Sonntag, 19. September 2021

Triell 3

Zum Glück habe ich jede Menge Reich-Ranicki-Quartetts auf VHS aufgezeichnet und meine Videorekorder behalten. Ich vermisse die Sendung so sehr. Die Nachfolger sind nur sehr schwache Abklatsche, die ohne die Persönlichkeit MRR mit seinem gewaltigen Wissen nicht funktionieren.

Karasek und Reich-Ranicki waren beide Sigrid Löffler in herzlicher Abneigung verbunden. Die heute 79-Jährige k.u.k.-Österreicherin wußte sich aber durchaus zu wehren und da die beiden Herren nie an ihrer Qualifikation zweifelten, ergab diese Männer-gegen-Frau-Konstellation einen spannenden zusätzlichen Twist.

Es war also in erster Linie eine Provokation gegen die von Löffler vorgeschlagenen Bücher, wenn MRR verkündete, er möge keine Bücher, in denen sich der Autor hinter einem Kind verstecke. Romane mit kindlichen Ich-Erzählern überließen dem Ungebildetsten die Perspektive und er, MRR, möge lieber intelligent unterhalten werden. Die daraus folgende Diskussion nachzuerzählen, führt zu weit.

Aber mir geht es so mit Wahlkampfsendungen.

Duelle, Trielle, Townhalls, Arenen – für mich ist es immer die denkbar ödeste Perspektive, wenn man die immer noch unentschlossenen „ich weiß nicht so genau“ – „mir gefallen die alle irgendwie nicht“ – „vielleicht wähle ich gar nicht“ –Bürger in Straßenumfragen und Publikum das Wort erteilt. Wozu muss man Anti-Impf-Clowns und Informationsferne, welche die Kandidaten kaum den Parteien zuordnen können, vorführen und mir damit kostbare Lebenszeit rauben?

Natürlich verstehe ich die Parteistrategen: Bei einem hohen, vermutlich über 50%-Briefwahlaufkommen, die alle schon abgestimmt haben und darüber hinaus vielen ebenfalls fest entschlossenen Wahltag-Wählern, kann man wenige Tage vor der Wahl keine qualitativen Verschiebungen erreichen. Als stürzt man sich auf die wenigen tatsächlich noch Schwankenden, deren Stimmen noch zu bekommen sind.

Für 90% der Zuschauer diminuiert dadurch aber das Niveau. Das ist so, als ob im Hauptstudium  Gentech-Immunglobulin-Vorlesung zu sitzen, wenn sich drei Grundschüler ins Auditorium verirrt haben und der Professor seine gesamte Zeit damit verbringt, ihnen in einfachsten Worten zu erklären, was ein Atom ist.

Ich interessiere mich nicht für Kinderfragen an Laschet und habe wenig Geduld dafür, die immer gleichen simplen Kernbotschaften aufgesagt zu bekommen. Deswegen muss ein Triell nicht langweilig sein. Man sollte aber zumindest bei drei Triellen die Themenkomplexe vorgeben, damit sich nicht alles wiederholt und oberflächlich bleibt.

Zwei Stunden ARD/ZDF-Triell zur Außen- und Sicherheitspolitik, 2 Stunden RTL/NTV-Triell zu Klima und Digitalisierung und schließlich noch mal die gleiche Zeit bei Sat1/Pro7/Kabel1 für Sozialpolitik und Finanzen.

Man könnte alles vertiefen und vielleicht etwas anderes herausfinden, das für die Eignung als Kanzler:in wichtig ist. Wie verhält sich ein Kandidat, der argumentativ unter Druck gerät, ist er gedanklich schnell und intelligent genug, sich zu behaupten?

Einer konservativen Show- und Klamauk-Sendergruppe ohne Nachrichtenkompetenz wie Pro7, sollte man aber besser gar kein Kanzler-Triell kurz vor der Wahl anvertrauen. Es geht gleich lächerlich schlecht los: Die Menschen wären alle so unentschlossen und dazu Straßenumfragen, in denen die Dümmsten der Deutschen erklären, sie könnten die Kandidaten nicht unterscheiden, die Programme wäre alle gleich. Ganz offensichtlich sagt das einer, der die Programme nicht gelesen hat und SAT1 sendet das im O-Ton.

(….)  Jeder sozial denkende und politisch interessierte deutsche Wähler ist in der Lage mit Hilfe der Umfragen, die eine vage Aussicht auf das Ergebnis bieten, eine taktische Wahlentscheidung zu treffen. Schlimmstenfalls muss er das geringste Übel wählen. Aber auch das ist angesichts von Kandidaten wie Laschet und Lindner eine sehr leichte Übung.  Was aber nicht geht, ist vier Jahre die Augen zu verschließen, das enorme parteipolitische Spektrum zu ignorieren, die unendlichen Möglichkeiten sich einzubringen außer Acht zu lassen und dann zwei Wochen vor der Bundestagswahl zu jammern, sie hätten lieber andere Kandidaten als Scholz, Laschet und Baerbock.

Dafür ist es wahrlich zu spät und wer sich über Jahre nie selbst in die Politik einbringt, hat sein Recht verwirkt, sich über diejenigen zu beklagen, die es tun. (….)

(Wahlen haben Konsequenzen, 05.09.2021)

Immerhin treibt Linda Zervakis Armin Laschet beim Mindestlohn in die Ecke; es wird eine sehr peinliche Situation für den lügenden CDU-Chef, der 10 Millionen Menschen, die unter dem Mindestlohn verdienen, eine Verbesserung verweigern will. Scholz macht eine sehr gute Figur; zusammen mit Baerbock fordert er 12 Euro Mindestlohn. Laschet rudert eine Viertelstunde hilflos herum, ohne erklären zu können, wieso er das kategorisch ablehnt.

