Samstag, 19. September 2020

NIGHTMARE

Die Bedeutung des US-Verfassungsgerichtes kann man gar nicht unterschätzen. Es entscheidet Wahlen, bestimmt den grundsätzlichen Kurs des Land und kann die Anstrengungen eines Weißen Hauses oder Parlaments gewissermaßen mit einem Federstrich wegwischen. Die neun Supremecourt-Richter amtieren auf Lebenszeit, sitzen meistens für viele Jahrzehnte in ihrem Olymp, so daß sie unantastbar sind.

Daher gab es in der US-Geschichte seit 1789 insgesamt nur 114 oberste Richter.

William O Douglas amtierte von 1939 bis 1975, John Paul Stevens von 1975 bis 2010, William Rehnquist von 1972 bis 2005, Anthony Kennedy von 1988 bis 2018 und die große Ruth Bader Ginsburg immerhin auch volle 27 Jahre bis zum gestrigen 18.09.2020.

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Daraus folgt aber auch eine der ganz wesentlichen Machtbefugnisse des US-Präsidenten; er sucht den neuen Verfassungsrichter aus, wenn eine Stelle frei wird.

Das ist ein seltenes Ereignis, üblicherweise kommen acht Jahre amtierende US-Präsidenten auf ein oder zwei „scotus pics“.

Trump, der wie immer von Fortuna Geküsste, bekommt nun in weniger als vier Jahren schon seine dritte Gelegenheit.

In den früheren Jahrhunderten spielte der US-Senat eine große Rolle, denn er musste der Auswahl des Präsidenten zustimmen, konnte also groteske Fehlentscheidungen verhindern.

Ab dem 21. Jahrhundert haben die GOP-Senatoren allerdings ihren allerletzten Funken Ehre verloren und blockierten fast ein Jahr lang Barack Obamas dritten Pick.  Nach Sonia Sotomayor (2009) und Elena Kagan (2010) nominierte er nach dem Tod der ultrakonservativen GOP-Ikone Associate Justice Antonin Scalia am 13.02.2016 einen Monat später als Angebot an die Republikaner den gemäßigten, keineswegs linken Merrick Garland, bis dahin Chief Judge of the United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit to the Court.

Aber die völlig verdorbenen Heuchler Mitch McConnell und Lindsey Graham erfanden plötzlich die Regel, in dem Jahr vor der Präsidentschaftswahl dürften keine neuen Scotus-Richter mehr ernannt werden; das Volk müsse erst den neuen Präsidenten bestimmen.

 

Unnötig zu erwähnen, daß alles nur parteipolitische Lügen waren und eben diese Senatoren vier Jahre später gar nicht daran denken sich an die eigenen Regeln zu halten, wenn es um ihre Interessen geht.

 


Als im Juni 2018 Associate Justice Anthony Kennedy unter dubiosen Umständen ankündigte zurück zu treten, nominierte Trump einen Monat später Brett Kavanaugh, einen mutmaßlichen Vergewaltiger, Säufer und definitiv ganz miesen Juristen, der aber alle gewünschten Trump-Kriterien erfüllte:
Mann, weiß, ultrakonservativ, bedingungsloser Trump-Unterstützer, rückgratlos, Klimaleugner, Frauenhasser. Die Senatsanhörung im Oktober 2018 geriet zur Farce als „Beer“ Kavanaugh mit den Opfern seiner sexuellen Übergriffe und seinen Alkoholeskapaden konfrontiert wurde, sich um Kopf und Kragen redete, sich damit total als Supremecourt-Richter disqualifizierte und dennoch von allen GOP-Senatoren durchgewunken wurde.

 


Der Tod von Ruth Bader Ginsburg, der Gigantin, der Ikone des liberalen Amerikas ist daher ein nicht zu unterschätzendes Unglück für die USA. Sechs Wochen vor der US-Wahl beschert er Trump und seinen Schergen einen gewaltigen Sieg.

