Sonntag, 9. März 2014

Menschen wie Du und ich nicht



 Als Abonnent einiger völlig normaler und verbreiteter überregionaler Periodika wird man automatisch immer mal wieder mit Extraheftchen versorgt.
Glaubenshudeleien, verfasst von einem regelrechten Religiotenkonzentrat, liegen dann vor meiner Wohnungstür.

Nicht immer, aber doch regelmäßig schlage ich „Chrismon“, „Himmel und Elbe“, oder wie diese religiösen Beilagenheftchen auch immer heißen mögen auf und wundere mich.
Natürlich, ich WEISS, daß Glauben und Wissen, daß Religion und Wissenschaft, daß faktenorientierter Journalismus und gefühliges Schwafeln verschiedene Dinge sind.
Aber ich staune dann doch auf welch minderem intellektuellen Niveau sich die professionellen Kirchenjournalisten bewegen.
Die offensichtlichen Fragen werden erst gar nicht gestellt und je prächtiger die Phantasiekleider der eunuchisierten Katholokleriker gestaltet sind, desto devoter und tiefer buckelnd begegnet ihnen die Presse. Das gilt für Print und Fernsehen gleichermaßen.

Kurz vor Ratzis Rücktritt im Februar 2013 zeigte der päpstliche PR-Sender „Bayerische Rundfunk“ anläßlich einer Audienz wie man es nicht macht.

Da es seine letzte große Show war habe ich mir Ratzis Generalaudienz im Vatikan angesehen.
50.000 Leute, Seehofer, Bayerische Blasmusik, Bayerische Gebirgsjägergruppen, jede Menge Männer im Kleid und dazu die üblichen sinnfreien Sprüche über Gottes Liebe, die der alte Mann im Prunkpalast so sehr in sich spürt, während jeden Tag 30.000 Kinder auf diesem Planeten elend verhungern.
Gänsi, der immer rechts hinter Ratzi rumlungerte, war sichtlich stolz auf sein neues Erzbischofskostümchen und trug begeistert sein Pink zur Schau.
Ratzi murmelte wie immer klinisch Charisma-frei und monoton seine Worte vom Blatt, ohne auch nur einmal aufzusehen.
Die Menge jubelte natürlich trotzdem. 
Aber so ist das immer im menschlichen Massenwahn. Rottet man derartig viele Menschen in einem Stadion zusammen, beginnen sie eigentlich immer hemmungslos zu kreischen und zu applaudieren – ob nun Mario Barth, ein Fußballspiel, ein Tokio Hotel-Konzert oder ein Dieter-Bohlen-Casting den Anlass gibt, ist irrelevant.

Schwer zu ertragen waren allerdings die Komödianten, die für den BR die begleitende Moderation gestalteten. Natürlich waren kritische Stimmen a priori ausgeschlossen.
Das konservative CSU-Mitglied Sigmund Gottlieb stellte Fragen an die beiden 1000%-Papstbewunderer Gudrun Sailer und Peter Seewald. 
Sailer, seit 2003 bei Radio Vatikan, hardcore-Katholikin stammt aus St. Pölten und verblüffte mit der Feststellung schon als Kardinal habe Ratzinger besonders intensiv an der Aufklärung der Missbrauchsfälle in der RKK gearbeitet.
 Der Papst-Biograph Seewald erklärte der Welt, in Ratzingers Pontifikat sei die Katholische Kirche überproportional gewachsen und auch in Deutschland habe man die Evangelen überholt.

Des Weiteren überbetonten sie geradezu manisch wie bescheiden Benedikt XVI. wäre. 
Der Mann also, der eine seit hundert Jahren nicht mehr gekannte Prunksucht auslebte und als Rentner auf die bescheidene Anrede „Eure Heiligkeit“ bestehen will.

Es sei außerdem vollkommen sicher, daß sich Rentner Ratzinger sich nicht in die Politik seines Nachfolgers einmischen werde - eben aufgrund seiner Bescheidenheit.

Genau. Deswegen hat Ratzi seinem Nachfolger auch noch einen ultrakonservativen Präfekten der Glaubenskongregation und einen ultrakonservativen Präfekten des Päpstlichen Hauses vor die Nase gesetzt und wird in unmittelbarer Nähe zum Petersdom seinen Alterswohnsitz nehmen.

À propos ultrakonservativer Präfekt der Glaubenskongregation, immerhin einmal sagte Seewald nicht die Unwahrheit, als er auf Gottliebs verblödete Frage wann denn die Diskussionen der Kardinäle um Ratzingers Nachfolge begännen, antwortete, diese wären längst im Gang.
Wenn eins offensichtlich ist für alle am Katholizismus Interessierten – und damit spreche ich auch für die ganz Konservativen – dann die Tatsache, daß Ratzinger die Kurie nicht mehr im Griff hat, daß man ihm auf der Nase rumtanzt.
Und dies geschieht natürlich dann, wenn die Herren in den roten Kleidchen meinen das Pontifikat nähere sich dem Ende und dementsprechend Truppen für die Nachfolge sammeln.

