Wenn eine Partei in Umfragen bei 15% steht, aber den
Anspruch eine Regierung zu führen nicht aufgibt, gilt es eine Lücke zwischen
den demoskopischen 15% und den notwendigen 50,x% der Sitze des Bundestages für
die Kanzlermehrheit zu füllen.
Einige Sozialdemokraten, die sich selbst als sehr links oder
klassische Arbeitnehmervertreter verstehen, behaupten seit 20 Jahren
hartnäckig, die Partei müsste sich auf den ursprünglichen Kern des Arbeitskampfes
konzentrieren.
Abgesehen davon, daß das offensichtlich Unsinn ist, weil es
dieses Milieu kaum noch gibt, …….
[….] Drei Gründe für die Krise der Volksparteien. Der erste Grund ist
natürlich die Auflösung der klassischen Milieus - bei der SPD-Wählerschaft so
sehr, dass sie mehr Akademiker- als Arbeiterpartei geworden ist. [….]
…… kann das auch mathematisch nicht funktionieren.
Wer eine Mehrheit links der CDU anstrebt, kann seinen
politischen Anspruch nicht auf die klassische rotrotgrüne Wählerschaft
reduzieren. Es gab noch nie eine linke Mehrheit im strukturkonservativen
Deutschland. SPD-Kanzler regierten entweder mit der FDP zusammen, oder deckten
wie die Schröder-Regierung mit Schily und Clement selbst die
klassisch-konservativen Politikfelder Sicherheit und Wirtschaft ab. Seither ist
die Bundesrepublik bekanntlich deutlich weiter nach rechts gerutscht.
Juden werden gejagt, Schwule angegriffen und wer als strammer Faschist NS-Parolen in die Welt posaunt,
bekommt in Thüringen jede vierte Stimme.
Sich in seine linke Nische zu verziehen, gibt einem das
wohlige Gefühl der reinen Lehre. Endlich keine Kompromisse mehr.
Wenn man wie Lafontaine, WASG und Post-PDSler meint
ausschließlich mit linker Verteilungsprogrammatik – „Hartz abschaffen!“ – Politik
zu betreiben, landet man bei kümmerlichen einstelligen Werten.
Die Bundes-SPD ist heute deutlich linker als vor 20 Jahren.
Das freut Herrn Kühnert und linke sozialdemokratische Facebookgruppen.
Es bringt aber auch nahezu zwangsläufig die CDU ins
Kanzleramt, weil keine anderen Mehrheiten erreicht werden.
[….] Der bislang und vielleicht für immer letzte SPD-Bundeskanzler, Gerhard
Schröder, hatte das rot-grüne Lager noch erfolgreich gegen "die Konservativen"
positioniert. Das war nicht frei von einem kräftigen Hauch Populismus, aber
auch nicht falsch: In vielen großen Fragen - der Verweigerung devoter
Gefolgschaft im Irakkrieg der USA, dem Atomausstieg, der Gleichberechtigung von
Minderheiten - bot Rot-Grün eine klare Alternative zur Opposition,
und umgekehrt. [….]
Heute hassen linke Sozis Gerhard Schröder wie die Pest.
Seine Cohibas, seine gut sitzenden Anzüge, sein Verständnis für Wirtschaftspolitik.
Sie vergessen aber, daß Schröder mit dieser Methode geradezu
genial Mehrheiten erreichte und so viel linke Politik durchsetzte wie nie
zuvor.
Staatsbürgerschaftsrecht, Homoehe, Zwangsarbeiterentschädigung,
ökologische Steuerreform – CDU, CSU und FDP schäumten vor Wut, rannten heulend
zum Bundesverfassungsgericht.
Der rechte
Schröder konnte für links sehr viel
mehr bewegen als die heutigen Sozis, weil er 41% bei der Bundestagswahl bekam
und den starken Seniorpartner in der Regierungskoalition stellte.
Daß die SPD aus dem März 2018 als Juniorpartner mit 20% den
Koalitionsvertrag noch so stark dominieren konnte, liegt an der außerordentlich
geschickten Verhandlungsführung durch Olaf Scholz, der sehr schwachen
CDU-Chefin und dem schmollenden Christian Lindner, der mit vollen Hosen vor der
Verantwortung floh und damit die Regierungsteilnahme der SPD erzwang.
Wenn sich die SPD weiter verzwergen will, muss sie nur dem
Lindnerischen Schmollwinkel-Impuls folgen. Mit zwei gleich linken Parteien –
der SPD mit derzeit 14% in den Umfragen und der LINKEN mit derzeit 8% (=22%) -
hat selbst die debakulierende Merz-Karrenbauer-CDU leichtes Spiel.
Das linke Lager hätte sich als regierungsunfähig bewiesen;
jeder Grund sie zu wählen entfiele.
