Dienstag, 2. März 2021

Ausmendeln

Jimmy Kimmel hatte in seiner gestrigen Sendung vom 01.03.2021 eine dieser wunderbaren Compilations, die aufzeigten wie Dutzende Moderatoren ihre Fernsehsendungen wortgleich mit „Can you believe, it is March?“ eröffneten.

Wir kennen diese Zusammenschnitte endloser gleichlautender Moderatorentexte der Banalitäten seit vielen Jahren; ein Klassiker sind die sensationellen Aufsager über Schnee im Winter.

Solange ich mich zurückerinnern kann, macht man sich lustig über diejenigen, die im Dezember vollkommen überrascht und schockiert feststellen, wie bald schon Weihnachten ist.

Der neue stets gleichlautende Banal-Satz handelt davon, wie sehr einem der Lockdown auf die Nerven geht.

Die Masken, daß man nicht essen gehen kann, daß die Läden geschlossen sind.

 Was für eine Null-Aussage. Als ob irgendjemand Vergnügen dabei empfände das soziale, kulturelle, gastronomische und ökonomische Leben drastisch runterzufahren. Als ob irgendjemand gern mit der Angst vor Ansteckung und dem Tod älterer Freunde lebte.

Die Entscheidung über die Maßnahmen gegen die Pandemie darf aber nicht von Frust und persönlichem Gefühlen gelenkt werden.

Es gilt vielmehr die sozialen und ökonomischen Folgen der Maßnahmen mit denen des Nichthandelns abzuwägen.

Der lockere Herdenimmunitätsweg, den zunächst England und noch viel länger Schweden einschlugen, gilt immerhin klar als gescheitert.

Nichts tun ist keine Option.   Außerdem kennen wir die Methoden, mit denen Taiwan oder Neuseeland viel besser als andere Länder durch die Pandemie gekommen sind: Sehr strikte und konsequente Maßnahmen.

Glücklicherweise haben wir nicht nur vage Modelrechnungen und furchtsame Zukunftsabschätzungen, sondern auch harte Kriterien wie die Impfquote, den R-Wert, Schnelltest-Verfügbarkeit und die Siebentage-Inzidenz.   Harte Kriterien, die angesichts einer Vielzahl sehr viel ansteckenderer Sars-CoV2-Mutanten absolut keinen Anlass geben, nun mal die Zügel schleifen lassen zu können.

[….] Als die Bundeskanzlerin Angela Merkel im April 2020 den Begriff "Öffnungsdiskussionsorgien" prägte, lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei 20, binnen einer Woche hatten sich in Deutschland also je 100 000 Einwohner 20 Menschen neu mit dem Coronavirus infiziert. Die Forderungen vieler Ministerpräsidenten nach Lockerungen waren Merkel damals zu voreilig - trotz sinkender Fallzahlen. Heute liegt die Inzidenz bei 67, Tendenz steigend. Zugleich dürfen vielerorts Grundschulen und Kitas, Friseursalons und Gartencenter aufmachen, am Mittwoch wollen die Ministerpräsidenten über weitere Öffnungspläne beraten. Wie passt das zusammen?

Betrachtet man die Metriken, die den Verlauf der Pandemie bestimmen, so gibt es auf diese Frage nur eine passende Antwort: gar nicht. So zeigt die Simulation des Pharmazie-Professors Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes vom vergangenen Mittwoch: Bleibt das Infektionsgeschehen konstant, wird also nicht gelockert, so würde die Inzidenz weiter ansteigen und läge Anfang April bei etwa 100. Bei leichten Lockerungen, wie sie nun bereits in Kraft getreten sind, könnten die Fallzahlen deutlich schneller ansteigen. Dies deckt sich mit SZ-Berechnungen, die bei gleichbleibenden Maßnahmen Anfang April eine Inzidenz zwischen 100 und 600 ergeben. [….]

(SZ, 02.03.2021)

Warum reden wir also überhaupt darüber den Lockdown zu beenden? Warum sind uns Frisuren so wichtig, daß wir dafür viel mehr neue Tote riskieren?

Die Antwort ist klar: Weil wir doof sind.

Menschen, Regierte und Regierende, sind keine rein rationalen Wesen, sondern sie werden von Gefühlen und Irrationalitäten geleitet.   Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in den letzten Wochen „ich gucke keine Corona-Meldungen mehr“ gehört habe.

Sie können und wollen es nicht mehr hören und reagieren, indem sie keine Zeitung mehr lesen, Nachrichten in TV und Radio einfach abschalten.

Wenn ein Volk mit Vogel-Strauß-Methoden auf eine Seuche reagiert, die bisher mehr als 2,5 Millionen Tote forderte, möchte man nicht gern Politiker sein, der an der Realität ausgerichtet entscheidet.

Es stimmt wenig optimistisch, wenn ausgerechnet der mutmaßlich nächste Kanzler, ein sehr schwerer Religiot, immer als erstes die Nerven verliert und kontrafaktisch daherredet.



Noch weniger rational verhalten sich die noch Rechteren.

Verschwörungstheoretiker, AfDler, Aluhüte, Pegidioten, Querdenker.

Wo es die meisten von ihnen gibt; nämlich in den Ost-Bundesländern, sterben auch die meisten Menschen an Covid19.

[…..] Obwohl in einem Teil des Jahres 2020 wegen der Pandemie strikte Auflagen herrschten, ist die Zahl extrem rechter Aufmärsche und Kundgebungen im Vorjahresvergleich angewachsen  […..] Im vergangenen Jahr fand bundesweit an jedem zweiten Tag mindestens ein extrem rechter Aufmarsch oder eine entsprechende Kundgebung statt. […..] Mit insgesamt 147 Aufmärschen und Kundgebungen liegt die Zahl trotz Pandemie über der aus dem vorangegangenen Jahr. 2019 wurden 124 solcher Veranstaltungen gezählt, 2018 waren es noch 195 Aufmärsche und „Gida-Treffen“ gewesen. […..] Mit 36 die meisten Aufmärsche und Kundgebungen zählten die Behörden 2020 in Sachsen, in Sachsen Anhalt waren es 33 und in Nordrhein Westfalen 19 Aufmärsche und Kundgebungen. Der größte extrem rechte Aufmarsch fand mit ca. 1.300 Teilnehmern am 15. Februar 2020 in Dresden statt. Im November folgten etwa 550 Personen im sächsischen Aue einem Aufruf der NPD und am 3. Oktober kamen etwa 320 Neonazis zu einem Aufmarsch der Partei Der Dritte Weg in Berlin. […..]

(Kai Budler, 02.03.2021)

Sofern die Alten und Vulnerablen langsam endlich mal durch Impfungen geschützt sind, kann ich den Rechtsextrem-Verwirrten nur zurufen: Weiter so!

Trefft Euch maskenlos und ohne Abstand in dichten Pulks und versucht Euch gegenseitig.

Da trifft es keinen Falschen. Wenn überproportional viele von denen wegsterben…,