Donnerstag, 28. März 2019

Streisand extrem


Als Barbra Streisand unbeabsichtigt 2003 den nach ihr benannten Effekt inventete, war möglicherweise wirklich noch nicht jedem digital immigrant klar wie der Schwarm des Internets funktioniert.
Mrs. Streisand hatte damals die die Website Pictopia.com verklagt, weil diese zwischen 12.000 anderen Bildern auch ihr Haus veröffentlicht hatte.
Nicht jeder Mensch klickt täglich auf Pictopia und selbst von denen, die es tun, macht sich kaum einer die Mühe nachzuvollziehen, wer die Besitzer der einzelnen Häuser sind.
Nachdem Streisand aber eine 50-Millionen-Dollar-Klage darüber angestrengt hatte, machte der Fall Schlagzeilen, so daß das inkriminierte Bild rasend schnell im Netz verbreitete und nun wirklich jeder wußte in welchem Haus die Kult-Sängerin und demokratische Aktivistin wohnte.
Sie erreichte also das diametrale Gegenteil dessen, was sie wollte.
Die Diva lernte daraus und tat es nie wieder.

Andere liefen hingegen mit Verve in diese Falle und machten beim Versuch eine peinliche Information zu unterdrücken, die bis dahin nur wenigen zugängliche Story den ganz großem Publikum zugänglich.

Die zweifelhafte Ehre Namensgeber des peinliches Effekts zu sein, hätte eigentlich Tom Cruise zugestanden, der bereits im Jahr 2001 hartnäckig den bis dahin unbekannten Pornodarsteller Chad Slater verklagte, nachdem dieser behauptet hatte mit ihm geschlafen zu haben.
Der Operating Thetan Level VI, dem dritthöchsten Scientology-Rang, versuchte so aggressiv die Information zu unterdrücken, er könne schwul sein, daß am Ende die ganze Welt von dieser Geschichte wußte.

[…..] Keine Meinung habe ich zu Keanu Reeves. Über den weiß ich einfach zu wenig, außer daß er spätestens mit den Matrix-Filmen offenbar zu einem der ganz großen Stars wurde. Nach meinem (flüchtigen) Eindruck spielt Reeves immer Reeves. Immer mit dem gleichen Gang und dem gleichen Gesichtsausdruck.

Aber einmal fiel er mir sehr positiv auf.
Es ging um den hysterischen Tom Cruise, der wieder einmal jemanden verklagte, der behauptete er sei in Wahrheit schwul.
Das mag der steinreiche Scientologe gar nicht und setzt sofort eine Armada von Anwälten in Gang.
1995 wurde auch Reeves als schwul „geoutet“, weil er sich offenbar regelmäßig mit dem (offen schwulen) Produzenten David Geffen zum Essen traf.
Auf die Frage wieso er nicht juristisch gegen solche Rufschädigungen vorgehe, antwortete er damals – und das ist immerhin 20 Jahre her – daß er nur Klage einreiche, wenn er beleidigt werde und „schwul“ sei für ihn keine Beleidigung.
Eine recht souveräne Antwort, wie ich finde. […..]

Tom Cruise scheint nicht der schlauste Fuchs zu sein, da er 2008 noch einmal  einen beachtlichen Streisand-Effekt auslöste.
Seine Organisation wollte ein peinliches Video löschen lassen, das bis dahin kaum bekannt war. Daraufhin wurde es erst richtig populär und löste eine eigene Demonstrationskultur aus.

[…..] Ende Januar formierte sich unter dem Banner Project Chanology eine Anonymous-Bewegung gegen die Organisation Scientology. Auslöser war ein neunminütiger Filmschnipsel von Tom Cruise auf YouTube. Darin schwärmte der Schauspieler ausführlich und auf befremdliche Weise über Scientology. Anwälte der Organisation ließen den Clip von YouTube entfernen, was von Anonymous als Zensur aufgefasst wurde.
Innerhalb weniger Tage stellte die Ad-hoc-Bewegung ein Wiki zur Koordination zusammen, veröffentlichte ein Video-Manifest auf YouTube und griff am folgenden Wochenende erfolgreich die Server der Organisation an. […..]

Generell sind neben gewöhnlichen Dummen, insbesondere Konservative und Theologen anfällig für den Streisand-Effekt.

