Wenn ich
mir das Ergebnis der Hamburg-Wahl vom 15.02.2015 hätte aussuchen dürfen, säße
die SPD-Fraktion wieder mit einer Einstimmen-Absolutmehrheit da. Sie könnte
also weiterhin effektiv regieren, müßte aber diszipliniert sein und hätte
keinen Anlass zu Übermut.
Dir
Grünen wären wie im Bund so geschrumpft, daß sie knapp hinter der stark
verbesserten Linken in der Bürgerschaft vertreten wären. AfD wäre deutlich an
der 5%-Hürde gescheitert, die FDP bei 4,9%. Bliebe noch die CDU, die gedemütigt
gerade noch zweistellig davon gekommen wäre.
Aber
bekanntlich hört der Urnenpöbel ja nicht auf mich.
Obwohl;
die 15,9% für die CDU haben mich durchaus erfreut.
Grundsätzlich
halte ich absolute Mehrheiten aber für keineswegs so schlecht, wie sie meistens
gesehen werden. Natürlich darf das nicht übertrieben werden (so wie in Bayern),
aber wenn sich ein Bundesland für einige Jahre das ewige Rumeiern im
Koalitionsausschuss und das ständige Suchen nach dem kleinsten gemeinsamen
Nenner erspart, kann das sehr effektiv sein.
Aus demokratietheoretischen
und ethischen Überlegungen heraus ist es aber wünschenswert, daß eine absolut
regierende Fraktion von beiden Seiten unter Feuer genommen wird.
Das
erdet. Einerseits kann man davon ausgehen, daß (um beim Hamburg-Beispiel zu
bleiben) die SPD einigermaßen richtig liegt, wenn sich Linke und CDU gleichermaßen
empören. Andererseits ist es für den regierten Bürger eine komfortable
Situation, wenn er die Pressemitteilungen und Newsletter der Opposition
abonniert und dadurch eine Art Doppelfaktencheck geliefert bekommt.
An
dieser Stelle eine grundsätzliche Empfehlung: Abonnieren Sie Newsletter der
Parlamentsfraktionen! Das sind sehr informative Ergänzungen zur allgemeinen
Berichterstattung. Außerdem geben sie Einblick in das Parteienleben.
Im
Bundestag werden Newsletter von sehr verschiedener Qualität erzeugt – je nachdem
wer in der Fraktion für ein Thema zuständig ist.
Bei den
Grünen stechen die sicherheitspolitischen Updates von Agnieszka Brugger und die
außenpolitischen Meldungen Jürgen Trittins hervor. Sehr gut, sehr lehrreich.
Marie-Luise Beck, Göring-Kirchentag und Volker Beck schreiben hingegen
ziemlichen Mist. Dafür ist die Atom-Frau Sylvia Kotting-Uhl ganz prima.
Die
SPD-Meldungen sind etwas dürftiger, verbreiten ganz gerne Selbstlob oder
allgemeine Gratulationen.
Piraten
und FDP kann man natürlich vergessen.
Am
Meisten nutze ich aber die Infos der Linken, die fast immer informativ und
ausführlich sind.
Inzwischen
haben das auch die Hauptstadtjournalisten begriffen und zitieren erstaunlich
oft aus parlamentarischen Anfragen der Linken.
In Gysis
Fraktion gibt es mittlerweile eine Menge ausgefuchster Fachleute, die die große
Koalition richtig piesacken, indem sie immer wieder detailliert nach genau den
Dingen fragen, die Regierungsmitglieder gar nicht gern beantworten.
Fragen,
welche die zahmen angepassten Journalisten sich kaum zu stellen wagen.
Gerade
die CDU-Schwergewichte Merkel oder Schäuble werden im komplett weichgespülten Fernsehen
nie mit Fragen konfrontiert, die ihnen wirklich Informationen entlocken.
Oder
kann sich irgendjemand daran erinnern, daß die christliche Kanzlerin schon
jemals von einem Journalisten ob ihrer exzessiven Waffenexportpolitik in die
Ecke gedrängt worden wäre?
Das sind
brandheiße Themen, die ohne Linke womöglich ganz untergingen. Und niemand im Bundestag
versteht mehr von Waffenexporten als der Hamburger Linke Jan von Aken. Seine Informationen zu verfolgen ist ein Muss. Ich
empfehle aber alle fachpolitischen Newsletter der Linken.