Wie immer, wenn Laschet in die Enge getrieben wird, lügt er dreist, behauptet ‚wenn wir Steuern entlasten, dann bei kleinen und mittleren Einkommen‘. Das diametrale Gegenteil ist der Fall. Die CDU will mit dem Soli-Wegfall für die 10% der Topverdiener, 30 Milliarden Euro an die Superreichen verteilen.

[….]  Ich zitiere hier mal aus dem Handelsblatt, das Armin Laschet gerade zitiert hat: "Die Steuerpläne von Union und FDP würden dagegen die Einkommensungleichheit im Land erhöhen. „Gutverdienende profitieren bei den Plänen von Union und FDP vor allem von der vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlags“, sagt Ifo-Forscher Maximilian Blömer." [….]

(Christian Stöcker, 19.09.2021)

Immerhin, der Grünen reicht es nun mit Flunker-Armin.

Baerbock ruft: „Können sie mal bei den Fakten bleiben?“

[…..] Oha, das war ein übler Stolperer von Laschet: "Ich hab' nicht verstanden..." - und schon nehmen ihm Baerbock und Scholz den Ball ab.  […..]

(Stefan Kuzmany, 19.09.2021)

Katastrophale Gesprächsführung SAT.1-Moderatorin Claudia von Brauchitsch, die bis 2018 CDU-Mitarbeiterin nah bei Kanzlerin Merkel war und das CDU-TV machte. Sie gibt Laschet erheblich mehr Redezeit und befragt zum Thema „Clan-Kriminalität“ – dem Thema, mit dem sie die CDU gut aussehen lassen will – erst Laschet, dann kurz Baerbock und läßt Scholz gar nicht antworten.

[…..] Ich habe auch gerade an meiner eigenen Wahrnehmung gezweifelt. Baerbock soll sich kürzer fassen, weil Laschet am längsten geredet hat? […..]

(Stefan Kuzmany, 19.09.2021)

 […..]  "Wird Ihnen da jetzt schon warm?" - ernsthaft? Meine Güte. Das ist nun wirklich kein Thema für Witze mehr. […..] Meine Güte. Das kann doch nicht wahr sein. Jetzt stimmen die Uhren, aber die Moderatorin kann sie nicht lesen? […..]

(Christian Stöcker, 19.09.2021)

Scholz ist aber viel zu souverän, um sich aufzuregen, setzt gezielte Treffer, als er beispielsweise Baerbocks allgemeine Klima-Attacke gegen die „Groko“ mit dem Verweis auf Baden-Württemberg kontert. Dem einzigen Bundesland mit einem grünen Regierungschef. Dort wurden wenig Windkraftanlagen gebaut; nebenan, im kleineren, aber rot regierten Rheinland-Pfalz dafür umso mehr.

Laschet redet sich um Kopf und Kragen als er ernsthaft behauptet, das Verbrennungsmotor-Aus bis 2030 bedeute, alle Ingenieure in der Autoindustrie stellten die Arbeit ein. Das ist natürlich hanebüchener Unsinn. Das gleiche Gejammer gab es bei der Verpflichtung zum Katalysator oder dem FCKW-Verbot. So entstanden aber erst die Innovationen. Baerbock erweist sich schlagfertig, erklärt, wie das FCKW-Verbot dazu führte, bessere neue Kühlschränke zu bauen und zu exportieren. Tatsächlich schloss sich auch das Ozon-Loch. Beide Moderatorinnen lassen Laschet aber mit seiner tolldreisten Lüge vom Haken.

[…..] Ab 2030 sollen  in Manchester, Birmingham, Oxford, London, Kopenhagen, Oslo, Mailand, Rom, Amsterdam, Rotterdam, Utrecht, Den Haag und Barcelona keine neuen Verbrenner-PKW mehr fahren dürfen.  Realitätscheck: Island, die Niederlande, Irland, Slowenien, Schweden und Dänemark verbieten Verbrenner ab 2030. Norwegen ab 2025, Großbritannien ab 2035. Diese Debatte über ein "Verbrennerverbot" in Deutschland ist ungefähr so sinnvoll wie die über das angeblich Freiheit unbotmäßig einschränkende Tempolimit.  […..]

(Christian Stöcker, 19.09.2021)

So kurz vor der Wahl bin ich als Sozialdemokrat zufrieden. Dieser lahme Laschet hat sicher keinen Stimmungsumschwung bewirkt.

Die Forsa-Umfrage nach dem Triell erklärt erwartungsgemäß Olaf Scholz zum Sieger.

[…..] Laut Forsa haben 42 Prozent Olaf Scholz vorne gesehen. Armin Laschet kommt auf 27 Prozent, Annalena Baerbock kommt auf 25 Prozent. Damit gewinnt Olaf Scholz auch das dritte TV-Triell. Ein eindeutiges 3:0. […..]

(Der Westen, 19.09.2021)

Auf Sat1 plappern unterdessen weitere ausgesprochene Politlaien darüber, wie ungebildet sie sind und demonstrieren wie ungeeignet sie als Triell-Analysten sind. Sie wissen irgendwie immer noch nicht, wen sie wählen sollen. Bis auf den Focus-Rechtsaußen SPD-Hasser Jan Fleischhauer, dessen Ansichten so überraschend sind, als ob man Donald Trump nach seinen eigenen Fähigkeiten als US-Präsident befragt. Unnütz.