(…..) Erinnert sich noch jemand an die Madonnas World-Tour „Confessions“ von 2006, als sie ein Lied wie Jesus ans Kreuz geschlagen sang und runde 200 Millionen Euro durch den Ticketverkauf einnahm?
Eine Eintrittskarte kostete durchschnittlich 200 Euro, so daß auch echte Fans gut umworben sein wollten, um so tief in die Tasche zu greifen.
Madonna ist aber ein Marketing-Genie und konnte sich auf ihre treuen Helfer auf den Kirchenkanzeln verlassen.
Die dümmste Bischöfin der Welt, Margot Käßmann, sprang bereitwillig ein, um Madonnas Kartenverkauf anzuheizen.

Käßmann kann aber auch richtig dumm - wie sie in der causa „Madonna“ bewies, als sie sich wie Hein Doof in der Marketing-Maschine der Groß-Sängerin verhedderte:
Während der vorletzten Madonna-Europa-Tournee konnte die Bischöfin kein Mikrofon auslassen und musste permanent ihren Senf zur Show abgeben.
Das ist an sich schon lächerlich und offenbart nur ihren Neid auf die ungleich erfolgreichere Kollegin, aber vor allen geht sie damit dem ältesten Madonna-Trick überhaupt auf dem Leim: Madonna hat immer Grenzen überschritten und genau so viel provoziert, bis die religiösen Eiferer zum Boykott aufriefen und damit den CD-Verkauf anheizten.
Nur Frau Käßmann hat es nach einem Vierteljahrhundert immer noch nicht begriffen.

Ich zitiere:
„Mich empört ihre (Madonnas, Red) anmaßende Selbstinszenierung, sich an die Stelle Jesu zu setzen. Das Kreuz ist für alle Christen das zentrale Symbol für das Leiden und Sterben Jesu. ... Es ging ihr um eine spektakuläre Bühnenshow, mit der sie 200 Millionen Dollar verdient hat, wie es heißt. ... Die arme Madonna! Sie sagt doch, sie sei tief religiös! Ich denke, Madonna hat das alles wenig interessiert. ...“

Den gewaltigsten Streisand-Effekt löste vermutlich Papst Ratzinger aus, als er gegen die Titanic vorging, um ein satirisches Bild von ihm zu unterdrücken.
Er persönlich, das Staatsoberhaupt, der Stellvertreter Gottes auf Erden, Herr über 1,3 Milliarden Katholiken, Hüter unermesslicher Reichtümer und Chef einer ganzen Armada von Diplomaten und Juristen verklagte eine winzige Dreimann-Redaktion in Frankfurt. Die Nischen-Satiriker konnten ihr Glück nicht fassen, als sie erfuhren Papst Benedikt XVI mache Werbung für sie.

[…..] Des Papstes peinliche Posse um ein Blättchen mit gerade mal 70.000 pro Monat verkaufen Exemplaren verbieten zu lassen, erbrachte das, was jeder Menschen mit mehr als drei Gehirnzellen sich schon vorher vorstellen konnte: Einen gigantischen PR-Boost für die Kleinstredaktion und eine Verdoppelung der Auflage auf über 140.000 Hefte.

Gratulation Ratzi - Du hast es geschafft das Bild, das Du mit aller Macht aus der Öffentlichkeit verweisen wolltest, richtig populär zu machen.
Dank des dummerhaften Eingreifens des Vatikans kennt nun jeder das Pipi-Bild und lacht über Dich.
(Ich sage ja schon lange: Danke Darwin für diesen Papst! Möge Ratzi über 100 Jahre alt werden! Er ist der beste Helfer der atheistischen Sache

Der Vatikan hat hier wieder einmal vorgeführt, wie man es NICHT macht. Sich als tumber Goliath über Schwächere hermachen! [….]

Selbstverständlich brachte die Titanic nach dem grandiosen Erfolg im folgenden Monat noch ein derberes Papst-Bild auf den Titel.


Der Vergleich mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo vom 07.01.2015 verbietet sich, weil die Titanic-Redaktion Grund zur Freude hatte, während die Islamistischen Terroristen 12 Menschen töteten, bevor sie selbst erschossen wurden.

