Endlich
sind sich mal alle einig. Von Links über Grün über SPD bis CDU sind alle sauer
auf die in Deutschland lebenden Türken, die mit ihrem stark überproportionalen
EVET-Votum dazu beitrugen ein Präsidialsystem à la Recep Tayyip Erdoğan einzurichten
und damit den Ausstieg aus der Demokratie ebnen.
Tatsächlich
wäre das Referendum ohne die expats wohl gegen das Präsidialsystem ausgefallen.
Cem
Özedemir befand heute im MOMA, es sei „nicht gerade nett“, wie die Türken in Deutschland
gewählt hätten:
"Hier
leben, die Vorzüge der Demokratie genießen und in einem Land, in dem man gar
nicht mehr lebt, für die Einführung einer Diktatur stimmen".
[…..]
CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt
kritisiert in Deutschland lebende Türken. Von ihnen hätte sie sich "ein
klares Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gewünscht", sagte
Hasselfeldt den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Dienstag. Leider sei
"genau das Gegenteil" passiert. […..]
Die hohe Zustimmung
für ein Ja beim Referendum in der Türkei unter den türkischen Wählern in
Deutschland ist in erster Linie die Folge davon, dass man Erdogans Netzwerk in
Deutschland jahrelang hat gewähren lassen. Häufig wurden und werden Erdogans
Organisationen für die Integrationspolitik als Ansprechpartner genommen. Seit
Jahren werden Erdogans Helfershelfer im Kanzleramt beim Integrationsgipfel oder
im Bundesinnenministerium in der Deutschen Islamkonferenz hofiert. So hat man
den Bock zum Gärtner gemacht und darf sich über das Ergebnis nicht wundern.
So eine Sauerei von diesen blöden
Türken.
Die wollten
sich doch gar nicht integrieren und daher dürften sie auch nicht die doppelte
Staatsbürgerschaft bekommen – das ist der Tenor in den Kommentarspalten. Der
deutsche Michl ist empört.
Essens
Oberbürgermeister Thomas Kufen (43, CDU) zu BILD: „Das hat mich geschockt.“ Er
ist sauer auf die 440 000 Deutsch-Türken,
die „bequem und komfortabel von ihrer Wohnzimmercouch aus“ für die Abschaffung
der Demokratie in der Türkei gestimmt haben. „Ausbaden müssen das die, die in
der Türkei Probleme mit der Regierung haben, wie Aleviten, Kurden, politisch Andersdenkende.“
[…..]
Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach
(64) formuliert es so: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass bei
Hunderttausenden bei uns in Deutschland lebenden Türken die ökonomische und
soziale Loyalität in Deutschland liegt, politisch und ideologisch aber bei
Erdogan.“ […..]
(BILD-Zeitung
von heute….)
Gern orakeln
CDUler und andere dumpfe Blutrechtsnationalisten, die anderen die Rechte
verweigern wollen, die sie selbst ohne Anstrengung ererbt haben* von mangelnder
Loyalität oder Rechtstreue der potentiellen Neu-Deutschen.
*(Thomas de
Maizières Familie lebt nicht so lange in Deutschland wie meine, aber er macht
mir jetzt Vorschriften über meine Nationalität.)
Rechtstreue in
einen Zusammenhang mit der Doppelstaatsbürgerschaft zu bringen, ist genau
absurd und geradezu bösartig wie Wagenknechts Gastrecht-Phrasen.
Jeder in
Deutschland Lebende hat sich selbstverständlich an die hiesigen Gesetze zu
halten; völlig unabhängig vom Pass. Sollte ich jemals Deutscher werden, gilt für
mich in gleicherweise der Diebstahlparagraf wie jetzt.
Das deutsche
Rechtssystem wird nicht davon tangiert, ob man Deutscher, Ausländer oder beides
ist. (…… )
Leider
sind auch viele professionelle Journalisten so verblendet, daß sie nun auf die
Türken eindreschen und diese damit noch mehr in Erdoğans Arme treiben.
Aber
gemach; bezieht man die Evet-Stimmen auf alle Menschen mit türkischen Wurzeln
in Deutschland, machen sie lediglich 15% aus.
Die Deutschtürken haben also nicht für Erdoğan
gestimmt.
