Mittwoch, 9. August 2023

Rechtsextreme. Faschisten. Nazis.

 Schon mein ganzes erwachsenes Leben, gebe ich mir größte Mühe, auf religiöse Floskeln wie „Oh Mein Gott“ oder „Herr Je“ zu verzichten. Ich will nicht sprachlich an der Bibel kleben.

Der zweite Konnotationsbereich, den ich in meiner Metaphorik stets vermeide, ist der NS-Bereich. Ich mache niemals Witze über Hitler oder Juden, stelle keine Nazi-Vergleiche an, sage nicht „bis zur Vergasung“, unterlasse alles, das den Mord an sechs Millionen Juden, die Zerstörung Europas und den Tod von 60 Millionen Kriegsopfern, verharmlosen würde.

Natürlich wirkt meine rhetorische Vorsicht altmodisch und wird in Vergessenheit geraten. Das kann ich nicht ändern und würde mich auch genauso abgestoßen fühlen, wenn ich der einzige Mensch der Welt wäre, der „Er ist wieder da“-Buchtitel abstoßend findet und Nina Queer für ihren lapidaren Satz „dann bin ich eben die Hitler-Transe“ zutiefst verachtet.

Rechtsextrem und rechtsradikal sind scharfe Worte, die genügend Schockpotential bergen. Noch entsetzlicher war es, als Frauke Petry im Jahr 2016 damit an die Presse ging, den Begriff „völkisch“ positiv besetzen zu wollen. Der Begriff ist für mein Empfinden noch näher an der NS-Ideologie als „rechtsextrem“, weil ich mit ihm noch wesentlich stärker das Grundübel „Rassismus“ assoziiere. Das klingt nach Rassenkunde und Vermessung von Kopfformen, um „Arier“ zu ermitteln.

Die nach „Völkisch“ nächste Eskalationsstufe erklimmt man mit „Faschismus/faschistisch“. Natürlich denken und handeln glatzköpfige Straßen-Mörderbanden, die Asylunterkünfte in Brand setzen und Dunkelhäutige jagen „faschistisch“. Aber ihr parlamentarischer Arm versuchte in der Regel, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben, ordentlich gekleidet zu sein, wenn die Presse anwesend war, nicht allzu offensichtliche physiognomische Ähnlichkeiten mit Hitler oder Himmler zu feiern. Man will nicht mit SA-ähnlich gekleideten Schlägern zusammen gesehen werden, weil „faschistisch“ als Makel gilt. man riskiert anderenfalls, nicht gewählt zu werden.

Umso schockierender, daß Landolf Ladig/Bernd Höcke, sich sprachlich so ungeniert bei Goebbels und Hitler bedient, daß selbst AfD-Anhänger Zitate aus Höcke-Büchern nicht mehr von Hitlers „Mein Kampf“ unterscheiden können.

[….] Björn Höcke darf als "Faschist" bezeichnet werden

Proteste "gegen den Faschisten Höcke" wollte die Stadtverwaltung Eisenach verbieten lassen. Doch die Richter gaben den Höcke-Gegnern recht: Ihr Werturteil fuße auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage. [….]

(SPOPN, 28.09.2019)

Das ist also auch schon vier Jahre her. Man könnte meinen, die Spitze der Fahnenstange sei erreicht, wenn im parlamentarischen Nachkriegsdeutschland, ein Volksvertreter gerichtlich bestätigt als „Faschist“ gebrandmarkt werden darf.

Diese Vokabel galt mir lange Zeit als die ultimative Verurteilung. Das Ende einer politischen Karriere. Wer wählt im 21. Jahrhundert schon einen ausgewiesenen Faschisten?

Nun, bedauerlicherweise tun Millionen Menschen in Deutschland genau das. Insbesondere für Ossis ist es gar kein Ausschlußkriterium, einen Faschisten auf dem Wahlzettel zu haben. Im Gegenteil. Die AfD ist in mehreren DDR-Bundesländern stärkste Kraft. Außerdem pendelte sie sich nach „rechtsextrem“ und „völkisch“ im Jahr 2019 nicht etwa bei „faschistisch“ ein, sondern radikalisierte sich kontinuierlich weiter.

Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) verwendete bald darauf den Begriff „Neonazi“ im Zusammenhang mit der AfD.

Ich schreibe erst seit einigen Wochen erst und regelmäßig das Wort „Faschist“ aus, wenn ich die AfD thematisiere. Aber diese Bestien schämen sich nicht, radikalisieren sich immer mehr und werden genau dafür vom Urnenpöbel bejubelt. Da wird jede sprachliche Deskription schnell zu schwach.

Wie soll man da mithalten, wenn man diese braune Gefahr angemessen beschreiben will?


[….] Ortstermin am Infostand bei Zwickau: Nicht mal die AfD ist den Menschen hier radikal genug [….] Bei der Kreistagswahl vor vier Jahren hat die AfD hier 23,4 Prozent erreicht, eine Stimme weniger  als die CDU. Bei der Bundestagswahl gewann der AfD-Kandidat das Direktmandat. Und an diesem Mittwoch fahren immer wieder Leute in Autos und Lkw vorbei, hupen und strecken den Daumen aus dem Fenster. Die AfD finden viele hier spitze. [….] [….] Eine Frau hält an. [….]  »Überall müssten Sie sein, überall!« [….] Die Frau heißt Karin Gerber, ist 72 Jahre alt und kommt von hier. »Die AfD macht das, was ich auch gerne hätte«, sagt sie später. »Ich will Deutschland wieder. Deutschland mit deutschen Menschen.« Sie wird rassistisch, setzt Muslime mit Tieren gleich, wertet sie aufgrund ihrer Religion ab. Bekannte würden eine Wohnung suchen, sagt sie, »und die Flüchtlinge kriegen eine«.[….] Ein weißer Pick-up-Truck hält. Ein Mann in grüner Latzhose steigt aus und eine Frau. [….] »Einen schönen guten Tag«, sagt sie. »Ich wollt mich mal informieren.« Sie schaut auf die Prospekte auf dem Tisch. »Kommt denn die Frau Weidel mal hier nach Sachsen?«, will sie wissen. Der Mann fragt: Wieso arbeitet der AfD-Landesverband lieber mit dem linken Gesockse zusammen als mit den ›Freien Sachsen‹?« Die »Freien Sachsen« sind eine neonationalistische Kleinstpartei, die den »Säxit« fordert, den Austritt Sachsens aus der Bundesrepublik. Sabine Kallweit vom AfD-Stand sagt, die AfD und die »Freien Sachsen« – das passe nicht. »Und jetzt will die AfD mit dieser scheiß CDU zusammenarbeiten?«, schiebt der Mann hinterher. [….]