Betrachtet man die Angelegenheit allerdings aus dem Blickwinkel eines Islamisten, dem es tatsächlich nur darum ging die Satire-Bilder über ihren geliebten Propheten Mohammed zu verhindern, lösten auch diese Religioten einen gewaltigen Streisand-Effekt aus.
Auch Charlie Hebdo war bis 2015 ein französisches Nischenblatt mit einer Auflage von 60.000 Heften im Monat.
Außer den Pariser Satirikern hatte sich zuvor nur im Jahr 2005 die dänische Tageszeitung Jyllands-Posten (Auflage 100.000) getraut eine Mohammed-Karikatur zu zeigen.
Nach dem Massaker an der Charlie Hebdo-Redaktion  erschienen die fraglichen Karikaturen auf den Titelseiten der auflagenstärksten Zeitungen in der ganzen Welt. Ob Allah mit dem Ergebnis so zufrieden war als die total zerschossenen Saïd und Chérif Kouachi bei ihm im Himmel auftauchten und die 144 Jungfrauen einforderten?

Ein legendärer Streisander ist auch der Türkische Präsident.
Das Satiremagazin „Extra 3“ veröffentlichte im März 2016 zur Melodie von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ die Persiflage „Erdowie, Erdowo, Erdogan“


Ich habe gelacht, aber ob der homöopathischen Einschaltquoten wäre der Song kaum bemerkt worden.
 Dann aber ließ Recep Tayyip Erdoğan den deutschen Botschafter in Ankara einbestellen. Das löste ein internationales Mediengewitter aus, der Song wurde in einer Woche 12 Millionen mal angeklickt und es erschien eine ähnlich populäre Version mit türkischen Untertiteln.

Als sich Jan Böhmermann den Fall vornahm, hatte Erdoğan immer noch nichts begriffen, verklagte den Satiriker des Nischenkanals ZDF-NEO und schaltete die Bundesregierung ein.
Das war der sogenannte „türkische Doppel-Streisand“; nun dürfte es niemand mehr geben, der das für den Präsidenten so peinliche Video nicht gesehen hat.

Devin Gerald Nunes, 45, ultrakonservativer glühender Trump-Fan aus dem Bundesstaat Kalifornien wurde als  Vorsitzender des Geheimdienstausschusses zur peinlichen Witzfigur, weil er alle parlamentarischen Regeln über Bord warf, sich schleimspurziehend und auf Knien rutschend im analen Bereich von #45 rumlungerte und die Arbeit des Repräsentantenhauses behinderte.
Nunes verklagte letzte Woche Twitter auf ein Schmerzens- und Bußgeld von 250 Millionen Dollar und löste damit ein Musterbeispiel des Streisand-Effekts aus.

[…]  Unter dem Namen "Devin Nunes' Cow" (@DevinCow) wird der Politiker regelmäßig parodiert - eine Anspielung auf den Milchhof, den Nunes' Eltern in Iowa betreiben. Die Klage, eingereicht bei einem Gericht im Bundesstaat Virginia, ist allerdings etwas widersprüchlich: Nunes ärgert sich über Zensur, fordert sie aber zugleich ein. In der Klageschrift beschuldigt er Twitter, Ansichten, die der Kurznachrichtendienst nicht teile, zu zensieren und Profile von Konservativen wie ihm in der Reichweite zu beschränken. Zugleich profitiere Twitter von Inhalten, die beleidigend und verleumderisch seien. Während der Kampagne zu seiner Wiederwahl 2018 habe er, Nunes, eine "orchestrierte Verleumdungskampagne" von solchem Umfang aushalten müssen, die "kein Mensch jemals in seinem ganzen Leben erleiden sollte", klagt der Republikaner. Neben dem Kuh-Account sind auch noch die Twitter-Konten "Devin Nunes' Mom" und der von Liz Mair genannt, einer Beraterin republikanischer Politiker.
Nur wenige Tage später steht fest, dass Nunes' Schuss nach hinten los-, oder besser gesagt: an der Kuh vorbei ging. Hatte @DevinCow vor der Klage noch 1200 Follower, waren es zum Wochenende schon mehr als 600 000 Anhänger. Und wie so häufig, wenn jemand Twitter-Nutzer herausfordert, werden die erst recht kreativ. Filmchen, in denen jemand mit Nunes' Gesicht von einer Kuh getreten wird. Aufrufe, Kuhglocken und anderes Zubehör an Nunes' Büro zu schicken. Eine Website bietet T-Shirts mit DevinCow-Aufdrucken für 19,95 Dollar pro Stück. […] Devin Nunes' Klage jedenfalls bekommt nun mehr Aufmerksamkeit, als dem Abgeordneten lieb sein kann. Nachdem das Twitter-Konto "Devin Nunes' Mom" eigentlich schon seit einem Jahr stillgelegt ist, legte ein Nutzer am 19. März ein neues Profil mit dem Namen "Devin Nunes Alt-Mom" an. Schon jetzt hat der Account mehr als 38 000 Follower. Das Hintergrundbild zum Profil zeigt: Barbra Streisands Haus. [….]