Sevim
Dagdelen ist ein spezieller Fall; sie ist aber durchaus interessant zu lesen.
Deswegen
wünsche ich mir immer die Linke ins Parlament, weil sie kompetente,
transparente und fleißige Arbeit abliefern.
Zumindest
im Bund und in Ostdeutschland.
Leider
gilt das nicht für Westdeutschland, wo die Linke Fraktionen häufig noch aus
alten WASG-Kadern und dubiosen marxistischen Splittergruppen bestehen.
Paradebeispiel
war die Linke Fraktion in Deutschlands größtem Bundesland NRW von 2010. Grüne
und SPD bildeten eine Minderheitenregierung und boten somit der Linken eine
exzellente und unerwartete Chance Politik zu beeinflussen. Damit hätten sie
sich endgültig etablieren können.
In der
Praxis lieferten sich die Deppen solche Scharmützel, daß niemand sie ernst
nehmen konnte. Sie erzwangen schon zwei Jahre später vorzeitige Neuwahlen, bei
denen sie dann 2,5% hochkant aus dem Landtag flogen und sich überflüssig
machten.
Angeblich
soll Gregor Gysi regelrecht verzweifelt gewesen sein, ob der Borniertheit
seiner Ruhr-Parteifreunde.
Eine
löbliche Ausnahme schienen die Hamburger Linken zu sein, die es schafften sich
kontinuierlich im Ergebnis zu steigern und zudem in der konservativen Hamburger
Pfeffersackgesellschaft anerkannt zu werden.
2008
gewann die Linke 6,4% und nutzte die Chance der perplexen SPD die
Oppositionsshow zu stehlen, als Grüne und CDU im Koalitionsbett kuschelten.
Bei der
legendären vorzeitigen Neuwahl von 2011, als die CDU unfassbare 20,9
Prozentpunkte verlor und die SPD satte 14,3 Prozentpunkte gewann, hielten sich
trotz der absoluten SPD-Mehrheit und der 11,3 % der Grünen, die Linken immer
noch bei starken 6,4%. In dem politischen Umfeld darf man das für das reichste
westdeutsche Bundesland durchaus als Sensation bezeichnen.
2015 war
alles klar für Olaf Scholz, der mit 80%-Zustimmungsraten bei allen sicher
weiter regieren würde. Es klappte fast; die Grünen stehen mit nun 12,3% als
Koalitionspartner bereit. Aber die LINKE war die Wahlgewinnerin, die mehr als
FDP und Grüne zusammen hinzugewann und auf satte 8,5% kam.
Dies ist
ein eindeutig der Fraktionschefin und Spitzenkandidatin Dora Heyenn
zuzuschreibender Großerfolg.
Sie
hatte sich quer durch alle politischen Spektren Respekt erworben, stand für
klare linke Oppositionspolitik und war bei den anderen Parteien ob ihrer
enormen Faktenkenntnis gefürchtet.
Scholz
und seine SPD konnten es sich gar nicht leisten sie in der Bürgerschaft zu
ignorieren oder mit Häme zu überziehen, weil die Frau meistens Recht hatte.
Die 65-Jährige
Gymnasiallehrerin für Chemie und Biologie hatte in den sieben Jahren ihres
Fraktionsvorsitzes enorm viel erreicht. Sie, die SPD-Dissidentin und
WASG-Mitgründerin, hatte als linke Schröderkritikerin ihre Themen der
Regierungspolitik aufgezwungen.
Chapeau.
Mehr kann man realistischerweise als links der SPD denkende Menschen in einem
westdeutschen Bundesland kaum erreichen.
Ich
freue mich über die Heyenns dieser Republik, weil sie den Weg zu rotroten oder
rotrotgrünen Bündnissen öffnen – und nur damit ist es möglich die schädliche
CDU-Blockadepolitik eines Tages ganz abzulösen.
Da in
Hamburg die Grünen nun ebenfalls in die Regierung eintreten werden und zudem jetzt
DREI rechte Parteien Opposition bilden, ist Heyenns Rolle, als einzige links
der Regierung stehenden Oppositionskraft wichtiger denn je.
Aber
hier muß ich den Konjunktiv verwenden.
Wichtig wäre
es.
