Freitag, 11. Mai 2018

Hätte, hätte, Fahrradkette.


Martin Schulz war wirklich ein extrem unglücksseliger Kanzlerkandidat.
Er jammerte, beklagte sich ständig ungerecht behandelt zu werden, konnte gar nicht begreifen, daß irgendjemand gegen ihn war, schließlich findet er sich selbst ganz großartig.
Es ist nach wie vor atemberaubend und surrealistisch was uns Markus Feldenkirchen in „Die Schulz-Story“ vor Augen führt.
So viel dadaistische Unfähigkeit wie im Willy-Brandt-Haus kann man sich gar nicht vorstellen.
Während Peer Steinbrück sich 2013 noch gegen die radikal verblödete Kampagne unter der hoffnungslos überforderten Debakel-Generalin Nahles wehrte und verzweifelt versuchte die Querschüsse von Parteichef und Urnengift-Andrea zu unterbinden, war Schulz selbst Parteichef und hatte alle Freiheiten.
Aber er suchte mit viel Mühe und Akribie Möglichkeiten sich selbst ins Knie zu schießen, indem er beispielsweise denjenigen, der als Generalsekretär die Bundestagswahl 2009 zum schlechtesten SPD-Ergebnis aller Zeiten ritt, erneut zum Generalsekretär bestimmte. Und Heil lieferte; unter seiner WBH-Führung debakulierte sich die SPD sogar noch unter den Wert von 2009; nur noch 20,5%.

Die ganz große Tragik ist aber, daß Martin Schulz als sozial, international und europäisch denkender Mensch doch noch klar besser gewesen wäre als Phlegma-Merkel der Kanzlerjahre 13-16.

Sein Macron-Namedropping war mehr als peinlich, aber Recht hatte er dennoch: Die einzige Chance für Europa und womöglich sogar die einzige Chance für Frieden in der Welt, ist jetzt der ganz intensive Schulterschluss zwischen den EU-Mächten.
Sie müssen einen monolithischen Block gegen den großen Antagonisten USA bilden.
Das Iran-Desaster zeigt sogar, daß die notorischen Washington-Poodle in London fest an der Seite Europas gegen Trump stehen.
Ein auch nur halbwegs zurechnungsfähiges Kanzleramt stünde schon seit einem halben Jahr an der Seite des Élysée-Palasts und würde den Macron-Weg für Europamitgestalten.
Stattdessen sitzt aber die womöglich schon lange entschlafene Merkel im Kanzlersessel und blockiert, moniert, verhindert, nörgelt, bremst, verneint.

[…..] Die Verleihung des Karlspreises nutzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für Klartext - nicht alles dürfte Angela Merkel gefallen haben. Angesichts der Entfremdung mit den USA mahnt er zum Handeln.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Deutschland einen zu strikten Sparkurs und mangelnden Mut bei der Reform Europas vorgeworfen.
Bei der Entgegennahme des Internationalen Karlspreises in Aachen forderte Macron die Bundesregierung am Donnerstag zu höheren EU-Ausgaben auf und kritisierte einen "Fetischismus" für Budget- und Handelsüberschüsse. Die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stemmt sich bisher gegen deutlich höhere Ausgaben und bekennt sich nur zu den Mehrkosten durch das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU (Brexit). Um in Europa voranzukommen, müsse man sich auch von Tabus lösen, mahnte Macron. [….]
(Hamburger Abendblatt, 11.05.2018)

Statt seinen Vorurteilen gegenüber Russland zu frönen, muss die deutsche Bundesregierung jetzt das tun, was das kleinste Übel ist:
Angesichts der ungeheuerlichen vertragsbrüchigen Lügenstorys aus Washington muss eine Allianz der herkömmlichen Staaten geformt werden, die wenigstens nicht völlig wahnsinnig sind.

Das bedeutet, daß Merkel als mächtigste und erfahrenste Person Europas nun Tag und Nacht wie Schröder und Fischer 2003 an einer großen Entente aus dem Iran, Russland, China, Frankreich, England, Deutschland und der EU arbeiten muss.
Sie hätte längst dafür sorgen müssen Xi, Putin, May, Macron, Rohani und Federica Mogherini zu einer Petersberger Krisenkonferenz zu laden.
Dort hätte man angesichts der dramatischen Lage in den USA in den sauren Apfel beißen müssen, die antirussischen Sanktionen und den aberwitzigen Brexit erst mal beiseite stellen müssen.
In dem Fall müsste Deutschland seine geballte Wirtschaftsmacht einbringen und zusammen mit dem auch nicht gerade armen China garantieren, daß kleine Nationen und Privatfirmen nicht vom Amoktrio Pompeo-Bolton-Trump gezwungen werden können dem Iran in den Rücken zu fallen.

Man könnte noch viel mehr Länder ins Boot holen. Wer, außer Netanjahu steht denn noch aus Überzeugung zu Trumpmerica?

Der äußerst Russland-kritische Heiko Maas, der bisher sehr viel mehr Distanz zu Putin hält als sein Vorgänger Gabriel, hat immerhin diese Notwendigkeit erkannt, ist nach Moskau gereist, spricht mit Lawrow.

Merkel hingegen sitzt tumb in der tiefsten deutschen Provinz, beim Kirchentag in Münster.
Für ihre Verhältnisse setzt sie sich schon dramatisch von Trump ab, indem sie sagt, der Ausstieg aus dem Iran-Abkommen sei „nicht richtig“.

[….] Nach der vielbeachteten Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Eröffnungstag bekommt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel viel Applaus für ihre deutlichen Worte auf dem Podium.
Die Aufkündigung des Iran-Abkommens durch US-Präsident Donald Trump sei „ein Grund großer Sorge, auch ein Grund von Bedauern“, sagt sie klar und spricht damit dem Publikum aus der Seele. Es sei nicht richtig, ein Abkommen, das verabredet wurde, über das man dann im UN-Sicherheitsrat abgestimmt hat, es einstimmig gebilligt hat, einseitig aufzukündigen, so Merkel am Freitagmittag in der Halle Münsterland. [….]
(WN 11.05.18)

Nicht zu fassen!
Die Kanzlerin soll nicht mit den christlichen CDU-Stammwählern schmusen und laue Worte absondern, die eins garantiert nicht tun, nämlich Trump beeinflussen.
Los, ab in den Regierungsjet und Pendeldiplomatie.
Moskau, Peking, Paris, Teheran.
Washington hat fertig. Die Besuche Macrons, Merkels und Johnsons haben es ja eindrucksvoll gezeigt: Egal wie man mit Trump redet, wie dringlich man es macht, ob man mahnt, warnt oder das volle Schmeichel-Programm abspult: Der Mann bleibt unbelehrbar, borniert, bösartig und eine einzige Abrissbirne für den Weltfrieden.
Auch Schulz hätte bei Trump nichts bewirkt, aber er hat immerhin erkannt, daß man ihm massiv entgegentreten und alternative Machtstrukturen generieren muss.