In meinem Grundstudium gab es eine obligatorische Vorlesung
zur Einführung in die anorganische Chemie. Das war thematisch nicht
weltbewegend und behandelte die Hauptgruppen der Elemente und ihrer typischen
Verbindungen. So wie es jeder Chemiestudent der Welt irgendwann lernt. Das
Thema ist schließlich ideologiefrei.
Erstaunlicherweise fand die Vorlesung aber im gigantischen
Hörsaal A statt, obwohl wir im Sommersemester kaum 60 Anfänger waren.
Der Grund war der Professor, der ein begnadeter Rhetor war.
Man folgte ihm gebannt und hätte eine Stecknadel fallen hören können. Das hatte
sich rumgesprochen und so kamen jede Menge Studenten ganz anderer Fachbereiche;
sogar aus dem Wiwi-Bunker, um die Show zu genießen.
Während meines gesamten Studiums habe ich nur einen weiteren
wirklich guten Rhetor erlebt; interessanterweise auch relativ am Anfang in
einer Grundvorlesung über organische Chemie.
Im Hauptstudium wurden die Themen viel spezifischer und
schwieriger. Ich erlebte Professoren, die fachlich echte Autoritäten waren,
enorm viel veröffentlicht hatten, sie hingebungsvoll in ihrer Sache aufgingen.
Das bedeutete allerdings keineswegs, daß sie auch gute
Redner waren oder über pädagogisches Geschick verfügten. Im Gegenteil, einige
waren für diejenigen, die von ihnen lernen sollten eine echte Qual. Sie
rasselten monoton in aberwitziger Geschwindigkeit den Stoff herunter. Von einem
hatte ich innerhalb von zwei Semestern nicht einmal das Gesicht gesehen, weil
er ausschließlich mit einem feinen blauen Filzstift in Zeitraffer eine
Endlosfolie eines Overheadprojektors vollschrieb und dazu in seinen Bart
murmelte.
Selbst den enthusiastischsten Studenten konnte er gründlich jedes Interesse an dem Stoff austreiben.
Selbst den enthusiastischsten Studenten konnte er gründlich jedes Interesse an dem Stoff austreiben.
Das ist meiner Ansicht nach ein generelles Problem an
deutschen Hochschulen.
Die Professuren werden ausschließlich nach fachlicher Eignung
in ihrem jeweiligen Forschungsgebiet vergeben. Das bedeutet aber noch lange
nicht, daß derjenige auch ein Institut verwalten kann oder pädagogisch
irgendwelche Begabungen hat.
Die freie Rede spielt in der deutschen Bildung kaum eine
Rolle. In der Schule hatte ich eine Handvoll Referate gehalten und dann dauerte
es bis ins Hauptstudium, als ich das erste mal selbst am Rednerpult stehen
musste, um einen 45-minütigen Vortrag zu halten.
Es war, nun ja, nicht gut. Nach fünf Minuten hatte ich
gemerkt viel zu schnell zu reden, meine Graphiken zu eilig zu wechseln,
verlangsamte mein Tempo dann so, daß ich am Ende ein Drittel des Stoffs
wegließ. Das wurde dann prompt energisch kritisiert: „Warum haben Sie denn nicht
darüber gesprochen, daß…“.
Es sah so aus, als ob ich auf einen Teilaspekt nicht
vorbereitet war, dabei hatte ich nur die Zeit falsch eingeschätzt, weil ich
keine Lust gehabt hatte, wie eigentlich empfohlen, den Vortrag zu Hause, zwei,
drei mal laut zu halten und dabei eine Stoppuhr laufen zu lassen.
Kurzum: Ich hatte überhaupt keine Erfahrung.
An diese peinliche Begebenheit denke ich jedes Mal, wenn ich
in Filmen oder Serien über die in angelsächsischen Bildungsstätten üblichen
Debattierclubs stolpere. Schul- und Klassensprecher, die durch große
Werbekampagnen bestimmt werden. All das ist eine Art politisches Training für
die richtige Welt und vermutlich auch die Ursache dafür, daß amerikanische und
britische Parlamentsdebatten so viel interessanter sind als Deutsche.
Viele amerikanische Politiker sind recht passable Rhetoren. Nicht
weil aller Amerikaner in der Hinsicht begabter als Deutsche sind, sondern weil
sie früh darin geschult werden.