Ich beklage seit Jahren immer wieder, daß auch seriöse Medien stets fromme Katholiken einsetzen, wenn über die katholische Kirche berichtet wird.

In der aktuellen Ausgabe der SZ gibt es in der Wochenendbeilage eine zwei ganze Zeitungsseiten lange Papst-Franziskus-Lobhudelei, „Mensch, Franziskus!“
Dabei hatte ich schon Hoffnung, daß womöglich diesmal ein etwas kritischerer Blick abgedruckt würde, da ausnahmsweise nicht der fromme Matthias Drobinski der Autor war, sondern der seriöse Journalist Stefan Ulrich.
Aber auch Ulrich tut nicht mal so, als ob er irgendeinen journalistischen Abstand einhalten würde, sondern berichtet wie selbstverständlich von seiner eigenen tiefkatholischen Vita.

Wer dann auf dem Petersplatz steht und im Bad der Tausenden eine Generalaudienz miterlebt, bleibt womöglich erst einmal ohne Antwort auf die Frage nach dem Franziskus-Syndrom. Gewiss, dieser Pontifex ist besonders sympathisch, aber reicht das als Erklärung für das Massenphänomen?
Als Katholik mittleren Alters hat man ja schon einige Päpste erlebt. Als Ministrant hörte man einst die Fürbitten für „unseren Papst Paul“, ohne sich unter Unserempapstpaul – so klang das aus dem Mund des Pfarrers – jemand Konkreten vorstellen zu können. Es folgte ein liebenswürdiger Johannes Paul I., der ein greifbarer Papst zu werden versprach, jedoch nach wenigen Tagen starb, was bizarre Verschwörungstheorien provozierte. Danach kam der Pole Johannes Paul II., ein Feuerwerk des Willens und des Glaubens, dessen Charisma man als junger Mensch auf der Münchner Theresienwiese bestaunen und dessen dramatisches, öffentliches Sterben man später mitverfolgte.
Dann wurden wir Papst, und BenediktXVI. stürzte deutsche Katholiken in eine Verwirrung der Gedanken und Gefühle. Wunderbare Schriften wie die Enzyklika „Deus Caritas Est“ ……
(SZ vom 08.03.2014)

Aber Ulrich ist trotzdem noch ein Guter, der nicht blind vor Papstbewunderung schreibt.

Den absoluten Tiefpunkt des Vatikan-Journalismus gab vor zwei Wochen der Ex-Stern- und Ex-Spiegel-Journalist Peter Seewald, 59, im SZ-Magazin zum Besten.

Der ehemalige Oberministrant und in Niederbayern stramm katholisch erzogene Seewald trat 1973 aus der RKK aus und legte eine längere linksliberale Phase ein.
Dann aber diffundierte er wieder mehr dem rechten Spektrum zu, verliebte sich unsterblich in Joseph Ratzinger und ist heutzutage als Doppel-Konvertit papsttreuer als jeder Kardinal.
Das muß man allerdings präzisieren. Nach seinen Papst-Interviewbüchern ist Seewald 150% Ratzinger-treu. Franzi mag er schon deswegen nicht, weil der aktuelle Papst das sichtbare Symbol für das nicht mehr Amtieren des Ex-Papstes ist.
Seewalds Bücher wirken outdated seit jeder Franzi zujubelt.

    1996: Joseph Ratzinger: Salz der Erde: Christentum und katholische Kirche im 21 Jahrhundert - Ein Gespräch mit Peter Seewald. DVA. ISBN 3421050465
    2000: Gott und die Welt - Glauben und Leben in unserer Zeit. DVA. ISBN 3421054282
    2002: Die Schule der Mönche. Herder, Freiburg. ISBN 3451274612
    2004: Als ich begann, wieder an Gott zu denken. Heyne. ISBN 3453878795
    2005: Der deutsche Papst - Von Joseph Ratzinger zu Benedikt XVI. Verlagsgruppe Weltbild und Axel Springer AG. ISBN 3-89897-252-6
    2005: Benedikt XVI. Ein Porträt aus der Nähe. Ullstein Verlag. ISBN 3550078331
    2005: Gloria: Die Fürstin - Im Gespräch mit Peter Seewald. ISBN 9783453380004
    2006: Benedikt XVI. Leben und Auftrag. Verlagsgruppe Weltbild. ISBN 389897474X
    2009: Jesus Christus: Die Biographie. Pattloch Verlag. ISBN 978-3-629-02192-2
    2010: Licht der Welt, Ein Gespräch mit Papst Benedikt XVI., Herder Verlag, Freiburg 2010 ISBN 978-3-451-32537-3
(Seewalds „Werke“)

Es läßt tief blicken, von wem sich Ratzi interviewen läßt. Kritische Fragen mag er offenbar nicht hören und gibt sich lediglich mit seinen Fans ab, die ihm ohnehin an den Lippen kleben.
Viele Politiker sind da längst weiter und lassen ihre Bücher von politischen Gegnern präsentieren. Das ist souverän und zeigt, daß man seinen Argumenten vertraut. Nicht so Ratzi. Der möchte bis heute nur ihm treu Ergebene um sich haben. Sein treuer Epigone Seewald hält ihm ostentativ die Stange.

