Es ist dieser erzkonservative, autoritäre Reflex, alles verbieten zu wollen, das nicht wie man selbst ist. Ich lehne das als zutiefst illiberal ab. Unter konservativer Ägide wurde und wird so viel verboten, das völlig harmlos ist und positiv wirken kann: Gemischtrassige Ehen, Verhütungsmittel, Masturbation, das Wahlrecht für Frauen, Homosexualität, außerehelicher Geschlechtsverkehr, die Freiheit Atheist zu sein, Stammstellenforschung, das Wahlrecht für Schwarze, PID, Leihmutterschaft und vieles andere mehr.
(…….) Natürlich ärgert es mich als Liberalen (nicht im FDP-Sinne!), wenn rechte Parteien tragische Vorkommnisse ausnutzen, um sich als tatkräftig zu inszenieren, indem sie höhere Strafen und schärfere Gesetze fordern.
Das ist so billig und durchschaubar. Das tut man wenn das Kind im Brunnen ist. Schärfere Gesetze kosten nichts und lenken davon ab, daß die aktiven Politiker offensichtlich bei der Prävention versagt haben.
Ganz ohne Strafgesetzbuch und Jugendknäste geht es leider nicht.
Aber ich erwarte, daß Politiker nicht wie 2001 CDU und Schillpartei in Hamburg dafür gewählt werden mehr Jugendliche einzusperren, sondern wünsche mir Bildungs-, Sozial- und Justizpolitik, die verhindert, daß Jugendliche überhaupt auf die schiefe Bahn geraten.
Nach „schärferen Gesetzen“ zu krakeelen, ist ein Armutszeugnis und zu allem Übel wird das auch noch vom Wähler belohnt.
Mein persönlicher Liberalismus gebietet es Freiheiten nur dort einzuschränken, wo sie Dritte gefährden.
Waffen müssen für den Privatgebrauch verboten sein, weil man mit Waffen andere verletzt. Man darf nicht mit drei Promille Autofahren, weil man sich damit nicht nur selbst umbringt, sondern andere gefährdet.
Irrigerweise gibt es aber auch zahlreiche Verbote, die aus reiner (oft religiotisch beeinflussten) Borniertheit entstanden.
Eins, das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe wurde gerade erst abgeschafft.
Intersexuelle dürfen aber immer noch nicht heiraten.
Man darf auch nicht zu dritt heiraten. Die Ehe zwischen Geschwistern ist nach wie vor verboten, obwohl das Inzest-Tabu absurd und anachronistisch ist. (….)
(Das gehört verboten, 04.01.2018)
Manchmal schieben sie eine gute Absicht vor, wie das Verhindern von Abtreibungen und den Schutz des werdenden Lebens.
Die Praxis zeigt aber den gegenteiligen Effekt. Es finden weniger Abtreibungen bei liberaleren Regelungen statt, weil Schwangere dann nicht unter Druck gesetzt werden. Strengste Regeln, wie sie Trumps GOPer gerade in den USA durchsetzen, führen hingegen dazu, daß nicht nur mehr Panik-Abtreibungen passieren, sondern daß dabei auch Frauen auf bestialische Art sterben.
Der Verbotswahn der konservativen vorgeblichen Abtreibungsgegner zielt in Wahrheit darauf Frauen zu drangsalieren und über sie zu bestimmen.
Natürlich ist das Strafgesetzbuch sinnvoll. Missetaten, die anderen schaden – Mord, Diebstahl, Vergewaltigung – gehören selbstverständlich verboten.
Die Existenz von Gefängnissen zeigt aber, daß strafbewährte Verbote offenkundig nicht das Übel verhindern.
Mord ist auch in den USA illegal. Dennoch werden
Zehntausende Menschen jedes Jahr durch Waffengewalt getötet. Offenkundig bedarf
es weiterer Maßnahmen, wie beispielsweise die eigentlich nicht so abwegige
Idee, nicht jedem Irren ein Maschinengewehr in die Hand zu drücken.
Ich halte es für ein Armutszeugnis, wenn rechte Politiker und Publizisten bei jedem dramatischen Vorfall nach mehr Verboten rufen.
Es gibt aber gleichzeitig Dinge, die tatsächlich verboten werden sollten, die aber gerade die Konservativen so sehr unterstützen. Silvesterfeuerwerk, privater Waffenbesitz oder die AfD.
Natürlich ist ein AfD-Verbot juristisch heikel und nicht mal eben von Nancy Faeser per Befehl durchzusetzen. Bernd Höcke und Co werden sich als arme Opfer inszenieren und die ultrarechten Hetzer werden zunächst einmal solidarischen Zulauf haben. Ich denke aber, die Vorteile eines AfD-Verbots überwiegen bei weitem die Gefahren eines solchen Verfahrens.
