Samstag, 4. Juli 2020

Lame Duck Metapher


In Amerika bezeichnet man Präsidenten am Ende ihrer letzten Amtszeit als „lahme Ente“
Das trifft insbesondere zu, wenn sie sechs Jahre nach ihrem ersten Wahlsieg die Midterm Elections verloren haben, einem feindlich gesinnten US-Kongress gegenüberstehen und die eigene Partei sich schon völlig darauf konzentriert einen anderen Präsidentschaftskandidaten zu finden.
Auch andere bedeutende Amtsträger, die nicht mehr zu einer Wiederwahl antreten und daher angeblich nicht mehr viel bewirken können, heißen „lame ducks“.
Senatoren, Bürgermeister oder Minister, die sich zurück ziehen und zum Ende ihrer Wahlperiode alles in Ruhe ausklingen lassen, ohne sich noch intensiv in das parteipolitische Getümmel zu werfen.

So galt auch Merkel in unserer transatlantisch geprägten Politmetaphern-Welt (Wir benutzen beispielsweise auch das Suffix „gate“ für deutsche Politskandale) nach der Bundestagswahl von 2017 als „lame duck“. 2021 wollte sie nicht mehr antreten, 2018 gab sie nach fast zwei Dekaden den CDU-Bundesvorsitz auf, alles deutete auf eine vorzeitige Amtsübergabe an ihre mutmaßliche Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer hin.

Die Enten-Metaphorik ist stark überstrapaziert.
So war Barack Obama, der im Januar 2017 mit einem gewaltigen Vertrauensvorschuss ausgestattet ins Amt ging, mit breiten demokratischen Mehrheiten in House und Senat im Rücken und einer erwartungsfrohen Nation, die nur danach gierte, daß er das Elend der GWB-Zeit revidieren würde, als lame duck in seine Präsidentschaft.
Es war sein größter und folgenschwerster Fehler als US-Präsident. Er schien Verständnis dafür zu haben, daß so viele Republikaner mit seiner Hautfarbe fremdelten, sorgte sich um die Gefühle der aufkommenden Tea Party und versuchte daher Jahrelang gute Stimmung für sich zu machen, die politische Landschaft zu einen und trotz der gewaltigen demokratischen Mehrheiten im Konsens zu regieren.
Er wollte sich mit der GOP versöhnen und die weißen, konservativen Skeptiker mitnehmen.
Sie würden schon irgendwann überzeugt sein und seine Reformen dann im Sinne der ganzen Nation mittragen. Er benannte sogar einen republikanischen Verteidigungsminister, weil er offenbar fürchtete, die Hillbillies aus Alabama und Kansas könnten es nicht verkraften, wenn zu einem schwarzen Präsidenten auch noch Demokraten über die Army bestimmten.

Der Glaube an ein Konsens-basiertes Regieren macht Obama sympathisch.
Es war aber ein katastrophaler Irrglaube. Dadurch wähnten sich die Republikaner nur noch mehr im Recht, weil sie #44 als schwach ansahen.
Sie gaben nicht etwa ihre anfängliche Ablehnung auf, sondern radikalisierten sich jeden Tag, wurden zu einer total destruktiven Kraft.
Obama nahm sich so viel Zeit dafür das Land vorsichtig auf Änderungen vorzubereiten, daß seine eigenen Anhänger immer enttäuschter wurden, weil es nicht voran ging.
2010 verlor Obama daher die Mehrheit im House an die Republikaner, die sie auch bei den Parlamentswahlen im Jahr 2012 verteidigten. Bei den 2014ner Midterms kam es zur demokratischen Katastrophe: Die inzwischen von der radikalen Anti-Obama-Teaparty dominierten Republikaner gewannen weitere Sitze im Repräsentantenhaus und holten auch im Senat eine 54/100-Sitzen Mehrheit.
Nun war Obama nach der herkömmlichen Metaphorik wirklich eine lame duck; die Gestaltungsmacht im Kongress war futsch.
In Wahrheit verhielt es sich aber genau umgekehrt: Barack Obama schien erst 2014 zu verstehen, daß die Republikaner niemals mit ihm kooperieren würden und eher das Land an die Russen verkaufen würden, bevor sie ihm den kleinsten Erfolg gönnten.
Dadurch wurde Obama aber nicht nur nicht zur lame duck, sondern endlich mutig genug auch bei Bürgerrechtsfragen wie Haschisch-Legalisierung oder Homoehe oder Waffengesetzen oder Umweltschutz kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen.
Er schien wie befreit, denn er hatte nichts mehr zu verlieren.
Die letzten beiden Amtsjahre wurde die Stärksten. Den in sich ruhenden selbstsicheren Obama von 2015 und 2016 zu sehen machte es a posteriori nur noch tragischer, daß er diesen Mut und die Energie nicht gleich 2009 aufbrachte, als er mit breiten Mehrheiten so viel erreichen konnte.

Da Trump sich um die Wiederwahl bewirbt ist er keine lame duck.
Aber die Metaphorik passt ohnehin nicht zu seinem Politikstil, da er sich als Autokrat empfinden, von der „totalen und absoluten Macht“ seines Amtes spricht und ihm die Mehrheiten im Kongress quasi egal sind. Im Gegenteil, nachdem auch er bei seinen ersten Midterms 2018 die Mehrheit im House verlor, hatte er endlich einen „schwarzen Peter“ zur Verfügung, dem er alle Misserfolge in die Schuhe schieben konnte. Er erklärte den „national emergency“, um den Kongress sogar mit einem Regierungs-Shutdown dazu zu zwingen seine geliebte Mauer zu bauen. Sollte sie nicht fertig werden, sind die Demokraten Schuld.
Die ersten zwei Jahre seiner Regierungszeit mit republikanischer Mehrheit im House, welches über die Finanzen verfügt, gab es eigenartiger Weise keinen Notstand an den Grenzen, der die sofortige Mauer-Finanzierung erforderte.

