Dienstag, 6. Oktober 2015

Der Minusmann – Teil X



Was ist das nur für ein Schwachsinn mit der „Belastungsgrenze“, die erreicht wäre?

Daß AfD und NPD nun ein, zwei oder drei Prozentpunkte in Umfragen zulegen, versetzt Politiker von SPD, CDU und CSU gleich derartig in Panik, daß sie einfach die platten xenophoben Parolen nachplappern.
Gabriel jammerte gar im schönsten Pegida-Sprech:
„Man muß sich vor allem darum kümmern, daß die deutsche Gesellschaft nicht vernachlässigt wird.“
Weil wir ein Prozent des Haushaltes für Vertriebene ausgeben? Eine Investition, die Deutschland langfristig sehr nutzen wird?

Am Wochenende hat sich auch der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion für einen "Aufnahmestopp" ausgesprochen und erklärt, es gebe "Grenzen der Aufnahmekapazität". Führende Medien publizieren Beiträge, in denen ein prominenter Historiker besorgt fragt, ob "wirklich keine Analphabeten", sondern nur nützliche "Ärzte und Ingenieure" in die Bundesrepublik kämen, oder in denen ein Schriftsteller vor einer "Flutung des Landes mit Fremden" warnt. Derartige Äußerungen werden von Demonstranten, die gegen Flüchtlinge protestieren, mit Genugtuung rezipiert.

Strobl, Seehofer und Söder überbieten sich mit Medien gegenseitig, um ihr „Verständnis“ für die „besorgen Bürger“ auszudrücken.

Verständnis? Wofür?
Verständnis aufbringen für die Ängste und Sorgen der Bürger in Deutschland. Keine Talkshow mehr ohne diesen Satz, keine Diskussion am Stammtisch und keine Debatte im Bundestag. Verständnis VON oder Verständnis FÜR? Es ist der kleine semantische Unterschied, der den Analysten vom Aktivisten unterscheidet. Den, der Stimmungen deutet von dem, der Stimmung macht. Ja, auch ich verstehe, dass es Ängste vor Flüchtlingen gibt und woher diese Ängste kommen. Nur, mit Verlaub, ich habe kein Verständnis dafür.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass Menschen Angst haben vor einer "Islamisierung des Abendlandes", wo der Anteil der Muslime im europäischen „Abendland“ gerade mal 4 % ausmacht, und auch dann nur auf 5 % anwachsen würde, wenn sämtliche syrischen Flüchtlinge auf einmal nach Europa kämen.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass Menschen in diesem Land davor Angst haben, dass 2, 3 oder 5 Millionen Flüchtlinge uns unserer Lebensgrundlage berauben. In einem Land, das gerade Milliarden Überschüsse erwirtschaftet und dabei von der Armut der Länder profitiert, aus denen viele Flüchtlinge zu uns kommen.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass besorgte Bürger Angst davor haben, dass unsere Verfassungswerte in Gefahr geraten, wo doch die Gleichen, die das befürchten, sofort dazu bereit sind, Artikel 1 des Grundgesetzes zu opfern, wenn es um eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen in diesem Land geht.
Nein, ich habe keinerlei Verständnis für diese Ängste – und schon gar nicht dafür, dass Politiker Verständnis für solche Ängste heucheln und dabei nichts anderes tun, als diese Ängste jeden Tag aufs Neue anzufachen.
(Georg Restle, Monitor, 06.10.2015)

Ich habe kein Verständnis dafür, daß die Bundesregierung kontinuierlich versagt und nicht endlich genug Geld in die Hand nimmt, um die Situation zu meistern.

Die Hauptlast der Flüchtlingsintegration haben, wieder einmal, die Kommunen zu tragen. Dazu müssen sie, ohne Rücksicht auf bundespolitische Sparziele, zureichend gefördert werden; sonst drohen Engpässe im kommunalen Sozialbereich und eine veritable Opferkonkurrenz zwischen inländischen Armen und ausländischen Flüchtlingen, die das Willkommen rasch in eine Schreckstarre verkehren könnten.
Ein Land, das für in selbstverschuldete Schräglage geratene Banken auf Kosten der Steuerzahler in kürzester Frist dreistellige Milliardenbeträge bereitstellen kann, muss für ohne eigenes Verschulden in Not geratene Kommunen auch einen jedenfalls zweistelligen Milliardenbetrag aufwenden können.
[….] In dieser Welt, in der heute fast die Hälfte des globalen Reichtums in den Händen von weniger als einem Prozent der Weltbevölkerung liegt, in der im kapitalistischen Süd-Nord-Transfer für jeden Dollar, der in Richtung Dritte Welt fließt, zwei Dollar in die Gegenrichtung zurückfließen – in dieser Welt gibt es nicht eine weltweite ›Flüchtlingskrise‹, sondern eine Weltkrise, die Fluchtbewegungen erzeugt.
[….] In den gleichen 25 Jahren sind auf dem Weg nach Europa und Deutschland mindestens 30.000 Flüchtlinge allein im Mittelmeer umgekommen. Vor der deutschen Vereinigung sind Flüchtlinge an der deutsch-deutschen Grenze gestorben, heute sterben Flüchtlinge in Massen vor den Grenzen der „Festung Europa“. [….]
 (Prof. Dr. Klaus J. Bade, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration, 03.10.2015)

Wenn das totale Versagen der sächsischen Politik dazu führt, daß sich NPD-Strukturen der Jugendlichen im Lande bemächtigen, daß sächsische Schulkinder ganz selbstverständlich rassistischen Schwachsinn von sich geben, dann sollen Gabriel, Oppermann und Co nicht mit „Verständnis“ reagieren, sondern den blöden Ost-Blagen erklären, daß sie völlig falsch liegen und dann dafür sorgen, daß endlich eine sinnigere Jugend- und Schulpolitik gemacht wird.