Schaut man sich
dagegen an, wie nur in Deutschland abgestimmt wurde, sieht das Ergebnis auf den
ersten Blick ganz anders aus: Bei Ja machten laut vorläufigem Ergebnis 63,1
Prozent der hier lebenden Wahlberechtigten ein Kreuz. Es ist jedoch falsch,
anhand dieser Zahl generelle Rückschlüsse auf die Einstellung von Deutschtürken
zu ziehen. Daher ein paar Details: In Deutschland leben laut Statistischem
Bundesamt 2,9 Millionen Menschen, die aus der Türkei stammen. Von ihnen sind 1,43
Millionen wahlberechtigte türkische Staatsangehörige. Rund 46 Prozent – also
etwa 661.000 Personen – haben von diesem Recht Gebrauch gemacht. Mit Ja
gestimmt haben etwa 416.000 der in Deutschland lebenden Wahlberechtigten.
Ich will das Ergebnis
nicht schönreden, denn aus meiner Sicht ist jede Stimme für die
Verfassungsänderung eine zu viel. Dennoch sollten in der Diskussion über die
Demokratiefähigkeit von Deutschtürken nicht alle in einen Topf geschmissen
werden. Wer alle in Deutschland einbezieht, die hätten abstimmen dürfen, dem
fällt auf, dass nur 29 Prozent von ihnen für die Machterweiterung Erdoğans
gestimmt haben, der Rest hat entweder mit Nein gestimmt oder ist nicht zur Wahl
gegangen. Aus dem Wahlergebnis lässt sich also weder schließen, die Mehrheit
der Deutschtürken sei für den Demokratieabbau in der Türkei, noch, sie sei
"Feuer und Flamme" für den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip
Erdoğan und dessen Plan, sich mit mehr Macht auszustatten. [….]
Wie
üblich zeigt sich Mopo/Berliner Kurier-Autor Harald Stutte völlig ahnungslos
und will türkische Mitbürger bestrafen. Er drischt erst mal auf die
Türken ein, ohne sich um Ursachen und die wahren Zahlen zu scheren.
Damit
belegt Stutte natürlich unfreiwillig wie berechtigt das Gefühl abgelehnt zu
werden vieler hier lebenden Migranten ist.
MOPO-Kommentar Türken
und Deutsche: Unsere fremden Mitbürger
[…..]
Was nun, du bunte Republik? Deutschlands
„Doppelpass-Türken“ haben sich zu fast zwei Dritteln gegen eine demokratische
Verfassung entschieden, die Gewaltenteilung, parlamentarische Kontrolle, unabhängige
Justiz garantierte.
Was nur einen Schluss
zulässt: Sie lehnen mehrheitlich auch unser System ab, das ja durch seine
föderative Struktur eine noch weitreichendere Kontrolle staatlicher
Institutionen erlaubt. […..]
Die doppelte Staatsbürgerschaft gehört
auf den Prüfstand! […..]
Herr
Stutte hängt offenbar immer noch an Adolf Hitlers Blutrecht, dem Ius Sanguinis.
Seiner
Ansicht nach ist es sein großes Privileg Deutscher zu sein, weil er in
Deutschland geboren wurde.
Wer aber
nicht so reines deutsches Blut hat – so wie ich zum Beispiel – soll für immer
Ausländer bleiben, auch wenn er wie Millionen „Deutschtürken“ und ich in
Deutschland geboren wurde.
Die
Staatsbürgerschaft, die Stutte einfach qua Geburt in den Schoß fiel, soll den
Menschen mit etwas dunkleren Augen und nicht ganz so rosiger Haut nur als
außerordentlich großzügiger Akt gewährt und bei einer Stutte nicht genehmen politischen Ansicht auch
wieder entzogen werden können. Geradezu bösartig agiert
der bekanntermaßen nicht allzu gebildete Autor
hier.
Bizarrerweise
muß man in derselben Ausgabe der Hamburger Morgenpost, in der dieser
Stutte-Leitartikel steht nur ein paar Seiten weiter blättern, um schwarz auf
weiß zu lesen wie sehr etwas dunkelhäutigere Menschen ausgegrenzt und
diskriminiert werden in Deutschland.
Nach 50
Jahren in Deutschland wird man von der hiesigen Mehrheitsgesellschaft immer
noch abgelehnt. Das
erleben dunkelhäutige Menschen jeden Tag.
Weil er einen Migrationshintergrund hat, wurde Abdul N. (21) nicht im
Fitnessstudio Benefit in Eidelstedt aufgenommen. Der Vorfall, über den die MOPO
berichtete, hat in ganz Hamburg für große Empörung gesorgt.
