Freitag, 15. September 2023

Die fromme Opferrolle

So begann der gläubige SZ-Magazin-Autor am 30.03.2023 sein Essay über seinen Glauben und wie sehr er sich dabei diskriminiert fühlt:

[….]  Diesen Text traue ich mich nur zu schreiben, weil ihn sowieso niemand liest. Ist doch heute so, dass man weghört oder aggressiv wird, wenn es um Glauben oder, noch schlimmer, die Kirche geht. Dass sich außer ein paar Zurückgebliebenen kein Mensch dafür interessiert.   [….]

(Tobias Haberl, SZ-Magazin, 30. März 2023. Aus Heft 13/2023)

Disclaimer: Ich mochte die Haberl-Texte im SZ-Magazin immer und wußte bis zum März gar nicht, daß er so ein frommer Katholik ist. Es ist ihm dafür Respekt zu zollen, daß er seine metaphysischen Vorstellungen nicht mit seinem Job als Journalist verquickt.

Aber auch Haberl scheint ein typischer intelligenter Gläubiger zu sein: Er leidet an einer Inselverarmung und produziert zu diesem Thema Sätze, für die er bei allen anderen Aspekten viel zu intelligent ist.

Er beklagt, wie schwer er es als Katholik habe, daß sich niemand interessiere, er gesellschaftlich extrem benachteiligt wäre.

Dabei ist offenkundig genau das diametrale Gegenteil der Fall: Katholiken genießen gerade in Bayern eine Vielzahl von Privilegien.

Haberl erliegt der klassischen Metaphysik der Larmoyanz, deren Apotheose sich in dem Ratzinger-Satz von der „Sprungbereiten Aggressivität“ kristallisierte.

Papst Ratzinger, unendlicher reicher absolutistischer Alleinherrscher über 1,3 Milliarden Menschen, der persönlich unter Androhung höchster Kirchenstrafen weltweit dafür gesorgt hatte, pädosexuelle Priester zu beschützen, die Opfer auszulachen und immer wieder zu demütigen, gab den Weg vor, indem er sich öffentlich über die angeblichen Angriffe der Opfer auf die Täter echauffierte.

Er kenne die "allzeit sprungbereite Aggression" (Benedikt XVI.), mit der die Atheisten die armen frommen Gottesmänner verfoltgen.

Es ist dasselbe Prinzip, nach dem Katholik Haberl seine Privilegien paradox als Deprivation deutet. Haberls mit [….] Diesen Text traue ich mich nur zu schreiben, weil ihn sowieso niemand liest. [….] eingeläuteter Aufsatz wurde zum Meistkommentierten der SZ-Geschichte. Somit wurde schon der erste Satz von der Realität als Gegenteil gestraft.

[…..] Vor einigen Wochen schrieb mein Kollege Tobias Haberl im SZ-Magazin ein bemerkenswertes Essay über seinen Glauben als Katholik und sein Gefühl, als gläubiger Mensch nicht mehr verstanden, gelegentlich sogar kritisiert oder ausgelacht zu werden. Darin heißt es: »Es ist das Grundgefühl vieler konservativer Menschen, die nicht begreifen, warum sie in einer aller Tradition entleerten Gesellschaft auf einmal als problematisch wahrgenommen werden, warum ihre Sehnsucht nach christlichen Werten (hinter denen keine Interessen stecken) automatisch als patriarchal gebrandmarkt wird.« Ich erinnere mich an keine SZ-Magazin-Titelgeschichte der vergangenen Jahre, auf die mehr Leserinnen- und Leserpost folgte. Es erreichten uns zahllose Zuschriften, die zum allergrößten Teil Anerkennung für die Haltung des Autors enthielten, dazu Dankbarkeit und Lob für Tobias Haberls Mut, so offen über seine Religiosität zu schreiben. Sein Text hatte einen Nerv getroffen.    [….]

(Michael Ebert, SZ-Magazin, 14. September 2023 Aus Heft 37/2023)

Natürlich ärgerte ich mich als SZ-Magazin-Fan über den Haberl-Text, weil ich die darin aufgestellten Thesen allesamt widerlegt sehen wollte.

