Mir
tut heute noch Franz Müntefering Leid, den vor der Erfindung des Ausdrucks „Shitstorm“
ein solcher ereilte, nachdem er 2005 beklagt hatte es sei unfair die Parteien
immer an den Wahlversprechen zu messen.
Das
wollten alle nur zu gerne falsch verstehen.
Gemeint
hatte der damalige SPD-Chef natürlich nicht, daß Parteien generell lügen.
Vielmehr beklagte er die Zwänge einer großen Koalition, in der die SPD zu allem
Übel auch nur Juniorpartner war.
Natürlich
kann ein Koalitionsvertrag nicht zu 100% dem Wahlprogramm einer Partei
entsprechen.
Viele
Köche haben in den Koalitionsverhandlungen die Chance den Brei zu verderben.
Ausnahmen
gibt es nur, wenn zufällig alle Koalitionsparteien gleichermaßen lobbyhörig
sind und über keinerlei Rückgrat verfügen.
So
wurde die Hotelsteuerermäßigung von Schwarzgelb im Rekordtempo durch gewunken.
Einen
ähnlichen Fall erleben wir gerade bei den Bundesanleihen für Privatkunden.
Diese konnten gebührenfrei Bundesschatzbriefe kaufen, ohne daß die Banken daran
mitverdienten. Den Banken war dadurch eine Konkurrenz zu ihren eigenen
Produkten entstanden.
Sie wünschten sich daher von ihrer Bundesregierung diesen
Service für Kleinsparer einzustellen.
Union und Liberale parierten.
Der Bund brüskiert die Privatkunden der Deutschen Finanzagentur. Gestern wurden die Kleinanleger überraschend auf der Homepage des Schuldenmanagers informiert, dass sie künftig unerwünscht sind. […]Der Ausbau des Privatkundengeschäfts wäre der richtige Weg gewesen. Wohlbedacht hatte der Bund vor mehr als 40 Jahren erstmals Bundesschatzbriefe aufgelegt. Er wollte sich nicht einseitig von den Kapitalmärkten abhängig machen.Gegenüber den Kunden ist die Entscheidung eine Unverschämtheit, der Zeitpunkt könnte nicht schlechter gewählt sein. […] Triumphieren kann nun die Finanzlobby. Die Banken haben die Konkurrenz nie gemocht und hinter den Kulissen stets dagegen gewettert. Vor ihnen ist Berlin eingeknickt.
In
Frankreich ist gibt es das Koalitionsproblem nicht.
François
Hollande ist mit absoluter Mehrheit direkt gewählt worden und in beiden
französischen Parlamentskammern erlangte seine sozialistische Partei ebenfalls
die absolute Mehrheit.
Nach
so einem Durchmarsch erinnert man sich an die Wahlversprechen ziemlich genau.
Mit 75% wollte der Kandidat Hollande „die Reichen“ besteuern.
Das
Volk gab dazu sein Plazet.
Im
Ausland und in der französischen Presse konnte man sich nicht vorstellen, daß
ein solcher Prozentsatz tatsächlich realisiert würde.
Das sei Wahlkampfgetöse.
Durchsetzbar
sei so ein Gesetz keinesfalls, da sonst alle französischen Millionäre aus dem
Land fliehen würden.
Das
ist Totschlagargumentation, um gleich solchen Vorschlägen den Wind aus den
Segeln zu nehmen.
Der
französische Premierminister Jean-Marc Ayrault scheint sich aber nicht um diese
Unkenrufe zu kümmern und tatsächlich den 75%-Spitzensteuersatz einführen zu
wollen.
Interessant.
Falls
anschließend doch noch reiche Franzosen im Land bleiben sollten, würde es auch
für die Steuersenkungsfanatiker aus der neoliberalen Ecke in Deutschland
schwieriger werden.
In einer teilweise dramatischen, von Beifalls- und Buhrufen unterbrochenen Rede warnte der Sozialist Ayrault vor den Folgen der übermäßigen Staatsverschuldung. Während der vergangenen fünf Jahre unter dem konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy habe die öffentliche Verschuldung um 600 Milliarden Euro zugenommen. Der Schuldendienst sei der größte Posten im Staatshaushalt. 'Diese Situation akzeptiere ich nicht.' Ein verschuldetes Frankreich sei ein abhängiges Frankreich. Die heutige Generation dürfe Kindern und Enkeln keine erdrückenden Lasten hinterlassen. Um die öffentlichen Finanzen zu sanieren, setzt Ayrault auf einen Mix aus Einsparungen und Steuererhöhungen. […] Der Premier nannte eine höhere Einkommensteuer für Höchstverdiener. Von einer Million Euro Jahreseinkommen an soll ein Spitzensteuersatz von 75 Prozent gelten. Zudem würden große Vermögen, Banken und Ölkonzerne stärker belastet. Kapitalerträge sollten wie Arbeitseinkünfte besteuert werden. Arme Bürger, aber auch die Mittelschicht, würden von Steuererhöhungen verschont.(Stefan Ulrich 04.07.12)