Unter
Sozialdemokraten ist „Stammtisch-Gerede“ verpönt.
Man will
dem Affen eher keinen Zucker geben. Das hat historische Wurzeln; die
Arbeiterbewegung war immer mit einem Bildungsanspruch verknüpft. Um
aufzusteigen wurden unzählige Arbeitervereine gegründet, in denen die ganz
einfachen Leute mit Volksschulbildung begierig waren dazu zu lernen.
Viele
Familiengeschichten der Ur-Sozialdemokraten zeigen das. Man erinnere sich nur
an die bitterarme Kindheit der Hannelore Glaser. Die ganze Familie hauste in
einem ärmlichen Raum, aber beide Eltern lasen die Kindern vor, ermutigten sie
zu diskutieren, schickten sie auf die moderne Lichtwarkschule. Die kleine Loki
sollte einmal studieren. Tatsächlich wurde sie trotz widrigster Umstände im
ersten Beruf Lehrerin, bevor sie weltweit geachtete Botanikerin und nebenher
auch noch Kanzler-Ehefrau wurde.
Sozialdemokraten
streben nach Höherem, wollen die Welt verbessern.
Bei
Konservativen, bei Nationalisten erst Recht, ist es eher umgekehrt. In ihrem
Weltbild gibt es keine Meritokratie. Die Menschen sollen weniger durch eigene
Leistung und Bildung aufsteigen, sondern werden eher durch Herkunft, Rasse,
gesellschaftlichen Stand, Vermögen und ähnliches definiert.
Beim
Hamburger „Gucci-Protest“ gegen die Stadtteilschulen, empörten sich die reichen
Mütter aus den Elbvororten über das „Bildungsproletariat“ – also Menschen, die
es durch öffentliche Schulen und kostenlose Universitäten zu akademischen Graden
bringen und dann mit der Brut der Millionäre konkurrieren, obwohl sie doch aus
niederen Verhältnissen kommen.
CSUler
und AfDler sind gern populistisch, sind sogar stolz drauf „Bierzelt zu können“.
Für sie ist populistisch gleich populär, sie behaupten der Mehrheit eine Stimme
zu geben.
Die
doofen Linken hingegen würden sich übertrieben für diese ganzen schrecklichen
Minderheiten einsetzten – Schwule, Musels, Transen; so daß die Mehrheit gar
nicht mehr gehört werden.
Tatsächlich
gibt es insbesondere in den USA eine unangenehme linke Attitüde es mit der
political correctness zu übertreiben.
Bill Maher glaubt, diese übervorsichtige Sprache habe die Demokraten die
Wahlen gekostet.
Ja, man
kann es wirklich übertreiben.
Gaulands
und Storchs Attacken gegen nicht weiße Fußballnationalspieler oder
Scheuers/Dobrindts Ausfälle gegen faule
Griechen und kriminelle Rumänen
geben aber nicht einfach einer Mehrheit eine Stimme, sondern appellieren
gezielt an die übelsten Instinkte.
Konservative
C-Politiker und die abstoßende AfNPD-Bande schüren xenophobe Stimmungen, um
diese direkt in hohe Wahlergebnisse umzusetzen, ohne daß sie sich um Lösungen
für echte Probleme bemühen müßten.
Heribert
Prantl zufolge gibt es neben diesem sehr negativ konnotierten Populismus auch
einen guten Populismus, den man dem Bösen entgegen setzen müsse.
Das
klingt erst mal nicht so abwegig, da es schwer vorstellbar ist eine
biergeschwängerte Gröler-Gruppe mit feinsinnigen akademischen Analysen umdrehen
zu können.
Also
begebe man sich in die Niederungen, spreche die Sprache des Pöbels und animiere
sie zu humanistischen, aufgeklärten Werten.
[….]
Martin
Schulz ist ein Populist. Das ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Schulz ist ein
demokratischer Populist. Er kann sich und andere schwindlig reden, wenn es um
Gerechtigkeit und Europa, um die Grundwerte und die Bürgerrechte geht. Er kann
sehr populär predigen, sodass ihn die Leute verstehen und spüren, dass
Leidenschaft in ihm steckt.
Nicht das Wort
Populismus ist nämlich schlecht - das Wort also, mit dem sich die sogenannten
Rechtspopulisten schmückend tarnen und mit dem sie sich gern tarnen lassen.
Schlecht ist das, was sich hinter dieser Tarnung verbirgt: Nationalismus,
Ausgrenzung und Ausländerfeindlichkeit. Es ist nicht der Populismus, der die
Gesellschaft kaputt macht, sondern ein populistischer Extremismus. Einer wie
Schulz ist gut geeignet, dagegen anzutreten.
[….]
Ein guter Politiker ist nicht selten auch
ein guter Populist, weil er seine Politik populär vortragen muss. Ein
demokratischer Populist appelliert an Kopf und Herz, ein populistischer
Extremist an niedrige Instinkte. [….]
Ja,
Schulz ist für die Masse der politisch Minderinteressierten neu auf der Bundesbühne,
wird daher nicht mit unpopulären Geschichten wie HartzIV assoziiert. Schulz ist
außerdem überzeugter Europäer.
Beides
sehe ich als Pluspunkte an.
Den
mitreißenden Wahlkämpfer und überzeugenden Redner sehe ich noch gar nicht.
Mein
Herz fliegt ihm überhaupt nicht zu.
Aber was
weiß ich schon – ich fand Helmut Kohl und KT von und zu Guttenberg auch von
Anfang bis Ende ganz grauenhaft und die beiden wurden von den Massen geliebt
und verehrt.
Ich
glaube aber durchaus, daß Frau Merkel in Bedrängnis geraten könnte, wenn Martin
Schulz tatsächlich in Zukunft zu den aktuellen heiklen Themen Tacheles reden
sollte und damit ihre windelweichen inhaltsleeren Sätze umso mehr auffallen.
Merkel
tut schließlich so einiges, das beim Volk unpopulär ist und von ihr mit großer
Mühe aus dem Fokus der Öffentlich rausgehalten wird.
Rüstungsexportrekorde,
Austerität, zu niedrige Löhne, kuscheln mit Erdoğan – nächsten Donnerstag reist
sie schon wieder mitten im türkischen Wahlkampf nach Ankara, so daß
es für jeden wie eine Wahlkampfhilfe für den Neodiktator aussehen muß. Sie schlägt der säkularen türkischen Opposition vor den Kopf.
Vermutlich
ist sich Merkel aber der Gefahr bewußt es nun nicht mehr mit windelweichen
Groko-Sozis zu tun zu haben, sondern womöglich moralisch angegriffen zu werden.
Sie
reagiert auf Schulz, indem sie für ihre Verhältnisse recht laut gegen Trump lospoltert.
Politik
mit Rückgrat aus Deutschland?
Das gab
es bisher immer nur, wenn es gegen die Südeuropäer, oder gegen Flüchtlinge
ging. Rückgrat zeigte Merkel bei ihrem Einsatz für Atomkonzerne, betrügerische Autobauer
und Rüstungsschmieden. Mit breitem Rückgrat schichtete sie Hunderte Milliarden
von den Steuerzahlern zu den internationalen Finanzspekulanten um. Rückgrat
beweist Merkel natürlich auch bei ihrem Kampf wider die doppelte Staatsbürgerschaft
und beim Verweigern der vollen Rechte für LGBTIs.
Rückgrat
gegen die Starken zeigen? Sich mit Rückgrat für Humanität einsetzen, wäre mal was Neues.