Sonntag, 1. Dezember 2013

Impudenz des Monats November 2013




Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Warum ändert sich eigentlich nichts an den zweifellos unhaltbar ungerechten Zuständen in Deutschland?
Nun bekommen wir vermutlich eine Superkoalition mit einer 80%-Sitzmehrheit im Bundestag und die großen Baustellen der Gesellschaft bleiben weiterhin abgesperrt und vakant.
Seit mehr als zehn Jahren wird tagtäglich in Deutschland beschrieben, wie die soziale Schere immer weiter auseinander geht. Reiche werden rasant immer reicher, während ein fester, verschuldeter Prekariatsbodensatz immer größer wird.
Wir wissen genau warum das so ist; die Industriellen und Milliardäre haben exklusiven Einfluß auf die Bundesregierung und können sich durch maßgeschneiderte Gesetze der allgemeinen Solidarität entziehen.
Deutschland hat nach wie vor im Gegensatz zu beispielsweise der nicht gerade als streng kommunistisch bekannten USA kein Lobbyregister; Politikerbestechung ist im Gegensatz zu fast allen anderen Staaten der Erde nicht strafbar und diejenigen, die ihre Einkünfte durch NICHTSTUN generieren, einfach weil sie schon Millionäre sind und Zinsen kassieren, zahlen weniger Steuern, als die Bürger, die durch ihr Arbeitseinkommen leben.
All das wird auch im Falle einer großen Koalition so bleiben. Am ungerechten und komplizierten Steuersystem wird nicht gerüttelt werden.

Auch beim x-ten Hören wird es nicht nachvollziehbarer: Pures Oregano, Currywurst im Stehen oder Maultiere kosten sieben Prozent Mehrwertsteuer. Gewürzmischungen, Currywurst im Sitzen und reinrassige Esel dagegen 19 Prozent. Der Mehrwertsteuerirrsinn steht stellvertretend für das unübersichtliche deutsche Steuerrecht. Und die scheidende Regierung hat den Dschungel trotz ihres wirtschaftsliberalen Rufs nicht etwa gelichtet, sondern ihm mit der Steuerermäßigung für Hoteliers eine weitere Verästelung hinzugefügt.
Die neue Regierung macht in bewährter Weise weiter: Laut Koalitionsvertrag wünscht sie sich den ermäßigten Satz künftig auch für Hörbücher und E-Books, weitere Erleichterungen sollen geprüft werden. Hinweise auf die Streichung von unlogischen Steuerrabatten sucht man dagegen vergebens - bekanntlich ist die Abschaffung von Wohltaten deutlich mühsamer als ihre Einführung.
Auch sonst bleibt die einst von Friedrich Merz geforderte Steuererklärung im Bierdeckel-Format in weiter Ferne. So werden Kapitaleinkünfte über die Abgeltungsteuer weiterhin günstiger besteuert als Einkommen. Die SPD wollte das ändern, die Abgeltungsteuer zunächst anheben und dann unter Umständen zugunsten einer einheitlichen Besteuerung abschaffen. Von diesem Plan ist im Koalitionsvertrag nichts mehr zu lesen.

Und nein, ich kann mir nicht vorstellen, daß die gesamte SPD-Führungsriege so leicht zu kaufen ist, daß sie all diesen Mist wegen einer 90.000Euro-Spende durchgehen läßt.
Aber warum ist die Partei so doof überhaupt den Eindruck entstehen zu lassen? Kann man nicht so eine Spende wenigstens ablehnen?

Mitten in den Koalitionsverhandlungen haben CDU und SPD Spenden des Spezialchemiekonzerns Evonik erhalten. Wie auf der Internetseite des Bundestags ausgewiesen wird, gingen am vergangenen Freitag 90 000 Euro bei der SPD und 70 000 Euro bei der CDU ein. Die Organisation Lobbycontrol kritisierte die Spenden. Sie seien zu einem brisanten Zeitpunkt geflossen, an dem in den Koalitionsgesprächen entscheidende Weichen in der Energiepolitik gestellt würden. SPD und CDU seien gefragt, «ihre Unabhängigkeit gegenüber der Lobby der energieintensiven Unternehmen und Kohlekraftwerksbetreiber zu beweisen», erklärte Lobbycontrol am Dienstag in Berlin.

Die massiven Makel des Koalitionsvertrages insbesondere im gesellschaftspolitischen Bereich hatte ich schon mehrfach angesprochen:

Keine Finanzierungspläne, lange Übergangsfristen, keine Transparenz, keine Reform der Unternehmens- oder Mehrwertsteuer, Rentenerhöhung einseitig zu Lasten der gesetzlich Angestellten, keine Reformen im Gesundheitssystem, keine Steuererhöhungen für Millionäre, kein Rüstungsexportstopp, keine humanere Entwicklungshilfepolitik, keine Deckelung von Managergehältern, keine Bafög-Reform, 400.000 Privatversicherte, die de facto keine Versicherung mehr haben, weil sie sich die Rasant steigenden Beiträge nicht mehr leisten können werden einfach im Stich gelassen und bei den Minderheiten sieht es noch dürftiger aus: Flüchtlinge und Asylanten werden im Stich gelassen, es gibt keine rechtliche Gleichstellung von Schwulen und obwohl Gabriel und Co werbewirksam aufsagen „die doppelte Staatsbürgerschaft kommt!“, kommt diese eben NICHT.
Wer älter als 23 ist  - ich bin selbst ganz knapp drüber – muß Ausländer bleiben und ist in Deutschland nicht willkommen.