Die konservative Dummheit ist unendlich.

Eine Art Streisand produzierte auch der ultrarechtsextreme Hetzer David Berger bei seinem Vorgehen gegen die Hamburger Ida-Ehre-Schule (IES), als er wie berichtet log und manipulierte, um der vermeidlichen „Antifa“ den Todesstoß zu versetzen.

Der arme Irre lässt seine verblödeten braunen Epigonen weiterhin im Siegesrausch schwelgen.
In Wahrheit hat der Urinduscher aber das diametrale Gegenteil erreicht. Wo es vorher gar keine Aktivität der „Antifa“ gab, wird sie nun richtig auf den Plan gerufen. Gewerkschaften, Parteien, die Elternschaft und viele andere Schulen solidarisieren sich und malen jetzt eifrig ANTIFA-Schilder, die sie bei immer neuen Demonstrationen durch Hamburg tragen.
 
 
[….] Sie kamen mit Fahnen und selbstgemalten Transparenten: Rund 3000 Menschen sind am Sonntag in der City als Zeichen der Solidarität mit der Ida-Ehre-Schule auf die Straße gegangen. Das Motto der Demo: „Antifaschismus ist kein Verbrechen“. […..]

Nun mischt auch noch die AfD mit, wettert gegen die Antifa und macht diese damit erst richtig stark.


[….] Am Mittwoch war der Vorfall Thema in der Bürgerschaft. Die AfD wollte sich dafür feiern, dass ihr umstrittenes Melde-Portal, mit dem die Partei die Schulbehörde dazu gebracht hatte, Aufkleber der „Antifa Altona Ost“ aus dem Schulgebäude zu entfernen, erfolgreich sei. Das ging gründlich schief.
Schon gleich zu Beginn der Bürgerschaftssitzung bekam die AfD heftigen Gegenwind zu spüren. Als AfD-Fraktionschef Alexander Wolf seine Rede mit den Worten begann „Am Haupteingang der Ida-Ehre-Schule prangt ein Schild mit dem Aufdruck, Schule ohne Rassismus’“, brandete Applaus auf. Minutenlang klatschten fast alle Abgeordneten im Saal so laut, das Wolf nicht weitersprechen konnte. Seine Redezeit wurde langsam kürzer.
[…] „Ohne das Informationsportal wären diese ungeheuerlichen Vorgänge nicht ans Licht geraten“, sagte Wolf und erntete dafür empörte Zwischenrufe. […]
SPD-Bildungsexpertin Barbara Duden: „Es ist unerträglich, wie sich die AfD als Hüterin der Demokratie aufspielt und gleichzeitig versucht, die freie Meinungsäußerung zu unterbinden.“ Hamburgs Lehrer seien gut ausgebildet und hätten die Pflicht, mündige und nicht neutrale Bürger zu erziehen.   Auch Antje Möller von den Grünen betonte, die AfD versuche, antifaschistische Haltungen „an den Rand des Verbotenen“ zu bringen. „Antifaschismus ist die Grundlage unserer Republik. Die AfD will diesen Konsens vergiften.“ Denunziation und Bespitzelung dürften nicht gesellschaftsfähig werden, denn das seien totalitäre Methoden. [….]

[…..] Der Sticker-Skandal an der Ida-Ehre-Schule lässt Hamburg keine Ruhe – und hat jetzt sogar einen Polizeieinsatz ausgelöst! Beamte mussten am Donnerstag eine Spontan-Demo vor der Rudolf-Steiner-Schule (Ottensen) beenden. Rund 50 Jugendliche der „Solidarischen Schülerschaft“ hatten dort gegen den Auftritt eines AfD-Politikers protestiert.
„Ganz Hamburg hasst die AfD“, skandierten die Demonstranten. Dazu wurde ein XL-Banner mit der Aufschrift „AfD raus aus den Schulen“ vor dem Gebäude angebracht. […..]

[….] Jetzt regt sich auch an der Nachbarschule Widerstand gegen die rechte Partei. Am Helene-Lange-Gymnasium war gestern der AfD-Fraktionschef Alexander Wolf zu Gast. Begleitet von wütenden Protesten. [….]