[….] Im sächsischen Plauen stoßen dunkles und helles Deutschland aufeinander. Flüchtlinge werden bedroht und verprügelt, Bürgerinitiativen versuchen dagegenzuhalten. [….]
Elsterberg, [….] 4500 Einwohner, ein paar Geschäfte und die TRIAS-Oberschule, vor deren Eingang gerade der kleine Bus des Fußballvereins VFC Plauen hält. Mirko Kluge, Nabil, Aniss, Hassan, Sorur und die zweijährige Sitra steigen aus.
Die Schüler im Alter von etwa 14 Jahren haben einen Zettel mit Fragen vorbereitet. "Warum sind Sie aus Libyen geflohen?" "Haben Sie Ihr Geld mitgenommen?" "Wollen Sie irgendwann wieder zurück?" [….]
Wie wichtig Begegnungen sind, wird auch durch die Schilderungen einer Lehrerin deutlich. Sie erzählt, dass ihr am Vortag eine 11-Jährige entgegnet habe, das mit der Integration sei ja schön und gut. Aber es sei doch schade, "wenn die deutsche Rasse ausstirbt." [….]

Wir erleben hier in erster Linie ein politisches Versagen.

Horst Seehofer würde am liebsten Zäune à la Orban errichten. Sein Heimatminister Markus Söder möchte am Grundgesetz fingern. Selbst die Sozialdemokraten machen jetzt mit beim sozialstaatlichen Unterbietungswettbewerb. Vizekanzler Sigmar Gabriel sieht demnächst die „Belastungsgrenze“ erreicht. Warum eigentlich? Und wo genau liegt bitte diese Belastungsgrenze in einem Land, in dem Bus und Bahn fahren, der Geldverkehr reibungslos läuft und abends die Lokale voll sind mit Leuten, die ihr Dasein genießen?
[….] Alle, die sich jetzt mit handlichen Sprüchen bei den rechtspopulistischen Zündlern anheischig machen, wissen genau, dass sie selbst keine andere Lösung anzubieten haben als Angela Merkel. Nämlich einfach zu machen. Es hilft ja nichts. Was soll mit den Flüchtlingen geschehen? Beim Einmillionenundersten tritt der Innenminister nach vorn, zieht einen Kreidestrich und sagt: Sorry, sie sprengen gerade unsere Belastungsgrenze, bitte kehren Sie unverzüglich in ihr ganz persönliches Kriegsgebiet zurück?
[….] Umso verwerflicher ist es, den Unmut jener Bürger, die sich auf mitunter absurde Weise beeinträchtigt fühlen vom Elend anderer Leute, auf eben diese zu kanalisieren. Ja, dieses Land erlebt gerade eine logistische Höchstanforderung. Und nein, es ist darauf nicht gut vorbereitet (unter anderem deshalb, weil die amtierende Regierung viel zu lange ignoriert hat, dass globale Konflikte keinen Umweg um Deutschland einlegen). Insofern ist das, was Angela Merkel gerade tut – nämlich das Grundgesetz einzuhalten und Abschreckungspolitik zu leisten – weiß Gott keine Heldentat. [….]

Der Minusminister de Maizière macht seinen Job nicht.

Ist der Ruf erst ruiniert, hetzt es sich ganz ungeniert.
Nach dem Motto rockert sich Minister de Maizière inzwischen durch die politische Landschaft.

Daß in seiner politischen Heimat, des failed states Sachsen die Asylbewerberheime brennen und durch die tätige Mithilfe de Maizières Partei CDU der Rechtextremismus immer stärker wird, scheint dem Bundesinnenminister nicht mehr genug zu sein.

Merkel kann die Schwächen ihres treuen Ministers nicht kompensieren, da sie leider auch unfähig ist vernünftig zu kommunizieren.

Merkel trägt dazu selbst bei, zum Beispiel weil sie sich mittlerweile einer geradezu missionarischen Sprache bedient. Wenn sie dafür plädiert, das Problem der Flüchtlinge "anzunehmen", dann muss das wie ein Witz klingen in den Ohren jener Helfer, die sich seit Wochen der Probleme in Notunterkünften, Krankenstationen oder Schulen annehmen, sei es beruflich oder freiwillig. Und auch die Berufung auf einen Kardinal macht es nicht besser, wenn Merkel sagt, der Herrgott habe das Problem der Flüchtlinge nun auf den Tisch gelegt, weil sie verschweigt, dass der Herrgott dazu gezwungen war, nachdem sich die irdische Politik nicht darum gekümmert hatte.

Immerhin eins hat Merkel inzwischen verstanden: Ihr Innenminister kann und will nicht.
Er ist einfach zu unfähig für den Job.
So hat sie ihm – richtigerweise – heute die Kompetenz für die Flüchtlinge entzogen.
Natürlich viel zu spät – aber Merkel handelt ja immer erst, wenn es gar nicht mehr anders geht.
Natürlich viel zu zögerlich – der Mann hätte einfach entlassen werden müssen.

Aber eine Klatsche ist es durchaus heute noch geworden für Minusminister de Maizière.

Merkel schwächt de Maizière
[….] Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat deshalb nun entschieden, die Flüchtlingspolitik künftig direkt von ihrem Amt aus steuern zu lassen. Ihr Kanzleramtschef und enger Vertrauter Peter Altmaier (CDU) übernimmt die Koordination aller Aspekte, die mehrere Ressorts betreffen. [….] Altmaier wird im Kanzleramt eine zusätzliche Stabsstelle einrichten. Sein ständiger Vertreter wird der Staatsminister im Kanzleramt, Helge Braun, dem bisher bereits die Koordinierung zwischen Bund und Ländern obliegt. [….]