Zahlreiche Medien berichteten anschließend darüber. In den sozialen Netzwerken
und auf MOPO.de häuften sich die Kommentare. Selbst die Politik wurde
aufmerksam.
„Unfassbar“, nennt der
SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Danial Ilkhanipour den Rassismus-Skandal in Eidelstedt.
Immer wieder höre man von Vorfällen, bei denen Einwanderer Probleme bei der
Wohnungssuche, im Berufsleben, bei Bewerbungen oder selbst beim Betreten einer
Diskothek bekämen
„Alltagsdiskriminierung
ist ein Skandal“, so Ilkhanipour. „Für die Betroffenen ist es entwürdigend.“ Es
sei richtig, dass Abdul N. sich dagegen wehrt. Ilkanipour: „Da muss ein Zeichen
gesetzt werden.“ Der Politiker hat sich selbst für Abdul N. eingesetzt und ihm
eine Mitgliedschaft in einem anderen Fitnessstudio in Niendorf zu den gleichen
Konditionen wie bei Benefit organisiert.
Aber
auch seriösere Journalisten sind nicht sehr faktennah.
[…..]
Was aus deutscher Sicht mindestens ebenso
besorgen muss wie der knappe und zumindest fragwürdige Ausgang des Referendums
in der Türkei, ist das klare Resultat in Deutschland: 63 Prozent der
türkischstämmigen Wähler hierzulande für das Präsidialsystem gestimmt. Die von
der Wahlkommission bekannt gegebenen Detailergebnisse muss man sich mal vor
Augen führen: Fast 76 Prozent Zustimmung in Essen, annähernd 70 Prozent in
Düsseldorf – dann folgt schon Stuttgart mit 66 Prozent, später Karlsruhe mit
gut 61 Prozent. Da können die knapp 58 Prozent von Frankfurt, 57 Prozent von
Hamburg und vor allem die 50,1 Prozent der Bundeshauptstadt Berlin nicht
trösten. […..]
Viele Türken haben sich abgeschottet, leben in
ihrer eigenen Welt. Sie nehmen zwar die Vorzüge unseres gesellschaftlichen
Zusammenlebens wahr, der Demokratie, des Sozialstaats und des wirtschaftlichen
Wohlstands – und zugleich lassen sie ihre Heimat in Richtung Diktatur ziehen.
Widersprüchlicher geht es kaum.
[…..]
So konnte Erdogan mit dem Theater um
Wahlkampftritte türkischer Politiker, mit Hetzparolen und absurden
Nazi-Vergleichen große Teile der türkischen Gemeinde auf seine Seite bringen.
Die scharfen Reaktionen vieler deutscher Politiker haben offenbar das Gegenteil
des Angestrebten bewirkt: Sie haben die Gemeinde, die sich gegen eine
vermeintliche Einmischung in innertürkische Angelegenheiten wehrt, weiter
gespalten.
[…..]
Türken-Bashing
ist sinnlos. Nachdem man sich die wahren Zahlen vergegenwärtigt hat, sollte man
sich lieber darüber Gedanken machen was wohl in den Köpfen der Evet-Türken
vorging.
Keine
Frage, ich bin auch entsetzt über das Evet-Ergebnis und halte es für völlig
absurd so gestimmt zu haben.
ABER,
die Türken, die jetzt so heftig kritisiert werden, stammen nicht vom Mars,
sondern sie wurden von uns und bei uns sozialisiert, gingen durch deutsche
Schulen und deutsche Kitas und deutsche Ausbildungen.
Sie
erleben hier offenbar auch nach vielen Dekaden noch grundsätzliche Ablehnung. Haut
doch ab, wenn euch Erdogan so gefällt, müssen sie sich anhören.
Menschen
wie ich sind in Deutschland geboren und dürfen bis heute nicht hier wählen,
weil Spahn, Stutte und Merkel das nicht zugestehen wollen.
Wenn ihr
nicht pariert, können wir euch auch Rechte entziehen, oder euch rausschmeißen –
so schalt es uns von Biodeutschen entgegen.
Kein
Wunder, daß man irgendwann desillusioniert und frustriert ist.
Das ist
keinerlei Rechtfertigung dafür, um sich an Erdogan zu hängen, aber ich
verstehe, daß es vielen Deutschtürken wohlige Gefühle bereitet, wenn
ausnahmsweise mal ein Politiker auf sie zugeht, sie ernst nimmt, sie umschmeichelt,
sie für wichtig und besonders erklärt.
Von der
deutschen Politik erfährt man das schließlich nicht.