Ich komme zurück auf den Titel dieses Postings:

Zur Impudenz des Monats November erkläre ich die DEUTSCHE SATURIERTHEIT!

Die Deutschen sind immer so verdammt zufrieden. Zufrieden mit den Umständen, zufrieden mit dem System und noch viel zufriedener mit ihrer persönlichen Situation.

Was schon im Sommer, einige Monate vor der Wahl beschrieben wurde, gilt anschließend erst recht.

Vor der anstehenden Bundestagswahl ist die Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen besonders ausgeprägt. Vergeblich sucht die Opposition nach dem Thema, mit dem sich das ändern ließe. [….]
In diversen Umfragen zur Stimmungslage der Nation kristallisiert sich seit einiger Zeit die Zahl 75 heraus. 75 Prozent der Deutschen sind mit ihren ökonomischen Perspektiven zufrieden. Bezeichnenderweise ist die Zustimmung zur Arbeit der Kanzlerin ähnlich hoch. Ihre Popularität reicht bis weit ins Lager der Opposition. Der Slogan "mehr Gerechtigkeit" könnte glatt von ihr stammen. Die Vorstellung, die Wähler könnten Angela Merkel am 22. September auffordern, das Kanzleramt zu räumen, drängt sich also nicht gerade auf. [….] Tatsächlich passt die maue Vorstellung der Parteien zum dürftigen Interesse der Gesellschaft. Denn es ist ja nicht so, dass die Bundesbürger nach politischer Debatte und komplexen Problemlösungen gierten, dass sie sich von den Parteien unterfordert fühlten und deshalb an der etablierten Politik vorbei sprühende Kontroversen anzettelten. Um allein den Parteien den tristen Wahlkampf anzulasten, müsste sich die Öffentlichkeit selbst wacher und interessierter zeigen. Doch für einen spannenden Wahlkampf fehlen nicht nur die politischen Akteure, sondern es fehlt auch der gesellschaftliche Adressat. Die Republik wirkt satt und sorglos. Zu satt für die leidenschaftliche politische Auseinandersetzung.
[….] Hierzulande formuliert Merkel heute keine einzige unpopuläre Maßnahme, durch die der Staat handlungsfähiger, die soziale Sicherung zukunftsfester oder das Steuersystem "einfacher und gerechter" gestaltet werden könnte. [….] Der begrenzte Horizont, ein gewisses Desinteresse an der Welt, auch das war nicht immer so ausgeprägt wie im Jahr 2013. 1998 ging es im deutschen Wahlkampf nicht nur um den Reformstau und das Ende der Ära Kohl, es ging auch um die Lage im ehemaligen Jugoslawien, im Kosovo und darum, was der Konflikt für die nächste Bundesregierung bedeuten könnte. 2002 drehte sich die Debatte nicht nur um die deutsche Krise, sondern zwangsläufig um islamistischen Terror, die Afghanistanmission und um den heraufziehenden Irakkrieg. [….]   Heute, am Vorabend der Bundestagswahl, präsentiert sich die Republik problemfern und selbstbezogen wie lange nicht mehr. Die Anstrengungen, die jetzt nötig wären, um den ökonomischen Erfolg nachhaltig zu machen, bestimmen die politische Debatte ebenso wenig wie die internationale Verantwortung, die aus der neuen Stärke erwächst. Es wirkt, als hätten sich die Deutschen mit ihren Parteien darauf verständigt, das Wichtige erst einmal auszuklammern. Saturiert verschwindet die Republik in die Sommerpause.

Mitleid ist nicht sehr weit ausgeprägt in Deutschland; man spendet prozentual viel weniger als die Briten oder Amerikaner. Hilfsbereitschaft wird ganz klein geschrieben. Man genügt sich selbst.
Selbst ein vollkommen unambitionierter „wir-klammern-alle-Probleme-aus“-Koalitionsvertrag wie der nun Vorliegende läßt die Großschreiberlinge jubilieren. Im durchaus als seriös und liberal geltenden Tagesspiegel hebt man die Daumen und buckelt vor Merkel