Aber, Respekt SZ-Magazin, heute erschein nun die lange erwartete „Gegenrede von Michael Ebert“, die viele meiner Gedanken ausführte.

[…..] Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen«, verspricht Jesus Christus in ­­Johannes 14,2. Möglicherweise gibt es Wohnungen für alle. Aber keine Kindergarten­plätze. Jedenfalls gab es keinen für mich. Ob Gott mich nicht haben wollte? Zumindest wollten mich seine Vertreter auf Erden nicht. Wir zogen aus der großen Stadt in ein Dorf im Schwarzwald, ich war vier Jahre alt, meine Eltern arbeiteten beide, ich sollte in einen Kindergarten. Im Dorf gab es einen. Freie Plätze hatte er auch, aber man lehnte mich ab.

Der Junge ist nicht getauft. Meine Mutter verwies auf ihre lebenslange Zugehörigkeit zur katholischen Kirche und darauf, dass mein Vater immerhin evangelisch sei. Sie sei auch gar nicht grundsätzlich gegen eine Taufe ihres Kindes – sie wolle mir die Entscheidung nur eben selbst überlassen, ob ich einer Kirche beitreten möchte oder nicht. Aus der Sicht der Betreuerinnen im Kindergarten machte das die Sache nur schlimmer. Fortan führte die Heimwegsprozession der Gemeinde nach der Sonntagsmesse oft an unserer Wohnung vorbei. Man wollte nachsehen, ob die Hippies aus Freiburg mit dem ungetauften Kind wenigstens inzwischen ordentliche Vorhänge an den Fenstern angebracht hatten. Hatten wir nicht. Meine Eltern fanden einen städtischen Kindergartenplatz für mich im fünf Kilometer entfernten Nachbarort, mussten Betreuungszeiten ausreizen und Logistikjonglage betreiben, um mich täglich hinzubringen und abzuholen. Was mir von da an klar war: Es gab da diesen Club, in dem die meisten anderen Kinder und Erwachsenen Mitglieder waren. Um die Leistungen des Clubs in Anspruch nehmen zu können, musste man aber auch schon als Vierjähriger bestimmte Anforderungen erfüllen. Ich erfüllte sie nicht. In der dritten Klasse der Grundschule war ich dieses Gefühl der Unzulänglichkeit leid. Wenn meine Klassenkameradinnen und Klassenkameraden im katholischen oder evangelischen Religionsunterricht saßen, hatten Erdal und ich Freistunde und mussten vor der Tür warten. Erdal war Muslim, auch für ihn gab es kein schulisches Alternativangebot. Die zwei leeren Kästchen in meinem Wochenstundenplan empfand ich noch nicht als geschenkte Zeit, sondern als weiteren Beweis meiner Sonderlichkeit. Die Bitte meiner ­Eltern, ob ich dem Religionsunterricht wenigstens beiwohnen könnte, wurde vom unterrichtenden Pfarrer abgelehnt. Der Protest meiner Eltern bei der Schulleitung, dass man mich und Erdal nicht unbeaufsichtigt lassen könne, wurde ignoriert. Meine Mitschüler fragten in der Pause, ob ich denn überhaupt einen richtigen Namen hätte, wo ich doch nicht getauft sei. Sie entschieden, mir jeden Namen geben zu können, und hatten ein paar lustige Ideen.

»Ich nenn dich Nichts. Du bist ja nichts.«

»Ich sag Heide zu dir.«

Eine sah mich immerzu mitleidig an: »Du tust mir leid. Du kommst halt sicher in die Hölle. Da ist es schrecklich.«

Also bat ich meine Eltern darum, getauft zu werden. Sie nickten, und meine Mutter nahm mich mit zu einem Vorgespräch bei dem katholischen Pfarrer, der auch den Religionsunterricht in der Schule hielt. Er empfing uns in seiner Kirche, er erschien mir groß und sehr dünn, aus seinem bodenlangen schwarzen Gewand wuchs ganz oben ein kantiger Kopf heraus.

»Warum willst du getauft werden?«, fragte er mich.

