Freitag, 6. Oktober 2023

Tories als Opfer ihres eigenen Erfolges.

Wenn man völlig skrupellos ist, wenn man keine Scham hat, zu lügen, bis sich die Balken biegen, wenn man ungeniert Arme gegen noch Ärmere ausspielt, wenn man gegen Minderheiten polemisiert, gegen Migranten hetzt, den Superreichen Steuergeschenke macht, wenn man nationalistisch raunt und jede komplizierte Realitätsnähe unterlässt, kann man durchaus in einer großen Industrienation wie den USA, Großbritannien oder Italien Regierungschef werden. Es ist ein viel leichterer Weg, als umständlich seriöse Politik mit Lösungskonzepten zu erläutern.

Der Urnenpöbel ist allemal doof genug, um Rechtspopulisten auf den Leim zu gehen.

Der Nachteil ist allerdings, daß es nicht ausreicht, an die Macht zu gelangen und seine Milliardärsfreunde auf Kosten der Allgemeinheit zu beglücken.

Man muss das ganze Land regieren und in der Welt positionieren. Blöderweise passiert immer das gleiche, wenn Rechtspopulisten in der Regierung rechtspopulistische Ideen umsetzen: Die Nation wird in den Abgrund gesteuert, erleidet schweren ökonomischen Schaden und der auf fruchtbaren Boden gesäte Hass, spaltet die Gesellschaft auf. George W. Bush und Donald Trump übergaben die USA jeweils in einem absolut desaströsen Zustand an ihren demokratischen Nachfolger.

In Großbritannien herrschen die Tories aber sogar schon 13 Jahre am Stück. 

Die Brexiteers hatten im Zusammenspiel mit der toxischen Murdoch-Presse so einen Erfolg mit ihrer Hetze, daß sie gar nicht mehr abgewählt wurden.

Kein Wunder also, daß ihre Nation inzwischen einer einzigengroßen Misere gleicht, in der wirklich auf gar keiner Ebene mehr irgendetwas funktioniert.

Ökonomischer Niedergang, grotesker Personalmangel, marode Infrastruktur, kaputtes Sozialsystem, Verelendung, leere Supermarktregale.

Nun ist Tory-Parteitag, die Umfragen im Keller.

[…..] Neben Liz Truss sprachen noch ein paar andere Tory-Geister der Vergangenheit, Jacob Rees-Mogg etwa, oder die Ex-Innenministerin Priti Patel.

"Growth", Wirtschaftswachstum, ist Liz Truss' großes Thema, seit sie vor einem Jahr mit ihrer Wirtschaftspolitik das Land beinahe an die Wand gefahren hätte. In ihrer Rede sagt sie, es sei schlimm, dass es dem Land so schlecht gehe, sie biete der Partei dafür eine Lösung an: Steuern senken, neue Häuser bauen, die Staatsausgaben senken. Es ist offensichtlich, dass sie die Ironie ihrer eigenen Worte nicht hört. Robert Colvile sagt, er stimme durchaus mit manchem überein, was Liz Truss wollte, niedrige Steuern zum Beispiel. Nur: "Je weniger die Öffentlichkeit daran erinnert wird, dass Liz Truss ein Mitglied der Konservativen ist, desto besser für die Partei." Er kann sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, es wirkt gequält. Dass die Tories immer noch die Partei von Liz Truss sind, daran glaubt Colvile aber nicht. Ein beträchtlicher Teil der Zuhörer in der Trafford Suite waren Journalisten, und als man eines der Parteimitglieder in der Schlange fragt, warum er hier sei, sagt der Mann: Well, so ein Spektakel könne man sich doch nicht entgehen lassen, nicht wahr? Am Dienstagabend dann steht Suella Braverman auf der Bühne im großen Saal, die Innenministerin. Braverman vertritt rechte, zum Teil extrem rechte Positionen, sie tut das unverhohlen, "ich sage die Wahrheit", sagt Suella Braverman in ihrer Rede. Als sie davon spricht, "die Linken" würden Menschen "aus dem Job jagen", wenn sie der "Gender-Ideologie" nicht folgen würden, sagt ein Mann etwas lauter, das sei falsch, ja: "Müll". Er wird umgehend von Sicherheitsleuten und der Polizei aus dem Saal geführt. "Diese Europa-Aktivisten", sagt einer in Reihe drei verächtlich, auf der anderen Seite des Saals.  […..]

(SZ, 04.10.2023)

Da tut Tory-Premier Rishi Sunak das was Rechtspopulisten in dieser Situation tun: Lügen, sich als Kämpfer gegen nicht existente Verbote inszenieren, auf Minderheiten eindreschen und antiqueere Hetze.

[…..] Wer dachte, die britischen Konservativen seien mit Figuren wie der Innenministerin Suella Braverman oder der Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch schon arg weit am Rand des politischen Spektrums angekommen, der hat in Manchester gelernt: Die Tories sehen noch viel Luft nach rechts.

Austritt aus dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Immigration drastisch reduzieren, härtere und längere Gefängnisstrafen, stark regulierte und an frühere Jahrhunderte erinnernde Sexualkunde in Schulen - Forderungen wie diese waren überall zu hören in Manchester, nicht nur bei den "New Conservatives". Und immer fiel das Schlüsselwort "they", sie. Sie, die da oben, die Eliten, die Bösen, die Unterdrücker. Das ist das Narrativ der Rechten und Verschwörungserzähler, der Populisten und Hetzer. Es ist aber auch ein Narrativ, das andernorts in der Opposition geboren wurde, aufgezogen und groß gemacht im Wahlkampf, siehe: Trump, Meloni, Le Pen. In den Umfragen liegen die Tories konstant hinter Labour, aktuell beträgt die Differenz 16 Prozentpunkte. Es ist nicht unmöglich, 16 Prozentpunkte aufzuholen; die Art aber, in der sich die Tories präsentieren, erinnert mehr an eine Oppositionspartei als an eine, die seit 13 Jahren regiert.  […..]

(Michael Neudecker, SZ, 05.10.2023)