Sonntag, 24. Mai 2015

Piepsis – Teil II



Das deutsche Tierschutzgesetz (TierSchG) stammt von 1972 und wurde zuletzt 2014 aktualisiert.

In §1 heißt es:

Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

Als Nichtjurist und Vegetarier erscheint mir der Begriff „vernünftiger Grund“ etwas schwammig.

Ich fürchte da muß in nächster Zeit noch mal ergänzt werden.
§ 4 regelt das Töten von Tieren, genauer gesagt von Wirbeltieren:

§ 4 (1)  

Ein Wirbeltier darf nur unter wirksamer Schmerzausschaltung (Betäubung) in einem Zustand der Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit oder sonst, soweit nach den gegebenen Umständen zumutbar, nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden. (….)

Vögel haben Wirbel.

Als Nichtjurist frage ich mich nun, ob das SCHREDDERN von Vögeln mit den Paragrafen in Einklang zu bringen ist.
Gibt es dazu einen wie in §1 geforderten „vernünftigen Grund“ und kann man wie in § 4(1) gefordert von „wirksamer Schmerzausschaltung“ sprechen?


Es geht dabei nicht gerade um wenige Piepsis.
Das von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) geführte Landwirtschaftsministerium gab im März bekannt, daß in Deutschland jährlich rund 45 Millionen männliche Hühnerküken geschreddert werden.
Der „vernünftige Grund“ dafür ist, daß sie keine Eier legen können und andererseits als Masthähnchen nicht so wirtschaftlich wie bestimmte Turbozüchtungen sind. Sie sind Lege-Züchtungen und brauchen länger, um Fleisch anzusetzen.
Zeit, die man nicht hat, so lange der deutsche Verbraucher das Leid von Tieren ignoriert und es nur billigbilligbillig haben will. Profit geht über Tierleben.


Ein alter Hut, das Ganze:

Und weil es so häßlich klingt, haben wir dafür einen ganz besonders perfiden Euphemismus; Hähne kommen lebendig in den »Homogenisator«, einer Maschine mit rotierenden Messern, zu Brei zermatscht. Die Hahnenküken sind für die Brütereien schlicht Abfall – diejenigen, die dem „Homogenisator“ entgehen , werden mit Kohlendioxid vergast.
Der Tierschutzbund spricht von einem juristischen Eiertanz – denn das Töten eines Tieres „ohne vernünftigen Grund“ ist in Deutschland verboten.


Landwirtschaftsminister Schmidt fand das möglicherweise kurzfristig auch irgendwie unethisch, kündigte an etwas zu unternehmen. Aber die Hähnchenmäster intervenierten schnell und erfolgreich.

Eine gewaltige Menge an lebenden Wirbeltieren werden also auf widerliche Weise getötet, nur weil es einige Cent mehr kosten würde, sie zumindest aufwachsen zu lassen, oder sie als Ei zu essen, bevor sie ausgeschlüpft sind.

Allein in den vergangenen zehn Jahren sind über 213 Millionen Küken qualvoll getötet worden ­ - das sind 2400 Küken pro Stunde. Denn für die Lebensmittelindustrie sind die männlichen Küken von hochgezüchteten Legehennenlinien nicht zu gebrauchen. Das geht aus einer Antwort des Bundeslandwirtschaftsministeriums auf eine Grüne Anfrage hervor. Der Bundesregierung das qualvolle Töten schon seit Jahren bekannt. Dennoch versteckt sie sich seit spätestens 2008 hinter wohlklingenden Willensbekundungen. Passiert ist bisher nichts und das massenhafte Töten geht mit Billigung von Union und SPD weiter.
[….]  Deshalb muss die Bundesregierung das Töten von Eintagsküken aus wirtschaftlichen Gründen untersagen. Dazu muss das Bundestierschutzgesetz zügig geändert werden. Bundesagrarminister Schmidt ist gefordert, endlich Regeln zu schaffen, die das Töten und Schreddern der Küken stoppt. Allein die Ankündigung, bis Ostern einen Aktionsplan vorzulegen, reicht dafür nicht aus. Schmidt muss sich gegen die Lobby der Hühnerbarone endlich durchsetzen und klare gesetzliche Regelungen schaffen. [….]  

