Samstag, 7. Juni 2025

Pride-Trittbrettfahrer

Wenn die Forschungsgruppe Wahlen die „politische Stimmung“ abfragt, wird sie als eine Art Naturgewalt gedeutet. Sie verlangt nach niedrigeren Steuern oder scharfen Asylgesetzen. Nach dieser Lesart, sind Parteien dem hilflos ausgeliefert und bekommen viel Lob von der Presse, wenn sie diesen Stimmungen entsprechen. Auch wenn diese Stimmungen der deutschen Ökonomie schwer schaden. Gesetze, Moral, Humanismus stören da nur.

In Wahrheit werden diese Stimmungen maßgeblich von den Parteien und ihren Themensetzungen, sowie der Presse erzeugt.

Wenn die AfD rund um die Uhr gegen Ausländer hetzt, die deutschen Talkshows den Hetzern den Roten Teppich ausrollen und CDUCSU-Politiker die xenophoben Narrative eifrig nachplappern, dreht sich natürlich die Stimmung gegen Migranten. Diese Stimmung, von Merz und Söder herbeigeredet, manifestiert sich in Gewalt. So kommt es zu einem Rekordhoch der rechtsextremen Straftaten in Deutschland.

Natürlich hat es Konsequenzen, wenn Nius, Springer, AfD und CSU geradezu manisch gegen alles Queere hetzen. Wenn ein Homophober, wie Merz, Bundeskanzler wird und klare Gegner der Menschenrechte um sich schart. Dobrindt, Reiche, Warken, AfD-Plapperer Weimer – alles Überzeugungstäter, die auf keinen Fall die Ehe für alle wollen.

Die schwulen- und transfeindliche Gewalt in Deutschland nimmt drastisch zu.

[….] CSDs trotzen rechten Angriffen: „Wir haben Angst, dass es wieder wird wie in den 90ern“ In Brandenburg finden diesen Sommer 17 CSD-Paraden statt, in ganz Ostdeutschland 50. Mit Gegenprotest von jugendlichen Neonazis ist zu rechnen. [….] Die CSD-Saison startete Ende April im sachsen-anhaltinischen Schönebeck – und das gleich mit einem Eklat. Die Polizei beendete die Veranstaltung vorzeitig, angeblich wegen fehlenden Sicherheitspersonals, später kritisierte sie auch den ungenügenden politischen Charakter der Reden. Die Veranstalter sprachen von Vorwänden, fühlten sich gegängelt und nicht gewollt. Schlecht ging es dann Mitte Mai im Westen weiter: Der CSD Gelsenkirchen musste wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ abgesagt werden. [….] Besorgt sind die Veranstalter:innen nicht mehr nur aufgrund einer gesellschaftlichen Stimmung oder mitunter feindlich gesinnter Stadtverwaltungen. Inzwischen sind es ganz praktische Sicherheitsfragen wie die Angst vor Nazi-Übergriffen, die die CSD-Orgas auf dem ostdeutschen Land beschäftigen. Präsent sind die Erinnerungen aus dem vergangenen Sommer. Damals kam es erstmals zu großen rechtsextremen Gegenprotesten. In Bautzen durfte ein militanter Mob aus 700 Neonazis dem CSD-Aufzug hinterherlaufen und dabei seinem Hass frönen.  Gezählt wurden 2024 insgesamt 27 Mobilisierungen gegen CSDs. Es war das Outcoming einer neuen Generation junger Neonazis, die den Sprung von der Internetvernetzung auf die Straße vollzogen. Inzwischen hat sich die Szene gefestigt, organisiert in immer mehr Gruppen. Die Feindschaft gegen Queers ist dabei eines der Grund­elemente dieser ideologisch wenig gefestigten Szene. Für die Organisator:innen der CSDs war Bautzen eine Zeitenwende. Das Thema Sicherheit ist seitdem viel präsenter, sagt Anna Klumb vom CSD Rheinsberg. Ebenso wie in Eberswalde fand in der nordbrandenburgischen Kleinstadt vor einem Jahr der erste CSD statt – Bautzen stand noch bevor – und Sorge vor Naziübergriffen hatte man kaum. Damals stand die „Konfrontation mit der Stadt“ im Vordergrund, erzählt Klumb. Der CSD war eine Antwort darauf, dass sich der Bürgermeister geweigert hatte, eine Regenbogenfahne zu hissen.

