Samstag, 2. Februar 2013

Der Christ des Tages - Teil LXXIV


Zu den vielen, vielen Ärgernissen, die mir die Kirchen-bejubelnde Zeitung „ZEIT“ bereitet, gehört auch das Molestieren mit dem frömmelnden Evangelen-Blatt „Chrismon.“
Eine ganz üble Sache, diese Kirchenbeilage, die ich ohnehin schon immer mit der SZ geliefert bekommen und selbstverständlich sofort in die Altpapiertonne trete.

Das Herausgeber-Quartett Katrin Göring-Eckardt (Hardcore-Religiotin), Johannes Friedrich (Bischof), Margot Käßmann (Bischof) und Nikolaus Schneider (Bischof) rühmt sich einer Reichweite von weit über einer Million Lesern.
Die vier Lutheraner können sich das leisten, da ihre Kirche in Geld schwimmt und somit die gesamte Auflage als kostenlose Beilage der ZEIT, der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeine Zeitung, dem Tagesspiegel den Potsdamer Neuesten Nachrichten, der Mitteldeutschen Zeitung und der Schweriner Volkszeitung zur Verfügung stellt.

Ob tatsächlich Millionen Deutsche das dümmliche Christenblatt LESEN, wage ich allerdings sehr zu bezweifeln. Meine Nachbarin beispielsweise freut sich immer über Chrismon, weil sich das Format so hervorragend dafür eignet als unterste Schicht im Küchenmülleimer zu liegen - damit nichts durchsabbscht.

Jedes Mal wenn ich aus Versehen doch mal durch „Chrismon“ blättere, generiere ich auf der Stelle graue Haare und Magengrimmen.
Diesen Monat mußte erst die „Titanic“ kommen, um mich auf ein Chrismon-Interview hinzuweisen. Die Satire-Zeitschriften verstehen sich eben untereinander.

Tatsächlich ist dem Christenmagazin da ein sehr guter Witz gelungen; es befragte nämlich  Gerhard Wegner, den Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der evangelischen Kirche, zur „Bedeutung der Arbeit und fairen Löhnen“.
LOL.
Ausgerechnet die Kirche mit ihrem Knebel-Arbeitsrecht ohne Kündigungsschutz, Antidiskriminierungsrichtlinien und ohne Streikrecht, die Lohndumping betreibt und eine „Juden unerwünscht“-Einstellungspraxis betreibt, maßt sich hier Arbeitnehmerwohlwollen an.
Prust, sehr lustig.
 In kirchlichen Einrichtungen gilt das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht. In § 118, Absatz 2 heißt es, dass das Gesetz „auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform“ keine Anwendung findet. Die Kirchen praktizieren ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, das in wichtigen Punkten vom allgemeinen Arbeitsrecht abweicht und mit mehreren Grundrechten kollidiert.
Für die über eine Million Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen, vor allem von Caritas und Diakonie, hat dies in zweierlei Hinsicht weitreichende Folgen.

Zum einen gilt dort eine besondere Loyalitätspflicht, die sich nicht nur auf das Verhalten am Arbeitsplatz erstreckt, sondern bis ins Privatleben der Beschäftigten reicht. Das bedeutet zunächst, dass Konfessionslose und Angehörige nichtchristlicher Religionsgemeinschaften in diesen Einrichtungen generell keine Anstellung finden.

[…] Zum anderen müssen die Beschäftigten auf grundlegende Arbeitnehmerrechte verzichten. In kirchlichen Einrichtungen wird der sog. Dritte Weg praktiziert. […]  Der Dritte Weg kennt […] kein Streikrecht, auch ein Betriebsrat ist nicht vorgesehen.

[…]  Das kirchliche Arbeitsrecht hat zur Folge, dass in Sozialeinrichtungen wie Krankenhäusern oder Sozialstationen, die völlig oder weitestgehend aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, die Grundrechte nicht uneingeschränkt gelten. Insbesondere das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist weitestgehend außer Kraft gesetzt. Dies führt zum Phänomen der „Zwangskonfessionalisierung“ […]  Diese Sonderstellung kirchlicher Sozialeinrichtungen ist Ergebnis intensiver Lobbyarbeit der Kirchen. Sie widerspricht jedoch dem Geist des Grundgesetzes ebenso wie dem den europäische Antidiskriminierungsrichtlinien.
 Kommen wir auf das Wegner-Interview genauer zu sprechen.
Herr Wagner, den ich hiermit zum Christen des Tages Nr. 74 küre, kennt sich aus mit Arbeitsethos und Arbeitsrecht.

Kostprobe:
chrismon: „Arbeit ist Gottesdienst“, sagt Martin Luther. Für welche Arbeit gilt das denn heute?

Gerhard Wegner: Das gilt für jede Form von Arbeit. Es ist eine faszinierende Vision: Arbeit ist von Gott inspiriert und findet höchste Anerkennung durch ihn.

chrismon: Arbeit als „heiligste Sache, durch die Gott erfreut wird und durch die er dir seinen Segen schenkt“ – beim Knochenjob des Straßenbauers mag das noch passen. Aber auch bei der Klofrau?

Gerhard Wegner: Das gilt gerade für eine Klofrau. Sie tut etwas Wichtiges für andere. Gerade solche Tätigkeiten haben ihre eigene Würde.
Na bitte, da haben wir schon mal eine Erklärung dafür, weswegen die Klofrauen unter den 1,2 Millionen kirchlichen Angestellten keine gleichen Rechte, keine angemessene Bezahlung und kein Streikrecht brauchen!