Das Projekt Rotrotgrün kann nur funktionieren, wenn jeder
sein Milieu bedient und die SPD darüber hinaus die vernünftigen Menschen der
Mitte für sich gewinnt.
Das LINKE Milieu bilden die finanziell Schwächsten, die eher
ungebildeten Protest-Wähler mit einem starken Hang zu simplen Antworten und
einem offenen Ohr für Populismus.
Das GRÜNE Milieu sind die urbanen Topverdiener mit Villa im
Grünen oder schicken Innenstadt-Penthäusern. Zu ihnen gesellen sich
EKD-Funktionäre und fromme Frauen aus der Kleinstadt. Sie jetten um die Welt,
wollen aber ein gutes Gewissen haben, ohne sich tatsächlich einschränken zu
müssen. Sie verachten die bornierte Xenophobie und Homophobie der Konservativen,
freuen sich aber insgeheim doch, wenn die CDU – gern in Koalition mit den
Grünen – regiert, weil das garantiert, daß ihre prallgefüllten Bankkonten nicht
durch Steuererhöhungen gefährdet werden.
Das SPD-Milieu ist das Volatilste von allen. Es ist sehr
heterogen. Einerseits halten ihr Gewerkschaftler und Arbeiter die Treue, aber
die werden immer weniger. Kleinbürger mit geringer Bildung rennen zur AfD.
Stark ist die SPD noch unter Akademikern, Polit-Nerds und den rationalen
Analysten, die wissen, daß man weder den Lobbyisten folgen darf, noch sie einen
schlanken Fuß durch Verweigerung machen darf, wenn vernünftig regiert werden
muss.
Ein sehr überzeugender SPD-Kanzlerkandidat wie Schmidt oder
Schröder kann weit ins bürgerliche Lager hinein Stimmen bekommen, wenn er es
schafft allgemeine Kompetenz auszustrahlen und deutlich weniger borniert als
die Christlichkonservativen zu wirken.
Die Kanzlermehrheit für Grünrotrot oder Rotgrünrot kann es
nicht mit einem Verweigerer à la Kühnert geben, der zwar an der Basis der
Berliner LINKEN hoch angesehen ist, aber keine Chance hat über dieses Ur-linke
Milieu hinaus Stimmen zu holen.
Wer eine Mehrheit links der CDU wünscht, muss auf einen
SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Scholz setzen. Nur er kann gegenwärtig auch die
eher drögen Wechselwähler ansprechen, die ganz schnell zu CDU und FDP fliehen,
wenn ihnen die Sozis zu links wirken.
[…..] Hamburg. Es ist ein Jahrzehnt her, da lag die SPD in Trümmern. Die
stolze Hamburg-Partei, die bis 2001 mit einer kleinen Ausnahme in den
50er-Jahren das Rathaus regiert hatte, schien in einer Todesspirale gefangen:
2007 […..] überholte die CDU die SPD,
die nur noch auf 27,4 Prozent kam. […..] Die Partei schien am Ende und wählte im November 2009 Olaf Scholz zum
Vorsitzenden – nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus Verzweiflung. In
Hamburg regierte die CDU mit den Grünen, in Berlin die Union mit der FDP. In
Umfragen lag die Hamburger SPD mit 33 Prozent deutlich hinter der CDU. Wer
brauchte da noch die SPD?
In Hamburg gelang der SPD die bislang letzte absolute Mehrheit
Es brauchte nicht einmal 16 Monate. Im Februar 2011 gewannen die
Sozialdemokraten in Hamburg 14,3 Prozentpunkte hinzu und erreichten mit 48,4
Prozent die absolute Mehrheit der Sitze – es war übrigens die letzte absolute
Mehrheit der Sozialdemokraten in der Bundesrepublik, die Scholz mit 45,6
Prozent vier Jahre später fast verteidigt hätte. […..]
Norbert Walter-Borjans […..] hat
gar keine Erfahrung mit der Führung einer Partei, seine Mitstreiterin hat nur
den Kreisverband Calw geführt, ihren Bundestagswahlkreis aber stets verloren.
[…..] Nun müssen die Genossen entscheiden, ob sie mit Robin Hood den Sherwood
Forest erobern wollen – oder mit Scholz vielleicht das Kanzleramt. Die
Deutschen wählten stets Männer oder Frauen der Mitte zu Regierungschefs, die
bis ins andere Lager hineinstrahlen – Gerhard Schröder war eben auch der
„Genosse der Bosse“, Helmut Schmidt der Kanzler des Nato-Doppelbeschlusses.
Scharf links der Mitte gewinnt man keine Wahlen, sondern nur
Trostpreise. […..] In einer Welt, in
der Internetgiganten wie Amazon ganze Fußgängerzonen leer räumen und wie
Facebook sogar über eigene Währungen nachdenken, ist eine Linke wichtiger denn
je. […..]