[….] Die neuen Enthüllungen über Kontakte zwischen der AfD zu Rechtsextremen und Pläne zur „Remigration“ wecken bei der Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan „dunkelste Erinnerungen an die antijüdische Gesetzgebung in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus“. Die Bundestagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz sagte der Frankfurter Rundschau: „Wenn Demokratiefeinde in großem Stil um Millionen-Spenden für verfassungswidrige und menschenverachtende Projekte werben können, läuft etwas schief in Deutschland. Es gilt daher dringend, die Finanzierungsnetzwerke von Rechtsextremisten zu zerschlagen.“
Khan bezieht sich damit auf Berichte von Correctiv, der AfD-Politiker Siegmund habe bei dem Treffen auch versucht, Spenden zu akquirieren. Er habe dazu von Plänen berichtet, für die knapp 1,5 Millionen Euro zusätzlich zu Mitteln aus der Partei-Finanzierung notwendig seien.
Der AfD Zugang zu öffentlichem Geld für demokratische Parteien zu entziehen, ist auch ein Argument, das für ein Verbot der rechten Partei vorgebracht wird. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner dringt vehement darauf. „Alle Argumente für ein Verbot der AfD liegen auf dem Tisch“, sagte Renner der Frankfurter Rundschau. Es brauche jetzt die notwendigen Mehrheiten im Bundestag, um einen entsprechenden Antrag auf den Weg zu bringen.
Franz Zobel, Projektleitung der Opferberatungsstelle Ezra in Thüringen, sagte der FR: „Ein Verbot mindestens der AfD-Landesverbände in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt muss jetzt endlich auf den Weg gebracht werden.“ […..]
Begonnen wird so ein Verfahren trotz erfolgreicher Petitionen nicht, weil die anderen Parteien zu viel Angst davor haben zu scheitern oder die AfD zu sehr zu reizen.
Aber Angst kann und darf kein Hinderungsgrund sein.
[….] Ein Zusammenschluss aus Gewerkschaftern, Historikern und Aktivisten will ein AfD-Verbot voranbringen. Die Partei verstoße gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. Verfassungsrechtler sind skeptisch.
"Es ist unsere moralische und verfassungsrechtliche Pflicht, einzuschreiten", sagt Julia Dück, Sprecherin der Kampagne "Menschenwürde verteidigen - AfD-Verbot jetzt!" Sie beklagt eine "Normalisierung" der AfD - wie sie in Wahlergebnissen, Parlamenten und in der Gesellschaft stattfinde. Für Dück ist die AfD keine Partei wie andere auch. Sie gehöre stattdessen verboten.
Mit einer Kampagne will ein Bündnis von Gewerkschaftern, Historikern und linken Anwälten und Aktivisten die anderen Parteien dazu bewegen, ein Verbot der AfD beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Dück und ihre Mitstreiter haben zur Pressekonferenz ins Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin geladen.
Auf dem Podium sitzt auch Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Er sieht ebenfalls eine Gefahr in der AfD und einen Rechtsruck in der Gesellschaft: "Das sind große Kräfte, die die Gleichwürdigkeit aller Menschen, also Artikel 1 des Grundgesetzes, massiv in Frage stellen. Und wir sehen die AfD als deren parlamentarischen Arm."
Der Kernvorwurf der Initiatoren der Kampagne: Die AfD verstoße gegen die Menschenwürde - und damit gegen Artikel 1 des Grundgesetzes. "Sie schürt Hass und Rassismus und damit legitimiert sie auch Gewalt. Das führt zu Anschlägen wie in Halle und Hanau oder dem Mord an Walter Lübcke", sagt Dück. Das sind schwere Vorwürfe. Ein Parteiverbot müsste beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden - durch die Bundesregierung, den Bundestag oder den Bundesrat. Das Bündnis will nun auf genau diese Institutionen Druck machen, einen solchen Antrag zu stellen. [….]
Weniger hoch als bei einer Partei, sind die verfassungsrechtlichen Hürden beim Verbot der chinesischen Staatsplattform TikTok, die enorm wirkungsmächtig ist. Sowohl in den USA, als auch in der EU befürworten die meisten Politiker über Parteigrenzen hinweg, die Abschaltung von Tiktok. Angefasst wird das Verbot auch in diesem Fall nur deswegen nicht, weil alle die Hosen voll haben. Zu viele Nutzer vereint China unter seinem Algorithmus. Die gesamte GenZ ist TikTok-süchtig und würde ausrasten, wenn man ihr das liebste Spielzeug nähme.