In der heutigen bundesrepublikanischen Politik sind gute
Redner eine echte Seltenheit. Schröder war ganz gut, Fischer sogar sehr gut,
aber die sind beide nicht mehr dabei. Auch Gerald Häfner, Ingrid Matthäus-Maier,
Peer Steinbrück, Wolfgang Clement, Gregor Gys, Freimut Duve der Kristin
Heyne sind ausgeschieden oder gar verstorben.
Der beste Rhetor von allen, Helmut Schmidt, starb 2015.
Die Kultur der guten Rede ist in Deutschland aber inzwischen
so unterentwickelt, daß maximal mittelmäßige Rednerinnen wie Angela Merkel
Bundeskanzlerin, Kramp-Karrenbauer CDU-Chefin und sogar die katastrophal
schlechten Redner Saskia Esken, Simone Peter oder Bernd Riexinger zu Bundesparteichefs
aufsteigen können.
In den USA spielt die Partei eine kleinere Rolle; im Rest der
Welt weiß niemand wer der Parteichef des US-Präsidenten ist, weil die Exekutive
im Präsidialsystem mit Mehrheitswahlrecht so sehr dominiert.
Es war ungewöhnlich mit George W. Bush einen schlechten
Redner als US-Präsidenten zu haben; aber da begann auch schon das zutiefst
irrationale und postfaktische Zeitalter.
Die meisten US-Präsidenten waren sehr gute Rhetoren. Ich
halte Bill Clinton für den weltweit begabtesten politischen Redner seiner
Generation und selbstverständlich sind Michelle und Barack Obama beide brillant
am Rednerpult. Er ist ein sagenhafter Redenschreiber und sie glänzt
insbesondere durch ihr rhetorisches Talent.
Als Donald Trumps beispiellose Schmutzkampagne lief, sah ich
live ihre jetzt schon legendäre Parteitagsrede in Philadelphia im Juli 2016,
als sie von ihren beiden schwarzen Töchtern sprach, die im Weißen Haus, das von
Sklaven gebaut wurde aufwuchsen.
Als sie
ihrer Partei ins Stammbuch schrieb: „When they go low, we go high!“
Das ist eine dieser Reden, die Schüler und Studenten noch
Jahrzehnte lang analysieren und anhören werden. Besser kann man es nicht
machen.
Ich bekomme immer noch eine Gänsehaut, wenn ich mir das
heute im Lichte der BLM-Proteste ansehe.
In einer gerechten Welt, in der die Kraft der Rede zählt und
Argumente die Debatten prägen, konnte nur Hillary Clinton über den grotesk
miserablen Redner Donald Trump siegen.
Wie wir heute wissen, siegte sie auch mit knapp 65 Millionen
Stimmen gegenüber den 62 Millionen Trump-Stimmen.
Es reichte aber Dank des extrem die Republikaner bevorzugenden
Wahlsystems nicht aus, um US-Präsidentin zu werden.
Es regiert der Herr des Hasses, der kaum einen Satz
grammatikalisch korrekt zu Ende bringen kann, das Land in einen Abgrund
stürzte, den Rest der Welt in den Antiamerikanismus trieb.
Und es ist gut möglich, daß Trump am 03.11.2020 in eine zweite Amtszeit
gewählt wird, auch wenn die Zahlen derzeit für Biden
sprechen.
So leid es
mir tut, Michelle Obama, „When they go low, we go high!“, reicht einfach nicht
aus.
Gegen Trump braucht es Kräfte, die bereit sind sehr low zu
gehen.
Dafür gibt es glücklicherweise inzwischen Helfer wie das
Lincoln Project.
[…..] Er glaube, dass die Wirkung von Wahlkampfspots in diesen Zeiten ohnehin
überschätzt werde, sagt ein demokratischer Berater in Washington, der für
mehrere Politiker der Partei tätig ist. Das Lincoln Project habe für Trumps
Gegner Joe Biden aber etwas Gutes: "Es erlaubt eine gewisse
Arbeitsteilung. Biden kann sich vermehrt auf eine eigene, positive Botschaft
konzentrieren - und den hässlichen Straßenkampf anderen überlassen." […..]
Diese Arbeitsteilung funktioniert offenbar. Biden ist lieb,
Jeder mag ihn. Und die LP-Videos ärgern Trump extrem.
