Mittwoch, 23. September 2015

Winterkorn und Sonneborn.

Der gegenwärtige VW-Megaskandal ist ein klassisches Beispiel für ein Thema, das ich eigentlich NICHT aufgreife, weil es ohnehin weltweit auf allen Titelbildern ist. Unnötig die Details noch mehr zu beleuchten.

Worum geht es?
Im Grunde genommen ist es einfach: Deutschlands bestbezahlter Manager Martin Winterkorn, der jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Euro verdient, war krankhaft davon besessen Toyota als größten Autokonzern der Welt zu überholen. Dazu hat man offenbar massiv Testergebnisse gefälscht, was man in Deutschland hätte wissen können, aber aufgrund der Lobbyarbeit der Milliardenschweren Autokonzerne nicht wissen wollte.
Ex-CDU-Minister Matthias Wissmann ist als Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) der mächtigste Lobbyist der Welt. Wenig verwunderlich, daß ein Verkehrsminister-Würstchen wie Dobrindt dem Mann nicht in die Suppe spuckt.
Nicht gedacht hatte man in Wolfsburg offenbar an die US-Regierung, die wenig zimperlich ist, wenn sie beschissen wird.
Nachdem Washington auf den Putz haut, steckt Winterkorn in der de Maizière-Falle: Hat er als Chef davon gewußt, muß er zurücktreten. Hat er nichts davon gewußt, ist er offenbar ein miserabler Chef und muß auch zurücktreten.
Daher verkündete er gestern Guttenberg-like keinesfalls zurück zu treten, um dann heute ….zurückzutreten.
Nun kommt gewaltiges Ungemach aus den USA; zweistellige Milliardenstrafen, Strafprozesse, Umsatz-Absturz und Börsen-Debakel.
Ich gebe übrigens schon mal eine leise Prognose dazu ab, wer mit seinen Millionen NICHT dafür geradestehen muß: Die VW-Manager, die das Desaster angerichtet haben.
Wissmann, VW-Aufsichtsrat Ministerpräsident Stephan Weil und Wirtschaftsminister Gabriel standen heute alle fürchterlich betrübt vor den Kameras und orakelten vom Imageverlust.
ADAC und VW angeschlagen – und dabei sind doch Autohändler eigentlich die Ikonen der Ehrlichkeit.

In den Zeitungen wird nun sehr viel geweint.
Springer rechtes Kampfblatt WELT sorgt sich als erstes um die Anleger:

Der Kurs der VW-Aktie war am Montag zeitweise um mehr als 20 Prozent eingebrochen. Am Dienstag setzte sich die Talfahrt an der Börse weiter fort. Viele Anleger ist der US-Skandal damit bereits jetzt teuer zu stehen gekommen.
Die BaFin spürt gleich mehreren möglichen Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz nach. [….] Investoren, die die Aktie vor Kurzem erworben haben, könnten sich darauf berufen, dass sie das nicht getan hätten, wenn das Unternehmen rechtzeitig über die Abgas-Affäre informiert hätte. Dann wäre ihnen der Kurssturz diese Woche erspart geblieben. Die erlittenen Verluste müsste ihnen VW dann womöglich ersetzen.
Anlegeranwälte machen den gebeutelten Aktionären bereits den Mund wässrig. "Nach unserer festen Überzeugung hat sich VW wegen unterlassener Kapitalmarktinformationen daneben auch gegenüber seinen Aktionären schadenersatzpflichtig gemacht", sagt Andreas Tilp, der eine bekannte Anlegerkanzlei betreibt.

Nicht nur der Aktien-, Wert- und Geldverlust. Nein, es würden auch massiv Arbeitsplätze verloren gehen, wenn nun weniger Menschen VWs kaufen. VW-Mitarbeiter würden freigestellt, VW-Händler hätten Einbußen und die großen Zulieferer müßten auch alle Entlassungen vornehmen.

Ob VW bald zum „notleidenden“ oder gar „systemischen“ Konzern erklärt wird, der gerettet werden müßte?
Die armen Wolfsburger – Vorjahresgewinn 22,5 Milliarden Euro = 22.500 Millionen Euro Gewinn! – bringen mich zum Weinen.
An was erinnert mich das noch mal?
Ach ja. OPEL. Die Tochter des größten Konzerns der Erde, GM, wurde doch auch just noch bemitleidet. Kaum ein Politiker, der sich nicht werbewirksam mit Steuerzahler-Milliarden den „Opelanern“ andiente.

Dabei gilt auch für VW das was damals galt:
Es gibt in der Autoindustrie gewaltige Überproduktionskapazitäten. Keine Fabrik ist ausgelastet.
Wenn eine Produktionsstätte aus irgendeinem Grund verloren geht, müssen nicht etwa potentielle Kunden alle zu Fuß gehen, sondern sie können einfach ein anderes Auto kaufen.
Ist das nicht der tiefere Charakter des Kapitalismus? Die Konkurrenz von Produkten und das Werben um den Konsumenten, der die Freiheit besitzt sich auszusuchen, was er kaufen möchte?
Wozu das Gegreine der Minister?
Geht es nicht eine Nummer kleiner?

Wenn die Leute keine VWs mehr kaufen, werden sie eben einen Kia oder Alfa oder Renault nehmen. Für jede Modellreihe gibt es Alternativen.
Werden also Arbeitsplätze in VW-Werken vernichtet, müssen die Konkurrenten mehr Mechaniker einstellen.
Leiden VW-Händler, freuen sich die Kollegen von Peugeot und FIAT.
Können die Autozulieferer ihre Bauteile nicht mehr nach Wolfsburg verkaufen, liefern sie eben an BMW oder Hyundai.

Und im allerschlimmsten Fall, steigen einige Ex-Autofahrer auf das Fahrrad um - zum Wohle der Umwelt.
Eine WinWin-Situation.

Ausgerechnet die nicht eben als Hauspostille der Industrie bekannte „taz“ wird richtig dramatisch.

Scheitert VW, dann scheitert Deutschland. Und scheitert Deutschland, scheitert Europa.
Was als Umweltskandal begann, hat längst eine volkswirtschaftliche Dimension erreicht, deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Der Wolfsburger Konzern musste jetzt zugeben: Von den Software-Manipulationen bei der Abgasreinigung ist nicht nur eine halbe Million Fahrzeuge in den USA betroffen, sondern es sind weltweit elf Millionen.
Selbst wenn diese Fehler technisch behoben werden können – die Kosten dafür werden enorm sein. Hinzu kommen Strafzahlungen…

Europa scheitert gerade an ganz anderen Problemen, liebe taz.
Und die sind wesentlich wichtiger.

Blöd nur, daß Englisch-Ötti, Mauschel-Merkel und Zickzack-Sigi TTIP noch nicht durchgezogen haben.

Schade, dass es noch kein #TTIP gibt. Sonst könnte VW die USA jetzt auf 18 Milliarden verklagen. Und auf vermuteten entgangenen Gewinn. ROLF!
(Martin Sonneborn, Facebook, 23.09.15)