Schon gar nicht passt Trumps Charakter zu dem Begriff lahme Ente.
Der Psychopath hält sich zwar selbst für gottgleich, überlegen und überhaupt den Schlausten, Schönsten und Potentesten, aber paradoxerweise ist er gleichzeitig extrem bestätigungssüchtig und außerordentlich zart besaitet, wenn er kritisiert wird. Es ist für ihn lebenswichtig ununterbrochen gelobt und gepriesen zu werden. Rund um die Uhr muss ihm der Hinter geküsst werden, sonst zerbricht er und flüchtet sich in tollwütige Raserei.

Schon lange vor seiner politischen Karriere entwickelte er die Strategie immer wenn er sich unterlegen oder eingeschüchtert fühlte mit maximaler Kraft zuzuschlagen und rücksichtslos wie ein echter Soziopath ohne Moral den Gegner zu zerstören.
Lügen, drohen, erpressen können in der Geschäfts- und Showwelt durchaus bis zu einem gewissen Grad erfolgreich sein.
In der politischen Welt trifft er allerdings ziemlich oft auf Menschen, die mehr von einer Thematik verstehen als er selbst. Im Grunde genommen ist das sogar immer so, weil es keinen dümmeren und bornierteren Menschen als Trump gibt. Umso mehr bläst er sich auf.

Die jüngst geleakten Informationen über Trumps verheerende Telefonate mit anderen Regierungschefs zeigen das mustergültig.
Er akzeptiert nur wenige andere Präsidenten und zwar nur die, die es mit drastischen Methoden schafften sich absolute und ewige Macht zu verschaffen – so wie Putin und Xi. Das bewundert Trump ehrlich und so giert er wie ein Welpe, der das erste mal nicht auf den Teppich gepinkelt hat nach einem Lob aus Moskau oder Peking.

[….] Er sei häufig schlecht vorbereitet gewesen und habe wichtige Positionen der USA einfach aufgegeben. Deutlich geworden sei vor allem, dass sich Trump von "starken Männern" besonders beeindrucken lasse, ja geradezu devot erscheine.

    "Bei Telefonaten mit Putin suchte er fast sklavisch dessen Anerkennung."

Der türkische Präsident Erdogan habe zeitweise zwei Mal in der Woche angerufen und sei auf Trumps Anweisung immer durchgestellt worden. Der habe ihn sogar öfter auf dem Golfplatz angerufen, mit dem Ergebnis, dass Trump die amerikanischen Truppen aus Syrien abzog und damit die verbündeten Kurden den Angriffen der Türkei schutzlos überließ. [….]

Trumps Frauenverachtung führt dazu, daß er selbstverständlich keine weiblichen Regenten akzeptiert.
Insbesondere auf Merkel, mit ihrer viel größeren Erfahrung und Wissen, reagiert er daher typisch trumpisch, indem er unverschämt, aggressiv und beleidigend wird. Geradezu sadistisch habe er auf Merkel eingedroschen, heißt es.

[….] Weibliche Staatschefinnen habe er beleidigt - seine "bösartigsten Angriffe" hätten demnach Kanzlerin Angela Merkel und der damaligen britischen Premierministerin Theresa May gegolten. Das berichtete der Sender unter Berufung auf zwei von mehreren namentlich nicht genannten Geheimdienstbeamten und Quellen aus dem Weißen Haus.
Trump soll Merkel am Telefon als "dumm" bezeichnet und sie beschuldigt haben, "unter dem Einfluss der Russen zu stehen", zitierte CNN eine Quelle. [….]
(SPON, 01.07.2020)


Merkel, die (vermutlich) auch dem Ende ihrer Amtszeit zugeht, scheint auch keine typische lame duck zu sein. Sie macht einfach weiter wie immer. Hält sich aus dem Kleinklein der Parteipolitik raus und wickelt stur ihre Termine ab.
Viel wichtiger als der Zeitpunkt ihrer Karriere ist aber ihre Joker-Eigenschaft frei von Hysterie und Empfindlichkeit zu sein.
Man kann die Frau nicht beleidigen, weil sie alles stoisch schluckt.
Horst Seehofer brachte das zur Verzweiflung. Jahrelang hatte er sich getriezt und öffentlich gedemütigt – immer in der Hoffnung zu verunsichern oder doch wenigstens ausflippen zu lassen.
Vergeblich.

Ebenso biss Trump auf Granit, der zwar Premierministerin May verunsichern und einschüchtern konnte, aber trotz wüstester persönlicher Beleidigungen an einer anderen Enten-Eigenschaft Merkels scheiterte: Sie mag keine lame duck sein, aber sie kann Beleidigungen wie Wasser am Entengefieder abperlen lassen.

[….] Laut Carl Bernstein hätten Trumps aggressive Angriffe auf Theresa May durchaus einschüchternd gewirkt, genau das, was der Präsident beabsichtigt habe. Merkels Reaktion dagegen hätten seine Quellen ganz anders beschrieben:

    "Sie ging sehr gut damit um. So wie Wasser auf dem Rücken einer Ente, ließ sie es an sich abperlen." [….]