Freitag, 11. April 2014

Das war nix.


So wie ich kein Gefühl mehr dafür habe wann eigentlich Schulferien sind, bekomme ich auch den Beginn oder das Ende von Semesterferien kaum noch mit.
Eigenartig, wenn man bedenkt wie sehr diese Daten früher einmal den Lebensrhythmus bestimmt haben.

Vor einigen Tagen unterhielt ich mich mit jemanden, der gerade anfing zu studieren; dabei wurde mir klar, daß ich buchstäblich im vorherigen Jahrtausend an der Uni war.
Endlose Stunden Rumgewühle und Suchen in zerfledderten Heftchen in der Fakultätsbibliothek. Und zu Hause dann nächtelang Protokolle geschrieben – mit der Hand.
Einen PC hatte ich noch nicht und daß es eines Tages so etwas wie eine „Googesuche“ geben könnte, war weit außerhalb des Vorstellbaren.

Nach meinem Vordiplom hatte ich neben den drei Hauptfächern die Wahl zwischen „BC“ und „TMC“.
Selbstverständlich belegte ich Biochemie; wer will schon dieses verfahrenstechnische Zeug bei der „technischen und makromolekularen Chemie“ haben?
Testweise hatte ich da immerhin mal reingehört und erinnere mich noch an meine erste TMC-Vorlesung, als es darum ging eine Milchverpackung wieder zu verwerten. Die berühmten Tetra-Paks, bzw Tetra-Briks, von denen jährlich fast 100 Milliarden Stück hergestellt werden, sind ein chemischer Alptraum.
Ein Verbundstoff, der aus mehreren Schichten Kunststoff, Aluminium, Kunststoff, Papier, Kunststoff besteht.
Man bekommt den Mist technisch nicht mehr auseinander – es sei denn, man wendet so viel Energie auf, daß es absolut unökologisch und unökonomisch wird.
Ich erinnere noch gut, wie sich der Professor darüber aufregte, solche Art Abfall mit Grünen Punkten zu versehen und als ökologisch zu bewerben – ganz so, als ob man sie einfach einschmelzen und wiederverwerten könnte.
Schon damals; Altglassammeln und Kompostieren waren noch ganz neu; hielt man im meiner Uni das Recylingsystem in Deutschland für eine rein pädagogische Maßnahme. Die Verbraucher trennen zwar ordentlich nach Weiß-, Grün- und Braunglas, auch wenn anschließend alles wieder zusammengeworfen wird.
Man dürfe das dem einfachen Bürger aber nicht sagen, denn sonst erlahme sein ökologischer Eifer sofort wieder.
Andere Baustellen damals in meinem Fachbereich waren das „Sonderforschungsprojekt ZISCH“ (Zentrale Immission Schwermetalle in die Nordsee. Es ging um die berühmt-berüchtigte Dünnsäureverklappung) und die elenden FCKWs, also die Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoff-Treibgase in den Haarspraydosen, die das Ozonloch schufen.
Kaum zu glauben, aber die großen ökologischen Kampagnen von Greenpeace und Co können durchaus wirken. Heute wird nicht mehr industrielle Schwefelsäure einfach ins Meer gepumpt (jedenfalls nicht legal) und die Sprays, die man heute im Supermarkt kauft, sind entweder Pumpsprays, oder sie funktionieren mit Treibgasen, die nicht die physiologisch katastrophalen Halogenid-Kohlenstoff-Doppelbindung aufweisen – die kriegen menschliche Enzyme nämlich nicht mehr zerlegt. Deswegen sind Lindan (γ-Hexachlorcyclohexan, wirkt gegen Filzläuse), Hexachlorbenzol (Fungizid = „Pflanzenschutzmittel“), DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan, Insektizid) oder „Dioxin“ (das Sevesogift, also polychloriertes Dibenzodioxin = 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin) so problematisch. Unsere Physiologie wird mit der künstlich geschaffenen C-Cl-Bindung nicht fertig und kann ein solches Molekül nicht abbauen.
Erstaunlich; der Homo Demens lernt manchmal doch dazu.
Ganz so sorglos werden diese Gifte nicht mehr produziert und verwendet.

Keinerlei Entwarnung gibt es bei den Milliarden Terta-Briks, die fröhlich weiter produziert werden, obwohl wir seit 1990 das „Duale System Deutschland“ (der Grüne Punkt) haben.
Ich wohne in einem Mietshaus, vor dem EINE große Mülltonne steht. So wie vor jedem Hauseingang meiner Straße.
Dabei wohne ich nicht irgendwo auf dem Land hinter Buxtehude, sondern mitten im Zentrum einer Millionenstadt.
Es gibt hier immer noch keine Gelben Tonnen und schon gar keine Altpapier- oder Altglastonnen.
Das konnte in der kurzen Zeit seit 1990 noch nicht realisiert werden. Ganz so schnell geht es eben nicht bei der Hamburger Stadtreinigung.
Dennoch zahle ich aber jedes Jahr ungefähr 50 Euro an die „Duales System Deutschland GmbH“ – seit 1991 also etwa 1.200 Euro, ohne daß ich je eine gelbe Tonne benutzt hätte.
Das System ist allerdings ohnehin komplett gescheitert. Auch wenn es bei mir so eine gelbe Mülltonne gäbe, wäre damit nicht der Umwelt geholfen.
Klaus Töpfers Baby ist eine Missgeburt.

23 Jahre nach seiner Gründung steckt das System in einer schweren Krise. Das hat mehrere Gründe. Auf immerhin einen können sich auch fast alle Beteiligten in der Debatte einigen: Immer mehr Unternehmen nutzen Schlupflöcher in der Verpackungsverordnung aus und drücken sich so um die Kosten für die gesetzlich vorgeschriebenen Entsorgung. Sie lizenzieren zu wenig ihrer Verpackungen für duale Systeme und geben stattdessen an, die Verpackungen selbst im Laden zurückzunehmen. Doch größtenteils landen diese dann daheim bei den Käufern in den Gelben Tonnen oder Säcken, weil es für die Kunden so natürlich bedeutend bequemer ist.
Nach Angaben des DSD betrifft dies jede zweite Verpackung. Der Geschäftsführende Gesellschafter, Michael Wiener, spricht daher von Trittbrettfahrern, die das System zerstörten. Bußgelder sind dennoch die Ausnahme - den für die Kontrollen zuständigen Bundesländern fehlt der Überblick in dem komplexen System.
[…] Es werden nicht weniger Verpackungen produziert - im Gegenteil. Mit 202 Kilogramm sei die Verpackungsmenge pro Kopf und Jahr in Deutschland die zweithöchste in Europa (nach Luxemburg), heißt es in einem neuen Gutachten im Auftrag des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU). Kunststoffverpackungen hätten in den vergangenen Jahren um 25 Prozent zugenommen. Offenbar legt der Kunde doch großen Wert auf aufwändige Verpackungen. Ebenso dürfte der Trend zu kleineren Portionen für Singlehaushalte den Verpackungsboom befeuert haben.