Da waren die Grünen sehr prophetisch. Schmidt knickte nur Wochen später ein, machte Kotau vor den reichen Hühnerbaronen.
Plötzlich sieht die Bundesregierung „keinen Handlungsbedarf“ mehr.

 „Das scheint nur ein PR-Gag des Ministers gewesen zu sein“, kritisiert Grünen-Parlamentarier Oliver Krischer. „Schon heute ist die Geschlechtserkennung im Ei möglich, sie ist nur teurer als das Kükenschreddern.“
(DER SPIEGEL 23.05.2015)

Wir leben in einer Lobbykratie.
Ökonomische Interessen setzen sich gegen die Moral durch, auch wenn sie wie im Fall des Kükenschredderns klar gegen deutsche Gesetze verstoßen.
Aber legal, illegal, scheißegal - wenn es um den Profit geht!
Man hüte sich aber auch davor zu glauben, in der Hühnerzucht ginge es tierfreundlich zu, wenn man ein paar Cent mehr ausgäbe und im Supermarkt nur zu freilaufenden Eiern greife.
Ein Hühnerleben in Deutschland ist erbärmlich und unwürdig.
Da wir damit auch noch die afrikanische Landwirtschaft mitruinieren, indem wir durch supersubventionierte Billigexporte von „Hühnerklein“ die dortigen Märkte überschwemmen, gibt es jeden Anlass, um auf Eier und Hühnerfleisch möglichst zu verzichten!

Nur noch knapp 20 % des Hühnerfleisches werden in Europa als ganzes Huhn verkauft.
Obwohl weltweit das turbomäßig getunte Hybridhuhn gezüchtet wird, haben sie ihre Nachteile - dummerweise bilden diese Kreaturen, die wir zum Fressen gern haben in den paar Wochen ihrer kläglichen lichtlosen Existenz neben der Brust noch andere Körperteile aus.
K3 heißen diese Teile, sie sind sozusagen der Kollateralschaden der Fressgier der Reichen:
Restfleisch-Kategorien; K3-Produkte sind Hühnerköpfe und -beine, Flügel und Innereien. Oder wie es in einem anderen bizarren Wort heißt: Hühnerklein. Als Hühnerklein bezeichnet man die Innereien (Leber, Magen, Herz) sowie die Kleinteile wie Flügel, Rücken, Schenkelteile und Hals eines Huhns die bei den meisten üblichen Gerichten keine Verwendung finden.

Aber selbst wenn man ein ganzes Huhn im Supermarkt kauft und auf die Kennzeichnung „Bodenhaltung“ achtet, sagt das noch sehr wenig aus.