Ich war acht Jahre alt. Ich überlegte nicht lange.

»Ich will dazugehören.«

»Glaubst du an Gott?«

»Gibt es ihn denn?«

Ich erinnere mich an den fragenden Blick, den er meiner Mutter zuwarf, und dass es kühl war in seiner Kirche.

»So wird das nichts.«    [….]

(Michael Ebert, SZ-Magazin, 14. September 2023 Aus Heft 37/2023)

Ebert beschreibt hier mustergültig, was ich seit Jahrzehnten immer wiederhole: Religionen sind eine exkludierende „Wir sind besser als die“-Ideologie.

Dazu gesellen sich beim Christentum eine weltweit einmalig abscheuliche Kriminalgeschichte mit hunderten Millionen Todesopfern und gleichzeitig diese paradoxe Täterlarmoyanz: Die Opfer machen es ihnen so schwer.

Ebert bemüht dazu einen Harry-Potter-Vergleich.


[…..] Tobias Haberl im noch immer zu 45 Prozent katholischen Bayern, wirkt auf mich wie Dudley Dursley, der wohlbehütete und gepamperte Cousin von Harry Potter, der sich an seinem elften Geburtstag darüber ärgert, dass er nur 36 Geschenke bekommt statt wie im Vorjahr 37.    [….]

(Michael Ebert, SZ-Magazin, 14. September 2023 Aus Heft 37/2023)

Die Jammerei und regelrechte Verzweiflung der Katholiban ist umso erstaunlicher angesichts ihrer bemerkenswert offen zur Schau gestellten charakterlichen Verdorbenheit, mit der sie coram publico auf Schwächere eindreschen.

Nahles, Papst, Thierse, Marx, Haberl, Woelki verstehen offenbar wirklich nicht, wieso ihre Top-Geistlichen so abstoßend auf humanistisch orientierte, zivilisierte Menschen wirken.

[…..] Der katholische Bischof Joseph Strickland aus dem texanischen Bistum Tyler hat in einem am Dienstag veröffentlichten Hirtenbrief "homo­sexuelle Handlungen" und Mord gleichgesetzt. "Eine Todsünde ist jede schwere Sünde, die vorsätzlich und in vollem Wissen um ihre Schwere begangen wurde", heißt es in dem vierseitigen Dokument (PDF). "Zu diesen schwerwiegenden Taten gehören (ohne darauf beschränkt zu sein): Mord, Abtreibung oder die Teilnahme daran, homo­sexuelle Handlungen, Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe oder in einer ungültigen Ehe, die absichtliche Ausübung unreiner Gedanken, die Verwendung von Verhütungsmitteln usw." In dem Hirtenbrief stellte der 64-jährige Bischof auch klar, dass queeren Menschen – genauer gesagt: Homo­sexuelle, die Sex haben, und trans Menschen, die ihre Transidentität nicht unterdrücken – eine Segnung verweigert werden müsse.   [….]  


 In den letzten Jahren hatte Strickland wiederholt seine Abneigung gegen queere Menschen kundgetan und auch in politische Debatten eingegriffen. Im Juni protestierte er gegen eine Pride Night in einem Baseballstadion in Los Angeles, gegen die bereits der Ex-Vizepräsident Mike Pence polemisiert hatte (queer.de berichtete). 2021 sagte Strickland, der Regenbogen sei ein Zeichen "der Rebellion gegen Gottes Gebote" (queer.de berichtete). 2019 bezeichnete er die damalige Anführerin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, als Ketzerin, weil sie die Ehe für alle unterstützte (queer.de berichtete). Im selben Jahr erklärte er, LGBTI-Schulaufklärung sei "Kindesmissbrauch" (queer.de berichtete).
[….]

(Queer.de, 14.09.2023)

Sagenhaft, was sich der Papst-geförderten Top-Katholiban, als Vertreter einer Täterorganisation, der in den letzten 50 Jahren mehr als 100.000 vergewaltigte Kinder zum Opfer fielen, herausnimmt.

Sagenhaft, daß sie katholischen Haberls dieser Welt, sich als die eigentlich diskriminierten Opfer empfinden.