Donnerstag, 12. April 2012

Vorteil Homo.




Man kann sich darüber streiten wie weit die Gleichberechtigung und Akzeptanz der Schwulen in Deutschland voran gekommen ist. 
Verglichen mit so einigen östlichen Nachbarn (mal ganz abgesehen von einigen afrikanischen und arabischen Staaten), in denen es einen eklatanten Rollback ins Mittelalter gibt, dürfte die Welt des Homo Teutonicus nicht nur rosa, sondern rosig aussehen.

Russland steht unmittelbar davor das St. Petersburger Schwulen-Bann-Gesetz auf die ganze Nation auszubreiten. Sick Santorum wäre begeistert.

So weit weg ist Russland übrigens gar nicht. 
Der EU-Staat Ungarn schließt sich an.
Im Dezember 2011 erteilte der Budapester Bürgermeister István Tarlós von der konservativen Regierungspartei Fidesz dem Kollegen Wowereit eine Lektion: Seine „Lebensweise“ sei abzulehnen und daher sollten die Gay Games auch nicht in Ungarn stattfinden. 
Auf den Mund gefallen sind die rechten Ungarn nicht und so verstieg man sich zu der Aussage, das Ende der Welt drohe, fände die „Schwulenolympiade“ statt.

Gábor Vona, der seit 2009 Vorsitzender der rechtsextremistischen "Bewegung für ein besseres Ungarn" (Jobbik) ist, sagte nach Angaben ungarischer Medien, dass er die für Ende Juni geplanten Eurogames ablehnen würde: "Gott ist mein Zeuge. Es ist nicht irgendeine Art von Homophobie, sondern lediglich mein Anstand, der mich zu sagen bewegt, dass dies wirklich das Ende der Welt ist." Zu den Eurogames werden im Sommer rund 4.000 Athleten von dem ganzen Kontinent erwartet. Sie fanden letztes Jahr in Rotterdam statt - damals ohne Kontroversen und mit Unterstützung der Stadt.

Die für den 7. Juli 2012 in der ungarischen Hauptstadt geplante CSD-Demo („Budapest Pride“)  wurde inzwischen sogar polizeilich verboten.

Damit nicht genug; Jobbik plant noch weit drastischere Maßnahmen.

Bis zu acht Jahre Haft sollen Schwule und Lesben erhalten, wenn sie in der Öffentlichkeit Händchen halten oder für ihre "sexuelle Abart" werben. Das sieht ein Gesetzentwurf der drittstärksten Partei in Ungarn vor.   Die rechtsradikale Jobbik-Partei hatte am Mittwoch zwei dementsprechende Anträge ins Parlament eingebracht. Wie der Abgeordnete Adam Mirkoczki in einer Pressekonferenz in Budapest mitteilte, soll jeglicher Hinweis auf Homosexualität in der Öffentlichkeit verboten werden. Dazu gehöre auch die Schließung aller Schwulenbars und -Clubs, das Verbot von CSDs und ähnlicher Festivals sowie die positive Darstellung von Schwulen und Lesben in den Medien.    Das Gesetz solle "die öffentliche Moral und die psychische Verfassung junger Generationen" schützen, so Mirkoczki. Es sieht Haftstrafen von bis zu acht Jahren und Geldstrafen bis zu 150.000 Forint (500 Euro) vor.

In Deutschland haben es Volker Beck und Co dagegen „nur“ mit geistesgestörten Ultrarechten, wie der FDP-Kommunalpolitikerin Drechsler oder dem CDU-Mann Schneider zu tun.

Der hartnäckigste Kämpfer wider die Homosexualität ist aber immer noch Kreuznet.
 Die offen faschistisch-klerikalen Hetzer wittern mehrmals am Tag neue Fälle von „widernatürlicher Homo-Privilegierung.“

Menschen MIT Gehirn werden natürlich nicht verstehen können worin eine „Privilegierung“ bestehen soll, wenn einige diskriminierende Tatbestände abgeräumt werden.