In der
Praxis zeigen aber die Linken wieso sie eben noch nicht für die richtige
Politik im Westen taugen: Sie sind von Querulanten und Sturköpfen durchsetzt,
die mit Vorliebe den Konservativen helfen, indem sie sich selbst zum Affen
machen und Feindbilder abgeben.
Genau
das passierte in Hamburg.
Statt
Dora Heyenn auf Knien zu danken und sie einstimmig zur Fraktionschefin
wiederzuwählen, blähten sich sechs verwirrte Jung-Linke auf und mobbten Heyenn nicht
nur vom Fraktionsvorsitz weg, sondern gleich noch ganz aus der Fraktion.
Seit
Andrea Nahles legendär-idiotischer Aktion von 2005, als sie nach dem Rotgrünen
Machtverlust mitten in den Koalitionsverhandlungen mit der künftigen CDU-Kanzlerin
den eigenen SPD-Vorsitzenden Müntefering stürzte und die SPD ins Chaos
schickte, habe ich keine Parteipolitdoofheit wie jetzt bei den Hamburger Linken
erlebt. OK, dann war noch die Matschie-Totalblamage von 2009, die
auch in dieser Klasse mitspielt.
Was für
ein Geschenk für die CDU-Generalsekretäre dieser Republik.
[…]
Die Hamburger Fraktion der Linkspartei
startet mit Personalquerelen in die neue Legislaturperiode. Erst wurde die
bisherige Vorsitzende und Spitzenkandidatin Dora Heyenn überraschend am
Wochenende abgewählt, dann trat sie am Montag aus der Fraktion aus. "Das
bin ich auch den Wählerinnen und Wählern schuldig", sagte sie. Sie werde
aber "selbstverständlich" Mitglied der Partei bleiben.
Die neue Doppelspitze
der Fraktion stufte die überraschende Abwahl Heyenns als Unfall ein. "Bei
der Wahl kam es leider zu einem unerwarteten Ergebnis. (...) Ich kann auch
sagen: Das ist gründlich danebengegangen", sagte die neue
Fraktionsvorsitzende Cansu Özdemir. Die Co-Vorsitzende Sabine Boeddinghaus
ergänzte: "Wir haben jetzt eine schwierige Situation." […].
Die
Bundesgrünen und der arme Gregor Gysi dürften wieder einmal der Verzweiflung
über ihre Trümmer-Basis im Westen nahe gewesen sein.
[…]
Es ist nicht Dora Heyenns Art, ihre
Gefühle zu verstecken. Und so machte die bisherige Vorsitzende der Linken
Bürgerschaftsfraktion auch am Montag kein Geheimnis aus dem, was in ihr
vorgeht. "Ich bin enttäuscht, ich bin ärgerlich, ich bin wütend",
sagte die 65-Jährige am Montag dem Abendblatt. Am Wochenende hatte sich ihre Partei nicht
nur für eine künftige Doppelspitze der Fraktion ausgesprochen, sondern
mehrheitlich auch gegen sie: das Zugpferd der Hamburger Linken. Und genau darin
lag für parteiinterne Kritiker auch das Problem. Heyenn sei inzwischen so
präsent, dass die Partei hinter ihr verschwinde.
[…]
Mit der Einführung der Doppelspitze
hinter ihrem Rücken sei jedoch seitens der Fraktion "eine Grenze
überschritten" worden.
Politiker anderer
Parteien drückten persönlich und in den sozialen Netzwerken ihr Verständnis für
den Schritt Heyenns aus.
[…]
Als sich aber auf einer Fraktionssitzung
sechs von elf Abgeordneten gegen Heyenn stellten, warf die 65-Jährige das
Handtuch. Nicht einmal der Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Gregor Gysi,
konnte sie zu einer erneuten Kandidatur bewegen. Irgendwann sei Schluss, sie
sei nicht Heide Simonis, sagte Heyenn. Mit 8,5 Prozent hatte die Linke bei der
Bürgerschaftswahl am 15. Februar ihr bislang bestes Ergebnis in Hamburg
erreicht. Damit geht die Fraktion mit elf statt bisher mit acht Abgeordneten in
die fünfjährige 21. Legislaturperiode. Die Fraktion sollen künftig die
Abgeordneten Cansu Özdemir (26) und Sabine Boeddinghaus (58) führen. […]