(……) Glücklicherweise ist es
leicht Trump zu triggern, da er ein Psychopath mit schwerer Bestätigungssucht
und gewaltigem Minderwertigkeitskomplex ist.
Er ist auch dem geistigen Niveau eines schmollenden Kleinkindes,
das missgünstig die Portraits seiner Vorgänger GW Bush und Bill Clinton
aus dem Weißen Haus verbannt, das manisch alles zerstört, das mit dem Namen Obama verbunden ist und hysterisch nach
Lob verlangt.
Die Werbespots des „Lincoln Projects“, einigen abtrünnigen
Republikanern um Kellyanne Conways Ehemann George Conway versuchen das.
Sie sind kleine fiese,
einminütige Attacken auf Trumps seelisches Gleichgewicht.
Sie nutzen exakt seine maximal attention span und triggern seine
Schwachpunkte. (…..)
IQ45 sammelt weiterhin das ganz große Geld seiner
Billionärsfreunde für den Wahlkampf ein, aber Klein-Projekte wie das von George
Conway richten Schaden bei der GOP an.
Republican
Voters Against Trump machen
von der konservativen Seite Wahlkampf für Joe Biden.
[…..] “I’d
vote for a tuna fish sandwich before I’d vote for Donald Trump again.”
These are Republicans,
former Republicans, conservatives, and former Trump voters who can’t support
Trump for president this fall. [….]
(RVAT.org)
Daneben gibt es MEIDAS TOUCH.
[…..] Created
in quarantine by three brothers, MeidasTouch is a progressive, next-generation
SuperPAC staffed solely by three siblings (and lifelong Democrats) with the primary
goal of defeating Donald Trump in 2020.
Since our inception in
early April, we have amassed an energized and engaged Twitter army of over
300,000 followers, garnered over one billion online impressions and started
running anti-Trump TV ads across the country. […..] We
have and will continue to take back control of the conversation, thereby owning
both mainstream messaging and the news cycle.
When Trump lies or
spreads propaganda, we will always be there to produce rapid-response videos to
take the oxygen out of his messaging. [….]
Und nicht zu vergessen Don Winslows private Videos.
[….] Wahlspots waren nie Höhenflüge der Subtilität. Am wenigsten in den USA.
Der mediale Wahlkampf, das ist die Zeit der Familienidyllen im Morgenlicht, der
Farmer, die goldene Maiskörner durch ihre Finger rieseln lassen, der von Flugzeugträgern
startenden Kampfjets, und das alles begleitet von tief gelegtem
Kommentatorenbass und übergossen mit reichlich Geigensauce. [….] Es
gab wohl nie einen US-Wahlkampf, bei dem die Gegner des Amtsinhabers aus einem
derart üppigen Bilderfundus schöpfen konnten. [….]
Der Thrillerautor Don Winslow, der für Romane wie "Tage der
Toten" auch in Deutschland berühmt ist. In den vergangenen Wochen hat er
ein Dutzend Filme gegen Trump produziert und auf Youtube gestellt, die
schneller, lauter, heftiger sind als alle anderen. Einige von ihnen sind auch
sehr witzig. Zum Beispiel "Trump liebt große Diktatoren auf Pferden",
ein 30-Sekunden-Spot, der mit herrlichen Reitdarbietungen von Putin, Kim
Jong-un und Erdoğan Trumps Schwäche für Autokraten veralbert.
Doch lange hält Winslow die Satire nie durch. Eben hat er noch zu
grotesken Bildern erklärt, wie es Trump gelang, den Verwandten seiner Frau das
Aufenthaltsrecht in den USA zu sichern. Dank derselben "Chain
Migration" nämlich, die Trump nicht müde wird zu geißeln. Da schneidet
Winslow zu den Käfigen voller eingesperrter Kinder, die ihren Eltern bei deren
Versuch, in die USA zu gelangen, aus den Händen gerissen wurden und noch immer
zu Tausenden in Lagern gefangen sind.
Winslow rekapituliert Trumps größte Skandale und frischt die durch das
unaufhörliche Bombardement aus dem Weißen Haus vernebelte Erinnerung des
Zuschauers auf: Was kam am Ende bei Trumps Verhandlungen mit Kim heraus? [….]