Montag, 30. Januar 2012

Parlamentarismus.

In unserer Demokratie soll das Parlament bekanntlich die Regierung „kontrollieren.“
Das Parlament verabschiedet Gesetze, die nicht etwa von den Ministern „erlassen“ werden.
In der Theorie sollte das jedenfalls so sein.

In der echten Welt sind die Parlamentarier oft hoffnungslos von der komplizierten Materie überfordert und haben schon aus Zeitgründen keine Möglichkeit sich durch meterdicke Aktenberge zu wühlen, die erst eine Minute vor Knopf mit dem Hinweis „alternativlos“ vorgelegt werden.

Für Parteien wie die FDP ist die Zustimmung dann oft tatsächlich „alternativlos“. Nicht aus sachlichen Gründen, sondern wegen der parteipolitischen Konstellation.
Brächte SchwarzGelb keine eigene Mehrheit zustande, zerbräche die Koalition. Das würde zu Neuwahlen führen und die FDP in die außerparlamentarische Opposition schleudern. Das monierte Gesetz träte aber dennoch in Kraft, weil andere Parteien als Mehrheitsbeschaffer einsprängen und ein seriöser und autarker Bundespräsident, der die Unterschrift verweigern KÖNNTE, derzeit nicht vorhanden ist.

Um dennoch ein bißchen echte Demokratie zu spielen, bleiben den einzelnen Abgeordneten unter anderem die „parlamentarischen Anfragen“.
Sie können sich mit Sachfragen an zuständige Minister oder auch bei komplexeren Fragen an den Regierungschef wenden.
In Abhängigkeit von der jeweiligen Geschäftsordnung muß dann das zuständige Ministerium innerhalb einer bestimmten Frist antworten.

Fleißige Abgeordnete können mit Detail- und Hintergrundfragen die Regierung durchaus ins Schwitzen bringen, indem die Minister dazu gezwungen werden ihr Tun preiszugeben.
Nicht vorgesehen in bei Parlamentarischen Anfragen ist hingegen die Methode einfach zu lügen, wenn die Regierung gewisse Dinge nicht publik machen möchte.

Im Hannoveranischen Sumpf der CDU-Regenten Wulff und McAllister werden anfragenden Oppositionspolitikern durchaus statt der schnöden Realität gewulffte Versionen vorgetragen.
Der Bundespräsident ist bekanntlich von einer schwerwiegenden Faktenphobie befallen. Er hat ein pathologisches Verhältnis zur Wahrheit. Zu ehrlichen Antworten ist er körperlich unfähig.
Bei so einem schweren Grad der Pinicchiotitis verweigert der Patient auch die korrekte Angabe der Uhrzeit oder die Bestimmung des eigenen Geschlechts.

Die seit sechs Wochen köchelnde Raffke-Affäre des Staatsoberhauptes begann mit der Frage nach dem Kreditgeber seines bundesweit bekannten und außergewöhnlich hässlichen Hauses in Großburgwedel.
Inzwischen sind so viele Vorwürfe hinzu gekommen und so viele Präsidiale Lügen enttarnt worden, daß der ein oder andere vergessen haben mag, wie alles begann.
Zwischen Egon Geerkens und Ministerpräsident Christian Wulff habe es in den "letzten zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben", erklärte die niedersächsische Landesregierung am 28. Februar 2010 in einer Fragestunde des Landtags.
Die parlamentarische Anfrage nach Geschäftskontakten zu Egon Geerkens verneinte der damalige MP Niedersachsens ausdrücklich und redete sich später, als das Gegenteil bekannt wurde, damit heraus, Edith Geerkens habe ihm die halbe Million gegeben.
Ein Spitzfindigkeit zumindest. Es spricht inzwischen aber alles dafür, daß das Geld tatsächlich von Egon kam.
Nachdem der Mann im Schloss Bellevue nun viele Wochen Zeit hatte sich zu korrigieren ist heute, wieder einmal, eine seiner Lügen geplatzt, die er eben NICHT selbst aufgeklärt hat, wie es fälschlicherweise CDU und FDP immer wieder behaupten.

Wulff hatte auch abgesehen von dem 500.000-Euro-Kredit durchaus Kontakte zu Geerkens.

Nach Informationen von tagesschau.de hat Wulff allerdings neben einem Kredit von Geerkens Ehefrau Edith weitere Verflechtungen mit Egon Geerkens verschwiegen. Denn der "väterliche Freund" war über Jahre Mandant der Osnabrücker Anwaltskanzlei Funk, Tenfelde und Partner. In dieser Kanzlei war Wulff über mehr als 15 Jahre tätig. Dies belegen zahlreiche Anwaltsschreiben, auf denen Wulff im Briefkopf geführt wurde: Noch im Oktober 2004 vertrat die Kanzlei Geerkens. Hinzu kommt: Der Unternehmer war bis 2007 sogar Vermieter der Kanzleiräume. Für den hannoverschen Staatsrechtler Jörg-Detlef Kühne steht fest: Der Bundespräsident hat das Auskunftsrecht des Landtages missachtet: "Christian Wulff hätte diese Beziehungen offenlegen müssen. Mit seinem Verschweigen hat er ein weiteres Mal gegen die Landesverfassung verstoßen." Denn Artikel 24 Absatz 1 der Niedersächsischen Verfassung schreibt der Landesregierung vor, Anfragen "vollständig zu beantworten".
(Tagesschau 30.01.12)

Auch für Parlamentarier ist nicht viel über die eigene Regierung zu erfahren, da in Niedersachsen das Wort „Transparenz“ unbekannt ist.