[….]  Auf die Nominierung durch den Präsidenten folgt ein zweistufiges Verfahren im Senat: Der vorgeschlagene Kandidat wird zunächst vom Justizausschuss befragt. Daran schließt sich die Debatte und Abstimmung im Plenum an. Zwei Mandatsträgern kommt dabei eine entscheidende Rolle zu: dem Vorsitzenden des Justizausschusses und insbesondere dem Mehrheitsführer in der Kammer, der den Termin für die finale Abstimmung ansetzt. Beide Posten haben derzeit Republikaner inne: Lindsey Graham ist Vorsitzender des Justizausschusses, Mitch McConnell Mehrheitsführer. Die Demokraten wollen das unbedingt verhindern. Biden, Obama und der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, verwiesen allesamt auf eine frühere Entscheidung McConnells. Nach dem Tod des konservativen Richters Antonin Scalia im Februar 2016 hatte der damalige Präsident Obama den Juristen Merrick Garland als Nachfolger nominiert. McConnell weigerte sich über Monate, die Personalie Garland zur Abstimmung zu stellen. Er verwies dabei auf die anstehende Präsidentschaftswahl im November desselben Jahres. […..]

(SPON, 19.09.20)

 


Natürlich sind McConnellund Graham, der noch 2018 verkündet hatte keine neuen Richterstellen mehr vor der nächsten Wahl zu besetzen bereits umgefallen und wollen nun den Willen Trumps exekutieren im Rekordverfahren Ruth Bader Ginsburgs Nachfolger zu bestimmen.

Oh Weh, großes Unglück, schlimme Not!

[….] Ginsburg, die am Freitag mit 87 Jahren starb, war eine nationale Ikone, eine der wichtigsten US-Frauenrechtlerinnen und "die wahrscheinlich bekannteste Richterin in der Geschichte" des Supreme Courts, wie es der Juraprofessor Michael Yelnosky schon 2018 sagte.   In ihren 27 Jahren am US-Verfassungsgericht war Ginsburg vor allem aber die Personifizierung - die letzte, so scheint es einem fast - von Idealismus, Optimismus und   


Hoffnung in Zeiten zynischer Hoffnungslosigkeit.
[….]   Am Obersten Gerichtshof setzte Ginsburg ihre Pionierrolle zugunsten von Frauen, Homosexuellen und Einwanderern fort, Schritt für Schritt, Verhandlung für Verhandlung, Urteil für Urteil. Und wenn sie der konservativen Mehrheit mal unterlag, machte sie ihre Empörung mit flammenden Widersprüchen gültig, die zur Pflichtlektüre wurden, nicht nur für Jurastudenten.  Von 2006 bis 2009 war Ginsburg die einzige Frau am neunköpfigen Supreme Court. Ihre "schlimmste Zeit", wie sie später zugab - zumal sie mit gerade mal 1,55 Metern den männlichen Kollegen zumindest optisch unterlegen war. Es war in jenen Jahren, dass ihr Dissens immer lauter wurde.  So konnte sie es kaum fassen, dass das Gericht 2007 die Klage einer Frau wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz aus Formgründen abschmetterte. Aufgrund ihres Widerspruchs verankerte der Kongress die Gleichbezahlung von Frauen und Männern schließlich gesetzlich. Eine gerahmte Kopie des Lilly Ledbetter Fair Pay Acts, benannt nach der Klägerin, hing bis zuletzt in Ginsburgs Büro. [….]  Eine Studentin verpasste ihr den Spitznamen "Notorious RBG", in Anspielung auf den legendären Rapper Notorious BIG. Ginsburg liebte den Vergleich: "Wir sind ja beide in Brooklyn aufgewachsen."   Ihr Konterfei zierte Tassen, Taschen, T-Shirts. Sie war Star einer Oper, eines Kinderbuchs und einer Fitnessbibel und eine Legofigur im "The Lego Movie 2". Fans ließen sich "RBG" in die Haut tätowieren und brachen bei ihrem Anblick in Tränen aus. [….]

(Marc Pitzke, 19.09.2020)