Dabei ist der Schaden, den TikTok für unsere Demokratie anrichtet offensichtlich.
Ohne TikTok wären die deutschen Erst- und Jungwähler bei Weitem nicht zu rechtsextrem und Demokratie-feindlich.
[…..] AfD-Chefin Alice Weidel steht auf einer Bühne vor einer Menschenmenge und ruft ins Mikrofon: »Wir haben eine Erosion der inneren Sicherheit.« Swipe. Ein Bild von einem grünen Lokalpolitiker unterlegt mit einem Lied: »Mir tut es in der Seele weh, wenn ich das alles seh, schönen Dank an Grüne, SPD und FDP.« Swipe. Ein rechtsextremer Aufmarsch gegen den Christopher Street Day in Magdeburg, schwarz gekleidete Männer, Deutschlandfahnen.
So kann es aussehen, wenn jemand die App TikTok öffnet und durch das Angebot swipt, also wischt. Es reicht, einen Account bei TikTok anzulegen, die Schlagwörter »Deutschland« und »AfD« einzugeben, ein paar Clips zu liken – und schon empfiehlt der Algorithmus vor allem solche Videos. Sie zeichnen das Bild eines Landes, in dem die Menschen vor vielem Angst haben müssen. In dem alles schiefläuft, weil die Falschen an der Macht sind. Der Erfolg der AfD in dieser Zielgruppe ist ohne TikTok kaum erklärbar. In Deutschland nutzen der JIM-Jugendstudie zufolge 59 Prozent der 12- bis 19-Jährigen regelmäßig die App. Sie analysiert die Interessen der Nutzerinnen und Nutzer und zeigt Videos, die ihnen sehr wahrscheinlich zusagen werden. Eine maßgeschneiderte Filmwelt, die sich den Befindlichkeiten der Zuschauenden anpasst – und in der sich junge Leute schnell verlieren können.
»Wer früher eine radikale Ansicht geäußert hat, musste oft mit Widerspruch von Eltern oder Lehrern rechnen. Im digitalen Raum fällt das weg, da bestärkt man sich eher gegenseitig«, sagt Mathieu Coquelin, Leiter der Fachstelle für Extremismusdistanzierung. Die Stelle berät Sozialarbeiter, Jugendeinrichtungen und andere Institutionen zum Umgang mit Extremismus. Seit Jahren gewinne der digitale Raum in ihrer Arbeit an Bedeutung, sagt Coquelin.
Ein Video des AfD-Politikers Björn Höcke, der über den Wert von Kindern spricht. Swipe. Bilder von Vermummten, die auf der Basteibrücke in der Sächsischen Schweiz ein Deutschlandbanner aufgehängt haben. Swipe. Eine junge Frau, weißes Top, lange offene Haare, tanzt zu einem elektronischen Song: »Nur die AfD. Deutschland braucht die AfD.«
Die extreme Rechte hat die Vorteile von sozialen Netzwerken früh erkannt. Populistische Inhalte emotionalisieren, dafür werden sie vom Algorithmus mit Reichweite belohnt. Keine Partei im Bundestag ist in sozialen Netzwerken so erfolgreich wie die AfD. Die Videos der Fraktion werden hunderttausendfach angesehen. »Es geht in den Videos oft darum, dass einem angeblich etwas weggenommen wird. Der Verbrennungsmotor durch den Klimaschutz, Sicherheit durch zu viel Einwanderung«, sagt Coquelin. Das sorge für starke Abneigung gegenüber jenen, die vermeintlich etwas wegnehmen wollen.
Bilder von Geflüchteten an der deutschen Grenze, dazu der Song: »Weit ist der Weg zurück ins Heimatland«. Swipe. Ein Mitglied der AfD-Jugend spricht darüber, dass der Verfassungsschutz »deutsche Patrioten« mundtot machen wolle. Swipe. Ein Junge, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, filmt sich selbst im Badezimmerspiegel, er hebt die Hand zum Hitlergruß.
Die Mobilisierung im Netz sei für den Erfolg der AfD ganz entscheidend, sagt auch Dirk-Martin Christian, Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes. Er beobachtet, wie die Partei dabei von außen unterstützt wird. Private Vereine und Organisationen aus dem Umfeld der rechtsextremen Identitären Bewegung würden etwa für die AfD Material für die sozialen Medien produzieren. »So haben sie einen deutlichen Vorsprung vor den anderen Parteien.« […..]
(DER SPIEGEL, Titelgeschichte, 14.09.2024)
Der Schaden, den TikTok anrichtet, ist genauso offensichtlich, wie die Hilflosigkeit der Demokraten. TikTok gehört abgeschaltet.