„Dieses Jahr haben wir eher Sorge vor Angriffen von außerhalb“, sagt Klumb. Trotz der hohen Kosten und fehlender Unterstützung vom Land habe man sich daher extra eine professionelle „Schutzgruppe“ eingekauft, um für die Sicherheit der Teilnehmer:innen, die auch aus Berlin und Hamburg anreisen werden, zu sorgen. [….]

(taz, 31.05.2025)

In den USA macht Fritzes neuer Freund Trump mit seiner gesamten Administration Jagd auf alles, das nach queer riecht. Schwulenrechte stehen nicht nur wieder zur Disposition, sondern werden in Rekordtempo zerschmettert.

Nun sieht man sehr schön, was die große gesellschaftliche Unterstützung der queeren community wert war: Nahezu nichts.

[….] Trumps Kampf gegen LGBTQ-Rechte verdüstert die Festivitäten zum Pride Month. In [….] diesem Jahr haben es Amerikas LGBTQ-Festivitäten so schwer wie seit den Unzeiten der weitverbreiteten Diskriminierung nicht mehr. Sponsoren ducken sich weg, Gäste bleiben aus, Galakonzerte werden abgesagt, die Organisatoren fürchten um die Sicherheit der Paraden.

Der Hauptgrund, wie so oft in diesen Tagen: Donald Trump.

»Die Regierung zeigt nicht, dass sie der LGBTQ-Community gegenüber freundlich und unterstützend eingestellt ist«, sagt deHarte, 60, dem SPIEGEL. Eine diplomatische Formulierung: Seit Trumps Amtsantritt hat sich das Klima enorm zulasten sexueller Minderheiten verschärft.

Der US-Präsident tut viel, um die LGBTQ-Gemeinschaft zu diskriminieren, zu schikanieren und aus dem öffentlichen Leben zu tilgen . Trans Personen werden aus dem Militär und dem Sport geworfen, Gelder für die HIV-Bekämpfung gestrichen, Regenbogenflaggen verboten, Dragshows verteufelt. Auch erkennt das Weiße Haus den Juni nicht länger als »Pride Month« an, sondern hat ihn zum »Title IX Month«  ernannt. »Title IX« ist ein Gesetz von 1972 gegen sexuelle Diskriminierung im Bildungswesen, das Trump gegen trans Personen im Schulsport instrumentalisiert hat.

Der jüngste, plakative Schlag gegen die LGBTQ-Community: Verteidigungsminister Pete Hegseth hat angeordnet, das Marineschiff USNS »Harvey Milk« , benannt nach dem 1978 ermordeten schwulen Politiker aus San Francisco, umzutaufen. Milks Name und die Namen anderer Bürgerrechtler – meist Frauen, Schwarze oder Latinos – haben in Hegseths Militär künftig nichts mehr zu suchen.

»Wir bewegen uns als Gesellschaft rückwärts«, klagt Eric Holguin, ein schwuler Demokrat und Latino-Aktivist aus Texas. »LGBTQ-Menschen werden diffamiert. Und viele andere schweigen dazu.«

Besonders betroffen sind zurzeit die größten Pride-Veranstaltungen, bei denen die errungenen LGBTQ-Rechte mit Märschen, Straßenfesten und Dancepartys zelebriert werden – darunter in New York, Los Angeles, Atlanta und Chicago. »Doch das ist nichts Neues«, sagt Ron deHarte. »Wir mussten immer schon lange und hart für alles kämpfen, was wir erreicht haben. Das wird so weitergehen.« [….] Ähnliches erleben auch andere Pride-Festivals. Bei einer Umfrage  unter mehr als 200 US-Konzernen gaben fast 40 Prozent im April an, ihr LGBTQ-Engagement – Sponsoring, Pride-Merchandise, Social-Media-Posts – gedrosselt zu haben. Die Mehrheit fürchtet Boykotte durch Konservative oder Konsequenzen aus Washington, das jegliche unternehmerische Diversitätsmaßnahmen für illegal erklärt hat. »Es ist klar, dass die Regierung und ihre Anhänger hinter dem Sinneswandel stecken«, sagt Luke Hartig, der Chef der Consultingfirma Gravity Research, die die Umfrage veranstaltete, zu CNN. »Unternehmen stehen unter wachsendem Druck, keine offene Stellung mehr zu beziehen.« [….]