Tatsächlich gibt es aber einen (allerdings sehr speziellen) Fall, in dem Deutsche Schwule rechtlich de facto besser als ihre heterosexuellen Freunde gestellt sind.

Der heterosexuelle Patrick S aus Leipzig darf nämlich keine sexuelle Beziehung zu seiner großen Liebe Susan K. unterhalten. Beide wollen, beide sind erwachsen, aber sie dürfen nicht, weil sie heterosexuell sind. 
Wären sie homosexuell und es handelte sich um Patrizia S. und Susan K., beziehungsweise Patrick S. und Sven K. aus Leipzig, hätte der Gesetzgeber keine Einwände gegen was auch immer die beiden im Schlafzimmer mit einander treiben könnten.

Wie kann das angehen?

Patrick und Susan haben vier gemeinsame Kinder und der heute 35-jährige Patrick S. saß dafür als Strafe mehr als drei Jahre lang im Gefängnis. 
Das deutsche Recht  habe "nicht die Familie geschützt, sondern eine Familie zerstört", so der empörte Dresdner Rechtsanwalt EndrikWilhelm, welcher dem armen Patrick seit vielen Jahren rechtlich beisteht.

Patricks und Susans Problem: 
Sie sind biologische Geschwister und heterosexueller Inzest ist verboten.
 Sehr wohl dürfen aber Brüder miteinander oder Schwestern miteinander poppen.


Deutschlands berühmtestes Inzest-Paar aus Sachsen, dessen Geschichte von der ZEIT im November 2007 noch mal in epischer Breite dargelegt wurde, scheiterte heute beim Bundesverfassungsgericht damit den Paragrafen 173 (StGB – der sogenannte Inzest-Paragraf) für grundgesetzwidrig erklären zu lassen.
Die Verfassungsrichter halten den Paragrafen für vereinbar mit dem Grundgesetz. Die Richter argumentieren, das Inzestverbot sei verhältnismäßig, weil es die familiäre Ordnung vor schädigenden Einflüssen bewahren könne und ein erhöhtes Risiko von schwerwiegenden genetischen Schäden verhindere. Es sei auch kein unzulässiger Eingriff in die private Lebensführung, weil "der Beischlaf zwischen Geschwistern nicht ausschließlich diese selbst betrifft, sondern in die Familie und die Gesellschaft hinein wirken kann".
Hört, hört! Die „Wahrung der familiären Ordnung“ ist also gefordert!!
Susan K. und Patrick S. sind NICHT zusammen aufgewachsen, so daß der Westermark-Effekt bei ihnen nicht zum Tragen kommen konnte.
( Der Westermark-Effekt ist die biologische Begründung des Inzesttabus. Demnach empfinden Menschen in allen Kulturen, eine offenbar genetisch begründete sexuelle Abneigung gegenüber Personen, mit denen sie die ersten dreißig Monate ihres Lebens eng verbracht haben.)
Die weit verbreitete Annahme, daß der von Geschwistern gezeugte Nachwuchs leicht mal geistig etwas gaga sein kann, wird von neueren wissenschaftlichen Untersuchungen übrigens NICHT bekräftigt. Studien zeigen, dass eine inzestuöse Beziehung nicht das Erbgut schädigt. Die genetische Verbindung zwischen den Eltern kann Auswirkungen auf die Vererbung von Erbkrankheiten haben: Die Wahrscheinlichkeit, dass defekte, bei den Eltern rezessiv vorhandene Gene, an das Kind dominant vererbt werden erhöht sich. Wie schwerwiegend dieser Effekt zu Buche schlägt, ist wissenschaftlich umstritten.
Soziobiologisch, genetisch und medizinisch ist es also mehr als heikel ein Inzestgebot zu rechtfertigen.
[….]
Die Logik der höchstrichterlichen Begründungen ist ohnehin sehr löcherig, wie einer der Kläger, der Hallenser Rechtsprofessor Joachim Renzikowski, der den deutschen Inzest-Paragrafen am liebsten zu Fall bringen möchte in einem Zeit-Kurzinterview erklärte:

Demnach dürfen Susan und Patrick weitere Kinder bekommen, wenn sie diese in vitro befruchten lassen – Hauptsache sie machen keinen Geschlechtsverkehr – böse böse, das finden die Richter nämlich „pfui“: Im Gesetzestext steht nicht das Zeugen unter Strafe, sondern der Beischlaf. Das bedeutet, andere Praktiken wären in Ordnung. Und paradoxerweise argumentiert das Gericht auch genau mit diesem Widerspruch, wenn es sinngemäß sagt, dass das Gesetz dem betroffenen Geschwisterpaar ja genügend "andere intime Kommunikationsmöglichkeiten", also beispielsweise oralen und analen Verkehr, straffrei ermöglicht hätte.

Nun hat der deutsche Rechtsstaat also seine liebe Friedhofsruhe – das Paar mit den vier Kindern ist ohnehin schon nach allen Regeln des strafenden und sinnlos brutalen Staates drangsaliert und malträtiert worden:
Die Kinder wurden ihnen zwangsweise weggenommen.
Man zwang Patrick zur Sterilisation; natürlich wurde er bereits mehrfach verurteilt und kam ins Gefängnis.

Sprung in die Gegenwart 2012:

Die höchste Instanz hat gesprochen; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg erklärte das deutsche Inzestverbot für rechtens.
Die Entscheidung der sieben Richter fiel einstimmig.

Schwach.
 Ganz schwach.

 Mit der Billigung des deutschen Inzestverbots hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht gerade eine Ruhmestat vollbracht. Die Entscheidung hilft niemandem, weder Befürwortern, noch Gegnern, schon gar nicht den Klägern.
[…]
So akzeptierte Straßburg nun eine auf schwachen Füßen stehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2008 für die Strafbarkeit des Geschwister-Inzests. Alles, was dagegen an überzeugenden Gründen gesagt werden kann, ist bereits gesagt. Nicht bloß von Kritikern in der Wissenschaft und in den Medien, sondern am besten vom damaligen Gerichtsvizepräsidenten Winfried Hassemer.
In seinem Sondervotum beschrieb er präzise den Unsinn einer Bestrafung des einvernehmlichen Beischlafs unter leiblichen Geschwistern: Die Strafdrohung sei unklar und widersprüchlich; sie sei nicht auf den Schutz von Ehe und Familie zugeschnitten, schütze nicht die sexuelle Selbstbestimmung und sie dürfe nicht auf die Gefahr von Erbschäden gestützt werden. Hassemer widerlegte das Argument, das Gesetz solle eine im Familienverband schwächere Person (im konkreten Fall die Schwester) schützen. Diesen Zweck habe die Senatsmehrheit dem Gesetz nachträglich unterlegt, der Gesetzgeber habe sich nicht darauf berufen.
 Den unausgesprochen zentralen Grund sowohl des gesellschaftlichen Tabus als auch des daraus folgenden strafrechtlichen Inzest-Verbots - die möglichen Erbschäden - referiert Straßburg nur. Hinter der eugenischen Begründung steckt aber eine Absicht, die nicht nur in Deutschland mit seiner schrecklichen NS-Geschichte ethisch unhaltbar ist: Das erhöhte Risiko von Erbschäden rechtfertigt kein strafrechtliches Verbot.
 Oder will irgendjemand weiteren Risikogruppen, etwa Frauen über 40 oder Menschen mit Erbkrankheiten, die Fortpflanzung bei Strafe verbieten? Will jemand im Jahr 2012 erwartbare Behinderungen bei Strafe verhindern und damit behinderten Kindern das Lebensrecht absprechen? Absurd. […]
 Nun ist es Sache der Politik, auch das letzte Tabu, das letzte "Verbrechen ohne Opfer" von der Strafbarkeit zu befreien - wie früher die Homosexualität, den Ehebruch, die Kuppelei. Es geht ohnehin nur um extreme Einzelfälle. Massenhafter Inzest wäre nicht zu befürchten. Den weiß Mutter Natur zu verhindern.
(Helmut Kerscher 12.04.12)