das Gegenteil. Die inhaltliche Schnittmenge zwischen beiden mag groß sein. Sie ist aber wertlos, wenn die menschliche Grundlage für gemeinsames Regieren fehlt. […..] Für die FDP ist das eine schmerzliche Erkenntnis. Im Wahlkampf hatte sie […..] eindeutig auf eine Jamaika-Regierung […..] unter einem Bundeskanzler Armin Laschet hingearbeitet. Das entsprach den Neigungen nicht nur der eigenen Basis, sondern auch vieler ihrer Wähler. Dazu passend erklang das Mantra, über Regierungsoptionen werde ausschließlich anhand der Inhalte entschieden. So etwas wird gern gehört, ist aber Unfug. Niemand weiß das besser als die FDP, die 2009 eine Verbindung mit ihrem politischen Wunschpartner CDU/CSU einging und dann für vier Jahre Misstrauen und Missgunst mit dem Rauswurf aus dem Bundestag bezahlte.
Tatsächlich wird andersherum ein Schuh daraus. Nur wenn die potenziellen Koalitionäre zu einem ordentlichen Umgang miteinander finden, können sie inhaltliche Differenzen überbrücken und kreative Ideen für ein gemeinsames Regieren entwickeln. Die Union ist vorerst nicht einmal zum ordentlichen Umgang mit sich selbst geschweige denn mit ihrem gescheiterten Kanzlerkandidaten in der Lage. In diesem Zustand ist sie weder den anderen Parteien noch dem Land als Koalitionär zuzumuten. [….]
Die SPD entscheidet sich nur für Koalitionen mit der CDU, wenn es wirklich gar keine andere Möglichkeit mehr gibt. Die Grünen taten das immer wieder aus reiner CDU-Zuneigung, obwohl es linkere Mehrheiten gab.
Auch heute noch werfen sich Grüne in Hamburg und Baden-Württemberg für die CDU in die Bresche, wollen Laschet am Leben halten.
[….] Allerdings [betont] Grünen-Kollege Andreas Schwarz, dass eine Jamaika-Koalition mit der Union noch nicht vom Tisch sei. […..] Grünen-Fraktionschef Schwarz sagte: "Jamaika ist nicht ausgeschlossen." Wichtig sei bei den Gesprächen mit SPD und FDP, dass man beim Kampf gegen den Klimawandel vorankomme. "Aus meiner Sicht muss die Bundesregierung eine Klimaschutzregierung werden." [….]
Die Grünen-Spitze hätte gern Laschet zum Bundeskanzler gemacht, wäre aber ohnehin auf große Probleme bei ihrer Parteibasis gestoßen und hätte auch drastisch Laschet-feindliche neue Umfragen zu überwinden.
Noch entscheidender für die nun startenden Ampel-Verhandlungen sind aber die chaotischen Zustände in der CDU/CSU. Die Union ist in einen Hühnerhaufen-Modus verfallen. Selbst Christian Linder begreift, daß es in dem Fall eben nicht „nur um politische Inhalte“ gehen kann. Ja, seine Wirtschafts- und Finanzpolitik einseitig zu Gunsten der Superreichen ist nahezu deckungsgleich mit Laschets Vorstellungen. Aber wie soll man erfolgreich regieren, wenn die CSU-„Wildsäue“ wie Dobindt und Scheuer mitmischen?
Die Personalien sind wichtiger.
[….] Zwischen Union und FDP brennt es lichterloh […..] In den vergangenen Tagen hatte sich bereits ein Abrücken der FDP von der Union abgezeichnet. Aber jetzt ist die neue Distanz in einer Weise offensichtlich geworden, die einen jeden Glauben daran verlieren lässt, dass die Parteien noch zu einer gemeinsamen Bundesregierung zusammenfinden. […..] Karin Prien, Bildungsministerin in Kiel und Mitglied in Laschets Zukunftsteam, erklärte jedenfalls: "Was für eine charakterlos miese Nummer. Wer jetzt die Vertraulichkeit bricht, handelt vorsätzlich verantwortungslos und verliert jede Legitimation für die CDU zu sprechen." Damit zeigte Prien ganz offen, dass sie das Leck in den eigenen Reihen sieht. Dass am Dienstag auch Details aus dem Gespräch der Union mit dem Grünen bekannt wurden, verstärkte diesen Eindruck noch einmal. […..] Im Ergebnis wird die CDU erneut als eine Partei wahrgenommen, die nicht geschlossen auftritt - und die erst recht nicht gemeinsam und mit Leidenschaft für einen Kanzler Laschet kämpft. In der Union gibt es kein Kraftzentrum mehr. Laschet ist derart geschwächt, dass er seine Partei nicht mehr zusammenhalten kann. […..]
Die wichtigste Personalfrage lautet immer noch „Scholz oder Laschet“. Bei aller CDU-Liebe können Grüne und Gelbe nicht mehr ernsthaft behaupten, Laschet wäre ein besserer Kanzler und Koalitionszusammenhalter als Laschet. Personal geht über Inhalte.
[…..] Hätten die Mitglieder seiner Fraktion einen Wunsch frei, würden die allermeisten "Jamaika" sagen. Mit wachsendem Entsetzen haben die Liberalen aber die Zerfallsprozesse in der Union verfolgt. Das prägt die Stimmung - und verschafft Lindner Spielraum. […..]