Dienstag, 27. März 2018

Diplomatie und Demokratie


Zu den ehernen Regeln der Demokratie gehört es, daß aus dem Amt ausgeschiedene Regierungsmitglieder sich nicht zu ihren Nachfolgern äußern.
Das ist nicht nur eine Frage der Höflichkeit oder eine alte diplomatische Gepflogenheit, sondern grundsätzlich erforderlich für das Funktionieren einer Demokratie, die schließlich im Gegensatz zu Autokratien vom Führungswechsel geprägt ist.
Man kann sich gut vorstellen, wie schwer es Barack Obama fiel seine Amtsgeschäfte ausgerechnet Trump zu übergeben; nachdem der Amtsinhaber so intensiv für Trumps Gegnerin Wahlkampf gemacht hatte und diese auch drei Millionen Stimmen mehr als der Orange Depp erhielt.
Wie zerknirscht Bill Clinton war seinen Job GWB zu überreichen, obwohl sein Vize und Freund Al Gore 500.000 Stimmen mehr als Bush Jr. bekommen hatte.
Zum Wohle der Nation ließen sie sich aber nichts anmerken und übergaben korrekt und ausgesucht höflich den Stab, so wie es dann auch GWB tat, der sich ebenfalls einen anderen Nachfolger als Obama gewünscht hatte.

Zickzack-Sigi schafft das allerdings nicht, konnte gerade mal eine Woche seinen Mund halten, bevor er, der ehemalige Außenminister, seinem Parteifreund und Nachfolger Maas in die Amtsgeschäfte spuckt.
Gabriel eben, werden sich jetzt auch Nahles und Scholz denken. Eine Bestätigung mehr, daß es richtig war ihn in Rente zu schicken, obwohl er Deutschlands beliebtester Minister war.
Gabriel ist ein helles Köpfchen, kann sehr vieles, aber ganz bestimmt keine innerparteiliche Solidarität.

Heikos Maas‘ Unterstützung für die diplomatischen Vergeltungsmaßnahmen gegen Russland hält Gabriel für grundverkehrt und kann sich nicht drei Minuten zurückhalten, bevor er zur Presse rennt, um dem Neuen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Die Affäre Skripal würde Gabriel ganz anders handhaben.

[….] Am Dienstag aber meldete sich der Politiker, den die SPD-Führung bei der Bildung der jüngsten Bundesregierung nicht mehr im Kabinett haben wollte, mit einem kurzen Satz zurück.
Mitten in der internationalen Krise mit Russland setzte er einen Tweet ab, in dem er den früheren EU-Kommissar und SPD-Politiker Günter Verheugen für dessen Kritik an den Russland-Sanktionen lobt. "Günter Verheugens Kommentar zeigt Mut und einen kühlen Kopf", schreibt Gabriel dort und verlinkt einen Text, der zuvor auf SPIEGEL ONLINE zu dem Thema erschienen war. [….]

Tout Berlin schüttelt nun über den Ex-Außenminister den Kopf, die konservativen Medien beschimpfen ihn wieder einmal als „Russland-Versteher“.
Der Ärger über Gabriels Stil ist nur zu verständlich.

Allerdings, so Leid es mir tut, hat er inhaltlich gesehen Recht.
Was ist denn das für eine Absurdität aufgrund eines Verdachts von Frau May, die ohnehin nicht glaubwürdig ist und nachdem es der britische Geheimdienst war, der mit Fehlinformationen den völkerrechtswidrigen Irak-Krieg initiierte, nun Russland zu strafen?
Sollte man es nicht wenigstens sicher wissen, bevor man eskaliert?

[….] Bei keinem anderen Land gebe es die Kombination aus Fähigkeit, Absicht und Motiv für eine Tat wie in Salisbury, sagte Premierministerin Theresa May am Montag. Es gebe Beweise, dass Russland den Einsatz chemischer Kampfstoffe für Attentate erforschen ließ. [….]

Wir haben zwar keine Ahnung, ahnen aber irgendwie, es könnte Russland gewesen sein, weil die das eigentlich hinbekommen müssten und ihnen das irgendwie in den Kram passt?

Wer mit so vagen Vermutungen argumentiert, könnte genauso gut begründen, daß es nicht Russland war, weil anderen Geheimdienste ebenfalls die technischen Möglichkeiten haben, weil ihnen daran liegt Russland anzuschwärzen.
Oder wie ist es mit dem Argument, daß der ach so gute russische Geheimdienst, wenn er denn Skripal hätte umbringen wollen, dieser jetzt auch wirklich tot wäre und zwar ohne daß alles auf einen Mord oder gar Russlands Urheberschaft hindeutete?