Nur zu gerne nutzte der fromme Niederbayer die Gelegenheit für das SZ-Magazin Ratzis Freund Gänsi zu interviewen.
Kurienerzbischof Gänswein, der jetzige Prälat zweier päpstlicher Häuser ist vermutlich der beste Kenner der Vatikanischen Innereien.
Also ein Mann, der über so viel Wissen verfügt, daß jeder Journalist sich danach die Finger leckt ihm Geheimnisse zu entlocken.
Eine große Chance für Seewald.
Eine Chance, die er im SZ-Magazin vom 28.02.14 sensationell vergeigte.
Nicht nur, daß er keine einzige kritische Frage stellte und dementsprechend auch keine einzige Neuigkeit von Gänswein erfuhr.
Nein, Seewald begreift offenbar gar nicht was ein „Interview“ ist; nämliche eine journalistische Gattung, bei der einem Kundigen Fragen gestellt werden.
Fragen, die möglichst so geschickt und intelligent gestellt sind, daß der Leser mehr über den Interviewten erfährt, als der eigentlich sagen wollte.

Seewald hingegen hat in seiner Großhirnrinde nur den Satz ICH LIEBE RATZI eingestempelt und funktionierte seine „Fragen“ zu einer ekelhaft servilen Benedikt-Schleimerei um, die Gänswein dann absegnen durfte.

Es ist das erste SZ-Magazin-„Interview“ geworden, bei dem man die Antworten nicht lesen muß, weil die Fragen schon alles erklären. Nur mühsam kann der Mann, der seit 21 Jahren als Ratzis devoter Gefälligkeitsjournalist agiert, seine Abscheu vor dessen Nachfolger verbergen. Umso mehr Benedikt-Lobesschmalz legt er in seine Fragen.
 Eine Auswahl:

Allerdings scheint vieles, was man von Benedikt gewohnt war, bei Franziskus zu fehlen: die Präzision in der Sprache, der Reichtum der Tradition, die Noblesse in der Form.
[….]
Er habe seinen Schritt, meinte er mir gegenüber, »lange genug bedacht und mit dem Herrn besprochen. Und ich sehe jeden Tag, dass es richtig war«. Er sei sich sicher gewesen, »dass meine Stunde vorbei war, und dass das, was ich geben konnte, gegeben ist«.
[…]
Seinen Rücktritt begründete er mit dem Nachlassen seiner Kräfte. Tatsächlich war er am Ende völlig erschöpft. Hat Benedikt das Leiden von Johannes Paul II. als eine eigene Botschaft erkannt, zu der er selbst gewissermaßen nicht den Auftrag hatte?
[…]
Das spezielle Charisma von Benedikt war der Brückenschlag zwischen Intellektualität und Glaube. Franziskus hingegen legt sehr viel Wert auf Empathie. Es ist ein Wechsel wie vom Lehrstuhl auf die Piazza, von drinnen nach draußen. Drückt das auch einen gesellschaftlichen Wandel aus?
[….]
Alt- und Neu-Papst scheinen sich zu verstehen. Benedikt sei »ein subtiler Denker, den der Großteil der Menschen nicht kennt oder nicht verstanden hat«, meint sein Nachfolger. Es sei »eine Freude, Ideen mit ihm zu teilen«.
[….]
Wird Franziskus vielfach nur schöngeredet? Nach dem Motto: Wir machen uns einen Papst, wie wir ihn haben möchten?
[….]
Benedikt XVI. machte einen Protestanten zum Präsidenten des päpstlichen Wissenschaftsrates. Unter ihm wurde erstmals ein Muslim Professor an der Gregoriana, der hier Koran lehrt. Er aß mit Obdachlosen Lasagne, besuchte Jugendliche im Gefängnis. Er feuerte im Zusammenhang mit Missbrauch rund 400 Priester. Aber all das wurde kaum kommuniziert. Hat sich Benedikt verweigert, weil ihm Effekthascherei zuwider ist, oder hat man ihn einfach schlecht »verkauft«?
[….]
Vieles, was der neue Papst kritisiert, trifft vor allem auf die Kirche in Deutschland zu: Anpassung an den Zeitgeist, Mutlosigkeit, fehlendes Profil. Die Bischöfe jubeln Franziskus zu, aber das war’s dann auch schon.

Ich bin ja ein großer Fan des SZ-Magazins. Es ist um zehn Klassen besser, als das einstmals führende ZEIT-Magazin.
Aber wieso Chefredakteur Timm Klotzek diese servile Seewald-Nummer durchgehen ließ, ist mir ein Rätsel.