Aber der Spaß kommt erst noch:
 Chr: Würden die Reformatoren heute für Mindestlöhne eintreten?

Gerhard Wegner: Ich glaube schon. Denn es gab auch damals für Handwerker Mindeststandards beim Lohn: Sie sollten sich davon ernähren können. In vielen Berufen ist das heute nicht möglich. Denken Sie an eine alleinerziehende Mutter, die als Friseurin arbeitet.

[…] Chr: Wenn Protestanten die Erwerbsarbeit so hoch bewerten, ihr eine besondere Würde zusprechen – wie steht es dann um Menschen, die erwerbslos sind?

Gerhard Wegner: Die urevangelische Idee ist: Jeder Mensch sollte arbeiten, weil er dadurch ein wenig an Gottes Schöpfung mitwirkt. Deshalb entfaltet sich in der Arbeit die Berufung des Menschen.
 Aha, der Reformator Luther würde also heute für Mindestlöhne und Arbeitskampf eintreten!
Woher weiß Herr Wegner das?
Er schließt das vermutlich aus Luthers Schriften zum Thema, die ihn ganz klar als Klassenkämpfer zeigen. 
Was er von aufständischen Bauern und Fronarbeitern hielt ist schließlich in seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ dokumentiert und eindeutig.
 In der Zeit von 1524-1526 gab es in Deutschland die sogenannten "Bauernkriege", in denen die Bauern aufstanden gegen Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Ihr Ziel war es Frondienste und Leibeigenschaft abzuschaffen, politische Mitspracherechte zu erlangen und vor Gericht gerecht behandelt zu werden - kurzum: sie wollten nicht länger wie Sklaven lieber wohl wie Menschen gesehen werden. […] Ein bedeutender Frontmann war Thomas Münzter, dessen Name heutzutage nur allzu gern in Vergessenheit gerät. Viel lieber erwähnt man Martin Luther, unseren großen Reformator. Doch was sagte dieser zu den Ungerechtigkeiten gegenüber den Bauern und ihrem Versuch sich aus dieser Unterdrückung zu befreien? Seine Kirche sollte Staatskirche werden und er wollte unter keinen Umständen auf die Zusicherung des Staates Sachsen verzichten - also war es sonnenklar, dass er sich gegen die "halsstarrigen, verstockten, verblendeten" Bauern entscheiden musste, gegen den gottlosen, wütenden Pöbel.
 Und das Millionenblatt Chrismon feiert Luther als Klassenkämpfer, als Förderer des Mindestlohns:

Ein bißchen Luther im Original:
Drum soll hier erschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann, und daran denken, dass nichts Giftigeres, Schädlicheres, Teuflischeres sein kann als ein aufrührerischer Mensch; (es ist mit ihm) so wie man einen tollen Hund totschlagen muss: schlägst du (ihn) nicht, so schlägt er dich und ein ganzes Land mit dir.

Am Ende ist noch eine Sache, welche die Obrigkeit billig bewegen soll. Denn die Bauern lassen sich nicht daran genügen, dass sie des Teufels sind, sondern sie zwingen und dringen viel rechtschaffene Menschen, die es ungerne tun, zu ihrem teuflischen Bunde und machen diese so aller ihrer Bosheit und Verdammnis teilhaftig. Denn wer ihnen (ihr Verlangen) bewilligt, der fährt auch mit ihnen zu Teufel und ist aller Übeltat schuldig, die sie begehen. Und (diese Menschen) müssens doch tun, weil sie so schwachen Glaubens sind, dass sie dem (Verlangen der Bauern) nicht widerstehen. Denn hundert Tode sollte ein frommer Christ erleiden, ehe er ein Haarbreit in der Bauern Sache willigte. Oh, viel Märtyrer könnten jetzt durch die blutdürstigen Bauern und durch Mordpropheten werden! Nun, solcher Gefangener unter den Bauern sollte sich die Obrigkeit erbarmen; und wenn sie sonst keine Ursache hätte, das Schwert getrost gegen die Bauern gehen zu lassen und selbst Leib und Gut daranzusetzen, so wäre doch diese übergroß genug, dass man solche Seelen, die durch die Bauern zu solchem teuflischen Bündnis gezwungen und ohne ihren Willen mit ihnen so gräulich sündigen und verdammt werden müssen, errettete und ihnen helfe. Denn solche Seelen sind recht im Fegefeuer, ja in der Hölle und des Teufels Banden.
Darum, liebe Herren, erlöset hier, rettet hier, helft hier, erbarmt euch der armen Menschen: steche, schlage, töte hier, wer da kann. Bleibst du drüber tot, wohl dir, seligeren Tod kannst du nimmermehr finden. Denn du stirbst im Gehorsam göttlichen Wortes und Befehls, Röm 13,4ff, und im Dienst der Liebe, deinen Nächsten aus der Hölle und des Teufels Banden zu erretten.
Daß Luther einer der schlimmsten Antisemiten der Geschichte ist, auf den sich auch Hitler bezog, stört die Evangelische Kirche allerdings auch nicht.
Insofern sollte man sich nicht über Lügenmärchen wundern, die Bischöfin Käßmann und Grünen-Spitzenkandidatin Kathrin Göring-Kirchentag herausgeben.