Günther Verheugen spricht lediglich eine Binsenweisheit der internationalen Gepflogenheiten aus:

[….] Der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen hat das Vorgehen gegen Russland jetzt kritisiert.
"Generell sollten Sanktionen faktenbasiert sein und nicht auf Vermutungen aufbauen", sagte Verheugen der "Augsburger Allgemeinen". "Die Argumentation im Fall Skripal erinnert mich ein bisschen an eine Urteilsverkündung nach dem Motto 'Die Tat war dem Beschuldigten nicht nachzuweisen, aber es war ihm zuzutrauen'", kritisierte der SPD-Politiker.
Verheugen war von 1999 bis 2010 EU-Kommissar, zunächst für die Erweiterung der Europäischen Union, später für Industrie. "Die Haltung, dass Putin und die Russen im Zweifel für alles verantwortlich sind, ist eine Vergiftung des Denkens, die aufhören muss", sagte er. [….]
(SPON, 27.03.18)

Ich verstehe nicht, wie man irgendetwas an Verheugens Worten falsch finden kann.

Um mal den Advocatus Diaboli zu spielen; stellen wir uns vor es wäre so wie es der Postillon vor einigen Tagen meldete:

[….]  Nun dürften auch die letzten Zweifel an der Täterschaft Russlands bei der Vergiftung des russischen Ex-Spions Sergei Skripal ausgeräumt sein. Wie die britische Regierung heute mitteilte, wurde der Ausweis des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Tatort in Salisbury entdeckt.
Laut der britischen Premierministerin Theresa May wurde der Ausweis erst jetzt bei einer erneuten Untersuchung des Tatorts gefunden, weil er unter einem Laubblatt lag. […..]

In dem Fall wüßten wir eins sicher: Die Beziehungen zwischen Russland und der EU sind schwer gestört.
Da man eine atomare Supermacht, das größte Land der Erde, eine UN-Vetomacht und nebenbei auch unseren wichtigsten Gas- und Öllieferanten nicht einfach ignorieren kann, wäre es in dem Fall doppelt und dreifach wichtig viele Diplomaten in den jeweils anderen Ländern zu haben, damit die Beziehungen wieder verbessert werden könnten. Nur das diplomatische Corps ermöglicht die Kommunikation zwischen Regierungen, die schwere Konflikte miteinander austragen.

Die EU und USA tun aber das diametrale Gegenteil des Sinnvollen. Sie bauen die Gesprächskanäle ab und verursachen damit absolut sicher eine weitere Eskalation, werden also zu einer weiteren Verschärfung der Spannungen mit Russland beitragen.
Was soll das?

[….] Nach Großbritannien weisen Deutschland, die USA und weitere 18 Staaten insgesamt mehr als hundert russische Diplomaten aus ; allein 60 müssen die USA binnen einer Woche verlassen. Die Spannungen zwischen dem Westen und Russland wegen des Attentats auf den Ex-Agenten Sergej Skripal und seine Tochter Yulia erreichen eine neue Stufe.
Die Antwort aus Moskau ließ nicht lange auf sich warten: Das russische Außenministerium reagierte mit "scharfem Protest" und sprach von einer "provokativen Geste", die nicht ohne Konsequenzen bleiben werde.
Die Führung in Moskau warf der EU vor, sie lasse sich in eine von Großbritannien und den USA inszenierte Kampagne hineinziehen, mit der ein Keil zwischen die Union und Russland getrieben werden soll. Die Ausweisung westlicher Diplomaten aus Russland steht wohl unmittelbar bevor. Und das dürfte noch nicht das Ende der Eskalationsspirale sein: Als EU-Ratspräsident Donald Tusk am Montagmittag für die europäische Seite die Aktion ankündigte, erklärte er, weitere abgestimmte Gegenmaßnahmen der EU-Regierungen seien möglich. [….]
(Christian Kerl, FUNKE, 27.03.18)

Wohin soll das führen?
Wir bauen alle Gesprächskanäle zu schwierigen Ländern ab, reden nur noch mit Nationen, die uns ohnehin zustimmen?

Und glaubt irgendjemand, der Abzug von Botschaftspersonal könnte bei Putin zu der Einsicht führen, von nun an nur noch ganz lieb und demokratisch das zu tun, was die EU gern hätte?

Die EU ist meines Erachtens eine der Hauptstützen für Putins Macht. Die Russen verspüren so eine Art Hassliebe zu Europa. Sie wollen dazugehören und nicht gedemütigt werden, sie fühlen sich gleichzeitig minderwertig und überlegen.
Je mehr Europa Russland ausgrenzt, desto mehr sehen sich die russischen Wähler nach einer starken Führungsfigur, die Europa Contra gibt und die russischen Muskeln spielen lässt – Putin also.