"Das Verhalten von David McAllister in der Wulff-Affäre ist eine Provokation. Immer mehr – angeblich nicht vorhandene - Akten dokumentieren bisher für undenkbar gehaltene Zustände in der niedersächsischen Staatskanzlei. Immer offensichtlicher wird, wie maßgeblich das Land und Unternehmen, die das Land als wirtschaftlich Berechtigter kontrolliert, an der Edelsause im Flughafen beteiligt waren. Auch angesichts der Durchsuchungen von Privaträumen, Diensträumen und beschlagnahmten Computern durch Polizei und Staatsanwaltschaft, bleibt der Ministerpräsident McAllister auf Tauchstation. Mit Wulff, den ehemaligen Staatssekretären Glaeseker und Hagebölling und dem amtierenden Finanzminister Möllring stehen mittlerweile vier seiner engen Weggefährten und politischen Freunde im Verdacht, nicht die Wahrheit gesagt zu haben. McAllister schweigt dazu. Er ist aber nicht nur der Kronprinz von Wulff, sondern er war als langjähriger Fraktionsvorsitzender der größten Regierungspartei auch sehr eng mit den Geschäften in der Staatskanzlei verbunden. Ein Regierungschef ist kein stiller Teilhaber. Eine politische Bewertung der Vorgänge und eine mehr als deutliche Distanzierung durch McAllister sind unerlässlich, wenn er sich nicht den Vorwurf der Vertuschung einhandeln will.
Aus der Affäre Wulff ist längst ein Skandal der amtierenden Landesregierung geworden. Seit in dieser Angelegenheit auch wegen des Verdachts der Bestechung und der Korruption ermittelt wird, kann sogar Regierungskriminalität nicht ausgeschlossen werden. Wir erwarten, dass der Ministerpräsident die Aufklärung der Affäre zur Chefsache macht und sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzt, dass alle Fakten auf den Tisch kommen."

(Der Fraktionsvorsitzende der Landtagsgrünen Stefan Wenzel 29.01.12)

Herr Wenzel beklagt sich allerdings noch auf vergleichsweise hohem Niveau.

Seine Landesregierung ist zwar nicht gerade ehrlich, aber immerhin gibt sie überhaupt irgendwelche Erklärungen ab. Erfundene zwar, aber wer wird denn so pingelig sein?

Wenzels Kollegen im südöstlichen Nachbarland Thüringen können davon nur träumen.
In der ungleich größeren „Affäre“ um die Zwickauer Terrorzelle NSU sagt die CDU-Ministerpräsidentin Christiane Lieberknecht, die von den buckelnden Sozialdemokraten trotz rot-roter Mehrheit im Landtag zur Regierungschefin gewählt wurde, grundsätzlich gar nichts.
Die dortige Untersuchungsausschussvorsitzende Dorothea Marx von der SPD beißt auf Granit.
Dort hat man längst erheblich schwerere Geschütze als Parlamentarische Anfragen aufgefahren. Zu dem Thüringer Verfassungsschutzsumpf tagt auch die Parlamentarische Kontrollkommission, ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss und eine Arbeitsgruppe des Innenministeriums unter Vorsitz des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer.
„'Die kann nur in Augenschein nehmen, was sie von der Landesregierung vorgelegt bekommt', sagte die Sozialdemokratin Marx.“
Ergebnisse sind also nicht bekannt.

„Die Abgeordneten hatten immer wieder beklagt, dass die Landesregierung sie nur mangelhaft informiere. Dies hatte Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) mit Vorgaben von Bundesbehörden begründet, die auch er kritisierte. So habe der Generalbundesanwalt praktisch sämtliche Unterlagen im Zusammenhang mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zu Bestandteilen des aktuellen Ermittlungsverfahrens gemacht. Die Thüringer Landesregierung sei angewiesen worden, hierüber keine Informationen herauszugeben. Bei einem Untersuchungsausschuss dürfte das nun anders sein, sagte die Juristin Marx: 'Wir werden parallel unsere eigenen Untersuchungen führen und notfalls die Informationen auch einklagen.' Hierbei werde man alle Möglichkeiten ausschöpfen, die dem Untersuchungsausschuss gegeben seien.“
(SZ, 27.01.12)

Willkommen in der Demokratie 2012.0!