 […] Legehennen leben in den meisten großen Ställen mehr schlecht als recht, und das gilt nicht nur für die umstrittene Käfighaltung. Egal ob Käfig-, Boden-, Freiland- oder Biohaltung: keine dieser Formen garantiert eine tiergerechte Haltung. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Verbraucherorganisation Foodwatch. Eklatante Missstände gibt es demnach in allen Bereichen. "Die Verbraucher können anhand der Kennzeichnung zwar zwischen verschiedenen Haltungsformen wählen, aber nicht gezielt Eier von gesunden Hennen kaufen", kritisiert Luise Molling, Tierschutzexpertin von Foodwatch.
[…] Selbst in der Biohaltung sind die Hennen laut Studie nicht zwangsläufig gesünder, auch wenn sie mehr Platz haben als die meisten ihrer Artgenossen. Weit verbreitet in allen Haltungsformen sei Federpicken und Kannibalismus, heißt es weiter. Diese Verhaltensstörungen treten auf, wenn Tiere nicht artgerecht gehalten werden. Usus ist es auch ausnahmslos, männliche Küken zu töten. In allen Haltungsformen werden Turbohennen eingesetzt, die seit Jahrzehnten auf Hochleistung getrimmt werden und bis zu 300 Eier pro Jahr legen - üblich sind bei normalen Rassen 20 bis 180 Eier pro Jahr. Der Stress und die Überzüchtung machen Hybrid-Hennen, die aus verschiedenen Inzuchtlinien entstanden sind, besonders krankheitsanfällig. Bio-Halter und konventionelle Halter kaufen Küken meist bei den gleichen Anbietern ein. […] Trotzdem ist der Konsum an Käfigeiern nach wie vor viel höher als den meisten Konsumenten bewusst sein dürfte. Dies liegt daran, dass die Kennzeichnungspflicht lückenhaft ist. Im Schnitt verzehrt jeder Bundesbürger pro Jahr 218 Eier, mehr als die Hälfte davon ist jedoch versteckter Konsum. Dabei geht es um die Eier, die in Süßwaren, Kuchen, Nudeln oder anderen Fertigprodukten landen. Woher sie stammen, muss in dem Fall nicht ausgewiesen werden. Das gilt gleichwohl für die Haltungsform und den Herkunftsort. So wird auch verschleiert, dass ein Teil der in der Lebensmittelproduktion verwendeten Eier aus dem Ausland kommt. Ein Drittel ist nach EU-Angaben Importware, und die ist meist billiger als deutsche. Die Haltungsvorschriften innerhalb der EU sind höchst unterschiedlich. Über eine Kennzeichnung für verarbeitete Eier wird in Brüssel schon länger debattiert. Vorstöße sind bisher jedoch am Widerstand der Lobby gescheitert.

Der Verbraucher lässt sich also einlullen.
Das glückliche Huhn bekommt er nicht.

Kleingruppenhaltung, das ist ein schön euphemistischer Begriff. Kleingruppenhaltung bedeutet, dass die Hühner in Käfigen leben, nach wie vor. Das sind nicht mehr die Legebatterien, wie sie inzwischen eigentlich europaweit verboten sind, sondern etwas größere Käfige mit etwas größeren Gruppen. 60 Tiere leben in diesen Käfigen, etwa zwölfeinhalb pro Quadratmeter umgerechnet. Sie können sich vorstellen, dass das sehr weit entfernt von wirklich artgerechter Haltung ist, die Tiere in ihren natürlichen Verhaltensweisen sehr, sehr stark eingeschränkt werden.
[…] Das ist die sehr frustrierende zentrale Erkenntnis aus unserem Report, dass der Verbraucher durch seine Kaufentscheidung eigentlich kein wirklich garantiert tiergerecht erzeugtes Ei erwerben kann. Also wenn Sie nicht gerade neben einem Bauernhof wohnen und selber sehen können, ob die Tiere dort auch wirklich gesund sind und auch der Halter sich gut um die Tiere kümmert, können Sie nie sicher wissen, ob es dem Tier auch gut ging. Und das ist leider die zentrale Erkenntnis, die wir haben, und daher fordern wir eben, dass nicht nur einerseits alle Tiere Haltungsbedingungen haben, in denen sie ihre arteigenen Verhaltensweisen ausüben können – und das könnte sogar über bio noch hinausgehen, aber da geht bio schon in die richtige Richtung –, dass es aber eben auch eine ganz klare Zielvorgabe gibt für den Gesundheitsstatus der Tiere, also ganz klar gesetzlich vorgeschrieben wird, zum Beispiel in einer Herde dürfen nur noch drei Prozent der Tiere Brustbeinschäden haben oder eben Fußballenentzündungen. Und wenn der Halter es nicht schafft, diesen Gesundheitsstatus dauerhaft auch zu erreichen und die Tiere gesund zu halten, dann soll er seine Produkte auch nicht mehr vermarkten dürfen.[…]