(Levin Kubeth, SPON, 09.08.2023)

Was ist das sonst, wenn nicht, „brauner Bodensatz“?

[….] Nach der Wahl des ersten AfD-Landrats in Deutschland hat der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, seine Einschätzung verteidigt, dass es in der Bundesrepublik „ungefähr 20 Prozent braunen Bodensatz“ gebe. „Die Aussage ist zugegeben provokant und pointiert, aber so war sie auch gemeint“, sagte Kramer der F.A.Z. Er habe damit auch gegen ihn gerichteten Anfeindungen durch die AfD in den Wochen des Wahlkampfs etwas entgegensetzen wollen. Das bedeute nicht, dass er ein Fünftel der Deutschen für Neonazis halte, aber Chauvinismus, Antisemitismus sowie autoritäre Einstellungen nähmen in der Bundesrepublik zu. Er verwies unter anderem auf die Leipziger Autoritarismus-Studie vom vergangenen Jahr, wonach sich rechtsextremistische Milieus in Deutschland verfestigen.

„Jenseits der klassischen Definition für Rechtsextremismus ist ein größerer Teil der Bevölkerung als wir denken auf problematischen Wegen unterwegs“, sagte Kramer. „Mir geht es darum, einen Trend zu beschreiben.“ [….]

(FAZ, 29.06.2023)

Und schon eskaliert die AfD weiter nach rechts.

Bernd Höcke hat eindeutig Oberwasser, fühlt sich vom menschenverachtend denkenden Urnenpöbel ermutigt.

[….] Höcke sorgt mit Äußerungen zu Schülern mit Behinderungen für Entsetzen. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke fordert, dass Kinder mit Behinderungen nicht mehr an Regelschulen unterrichtet werden.. [….] In dem am Mittwochvormittag live gestreamten Gespräch  zählte Höcke dann auf, was seiner Meinung nach die »Belastungsfaktoren« seien, die man »vom Bildungssystem wegnehmen müsse«. Er [….]  sprach von Kindern mit Behinderungen. Denn laut Höcke ist Inklusion eines der »Ideologieprojekte«, von dem man das Bildungssystem »befreien« müsse. Solche Projekte würden »unsere Schüler nicht weiterbringen« und »nicht leistungsfähiger machen«. Sie führten nicht dazu, »dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen«.

[….] »Wir sind entsetzt über die Auslassungen von Herrn Höcke im MDR-Sommerinterview zum Thema Inklusion«, sagt Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der gemeinnützigen Bundesvereinigung Lebenshilfe. »Dieses Recht infrage zu stellen, erachten wir als Tabubruch und schlicht als Skandal. Angesichts dieser menschenfeindlichen Haltung können wir nur ahnen, wie Herr Höcke mit Menschen mit [….] Zudem behauptet Höcke, dass die Kultusministerkonferenz »und andere Gremien« versuchen würden, die verschiedenen Bildungspolitiken der Länder »in gewisser Weise auch gleichzuschalten«. Der Begriff Gleichschaltung wurde von den Nationalsozialisten verwendet und bedeutete, dass sich die meisten Organisationen im Staat, also Parteien, Verbände, Vereine und die Medien auf die politischen Ziele der Nationalsozialisten hin ausrichten mussten.

Als er über das föderale Prinzip spricht, nutzt Höcke zudem einen Begriff, der zeigt, wie er tickt und wen er so liest: Er spricht vom »agonalen Prinzip«. Der Begriff wurde von einem Kulturhistoriker aus dem 19. Jahrhundert geprägt – der als Antidemokrat und Antisemit bekannt ist. [……]

(SPON, 09.08.2023)

In einer Demokratie, in der nicht große Teile der Wählerschaft völlig verdorben sind, wäre so etwas nicht möglich.

Da steht Deutschlands bekanntester Faschist, Neonazi, brauner Bodensatz an der Parteispitze und wird von den Thüringern mit klarem Abstand auf Platz 1 gesetzt.

[….] Am Rostocker Fischereihafen haben Unbekannte ein Hakenkreuz in eine Rasenfläche gemäht, in Schwerin wurde das verfassungsfeindliche Symbol sogar auf die „Bank der Menschenrechte“ aufgemalt. [….] Das Hakenkreuz habe eine Größe von knapp 30 mal 30 Metern gehabt, gab die Polizei am Mittwoch bekannt. In Mecklenburg-Vorpommerns Landeshauptstadt Schwerin sei auf die „Bank der Menschenrechte“ im Plattenpark ein 10 mal 15 Zentimeter großes Hakenkreuz gemalt worden – mit weißer Farbe. Auf der Bank ist den Angaben zufolge Artikel 1 des Grundgesetzes abgebildet.  [….]

(MoPo, 09.08.2023)

Gute Nacht, Deutschland.