Auch wenn sie sich den Triumph nicht anmerken lässt: Angela Merkel hat in den vergangenen Wochen klug verhandelt. Jetzt hat sie nicht nur die Wahl gewonnen - sondern auch alle Chancen, dass ihre CDU aus diesem Bündnis fröhlicher herauskommt, als sie hineingeht.
[….]   Tatsächlich hat Merkel klug ge- und verhandelt. Sie wusste, sie hatte die Wahl gewonnen, aber nicht die Macht. Die Macht hat ihren Preis. Der Preis bemisst sich in Fairness-Punkten. Deshalb findet Gabriel sehr viele SPD-Überschriften aus seinem Wahlprogramm im Koalitionsvertrag wieder. Und auch im Kabinett wird die SPD gewiss ganz gut vertreten sein.  Das ist für manche CDU-Politiker schwer zu verdauen, die am liebsten nach der Wahl auch noch die Koalitionsverhandlungen krachend gewonnen hätten. Aber wo eine Regierung endet, die mit der Demütigung des kleineren Partners anfängt, haben wir die vergangenen vier Jahre lang erleben dürfen. […Merkel]  hat dafür für ihre Europapolitik alle Beinfreiheit erhalten, die sie braucht, in der Finanzpolitik den Ruf der schwäbischen Hausfrau bis auf Weiteres gewahrt und viele der SPD-Projekte um kleine, aber nicht unwichtige Elemente entschärft. Da kann es der CDU-Chefin egal und in manchen gesellschaftspolitischen Fragen sogar recht sein, wenn ihre dritte Koalition auch sozialdemokratische Politik macht. Die SPD wird ihr da noch viel Arbeit abnehmen, die sie sonst in der CDU selbst hätte leisten müssen. Nach einem Mindestlohn rufen ja längst auch viele Wirtschaftszweige, die sich gegen Dumping-Konkurrenz behaupten müssen. Der bisherige Optionszwang im Staatsbürgerrecht taugt nicht dazu, Integration zu erzwingen, sondern erschwert sie. [….]  

Deutsche Denkfaulheit und versagenden Presse ergibt in Kombination mit der penetranten Grundsaturiertheit die Zustimmungswerte, die alle Umfragen derzeit wieder messen.
Selbst bei den SPD-Anhängern sind 75-80% voll zufrieden mit den dürftigen Vereinbarungen der großen Koalition und der Aussicht auf ewig Merkel als Kanzlerin zu behalten.

Die SPD-Wähler wollen ein "Ja"
Eine Mehrheit der Deutschen will, dass die SPD-Basis dem von Union und Sozialdemokraten ausgehandelten Koalitionsvertrag zustimmt. In einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap für den Bericht aus Berlin sprachen sich 66 Prozent der Befragten dafür aus, nur 22 Prozent sind der Meinung, die SPD sollte den Vertrag nicht unterschreiben.
Unter den SPD-Anhängern ist die Zustimmung noch deutlicher: Hier sprechen sich 75 Prozent für ein "Ja" zu dem Vertrag aus, 18 Prozent für ein "Nein".



Die Kollegen von der Forschungsgruppe Wahlen sehen es ähnlich.

Mit den von Union und SPD vereinbarten Koalitionsvorhaben ist eine Mehrheit von 52 Prozent insgesamt eher zufrieden, darunter 65 Prozent der CDU/CSU-Anhänger und 64 Prozent der SPD-Anhänger. Gut ein Viertel (26 Prozent) der Deutschen äußert sich negativ und 22 Prozent können dies nicht beurteilen. Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen finden jetzt 50 Prozent eine Große Koalition gut (Nov. I: 44 Prozent), 31 Prozent lehnen sie ab (Nov. I: 34 Prozent) und 15 Prozent ist es egal (Nov. I: 19 Prozent).
Im Einzelnen befürworten 82 Prozent die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro (dagegen: 16 Prozent), eine Autobahn-Maut für alle Pkw, bei einer entsprechenden Entlastung für Autohalter im Inland, unterstützen 68 Prozent (dagegen: 29 Prozent) und 56 Prozent begrüßen die dauerhafte doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern (dagegen: 38 Prozent). Weiter sprechen sich 90 Prozent für eine abschlagsfreie Rente ab 63 nach 45 Beitragsjahren (dagegen: neun Prozent) und 86 Prozent für eine Besserstellung von Müttern, deren Kinder vor 1992 geboren wurden (dagegen: neun Prozent), aus. […]
Die meisten Befragten (64 Prozent) bewerten es positiv, dass bei der SPD die Mitglieder darüber entscheiden, ob die Partei eine Regierung mit der CDU/CSU bildet oder nicht. 31 Prozent finden das schlecht. Dabei erwarten fast drei Viertel (73 Prozent), dass das Votum für den ausgehandelten Koalitionsvertrag ausfällt, nur 18 Prozent rechnen mit einer Ablehnung.
Auch ein Großteil der Anhänger der SPD (80 Prozent) ist davon überzeugt, dass die SPD-Mitglieder zustimmen werden (stimmen dagegen: elf Prozent). Sollte es am Ende doch nicht zu einer Großen Koalition kommen, dann würden mit 52 Prozent die meisten eine Neuwahl vorziehen, 23 Prozent wünschten sich in diesem Fall eine schwarz-grüne und 19 Prozent eine rot-rot-grüne Bundesregierung.



Also liebe Piraten, wer bei diesem Volk auf mehr plebiszitäre Elemente setzt und seinen Ärger über die etablierten Politiker in mehr Volksbefragungen sublimieren will, ist gehörig auf dem Holzweg.