(Marc Pitzke, 07.06.2025)

Vor 20 Jahren begannen ökonomische Interessen, die kulturelle Borniertheit der Industrie über zu kompensieren. Die Wirtschaft sah in Schwulen etwas weniger die schrillen Sonderlinge und etwas mehr die DINKS – double income no kids. Sehr konsumfreudige Doppel-Gutverdiener. Wenn einen Marke bei Schwulen „angesagt ist“, zahlt sich das massiv in den Kassen der Hersteller aus. (In diesem Fall ist es richtiger von „Schwulen“, statt von dem inklusiveren „LGBTIQ*“ zu sprechen, weil es nun einmal Männer sind, die mehr Geld verdienen in dieser Gesellschaft.)

Allerdings kommt mit den MAGAs und Trump eine enorm mächtige Gegenbewegung, die frühere Pride-Unterstützer reihenweise einknicken lässt.

[….] Am Wochenende soll in Washington D.C. die WorldPride stattfinden. [….] Dieses weltgrößte Festival der Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transmenschen, Queeren und Non-Binären war in den vergangenen Jahren in anderen Metropolen wie London, Madrid, Kopenhagen und Sydney zu Gast. Diesmal ist erstmals D.C. an der Reihe, der amerikanische Bundesdistrikt, der auch noch gleichzeitig das 50. Jubiläum des jährlich dort stattfindenden Capital Pride feiert.

Erst rechneten die städtischen Behörden mit zwei bis drei Millionen Besuchern, inzwischen wurden die Zahlen nach unten korrigiert. Man hört von fehlenden Hotelbuchungen und Aktivisten, die lieber zu Hause bleiben. Das liegt nicht daran, dass es am Wochenende etwa regnen soll – das Problem besteht eher darin, dass Donald Trump ins Oval Office zurückgekehrt ist. [….] Er regierte auch 2019, als der World Pride zuletzt in den Vereinigten Staaten Station gemacht hatte. Damals wurden in New York dennoch um die fünf Millionen Gäste gezählt, es war eine andere Zeit. Diesmal begann der US-Präsident seine zweite Amtszeit im Januar unter anderem mit der Verfügung, dass es in den USA nur noch zwei Geschlechter gebe, Männer und Frauen. Diese seien „unveränderlich und basieren auf einer fundamentalen und unumstößlichen Realität“.

Diese Verordnung trug den Titel „Schutz der Frauen vor dem sexuell-ideologischen Extremismus und Wiederherstellung der biologischen Wahrheit in der Bundesregierung“. Und in diesem Ton geht es seither weiter. Der oberste Amerikaner lässt keine Gelegenheit aus, über alles herzuziehen, was mit dem Wort „gender“ zu tun hat, es ist für ihn und seine Leute ungefähr so schlimm wie „wokeness“, also irgendwie links zu sein. Er ließ auch sämtliche Programme beenden, die mit „diversity, equity and inclusion“ zu tun haben. Vielfalt, Gleichheit und Inklusion, kurz DEI.

Transgender-Personen werden aus der US Army und von Wettkämpfen für Frauen ausgeschlossen. Falls sie im Gefängnis sitzen, dann ist die Verlegung in Haftanstalten für Männer vorgesehen. In Pässen und Visa muss wieder das „korrekte biologische Geschlecht“ angegeben werden, Trump will im Zuge seines Kahlschlags mit Steuersenkungen auch Hunderte Millionen Dollar bei der Bekämpfung von HIV kürzen. Kürzlich behauptete er wieder, dass mit der Zucht von „Transgender-Mäusen“ Geld verschwendet worden sei, dabei ging es um Forschung.

Aggressionen vor allem gegen Transgender-Menschen nehmen zu, im Viertel Adams Morgan von D.C. wurde kürzlich eine LGBTQ+-Bar demoliert. „Faggot“ hat jemand an eine Wand geschmiert, ein Schimpfwort für homosexuell. In diesem Klima also findet dieser World Pride 2025 statt, wobei das mehrheitlich demokratische Washington alles andere als eine konservative Hochburg ist, sonst wäre dieses Ereignis ja nie hier gelandet. [….]

(Peter Burghardt, 05.06.2025)